TE Lvwg Erkenntnis 2019/7/16 LVwG-2018/12/2152-5

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Veröffentlicht am 16.07.2019
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Entscheidungsdatum

16.07.2019

Index

10/11 Vereins- und Versammlungsrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

Versammlungsgesetz 1953 §2 Abs1
Versammlungsgesetz 1953 §19
VStG §45 Abs1 Z1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat durch seine Richterin Dr.in Kroker über die Beschwerde des Herrn AA, geb. xx.xx.xxxx, Adresse 1, Z, gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom 20.08.2018, Zl ***, wegen einer Übertretung nach § 2 Abs 1 Versammlungsgesetz 1953, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung

zu Recht erkannt:

1.       Der Beschwerde wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren wird gemäß § 45 Abs 1 Z 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) iVm § 38 VwGVG eingestellt.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Beschwerdevorbringen, Vorverfahren, mündliche Verhandlung:

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Tirol vom 20.08.2018, Zl ***, wurde dem Beschwerdeführer spruchgemäß Folgendes zur Last gelegt:

„Sie haben es als Veranstalter der öffentlich zugänglichen Versammlung zum Thema Radfahren, welche am 27.07.2018 von 18:30 bis 19:15 Uhr in Z, Adresse 2 veranstaltet wurde, unterlassen, diese Versammlung spätestens 48 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung der zuständigen Behörde, der LPD Tirol, schriftlich anzuzeigen.“

Der Beschuldigte habe dadurch die Rechtsvorschrift des § 2 Abs 1 Versammlungsgesetz 1953 (im Folgenden: VersammlungsG) verletzt und wurde daher über ihn eine Geldstrafe in Höhe von Euro 400,00 (Ersatzfreiheitsstrafe 23 Tage 8 Stunden) gemäß § 19 VersammlungsG unter gleichzeitiger Festsetzung der Kosten für das behördliche Strafverfahren verhängt.

Dagegen hat der Beschwerdeführer rechtszeitig Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol erhoben und begründend ausgeführt, dass es sich bei der Radgruppe um keine Versammlung, sondern um eine sogenannte „BB-Fahrradausfahrt“ gehandelt habe, bei der es keine Debatte, keine Manifestation oder sonstige Diskussion innerhalb der Teilnehmer gegeben habe. Es finde auch keine Kommunikation oder Meinungskundgabe an außenstehende Passanten statt. Auch habe er diese Radgruppe weder in irgendeiner Weise organisiert oder die Ausfahrt durchgeführt. Er habe auch nicht für die Gruppe mit der Polizei gesprochen, jeder Teilnehmer spreche für sich selbst. Es werde daher – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Strafbescheides, die Einstellung des Verfahrens, in eventu die Herabsetzung der Strafhöhe aufgrund geringen Einkommens beantragt.

Am 28.06.2019 fand vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, anlässlich derer der Beschwerdeführer sowie der Zeuge CC einvernommen wurden.

II.      Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer hat am 27.07.2018 gegen 18:40 Uhr an einer Versammlung in Form einer Radausfahrt in Z - unter anderem auch in der Adresse 2 - teilgenommen. Diese sogenannten „BB-Radausfahrten“ finden jeden letzten Freitag im Monat in Z statt, um auf Belange des Radverkehrs aufmerksam zu machen. Jeder kann daran teilnehmen.

Zur Tatzeit ist eine Gruppe von über 50 Radfahrern – beide Fahrbahnstreifen benutzend – die Adresse 2 entlang gefahren, sodass andere Fahrzeuge nicht mehr vorbeifahren konnten. Im Zeitraum zwischen erstem Sichtkontakt (von der Kreuzung Adresse 2/Adresse 3) und Anhaltung (in Y, Höhe ehemaliges DD) durch die Polizeibeamten ist der Beschwerdeführer in der ersten Reihe gefahren.

Der Beschwerdeführer hatte auf seinem Rad einen Lautsprecher montiert, über den er Musik (via Handy) abspielte. Durchsagen, Aufrufe, Parolen oder dergleichen erfolgten weder durch ihn noch durch andere Personen.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass er diese regelmäßig am letzten Freitag im Monat in Z stattfindende „Versammlung von Radfahrern“ einberufen oder organisiert hat oder in sonstiger Weise den Willen sich zu Versammeln bei den teilnehmenden Personen hervorgerufen hat. Es konnte nicht festgestellt werden, dass er während der gesamten Radausfahrt die Gruppe angeführt hat.

Der Beschwerdeführer sowie weitere Teilnehmer wurden nach der Anhaltung durch den Meldungsleger zur Ausweisleistung aufgefordert. Dies erfolgte insbesondere deshalb, weil durch die Polizeibeamten mehrere Verwaltungsübertretungen der Versammlungsteilnehmer (Nebeneinanderfahren, freihändiges Fahren, Handygebrauch beim Lenken etc) beim Vorbeifahren festgestellt worden waren. Der Beschwerdeführer sowie ca 5 bis 6 weitere Personen haben dem Meldungsleger die Ausweise ausgehändigt, lediglich vom Beschwerdeführer wurden die Daten aufgenommen.

Der Beschwerdeführer hat im Folgenden hauptsächlich das Gespräch mit den Polizeibeamten geführt und dabei auch den Zweck dieser Radausfahrt bekannt gegeben, wobei er sich dabei nicht als Veranstalter der Versammlung zu erkennen gegeben hat.

Es konnte bei der Weiterfahrt – unter Polizeibegleitung – nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer die Richtung des Demonstrationszuges vorgegeben hat oder dazu aufgerufen hat, die behördlichen Anordnungen zu befolgen oder nicht zu befolgen oder in sonstiger Weise eine führende Rolle in der Versammlung eingenommen hat.

III.    Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den Behördenakt der Landespolizeidirektion Tirol, GZ ***, und in den Akt des Landesverwaltungsgerichts Tirol, LVwG-2018/12/2152, sowie durch die Einvernahme des Beschwerdeführers und des Zeugen CC in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht.

Aus den Aussagen des Beschwerdeführers und des als Zeugen einvernommenen Meldungslegers CC geht hervor, dass der Beschwerdeführer an der Versammlung von Radfahrern (sog „BB“) am 27.07.2018 gegen 18:40 Uhr (unter anderem) in der Adresse 2 teilgenommen hat.

Der Beschwerdeführer hat zugegeben, dass er am Fahrrad einen Lautsprecher montiert hatte, über den er Musik abspielte. Das Durchsagen von Parolen, Aufrufen udgl wurde vom Beschwerdeführer glaubwürdig verneint und auch der Meldungsleger hatte keine Wahrnehmungen dahingehend.

Der Beschwerdeführer hat vehement bestritten, dass er die gegenständliche Versammlung organisiert bzw in der Öffentlichkeit zur Teilnahme aufgerufen hat. Er hat nachvollziehbar ausgesagt, dass er lediglich Freunde darüber informiert habe, dass eine solche Veranstaltung an jedem letzten Freitag im Monat in Z stattfindet und er daran teilnimmt. Er sei aber kein Organisator dieser „Radfahrversammlungen“, die österreichweit in größeren Städten zu bestimmten wiederkehrenden Terminen stattfinden. Nach seiner Aussage sei er nur als Teilnehmer anwesend gewesen. Er habe die anderen Teilnehmer weder offiziell begrüßt noch habe er koordiniert, wann und wohin die Gruppe fährt.

Im Internet konnten Aufrufe zu diesen Versammlungen gefunden werden (zB BB in X unter „***“ oder BB in Z unter „***“), doch konnten diese Aufrufe nicht mit dem Beschwerdeführer in Verbindung gebracht werden.

Auch hat der Beschwerdeführer abgestritten, in dieser „Radfahrer-Bewegung“ führend tätig zu sein. Nach Aussage des Meldungslegers sei es technisch nicht möglich gewesen, herauszufinden, ob der Beschwerdeführer zB hinter Facebook-Gruppen steht, die zu diesen Veranstaltungen aufrufen.

Der als Zeuge einvernommene Meldungsleger hat glaubwürdig ausgesagt, dass beim ersten Sichtkontakt der Beschwerdeführer die Radfahrergruppe angeführt habe, wobei er eingeräumt hat, dass auch andere Radfahrer neben ihm in der ersten Reihe gefahren seien. Der Meldungsleger hat weiters ausgesagt, dass er die Radfahrergruppe erstmalig von der Kreuzung Adresse 3/Adresse 2 aus gesehen hat und die Anhaltung kurz darauf in Y (auf Höhe des ehemaligen DD) erfolgte.

Der Beschwerdeführer hat eingestanden, dass er zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme mit der Polizei vorne gefahren ist, gleichzeitig aber auch betont, dass er zuvor bis zur W-Brücke im Mittelfeld der Gruppe gefahren ist.

Der Ablauf der Amtshandlung wurde vom Meldungsleger nachvollziehbar in der mündlichen Verhandlung geschildert:

„Wir sind damals mit unserem Polizeifahrzeug die Adresse 3 entlang Richtung Adresse 2 gefahren und haben dann wahrgenommen, dass auf der Verlängerung der Adresse 4 in Richtung Norden beide Fahrbahnstreifen durch die Radfahrgruppe blockiert waren. Andere Fahrzeuge konnten nicht mehr vorbeifahren. Deswegen hat sich auch ein langer Rückstau gebildet. …

Ich hatte den Eindruck, dass AA die Gruppe an der Spitze angeführt hat, wobei ich nicht sagen kann, dass nicht auch andere Fahrräder ebenfalls vorne gefahren sind, aber hatte ich den Eindruck, dass AA an der Spitze gefahren ist. … Wer die Gruppe davor angeführt hat, weiß ich natürlich nicht.

Als wir Kontakt aufgenommen haben mit der Gruppe, war auch AA der erste, der ein klärendes Gespräch mit uns gesucht hat.

Ich habe darauf hingewiesen, dass die Radfahrer nebeneinander gefahren sind und daher die Straße blockiert haben. Daraufhin haben sich dann aus der Gruppe mehrere Personen gemeldet und gesagt, sie wären damit nun auch strafbar, weil sie auch nebeneinander gefahren sind.

Für mich war deshalb der Beschwerdeführer der Versammlungsveranstalter, weil er eben die Gruppe an der Spitze angeführt hat und einen Lautsprecher am Fahrrad montiert hatte und überdies deshalb, weil er - als wir die Gruppe angehalten haben - derjenige war, der sofort das Gespräch mit uns gesucht hat.

Nur der Beschwerdeführer hatte einen Lautsprecher montiert. ... Ich kann es natürlich nicht hinsichtlich jener Teilnehmer sagen, die sofort weggefahren sind. Bei den ca 40 Personen, die noch anwesend waren, ist mir kein weiterer Lautsprecher aufgefallen.

Mir ist nicht aufgefallen, dass sich der Beschwerdeführer irgendwie in leitender Funktion an die Gruppe gewandt hätte, diese irgendwie beruhigen wollte bzw dann auch die Weiterfahrt irgendwie organisiert hätte. Allerdings war er insofern für mich Veranstalter der Versammlung, weil er uns gegenüber dann gleich bekanntgegeben hat, weshalb die Versammlung stattfindet bzw weshalb man nicht möchte, dass diese durch Polizeifahrzeuge begleitet wird.

Bei der Amtshandlung kann es so gewesen sein, dass ich den Beschwerdeführer zuerst nach seinen Daten und seinem Ausweis gefragt habe.

Ursprünglich wollte ich von der gesamten Fahrradgruppe die Daten aufnehmen, insbesondere deshalb, weil mir beim Vorbeifahren mehrere Verwaltungsübertretungen aufgefallen sind. Die Fahrradlenker sind nebeneinander gefahren, zum Teil freihändig gefahren, sie haben mit dem Handy telefoniert bzw gefilmt.

Im Zuge des Gespräches erschien es mir nicht verhältnismäßig wirklich von allen die Daten aufzunehmen, weil ich befürchtet habe, dass die Situation dann eskaliert. Ich habe dann 5 bis 6 Ausweise bekommen, habe diese in der Hand gehalten und dann aber, ohne dass ich die Daten aufgenommen habe, diese wieder zurückgegeben. Ich habe nur die Daten des Beschwerdeführers aufgenommen.

Für mich war schon eigentlich nicht klar, ob es sich überhaupt um eine BB-Veranstaltung handelt. Eine Recherche bezüglich der Administratoren für diverse Facebook-Seiten, wo zu diesen Veranstaltungen aufgerufen wird, erschien mir ebenfalls aussichtslos. …“

Nach Aussage des Beschwerdeführers haben die Polizeibeamten mit ihm Kontakt aufgenommen und seine Daten aufgenommen, weil er ganz vorne gestanden sei, wobei er zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen sei, dass von allen Teilnehmern die Daten aufgenommen werden. Er habe in einer Gruppe von fünf bis sechs Personen mit dem Polizeibeamten gesprochen, habe aber nie gesagt, dass er der Veranstalter sei.

Aus einer Zusammenschau dieser beiden Aussagen konnte obiger Sachverhalt festgestellt werden.

IV.      Rechtslage:

Im vorliegenden Fall sind folgende Bestimmung des Versammlungsgesetz 1953, BGBl Nr 98/1953 in der Fassung BGBl I Nr 63/2017 (im Folgenden: VersammlungsG), maßgeblich:

§ 2

(1) Wer eine Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will, muss dies wenigstens 48 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde (§ 16) schriftlich anzeigen. Die Anzeige muss spätestens 48 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde einlangen.

(1a) Gemäß Abs 1 anzuzeigen ist auch die beabsichtigte Teilnahme von Vertretern ausländischer Staaten, internationaler Organisationen und anderer Völkerrechtssubjekte. In diesem Fall muss die Anzeige spätestens eine Woche vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde (§ 16) einlangen.

(2) Die Behörde hat auf Verlangen über die Anzeige sofort eine Bescheinigung zu erteilen. Die Anzeige unterliegt keiner Stempelgebühr.

§ 19

Übertretungen dieses Gesetzes sind, insofern darauf das allgemeine Strafgesetz keine Anwendung findet, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, aber von der Landespolizeidirektion, mit Arrest bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu 720 Euro zu ahnden.

V.       Erwägungen:

Gemäß § 2 VersammlungsG 1953 muss, wer eine Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will, dies wenigstens 48 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde (§ 16) schriftlich anzeigen.

Das VersammlungsG 1953 definiert den Begriff der von ihm erfassten "Versammlung" nicht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine Zusammenkunft mehrerer Menschen dann eine Versammlung im Sinne des VersammlG 1953, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation, usw) zu bringen, sodass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht (vgl VfSlg 15.109/1998 und die dort nachgewiesene Rsp). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt nicht zuletzt von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl VfSlg 11.935/1988, 15.680/1999).

Nach den Umständen des vorliegenden Falles bestehen keine Zweifel, dass es sich um eine Form der Protestmanifestation in Z gehandelt hat. Die teilnehmenden Radfahrer haben nicht in einer der StVO entsprechenden Weise am Verkehr teilgenommen und quasi einen gemeinsamen „Radausflug“ unternommen, sondern sind in einer großen Gruppe nebeneinander, in einer den übrigen Verkehr behindernden Weise durch Z gefahren, um damit auf Beeinträchtigungen von Radfahrern durch den Straßenverkehr aufmerksam zu machen. Die Versammlung war auch nicht auf nur geladene Gäste beschränkt. Es wäre jedem Passanten (mit Fahrrad) ohne weiteres möglich gewesen, sich dem Protest anzuschließen und an der Versammlung teilzunehmen.

Es handelt sich daher um eine Versammlung im Sinne des § 2 VersammlG 1953, das heißt um eine Zusammenkunft mehrerer Menschen, die in der Absicht veranstaltet wurde, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (gemeinsames Radfahren in einer den Verkehr beeinträchtigenden Weise, um auf die Belange des Radverkehrs aufmerksam zu machen) zu bringen, sodass eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht. Im Falle einer nicht angezeigten Zusammenkunft ist für das Vorliegen einer Versammlung jenes Bild maßgeblich, das sich den einschreitenden Organen an Ort und Stelle bietet (vgl VwGH 29.03.2004, 98/01/0213, und 18.05.2009, 2009/17/0047, jeweils unter Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes; vgl allgemein zum Grundrecht auf Versammlungsfreiheit VwGH 15.10.2009, 2007/09/0307).

Die Versammlung wurde allerdings - entgegen der Vorschrift des § 2 VersammlungsG 1953 - nicht wenigstens 48 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde schriftlich angezeigt. Den Veranstalter trifft die - durch § 19 VersammlungsG verwaltungsstrafrechtlich sanktionierte - Pflicht, die Versammlung gemäß § 2 Abs 1 Versammlungsgesetz anzuzeigen (vgl VwGH 21.03.1990, 90/01/0019). Bei ordnungsgemäß angezeigten Versammlungen (§ 2 Abs 1 VersammlungsG) gilt daher als Veranstalter, wer in der Versammlungsanzeige als solcher auftritt (vgl Fessler/Keller, Vereins- und Versammlungsrecht3 (2013) S 271).

Zu klären ist daher im Folgenden, ob der Beschwerdeführer als Veranstalter dieser Versammlung anzusehen ist.

Veranstalter einer Versammlung im Sinne des VersammlungsG ist eine natürliche oder juristische Person, die die Versammlung einberuft, also zu ihr einlädt oder sie organisiert; das ist der Einberufer, Organisator (vgl dazu auch OGH 25.03.1999, 6 Ob 201/98x), Initiator oder Planer der Versammlung. Veranstalter ist sohin, wer in den potenziellen Teilnehmern den Willen zum Sichversammeln hervorrufen will, was regelmäßig in Form einer Einladung (durch Plakate, persönliches Anschreiben, Aufrufe in Zeitschriften, im Internet etc.) erfolgt. Bloß geringfügige Unterstützungshandlungen bei der Organisation und Durchführung der Versammlung begründen keine Veranstaltereigenschaft. Der Veranstalter muss an der (späteren) Versammlung auch nicht teilnehmen (vgl VwGH 22.03.2018, Ra 2017/01/0359, vgl weiters zu all dem Eigner/Keplinger, Versammlungsrecht3 (2015) S 96).

Wird eine Versammlung - wie im Beschwerdefall - nicht angezeigt, ist zunächst jene Person als Veranstalter anzusehen, die nach den dargelegten Grundsätzen in den anderen Versammlungsteilnehmern den Willen zum Sichversammeln hervorgerufen hat. Darüber hinaus gilt als Veranstalter auch eine Person, die in der Öffentlichkeit (vgl VfSlg 14.773/1997: Pressemitteilung über eine "Protestkundgebung") oder gegenüber der Behörde als solcher auftritt (vgl Eigner/Keplinger, aaO S 96 f), weiters, wer eine führende Rolle in der Versammlung einnimmt (vgl Fessler/Keller, aaO, vgl auch VwGH 22.03.2018, Ra 2017/01/0359).

Die bloße Teilnahme an einer nicht ordnungsgemäß angezeigten Versammlung ist nicht nach § 19 VersammlungsG strafbar (vgl Eigner/Keplinger, aaO, S.297; OGH 25.03.1999, 6 Ob 201/98x).

Für den Beschwerdefall ergibt sich daraus Folgendes:

Der Beschwerdeführer nahm an der genannten Versammlung („BB") teil. Diese Versammlung findet jeden letzten Freitag im Monat statt. Der Aufruf zur Teilnahme erfolgt über Internet, social media und Mundpropaganda. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer – abgesehen davon, dass er einzelne Bekannte über seine Teilnahme an der Versammlung bzw die Versammlung an sich informiert hat – öffentlich zur Teilnahme an dieser Versammlung aufgerufen hat oder die Versammlung in sonstiger Weise organisiert hat.

Der Beschwerdeführer hatte auf seinem Fahrrad einen Lautsprecher montiert, über den Musik abgespielt wurde. Es erfolgten keine Durchsagen, Aufrufe oder dergleichen durch ihn oder andere Personen. Es handelt sich dabei allenfalls um eine Unterstützungshandlung des Beschwerdeführers, die allerdings als zu geringfügig anzusehen ist, um aus diesem Grund bereits eine Veranstaltereigenschaft annehmen zu können.

Auch aus dem zeitweiligen Voranfahren in der ersten Reihe (neben anderen Radfahrern) kann noch keine führende Rolle des Beschwerdeführers in der Versammlung abgeleitet werden, zumal er nur über einen relativ kurzen Zeitraum von den Polizeibeamten beobachtet wurde und insofern aus dieser Beobachtung nicht mit Sicherheit geschlossen werden kann, dass der Beschwerdeführer die Radfahrergruppe tatsächlich angeführt hat, indem er zB die Richtung des Demonstrationszuges vorgegeben hat. Auch während der Amtshandlung bzw bei der Weiterfahrt nach der Amtshandlung ist nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer dazu aufgerufen hat, behördliche Anordnungen zu befolgen bzw nicht zu befolgen oder den Zeitpunkt der Beendigung der Versammlung oder die weitere Richtung des Demonstrationszuges bestimmt hat. Eine „führende Rolle“ des Beschwerdeführers konnte insofern nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden.

Dass der Beschwerdeführer mit den Polizeibeamten das Gespräch „gesucht“ hat, ist zwar ein Indiz dafür, dass er auch der verantwortliche Veranstalter sein könnte, allerdings ist zu berücksichtigen, dass der einschreitende Polizeibeamte gleich zu Beginn der Amtshandlung die Ausweispapiere vom Beschwerdeführer und fünf bis sechs weiteren Personen wegen verschiedener StVO-Übertretungen (Nebeneinanderfahren, Handy-Verwendung etc) verlangt hat, sodass es schon aus diesem Grund nachvollziehbar ist, dass der Beschwerdeführer auch im Folgenden das Gespräch mit den Polizeibeamten geführt hat. Zugegeben hat der Beschwerdeführer die Veranstaltereigenschaft auch im Gespräch mit dem Polizeibeamten nicht.

Soweit er dem Polizeibeamten den Zweck dieser Radfahrerversammlung bekannt gegeben hat, kann ebenfalls noch nicht mit erforderlicher Sicherheit auf die Veranstaltereigenschaft des Beschwerdeführers geschlossen werden, zumal es sich bei der Versammlung um eine in ganz Österreich regelmäßig wiederkehrende Versammlung handelt, über die auch bloße Teilnehmer entsprechend informiert sein können.

Gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung desselben zu verfügen, wenn die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat nicht erwiesen werden kann.

Nach Durchführung des oben skizzierten Beweisverfahrens ist das Landesverwaltungsgericht Tirol zur Ansicht gelangt, dass eine Täterschaft des Beschwerdeführers nicht mit der für einen Schuldspruch erforderlichen Gewissheit angenommen werden kann, weil – wie zuvor ausgeführt – nicht mit Sicherheit erweisbar ist, dass der Beschwerdeführer der Veranstalter der gegenständlichen Versammlung war. Daher erfolgte die Bestrafung des Beschwerdeführers als Veranstalter (wegen unterlassener Anzeige der Versammlung) im Sinne des § 2 Abs 1 VersammlungsG zu Unrecht, und war entsprechend dem auch im Verwaltungsstrafverfahren geltenden Grundsatz „in dubio pro reo“ der Beschwerde Folge zu geben, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

VI.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Vorab ist festzuhalten, dass die Übertretung des § 2 Abs 1 Versammlungsgesetz 1953 (Pflicht des Veranstalters zur Anzeige einer beabsichtigten Versammlung) eine Angelegenheit außerhalb des Kernbereichs der Versammlungsfreiheit ist (vgl VwGH 22.3.2018, Ra 2017/01/0359, mwN, 06.11.2018, Ra 2018/01/0243). Eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichthofes ist daher gegeben.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die in der gegenständlichen Beschwerdesache zu lösenden Rechtsfragen konnten anhand der in der vorliegenden Beschwerdeentscheidung zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bzw des Verfassungsgerichtshofes einwandfrei einer Beantwortung zugeführt werden. Eine außerhalb dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegende Rechtsfrage ist für das erkennende Gericht im Gegenstandsfall nicht hervorgekommen.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.

Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.

Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr.in Kroker

(Richterin)

Schlagworte

Veranstaltereigenschaft;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2019:LVwG.2018.12.2152.5

Zuletzt aktualisiert am

19.08.2019
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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