TE Vfgh Erkenntnis 2007/9/25 B548/07

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Veröffentlicht am 25.09.2007
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

DSt 1990 §1, §3, §39

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durchVerhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegenstandeswidrigen Verhaltens im Zuge polizeilicher Amtshandlungen(Verkehrskontrolle)

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.      1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der

Rechtsanwaltskammer Wien vom 18. Mai 2005 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe

                                 "I.

        ... im Zuge polizeilicher Amtshandlungen als Lenker eines PKW

1. am 01.09.2004 sich folgender beleidigender und unsachlicher Äußerungen bedient: 'Geben Sie mir jetzt die Papiere wieder und gehen Sie mir nicht auf die Nerven' sowie 'Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich Euch alle nicht leiden kann. Wenn ich Ihnen jetzt in den Arsch gekrochen wäre, dann hätten Sie mich wahrscheinlich fahren lassen. Aber jetzt müssen Sie Ihre Macht mir gegenüber demonstrieren. Lassen Sie mich in Ruhe und nerven Sie mich nicht.'

2. am 20.07.2004 seinen Führerschein und den Zulassungsschein erst nach Androhung der Festnahme dem intervenierenden Polizeibeamten ausgehändigt."

Hiedurch habe er das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen und wurde gemäß §16 Abs1 Z1 Disziplinarstatut 1990 (im Folgenden: DSt 1990) zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verurteilt.

Von einem weiteren gegen ihn erhobenen Vorwurf wurde der Beschwerdeführer unter Punkt II. freigesprochen.

2. Der dagegen erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK) vom 27. November 2006 keine Folge gegeben, jedoch das Disziplinarerkenntnis in seinem Pkt. I.2. aufgehoben und insoweit zu Recht erkannt:

"Der Disziplinarbeschuldigte wird von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf, er habe am 20. Juli 2004 im Zuge polizeilicher Amtshandlungen als Lenker eines PKW seinen Führerschein und den Zulassungsschein erst nach Androhung der Festnahme dem intervenierenden Polizeibeamten ausgehändigt, freigesprochen."

3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Meinungsäußerung sowie auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides in seinem gesamten Umfang begehrt wird.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Die Beschwerde erklärt nicht ausdrücklich, dass der angefochtene Bescheid im freisprechenden Teil nicht bekämpft werde. Das Beschwerdevorbringen lässt jedoch erkennen, dass sich der Beschwerdeführer nur gegen den schuldig sprechenden Teil des Bescheides wendet; insofern ist die Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers jedenfalls gegeben und die Beschwerde zulässig.

2. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

3.1. Der Beschwerdeführer behauptet zunächst im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden zu sein. Begründend führt er unter anderem aus, dass dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen sei, gegen welches Gesetz er verstoßen habe. Da weder die belangte Behörde noch der Disziplinarrat den exakten Wortlaut der inkriminierten Äußerung feststellen konnten, sei §1 DSt 1990 nicht anwendbar. Mangels entsprechender Publizität des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers und des Umstandes, dass die Äußerung nicht beleidigend gewesen sei, könne keinesfalls eine Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes vorliegen. Schließlich hätte die belangte Behörde die Argumente des Beschwerdeführers den von ihr angenommenen Argumenten gegenüberstellen und §3 DSt 1990 anwenden müssen.

3.2. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

Derartiges kann der belangten Behörde jedoch nicht vorgeworfen werden. Sie hat sich bei der Beurteilung des Sachverhaltes im Rahmen dessen gehalten, was bei vernünftiger Interpretation der Begriffe "Ehre und Ansehen des Standes" für den Beschwerdeführer erkennbar sein musste, nämlich, dass er sich durch sein Verhalten einer Bestrafung aussetzt. Nach Auffassung des Gerichtshofes unterliegt ein Rechtsanwalt inner- und außerhalb seines Berufes den Standesvorschriften. Der Beruf des Rechtsanwaltes steht im Blickfeld der Öffentlichkeit und soll daher ein besonderes Vertrauen rechtfertigen. Der belangten Behörde kann aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn sie davon ausgeht, dass ein standeswidriges Verhalten auch darin gelegen sein kann, dass ein Rechtsanwalt die inkriminierte - oder eine dieser in ihrer Wertung gleichzuhaltende - Äußerung im Zuge einer polizeilichen Amtshandlung tätigt.

Darüber hinaus hält es der Verfassungsgerichtshof allein auf Grund des - in einem unbedenklichen Ermittlungsverfahren festgestellten - Verhaltens des Beschwerdeführers für vertretbar, wenn die belangte Behörde keinen Anlass zur Anwendbarkeit des §3 DSt 1990 sieht. Ob die Bestimmung in jeder Hinsicht richtig angewendet wurde, ist eine Frage der Anwendung des einfachen Gesetzes, für deren Beurteilung dem Verfassungsgerichtshof keine Zuständigkeit zukommt (vgl. dazu bereits VfSlg. 17.762/2006, 17.820/2006; VfGH 26.9.2006, B1001/06).

Der Beschwerdeführer wurde somit nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

4.1. Der Beschwerdeführer behauptet weiters, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit verletzt worden zu sein. Das Verhalten eines Rechtsanwaltes gegenüber der Polizei könne nur in bestimmten Situationen das Ansehen des Rechtsanwaltsstandes verletzen. Die belangte Behörde habe es unterlassen darzulegen, warum die Verhängung einer Disziplinarstrafe im vorliegenden Fall in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sei. Der Beschwerdeführer habe weder der Polizei generell noch einem bestimmten Beamten vorgeworfen, wider das Gesetz gehandelt zu haben. Die belangte Behörde habe somit §1 DSt 1990 iVm §§9 und 10 Rechtsanwaltsordnung denkunmöglich angewendet.

4.2. Da sich die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Verhängung der Disziplinarstrafe über den Beschwerdeführer auf verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsvorschriften stützt, könnte die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Meinungsäußerung nur dann stattgefunden haben, wenn dem Gesetz fälschlicherweise ein verfassungswidriger Inhalt unterstellt oder wenn das Gesetz denkunmöglich angewendet worden wäre, was aber nur dann der Fall wäre, wenn die Behörde einen der Gesetzlosigkeit gleichkommenden Fehler begangen hätte (vgl. VfSlg. 7907/1976 mWN, 14.005/1995, 16.265/2001). Derartiges kann der belangten Behörde - wie bereits zuvor dargestellt - nicht vorgeworfen werden.

5.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich darüber hinaus in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK verletzt. Da der genaue vom Beschwerdeführer verwendete Wortlaut nicht feststellbar sei, gelte der Grundsatz in dubio pro reo. Schließlich hätte §39 DSt 1990 angewendet werden müssen.

5.2. In Bezug auf die Nichtanwendung des §39 DSt 1990 vgl. die Ausführungen zu §3 DSt 1990 unter Punkt II.3.2. Der Verfassungsgerichtshof vermag vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein faires Verfahren zu erkennen.

6. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2007:B548.2007

Zuletzt aktualisiert am

30.01.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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