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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art148aLeitsatz
Zurückweisung des Antrags auf Feststellung der Zuständigkeit der Volksanwaltschaft zur Kontrolle des UVS Steiermark mangels eines konkreten Anlaßfalles; Anrufung des Verfassungsgerichtshofs zur Schlichtung von abstrakten Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der gesetzlichen Regelungen über die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft nicht möglichSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. 1. a) Aufgrund einer bei der Volksanwaltschaft am 13. Juni 1995 eingelangten Eingabe leitete diese gemäß Art148a Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Frage ein, ob die Zurückweisung einer Berufung durch den Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark vom 6. April 1995 einen Mißstand in der Verwaltung darstelle, und forderte mit Schreiben vom 1. September 1995 den Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark zur Aktenvorlage auf. Nachdem der Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark seine Ansicht, daß die Rechtsprechung der unabhängigen Verwaltungssenate nicht der Kontrolle durch die Volksanwaltschaft unterliege, mitgeteilt und bloß eine Bescheidausfertigung übermittelt hatte, wiederholte die Volksanwaltschaft ihre Aufforderung mit dem Hinweis auf ihre Rechtsansicht, der zufolge "die Frage der Akteneinsicht getrennt von der (bestrittenen) inhaltlichen Kontrollkompetenz der Volksanwaltschaft zu sehen" sei. Mit Schreiben vom 17. November 1995 übermittelte sodann der Senatsvorsitzende des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark den betreffenden Akt zur Einsichtnahme und legte neuerlich seine Auffassung dar, daß Entscheidungen unabhängiger Verwaltungssenate einer inhaltlichen Prüfung durch die Volksanwaltschaft nicht zugänglich seien.
Ohne eine weitere Kontaktnahme mit dem Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark und dementsprechend auch ohne Stellungnahme dieser Behörde in der Sache beschloß die Volksanwaltschaft in ihrer Kollegialsitzung vom 30. Jänner 1996 eine "Mißstandsfeststellung", in der die Dauer des Verfahrens zur Zurückweisung der Berufung und die Zurückweisung selbst als Mißstände in der Verwaltung qualifiziert wurden. Von einer Empfehlung iSd Art148c B-VG nahm die Volksanwaltschaft dabei mit folgender Begründung Abstand:
"Da zum einen die gegenständliche Zurückweisung infolge der nichteinheitlichen Judikatur keine 'offenkundige Gesetzesverletzung' im Sinne des §52a Abs1 VStG 1991 darstellen wird, zum anderen aber aus einer neuerlichen Durchführung des Berufungsverfahrens für den Beschwerdeführer aufgrund der Sachlage keine Vorteile zu erwarten wären, sieht die Volksanwaltschaft von der Erteilung einer Empfehlung zur amtswegigen Aufhebung des gegenständlichen Bescheides gem. §52a Abs1 VStG 1991 ab."
b) Die Mißstandsfeststellung wurde mit Schreiben der Volksanwaltschaft vom 1. Februar 1996 dem Beschwerdeführer, dem Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark und der Steiermärkischen Landesregierung zuhanden des Landeshauptmanns übermittelt. Im Schreiben an die Steiermärkische Landesregierung heißt es:
"Die Volksanwaltschaft übermittelt in der Beilage eine Ausfertigung der in ihrer kollegialen Sitzung vom 30.Jänner 1996 beschlossenen Mißstandsfeststellung im Beschwerdefall des Herrn ... Weiters ist beabsichtigt, den gegenständlichen Beschwerdefall im nächsten Bericht der Volksanwaltschaft an den Steiermärkischen Landtag darzustellen.
Im Verlauf des gegenständlichen Prüfverfahrens trat die Volksanwaltschaft an den Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark mit dem Ersuchen um Übermittlung des gegenständlichen Verfahrensaktes heran.
Diesem Ersuchen wurde aber von der Behörde zunächst nicht entsprochen und in einem Schreiben vom 11. September 1995 an die Volksanwaltschaft der Standpunkt vertreten, die Rechtsprechung der Unabhängigen Verwaltungssenate als Behörden sui generis mit Tribunalcharakter unterliege nicht der Kontrolle der Volksanwaltschaft.
Im Zuge einer weiteren Stellungnahme vom 17. November 1995 übermittelte die Behörde zwar den gegenständlichen Verfahrensakt, vertrat aber die Ansicht, Entscheidungen des Unabhängigen Verwaltungssenats seien einer inhaltlichen Prüfung durch die Volksanwaltschaft nicht zugänglich, da eine eventuell ausgesprochene Empfehlung 'einer Weisung gleichkomme'.
Zudem habe der Bürger kein Wahlrecht zwischen der Anrufung der Höchstgerichte und einer Beschwerde bei der Volksanwaltschaft.
Für die Voksanwaltschaft ist diese Argumentation nicht nachvollziehbar. Die Volksanwaltschaft vertritt die Rechtsansicht, daß Entscheidungen der Unabhängigen Verwaltungssenate als Verwaltungsbehörden im Sinne des Art148a B-VG auch in inhaltlicher Hinsicht ihrer Prüfkompetenz unterliegen.
Die Volksanwaltschaft ersucht nun auch die Steiermärkische Landesregierung in ihrer Eigenschaft als oberstes Organ der Verwaltung des Landes Steiermark um Bekanntgabe ihres Rechtsstandpunktes.
Sollte der Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenats für die Steiermark über die behauptete Unzuständigkeit der Volksanwaltschaft zur inhaltlichen Prüfung beigetreten werden, ersuche ich Sie, sehr geehrte Frau Landeshauptmann, für die Steiermärkische Landesregierung überdies, diese Erledigung in Beschlußform zu tätigen und auch den diesbezüglichen Auszug aus dem Sitzungsprotokoll zu übersenden. Diesem Ersuchen liegt die Erwägung zugrunde, allenfalls nach Artikel 148f B-VG den Verfassungsgerichtshof zur Klärung der Kompetenzfrage anzurufen."
Die Steiermärkische Landesregierung beschloß in ihrer Sitzung vom 15. April 1996 folgende Stellungnahme, die der Volksanwaltschaft umgehend übermittelt wurde:
"Die Steiermärkische Landesregierung vertritt die Auffassung, daß der Volksanwaltschaft keine Prüfungskompetenz bezüglich der Rechtsprechung der Unabhängigen Verwaltungssenate zukommt, und zwar mit folgender Begründung:
Ausschlaggebend für die Beurteilung der Prüfungskompetenz ist die Frage, ob die UVS Verwaltungsbehörden sind oder nicht. Eine formelle Betrachtungsweise führt zu dem Ergebnis, daß die Unabhängigen Verwaltungssenate Verwaltungsbehörden der Länder sind. Dies ergibt sich insbesondere aus der Formulierung der Art130 Abs1, 132 und 144 B-VG, aber auch aus den Gesetzesmaterialien zu jener B-VG-Novelle, mit der die Unabhängigen Verwaltungssenate eingeführt wurden (BGBl. Nr. 685/1988).
Demnach wäre eine umfassende Prüfungskompetenz der Volksanwaltschaft gemäß Art148a B-VG anzunehmen, soweit die UVS als Bundesbehörden tätig sind. Für die Steiermark wurde überdies von der Ermächtigung des Art148i B-VG Gebrauch gemacht und damit die Prüfungskompetenz der Volksanwaltschaft auf die Landesverwaltung ausgedehnt, also auch auf die Unabhängigen Verwaltungssenate, soweit sie funktionell als Landesbehörden tätig werden.
Andererseits stehen der formellen Betrachtungsweise inhaltliche Kriterien gegenüber, die gegen eine umfassende Prüfungskompetenz der Volksanwaltschaft sprechen: Insbesondere aus der systematischen Einordnung der Unabhängigen Verwaltungssenate in das VI. Hauptstück des B-VG ('Garantien der Verfassung und Verwaltung'), also bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts, ist abzuleiten, daß die Unabhängigen Verwaltungssenate als Organe der Rechtskontrolle eingerichtet sind. Es finden sich überdies auch Regelungen im B-VG, wonach die UVS Gerichten gleichgestellt sind; hier ist insbesondere auf das Recht gemäß Art139 Abs1 und 140 Abs1 B-VG zur Anfechtung von Gesetzen und Verordnungen hinzuweisen. Wenn auch ihre organisatorische Sonderstellung (sie sind weder selbst eine sachlich in Betracht kommende Oberbehörde noch haben sie eine solche) als auch die Stellung ihrer Mitglieder mit dem Status einer Verwaltungsbehörde vereinbar erscheinen, so sind die Unabhängigen Verwaltungssenate im Art129 B-VG wohl nicht umsonst dem Verwaltungsgerichtshof gleichgestellt. Insbesondere ist zu berücksichtigen, daß Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und auch die den Unabhängigen Verwaltungssenaten zukommende Säumnisbeschwerde vor deren Einführung vom Verwaltungsgerichtshof wahrgenommen wurde. Der Verwaltungsgerichtshof wurde in dieser Funktion als Organ der Rechtskontrolle tätig und unterlag dabei unbestritten nicht der Prüfungsbefugnis der Volksanwaltschaft. Gerade die Übertragung dieser Tätigkeitsbereiche auf die Unabhängigen Verwaltungssenate legt daher im besonderen Maße nahe, die Unabhängigen Verwaltungssenate so wie den Verfassungsgerichtshof und den Verwaltungsgerichtshof als Organe der Rechtskontrolle zu betrachten.
Das würde bedeuten, daß die Funktion eines Unabhängigen Verwaltungssenates als Organ der Rechtskontrolle, d.h. also der Inhalt seiner Entscheidungen, nicht der volksanwaltschaftlichen Prüfung unterliegen dürfte, wohl aber das Umfeld der Entscheidungstätigkeit, wie etwa organisatorische Angelegenheiten.
Nach Abwägung beider Standpunkte wird von seiten des Landes Steiermark die Auffassung vertreten, daß die rein formelle Betrachtung abzulehen ist und daß demnach die Prüfungskompetenz der Volksanwaltschaft bezüglich der UVS zwar besteht, jedoch ausgenommen deren Entscheidungstätigkeit."
c) Mit einer beim Verfassungsgerichtshof am 6. Mai 1996 eingelangten Eingabe stellte sodann die Volksanwaltschaft mit näherer Begründung den "Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, daß der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Steiermark gemäß Art148a Abs1 und 2 iVm Art148i Abs1 B-VG und §35 des Landes-Verfassungsgesetzes Steiermark uneingeschränkt in die Zuständigkeit zur Kontrolle durch die Volksanwaltschaft fällt".
2. Über Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes erstattete die Steiermärkische Landesregierung eine Äußerung, in der sie mit näherer Begründung den Antrag stellt, der Verfassungsgerichtshof möge feststellen, daß der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes, soweit er funktionell als Landesorgan tätig ist, nur insoweit der Prüfung durch die Volksanwaltschaft unterliegt, als das iudicium nicht betroffen ist.
II. 1. Der Verfassungsgerichtshof ist gemäß Art148f iVm Art148i B-VG und §35 L-VG Steiermark zur Entscheidung über Meinungsverschiedenheiten zwischen der Volksanwaltschaft und der Steiermärkischen Landesregierung über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen berufen, die die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft regeln. Die näheren Regelungen darüber (Art148j B-VG) trifft das VerfGG: Nach dessen §36g sind auf solche Verfahren die Bestimmungen über die Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von gesetzlichen Regelungen über die Zuständigkeit des Rechnungshofes (§§36a bis 36f VerfGG) anzuwenden.
Aus diesen Bestimmungen geht hervor, daß der Verfassungsgerichtshof nicht berufen ist, über abstrakte Meinungsverschiedenheiten zu judizieren; vielmehr muß die Meinungsverschiedenheit stets einen konkreten Anlaßfall betreffen (vgl. Hengstschläger, Der Rechnungshof, 1982, 347 f.; Mayer, B-VG-Kurzkommentar, 1994, 621), wobei die Anrufung des Verfassungsgerichtshofes den Aufschub oder die Unterbrechung der Kontrolltätigkeit zur Folge hat (§36b VerfGG). Von dieser Sicht der Dinge ist der Verfassungsgerichtshof in seiner bisherigen Judikatur zu Art126a und Art148f B-VG stets ausgegangen (vgl. VfSlg. 3430/1958 sowie aus der jüngeren Judikatur
VfSlg. 12835/1991 (mit Hinweisen auf frühere Judikatur und Literatur), 13320/1992, 13323/1992, 13705/1994, 13798/1994). Hengstschläger (aaO, 348) ist daher Recht zu geben, wenn er meint, das VerfGG sehe keine Möglichkeit vor, den Verfassungsgerichtshof ohne konkreten Anlaßfall zur Schlichtung einer abstrakten Meinungsverschiedenheit anzurufen; für die Annahme, daß der Gesetzgeber mit der Novellierung der im Teil 2 A des zweiten Abschnitts des VerfGG enthaltenen §§36a ff. durch die VerfGG-Novelle BGBl. 510/1993 von dieser Grundkonzeption abgehen wollte, besteht aber kein Anhaltspunkt (vgl. 1143 BlgNR 18. GP).
Daraus erhellt, daß eine Meinungsverschiedenheit über die Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift, die die Zuständigkeit der Volksanwaltschaft regelt - in concreto über den Inhalt des Begriffs "Verwaltung" in Art148a Abs1 und 2 B-VG und §35 L-VG Steiermark - an den Verfassungsgerichtshof nur aus Anlaß eines anhängigen Kontrollverfahrens herangetragen werden kann, nicht aber nach Abschluß eines solchen Verfahrens. Die Volksanwaltschaft hätte vor Beginn des Kontrollverfahrens oder zu dem Zeitpunkt, als ihr der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark seine Auffassung bekanntgab, nicht der volksanwaltlichen Mißstandskontrolle zu unterliegen, festzustellen gehabt, ob in der Sache eine Meinungsverschiedenheit mit der Landesregierung besteht und - bejahendenfalls - sodann unter Unterbrechung der Kontrolltätigkeit einen entsprechenden Antrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen gehabt. Sie hat stattdessen ihre Kontrolltätigkeit ohne Befassung der Landesregierung fortgesetzt und sogar mit einer "Mißstandsfeststellung" abgeschlossen. Der nach Abschluß des Kontrollverfahrens, somit ohne anhängigen konkreten Anlaßfall, gestellte Antrag war daher zurückzuweisen.
2. Dieser Beschluß konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Schlagworte
Volksanwaltschaft, VfGH / KompetenzfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:KV1.1996Dokumentnummer
JFT_10038795_96KV0001_00