TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/27 L529 2214837-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.03.2019
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Entscheidungsdatum

27.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §14 Abs1
VwGVG §15 Abs1
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

L529 2214837-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Aserbaidschan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Asyl- und Fremdenwesen vom 08.01.2019, Zl. XXXX und nach Beschwerdevorentscheidung vom 01.02.2019, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG, Bundesgesetz über

das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz), BGBl I 33/2013 idgF, § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 und 57 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF iVm § 9 BFA-VG, BGBl I Nr. 87/2012 idgF sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005, BGBl 100/2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als "BF" bezeichnet), ist Staatsangehöriger der Republik Aserbaidschan und stellte am 13.07.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Laut Sachverhaltsdarstellung der Landespolizeidirektion Salzburg, Bezirkspolizeikommando XXXX , sei der BF am 13.07.2018 vorstellig geworden und habe einen Asylantrag gestellt. Dazu habe der BF angegeben, dass er in seinem Heimatland als Mitglied der XXXX politischer Verfolgung ausgesetzt gewesen sei und seit 2009 mehrere Male wegen seiner Teilnahme an Demonstrationen gegen die Regierung festgenommen und gefoltert worden sei.

I.3. Anlässlich der Erstbefragung am 14.07.2018 gab der BF an, dass er mit einem von der österreichischen Botschaft in Baku ausgestelltem Visum, gültig bis 08.07.2018, nach Österreich eingereist sei. Seinen Reisepass habe er am Hauptbahnhof Salzburg verloren. Zum Fluchtgrund befragt führte der BF aus, dass er in seinem Heimatland mehrfacher Verfolgung durch Polizei und Behörden ausgesetzt gewesen sei, er sei wiederholt angehalten worden und habe im XXXX 20 Tage im Gefängnis verbracht. Er sei seit 2010 wegen seiner wiederholten Teilnahme an Demonstrationen gegen die Regierung ständiger Verfolgung ausgesetzt gewesen und sei mehrmals von Polizisten unmenschlich behandelt worden.

I.4. Am 25.07.2018 erfolgte eine Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA). Dort gab der BF zunächst an, dass er in seinem Heimatland elf Jahre die Schule besucht und die XXXX abgeschlossen habe. Er habe in der Folge für Privatfirmen als XXXX , für XXXX und als technischer XXXX gearbeitet. In seinem Heimatland seien seine geschiedenen Eltern aufhältig, mit seiner Mutter stehe er in Kontakt. In Österreich habe er keine Verwandten, habe keine Kurse besucht und sei auch nicht Mitglied in einem Verein oder sonstigen Organisation. Er sei gesund.

Er habe sein Heimatland wegen politischer Verfolgung seit dem Jahr 2010 verlassen. Er habe jährlich an Meetings zur Erinnerung an einen Vorfall auf der Uni am 30.04.2009 teilgenommen und sei mehrmals festgenommen worden. Die Polizei habe ihn auch zu Hause aufgesucht und seine Dokumente kontrolliert. Im XXXX sei er wegen seiner Teilnahme an einem Meeting 20 Tage lang in Haft gewesen, in Summe sei er seit 2009 etwa 10 oder 12 Mal inhaftiert gewesen. Zuletzt habe man ihm auch gedroht, dass auch seine Mutter Probleme bekommen könnte. Ein Haftbefehl oder ein Strafverfahren gegen ihn bestehe nicht, aber er sei sicher, bei seiner Rückkehr verhaftet zu werden, da die Polizei nach seiner Ausreise bei seiner Mutter nach ihm gefragt habe. Bei politischen Aktivisten werde auch oftmals Tod durch Selbstmord im Gefängnis vorgetäuscht.

I.5. Bei einer nochmaligen Einvernahme des BF vor dem BFA am 14.11.2018 gab der BF an, er stamme aus Baku, sei nicht religiös und gehöre der Volksgruppe der Aserbaidschaner an. Er sei ledig, habe keine Kinder, keine Geschwister, seine Eltern seien geschieden und er stehe in Kontakt mit ihnen. In seinem Heimatland habe er nach elf Schuljahren die XXXX besucht und seinen Abschluss im Bereich Energie gemacht, er habe unterschiedliche Berufe ausgeübt, habe in einer XXXX , als XXXX oder in einem XXXX gearbeitet. In Österreich habe er keine Verwandten und sei kein Mitglied in einem Verein oder sonstigen Organisation. Er habe Deutschkurse besucht. Zum Fluchtgrund befragt führte der BF aus, dass er seit 2009 Mitglied der XXXX sei. Seit einem Attentat auf die XXXX habe es jährlich Gedenkveranstaltungen gegeben, an denen der BF teilgenommen habe. Diese seien von der Polizei teilweise sehr hart aufgelöst worden, der BF sei mehrmals verwarnt, festgenommen und von der Polizei bedroht worden. Im Jahr XXXX habe er nach einer Festnahme wegen Bedrohungen durch die Polizei ein falsches Protokoll unterschrieben und sei in der Folge für 20 Tage festgenommen worden. Obwohl der BF dann an keinen Demonstrationen mehr teilgenommen habe, sei er immer wieder von der Polizei kontrolliert worden und er habe wegen seiner politischen Einstellung nicht bei staatlichen Behörden arbeiten können. Bei Rückkehr habe er Angst, für drei oder vier Jahre festgenommen zu werden.

Der BF brachte eine Bestätigung über den Besuch von Deutschkursen, eine Bescheinigung der XXXX und ein Dokument des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX in Vorlage.

I.6. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde folglich mit im Spruch genannten Bescheid vom 08.01.2019 des BFA gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Aserbaidschan nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Aserbaidschan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.)

I.6.1. Das BFA stellte fest, dass der BF nicht glaubhaft habe machen können, dass er Aserbaidschan aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete das BFA zwar die Mitgliedschaft des BF bei der XXXX als glaubhaft, doch habe der BF selbst angegeben, in den letzten 3-4 Jahren nicht mehr aktiv gewesen zu sein. Auch die Teilnahme an Demonstrationen werde dem BF zwar grundsätzlich geglaubt, unglaubwürdig sei jedoch eine daraus resultierende staatliche Verfolgung, zumal es dem BF ansonsten nicht möglich gewesen wäre, sein Heimatland auf legalem Wege zu verlassen. Auch erreiche die vom BF geschilderte schikanöse Behandlung durch die Behörden (Kontrollen, Befragungen, kurzfristige Anhaltungen, etc.) nicht die nötige Intensität einer Verfolgungshandlung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Nicht nachvollziehbar sei auch, dass die Verfolgungshandlungen bereits 2010 begonnen haben sollen und der BF dennoch erst im Jahr 2018 - zudem auch erst sieben Monate nach der vorgebrachten Verhaftung - sein Land deshalb verlassen haben will.

I.6.2. Spruchpunkt II. begründete das BFA zusammengefasst damit, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation iSd § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG zu verneinen sei.

I.6.3. Zu den Spruchpunkten III.-VI. hielt das BFA fest, dass sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben hätten und dass die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle.

I.7. Gegen den genannten Bescheid wurde mit im Akt ersichtlichen Schriftsatz innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Der Bescheid wurde seinem gesamten Umfange nach wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten.

I.7.1. Begründend wurde ausgeführt, dass der BF bis zu seiner Ausreise aktives Mitglied der XXXX gewesen und politischer Verfolgung, nämlich Verhaftungen und Drohungen, ausgesetzt gewesen sei. Der BF habe auch Unterlagen vorgelegt, die sein Vorbringen untermauern würden, diese seien vom BFA aber nicht berücksichtigt worden. Auch aus den Länderfeststellungen seien Repressionen von staatlicher Seite gegen Sympathisanten der Oppositionspartei ersichtlich. Die legale Ausreise des BF sei trotz politischer Verfolgung möglich gewesen, da der Reisepass des BF schon mehrere Jahre vor der Verhaftung ausgestellt und das Visum bei der Österreichischen Botschaft und nicht bei der Heimatbehörde beantragt worden sei. Zudem habe das BFA die Rückkehrbefürchtung des BF nicht geprüft.

I.8. Am 28.01.2019 langte beim BFA die bei der niederschriftlichen Einvernahme in Auftrag gegebene Übersetzung der beiden vom BF vorgelegten Dokumente ein.

I.8.1. Aus der Bescheinigung der XXXX , XXXX vom 16.07.2018, geht hervor, dass der BF seit 10.02.2009 Mitglied der XXXX sei und aktiv an Veranstaltungen der Partei teilgenommen habe. Er sei deshalb zeitweise seitens der Regierungsbehörden verfolgt worden. So sei er wegen seiner Teilnahme an Protestaktionen und Demonstrationen wiederholt angegriffen, festgenommen, gefoltert, verletzt und bedroht worden. Wegen seiner Teilnahme am XXXX sei er nach der Aktion verhaftet und zu 20 Tagen Freiheitsstrafe verurteilt worden.

I.8.2. Dem Gerichtsbeschluss über einen Verwaltungsverstoß vom XXXX ist zu entnehmen, dass der BF wegen eines Verstoßes gegen § 535.1 des VStG der Republik Aserbaidschan (ordnungswidrige Handlungen und Widerstand gegen die Polizei) zu zwanzig Tagen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei.

I.9. Mit Bescheid des BFA vom 01.02.2019 wurde im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Aserbaidschan nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Aserbaidschan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.)

I.9.1. Ergänzend zum Bescheid vom 08.01.2019 wurde beweiswürdigend ausgeführt, dass aus dem vorgelegten Gerichtsbeschluss zwar die rechtmäßige Verurteilung des BF nach § 535.1 VStG der Republik Aserbaidschan hervorgehe, nicht aber, dass dem BF aus der - verbüßten - Haftstrafe aktuell oder in Zukunft eine Verfolgung durch staatliche Behörden drohe. Bei aufrechter Verfolgung wäre dem BF auch keine legale Ausreise über den Flughafen Baku möglich gewesen. Auch stelle eine rechtskräftige Verurteilung keine asylrechtlich relevante behördliche Verfolgungshandlung dar. In der in Vorlage gebrachten Bescheinigung werde sowohl die Mitgliedschaft des BF in der XXXX bestätigt als auch diverse Aktivitäten der Partei und es sei für die Behörde kein Grund ersichtlich, dem BF die Teilnahme an den von ihm genannten Demonstrationen und die erfolgten Befragungen und Anhaltungen durch die Polizei nicht zu glauben. Doch erreiche die vom BF geschilderte schikanöse Behandlung durch die Behörden nicht die nötige Intensität einer Verfolgungshandlung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.

I.10. Laut Untersuchungsbericht der Landespolizeidirektion Kärnten vom 04.02.2019 ergaben sich bei der Untersuchung der ID-Card des BF keine Hinweise auf das Vorliegen einer Verfälschung.

I.11. Mit Schreiben vom 08.02.2019 beantragte der BF die Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

I.12. Hinsichtlich des Verfahrensganges und des Parteivorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen (Sachverhalt)

II.1.1. Der Beschwerdeführer

Beim BF handelt es sich um einen Staatsangehörigen der Republik Aserbaidschan. Seine Identität steht fest. Der BF ist ledig, hat keine Kinder und ist nicht religiös.

Der BF stammt aus Baku. Er hat in Aserbaidschan elf Jahre die Schule besucht und ein Hochschulstudium ( XXXX XXXX ) abgeschlossen. Er war in seinem Heimatland in einem XXXX , als Assistent bei einem XXXX und als XXXX tätig.

Beim BF handelt es sich um einen jungen, gesunden, arbeitsfähigen Mann mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

Familienangehörige (Eltern, Tante, Cousins) leben nach wie vor in Aserbaidschan, er steht mit seinen Eltern in Kontakt.

Der BF hat in Österreich keine Verwandten und lebt auch sonst mit keiner nahestehenden Person zusammen. Er möchte offensichtlich sein künftiges Leben in Österreich gestalten und hält sich seit seiner Einreise und anschließenden Antragstellung im Bundesgebiet auf. Er reiste legal mit einem bis 08.07.2018 befristeten Visum in das Bundesgebiet ein und stellte am 13.07.2018 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Er ist kein Mitglied in einem Verein oder sonstigen Organisation. Er hat bislang keine Deutschprüfung absolviert.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Aserbaidschan

II.1.2.1. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Aserbaidschan schließt sich das ho. Gericht den schlüssigen und nachvollziehbaren Feststellungen der belangten Behörde an und wird konkret auf die insoweit relevanten Abschnitte hingewiesen:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 12.4.2018, vorgezogene Präsidentschaftswahlen (Abschnitt 2/ Politische Lage)

Amtsinhaber Ilham Aliyev sicherte sich bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen vom 11.4.2018 mit rund 86% der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 74,5% seine vierte Amtszeit in Folge. Die wichtigsten Oppositionsparteien nahmen nicht an den Wahlen teil und hatten zum Boykott aufgerufen, mit der Begründung, die Wahl sei manipuliert (RFE/RL 12.4.2018).

Die Präsidentschaftswahlen fanden in einem restriktiven politischen Umfeld und unter einem Rechtsrahmen statt, der die Grundrechte und -freiheiten einschränkt, die Voraussetzung für echte demokratische Wahlen sind. Vor diesem Hintergrund und in Ermangelung von Pluralismus, auch in den Medien, fehlte dieser Wahl ein echter Wettbewerb. Die Wahlbehörde war zwar gut ausgestattet und hatte die Wahl effizient vorbereitet, doch am Wahltag berichteten internationale Beobachter von weit verbreiteter Missachtung verbindlicher Regeln, mangelnder Transparenz und zahlreichen schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten, wie z.B. das Füllen der Wahlurnen mit gefälschten Stimmzetteln (OSCE/ODIHR u.a. 12.4.2018).

Quellen:

-

OSCE/ODIHR u.a. - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (12.4.2018): INTERNATIONAL ELECTION OBSERVATION MISSION Republic of Azerbaijan - Early Presidential Election, 11 April 2018

-

Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions,

https://www.osce.org/odihr/elections/azerbaijan/377617?download=true, Zugriff 12.4.2018

-

RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (12.4.2018): Azerbaijan's President Secures Fourth Term In Vote Criticized As Uncompetetive, https://www.rferl.org/a/azerbaijan-aliyev-expected-win-reelection-april-11-vote/29158177.html, Zugriff 12.4.2018

Politische Lage

Aserbaidschan ist ein säkularer Staat mit einer muslimischen Bevölkerungsmehrheit. Die Verfassung von 1995 etablierte ein Präsidialsystem, das dem Präsidenten weitreichende Vollmachten einräumt. Mit dem Referendum vom 18.3.2009 wurde die Begrenzung der Wiederwahl des Präsidenten aufgehoben. Die nächsten Präsidentschaftswahlen finden am 11.04.2018 statt. Der Präsident ernennt und entlässt den Ministerpräsidenten und die Minister, die allein ihm verantwortlich sind. Er ist dem Parlament gegenüber nicht verantwortlich, kann jedoch wegen schwerer Amtsvergehen auf Initiative des Verfassungsgerichts vom Parlament entlassen werden. Er kann Rechtsverordnungen erlassen und das Parlament auflösen. Der Präsident besitzt das Vorschlagsrecht für die Ernennung von Richtern des Verfassungsgerichts, des Obersten Gerichtshofs und des Appellationsgerichts durch das Parlament und ernennt die übrigen Richter. Mit Referendum vom 26.9.2016 wurde die Amtszeit des Präsidenten von fünf auf sieben Jahre verlängert und dessen Position noch weiter gestärkt. Es wurde u.a. die Einführung der Ämter des Ersten Vizepräsidenten und weiterer Vizepräsidenten beschlossen (AA 2.2018a).

Obwohl Präsident Ilham Aliyev, immer noch der mächtigste Mann im Land ist, hat er im Gegensatz zu seinem verstorbenen Vater nur eine begrenzte Autorität, da er die Macht mit einigen sehr mächtigen Staatsbeamten und Oligarchen teilen muss (BTI 2018).

Bereits am 20.9.2016 äußerte die Venediger Kommission des Europarates Bedenken hinsichtlich der aserbaidschanischen Verfassungsänderungen. Laut der Kommission würden viele der vorgeschlagenen Abänderungen das Machtgleichgewicht zugunsten des Präsidenten verschieben. So könne die Verlängerung der Amtszeit angesichts der Machtfülle und des Umstandes, dass seit 2009 eine unbegrenzte Wiederwahl möglich ist, nicht gerechtfertigt werden. Zudem erhält der Präsident die Befugnis, das Parlament auflösen zu können. Die Unabhängigkeit der Justiz ist dadurch betroffen, dass das Parlament nun eine eingeschränkte Rolle bei der Ernennung der Richter innehält. Die Kommission zeigte sich insbesondere besorgt, dass der Präsident von sich aus vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausrufen kann und das neu eingeführte Amt eines Vizepräsidenten keiner Wahl unterliegt (CoE 21.9.2016).

Die bereits geplante Beobachtung der Parlamentswahl vom 1.11.2015 wurde durch die OSZE abgesagt, da sich die Organisation mit Restriktionen seitens der aserbaidschanischen Behörden konfrontiert sah (OSCE 11.9.2015). Während die Regierung auf administrative Ressourcen und die staatlich kontrollierten elektronischen Medien zurückgreifen kann, wurden die Versuche der Opposition sich öffentlich zu versammeln oder sonst öffentlich wahrnehmbar zu äußern, beinahe unmöglich gemacht. Auch im Vorfeld des am 21.9.2016 abgehaltenen Verfassungsreferendums kam es zu Verhaftungen und Druck auf Regierungskritiker. Es gab keine Möglichkeit einer Kampagne gegen die von der Präsidialverwaltung zur Abstimmung gestellten Änderungen (AA 22.3.2017).

Am 23.2.2017 ernannte Staatspräsident Ilham Aliyev seine Ehefrau und stellvertretende Vorsitzende der Regierungspartei, Mehriban Alieyeva, zur Ersten Vizepräsidentin. Sollte der Präsident nicht in der Lage sein, seine Pflichten zu erfüllen, geht die Position des Staatsoberhauptes nicht wie bisher auf den Premierminister über, sondern auf die Vizepräsidentin. Die Opposition erklärte, dass dies die Macht der Familie Aliyev stärke, und veranstaltete Kundgebungen mit Slogans wie "keine Monarchie" (JAMnews 29.12.2017).

Die Nationalversammlung (Milli Mejlis) ist ein Einkammerparlament mit 125 Abgeordneten, die nach absolutem Mehrheitswahlrecht für fünf Jahre gewählt werden. Der Einfluss des Parlaments auf die Politikgestaltung ist gering. Nach den letzten Parlamentswahlen am 1.11.2015 verfügt die regierende Partei "Neues Aserbaidschan" (YAP) mit 72 Sitzen über die Mehrheit der Sitze im Parlament. Die restlichen Sitze teilen sich unabhängige Abgeordneten sowie Vertreter von Kleinstparteien. Die regierungskritische Opposition ist im Parlament nicht vertreten. Neben dem Parlament haben auch der Präsident, das Oberste Gericht, die Staatsanwaltschaft und das Parlament der Autonomen Republik Nachitschewan Gesetzesinitiativrecht. Der Staatshaushalt wird dem Parlament vom Staatspräsidenten zur Zustimmung vorgelegt. Aserbaidschan ist ein Zentralstaat. Die Verwaltungschefs der 66 Provinzen (Rayons) werden vom Präsidenten eingesetzt, ebenso die Kommunalverwaltungen. 1999 wurden Kommunalwahlen eingeführt, bei denen die Gemeinderäte gewählt werden. Die letzten Kommunalwahlen fanden am 23.12.2014 statt. Die Exklave Nachitschewan hat den Status einer Autonomen Republik mit eigener Verfassung und eigenem Parlament (AA 2.2018b).

Das Parlament und die kommunalen Vertreter, obgleich vom Volk nominell gewählt, verhalten sich im politischen Entscheidungsprozess passiv. Parlamentarier sind oft Schützlinge und Verwandte von Oligarchen und einflussreicher Regierungsfunktionäre. Sie führen lediglich Befehle aus, die sie direkt vom Präsidentenbüro erhalten, das defacto der alleinige bestimmende Akteur der Legislative ist (BTI 2018).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2018a): Aserbaidschan, Staatsaufbau, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aserbaidschan-node/-/202964, Zugriff 26.3.2018

-

AA - Auswärtiges Amt (22.3.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, Zugriff 6.3.2018

-

BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Azerbaijan,

http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Azerbaijan.pdf, Zugriff 22.3.2018

-

CoE - Council of Europe (21.9.2016): Venice Commission legal experts raise alarm over draft modifications to Azerbaijan's constitution,

http://www.humanrightseurope.org/2016/09/venice-commission-legal-experts-raise-alarm-over-draft-modifications-to-azerbaijans-constitution/, Zugriff 6.3.2018

-

JAMnews (29.12.2017): Azerbaijan in 2017, https://jam-news.net/?p=78478, Zugriff 6.3.2018

-

OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (11.9.2015): Restrictions imposed by Azerbaijan compel cancellation of parliamentary election observation mission, says ODIHR Director Link, https://www.osce.org/odihr/elections/azerbaijan/181611, Zugriff 6.3.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Ungeachtet zahlreicher Gesetze, die sich an westlichen Standards orientieren, bleibt die Rechtsanwendung hinter den Standards des Europarats zurück. Die Rechtsprechung ist zwar formell unabhängig, steht aber faktisch unter dem Einfluss der Regierungsgewalt. Insbesondere in den Verfahren, die von politischer Bedeutung sind (wie z. B. Strafverfahren gegen kritische Journalisten und oppositionelle Menschenrechtsaktivisten), scheinen die Urteile politischen Vorgaben zu folgen. Bei Urteilen zulasten der Regierung sind Umsetzung bzw. Vollstreckung problematisch. Strafverteidiger, die Oppositionsaktivisten oder von staatlicher Willkür betroffene Bürger vertreten, werden regelmäßig unter Druck gesetzt, einige von ihnen wurden mit zweifelhaften Begründungen aus der Anwaltskammer ausgeschlossen. 2015 kam es zum Ausschluss der Strafverteidiger prominenter Aktivisten durch die Staatsanwaltschaft, indem diese zu Zeugen in anderen Verfahren erklärt wurden (AA 22.3.2017).

Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, agieren die Richter nicht unabhängig von der Exekutive. Die Justiz gilt weiterhin als weitgehend korrupt und ineffizient. Viele Urteile sind rechtlich unhaltbar und weitgehend ohne Bezug auf während des Prozesses vorgelegten Beweise. Die Urteile scheinen häufig bereits im Voraus festgelegt. Die Gerichte verabsäumen es oft, den Vorwürfen der Folter und der unmenschlichen Behandlung von Häftlingen in Polizeigewahrsam nachzugehen. Das Justizministerium kontrolliert den Justizverwaltungsrat. Der Rat ernennt einen gerichtlichen Auswahlausschuss, der die gerichtliche Auswahlprüfung verwaltet und das langfristige gerichtliche Ausbildungs- und Auswahlverfahren überwacht. Glaubwürdigen Berichten zufolge erhalten Richter und Staatsanwälte Anweisungen von der Präsidialverwaltung und dem Justizministerium, insbesondere in Fällen, die für internationale Beobachter von Interesse sind. Es gab glaubwürdige Berichte, dass Richter routinemäßig Bestechungsgelder annahmen (USDOS 3.3.2017).

In Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz erkannte der UN-Menschenrechtsausschuss im November 2016 zwar die unternommenen Reformschritte hinsichtlich des Justizwesens an, zeigte sich jedoch nach wie vor besorgt über die anhaltende mangelnde Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive, einschließlich der Strafverfolgungsbehörden. Der Menschenrechtsausschuss war insbesondere besorgt darüber, dass der Justiz- und Rechtsrat, dem weitreichende Befugnisse in Angelegenheiten mit der Ernennung, Beförderung und Disziplinierung von Richtern eingeräumt werden, anfällig für eine unzulässige Einmischung durch die Exekutive ist. Überdies wurden weiterhin Korruptionsvorwürfe innerhalb der Justiz gemeldet. Der Menschenrechtsausschuss war zudem wegen der Zahl der Disziplinarverfahren besorgt, die in den letzten Jahren gegen Richter eingeleitet wurden, und bedauerte zugleich den Mangel an Informationen über die bestehenden Schutzvorkehrungen, die sicherstellen, dass Richter nicht für geringfügige Verstöße oder für eine umstrittene Rechtsauslegung bestraft werden können (UN-HRC 16.11.2016). Hinsichtlich der Unabhängigkeit und Sicherheit von Rechtsanwälten zeigte sich der Menschenrechtsausschuss besorgt ob der Berichte über physische Angriffe, politisch motivierte Anklagen und anderer nachteiliger Auswirkungen, wie z.B. ein Berufsverbot für Anwälte, welche sich kritisch über die staatliche Politik oder die Behörden äußerten sowie gegen Anwälte, die Folteropfer, Menschenrechtler, Aktivisten und Journalisten vertreten. Ferner zeigte sich der Menschenrechtsausschuss wegen der angeblichen Praxis besorgt, dass Rechtsanwälte als Zeugen in Fällen aufgerufen werden, in denen sie einen Angeklagten eigentlich vertreten, mit dem Ziel, den Anwälten mit dem Argument angeblicher Interessenkonflikte den Fall zu entziehen (UN-HRC 16.11.2016).

Derzeit herrscht in Aserbaidschan ein erheblicher Mangel an Rechtsanwälten und Rechtsberatungsbüros. Die Zahl der Anwälte ist nach wie vor die niedrigste pro Kopf der Mitgliedstaaten des Europarates mit nur zehn Anwälten pro 100.000 Einwohner. Viele Anwälte, darunter insbesondere diejenigen, die Mandanten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vertreten, haben sich für eine Tätigkeit außerhalb der Struktur der Anwaltskammer entschieden oder sind durch Disziplinarstrafen zuvor ausgeschlossen worden. Das Problem des Mangels an Rechtsanwälten im Land wurde teilweise dadurch gelöst, dass Personen, die außerhalb der Struktur der Rechtsanwaltskammer tätig waren, die Möglichkeit hatten, Personen vor Gericht zu vertreten, mit Ausnahme von Strafsachen. Die Gesetzesnovelle vom November 2017 hindert nun Rechtsanwälte, die nicht Mitglied der Rechtsanwaltskammer sind, daran, Personen vor Gericht zu vertreten. Ohne Übergangsregelungen für die in Kraft tretenden Änderungen müssen diese Anwälte die Vertretung ihrer Mandanten in einer Vielzahl von Fällen sofort einstellen (ICJ 1.12.2017).

Im XXXX zeigte sich auch die Parlamentarische Versammlung des Europarats (PACE) in ihrer Resolution besorgt über Vorwürfe eines systematischen Mangels an Unabhängigkeit der Justiz gegenüber der Exekutive und der willkürlichen Anwendung des Strafrechts. PACE war besorgt wegen Behauptungen, wonach Richter auf Ersuchen der Staatsanwälte exzessiv die Untersuchungshaft verhängen ohne eingehende Prüfung der Gründe, die eine solche Inhaftierung rechtfertigen könnten. Außerdem gäbe es Probleme hinsichtlich der Wahrung der Rechte der Verteidigung (PACE 11.10.2017).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist nach wie vor die letzte Chance für Rechtssuchende in Aserbaidschan. In den letzten Jahren hat die Regierung jedoch die Entscheidungen des EGMR verzögert und sogar ignoriert (BTI 2018). Es kommt zu Fällen von Einschüchterungen von Klienten und Rechtsanwälten, die beim EGMR Klagen einbringen. Mehrfach wurden prominente Rechtsanwälte von der Rechtsanwaltskammer befragt, warum sie die Umsetzung von EGMR-Urteilen verlangten. Der EGMR hat in mehreren seiner Urteile den Druck auf Kläger und deren Anwälte erörtert (IPHR 8.9.2016). Im prominenten Fall des Anwaltes Intigam Aliyev, der mehrere Fälle beim EGMR erfolgreich vertreten hatte, führten Hausdurchsuchungen zur Beschlagnahme von Akten, sodass die Kläger beim EGMR nicht mehr effektiv ihre Anliegen verfolgen konnten (EHRAC 9.9.2016).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (22.3.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, Zugriff 6.3.2018

-

BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Azerbaijan,

http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Azerbaijan.pdf, Zugriff 22.3.2018

-

EHRAC - European Human Rights Advocacy Centre (9.9.2016): per Email

-

ICJ - International Commission of Jurists (1.12.2017): Azerbaijan:

briefing paper on new legislation restricting court representation by lawyers,

https://www.icj.org/wp-content/uploads/2017/12/Azerbaijan-legalsubmission-accesstoalawyer-2017-eng.pdf, Zugriff 6.3.2018

-

IPHR - International Partnership for Human Rights (8.9.2016), per Email

-

PACE - Parliamentary Assembly of the Council of Europe (11.10.2017): Azerbaijan's Chairmanship of the Council of Europe:

what follow-up on respect for human rights? [Resolution 2185 (2017) Provisional version],

http://assembly.coe.int/nw/xml/Xref/Xref-XML2HTML-EN.asp?fileid=24196&lang=en, Zugriff 6.3.2018

-

UN-HRC - United Nations-Human Rights Committee (16.11.2016):

International Covenant on Civil and Political Rights: Concluding observations on the fourth periodic report of Azerbaijan [CCPR/C/AZE/CO/4],

http://docstore.ohchr.org/SelfServices/FilesHandler.ashx?enc=6QkG1d%2fPPRiCAqhKb7yhshv33kpjIN1yQcFlNQGeFnqM5IxR4PQMZWvxmoWXyTsshELrTf%2fHJH%2fqsIqI6FD8OFwu28r7iZSlAYRm9fDeUVCTGadLoglKdYRd4jrLMRra, Zugriff 6.3.2018

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394729.html, Zugriff 6.3.2018

Sicherheitsbehörden

Die Ministerien für innere Angelegenheiten und nationale Sicherheit sind für die innere Sicherheit verantwortlich und berichten direkt dem Präsidenten. Das Innenministerium beaufsichtigt die örtlichen Polizeikräfte und unterhält die internen zivilen Verteidigungstruppen. Im Dezember 2015 wurde das Ministerium für Nationale Sicherheit, das die Geheimdienst- und Spionageabwehraktivitäten beaufsichtigte und über eigene interne Sicherheitskräfte verfügte, durch Anordnung des Präsidenten aufgelöst. Seine Aufgaben wurden zwischen dem Staatssicherheitsdienst, der sich mit innerstaatlichen Angelegenheiten befasst, und dem Auslandsnachrichtendienst, der sich auf Fragen des Auslandsnachrichtendienstes und des Abwehrdienstes konzentriert, aufgeteilt. NGOs berichteten, dass beide Dienste Personen festgenommen haben, die ihr Recht auf Grundfreiheiten, einschließlich des Rechts auf freie Meinungsäußerung, ausgeübt haben. In einigen Fällen hat die Polizei friedliche Demonstranten festgenommen und ist mit übertriebener Gewalt gegen sie vorgegangen. Während die Sicherheitskräfte im Allgemeinen ungestraft agierten, erklärte das Innenministerium, dass es in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 Disziplinarmaßnahmen gegen 259 Bedienstete wegen Verletzung der Menschenrechte und Freiheiten (197 Fälle), ungerechtfertigter Inhaftierungen (12 Fälle) und unhöflicher Behandlung (62 Fälle) ergriffen habe (USDOS 3.3.2017).

In den letzten fünf Jahren sind auf der Basis von internen Überwachungsmechanismen des Innenministeriums Disziplinarmaßnahmen gegen 1.647 Polizeibeamte durchgeführt worden, von denen 156 aus dem Dienst entlassen, 139 degradiert und 1.351 verwarnt wurden. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates betonte, dass ein unabhängiges, unparteiisches und wirksames Beschwerdesystem gegen Vorwürfe von Misshandlung durch Strafverfolgungsbeamte von grundlegender Bedeutung für die Stärkung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Strafverfolgungsbehörden und in das aserbaidschanische Justizsystem im Allgemeinen ist. Es müsse zudem sichergestellt werden, dass Fehlverhalten und Misshandlungen nicht ungestraft bleiben (PACE 11.10.2017).

Korruption unter den Strafverfolgungsbeamten war ein Problem. Niedrige Löhne trugen zur Korruption der Polizei bei. In den ersten neun Monaten des Jahres 2016 berichtete das Innenministerium, dass es im Zusammenhang mit acht Korruptionsfällen Disziplinarmaßnahmen gegen 16 Mitarbeiter ergriffen hat, sieben aus ihren Institutionen entlassen und neun weitere Mitarbeiter neu zugeordnet hat. Es hat jedoch keinen der Mitarbeiter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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PACE - Parliamentary Assembly of the Council of Europe (11.10.2017): Azerbaijan's Chairmanship of the Council of Europe:

what follow-up on respect for human rights? [Resolution 2185 (2017) Provisional version],

http://assembly.coe.int/nw/xml/Xref/Xref-XML2HTML-EN.asp?fileid=24196&lang=en, Zugriff 7.3.2018

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394729.html, http://www.ecoi.net/local_link/337119/466879_en.html, Zugriff 7.3.2018

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet die Verwendung von illegal beschafften Beweismitteln. Trotz der Behauptungen einiger Angeklagter, dass die Behörden Zeugenaussagen durch Folter oder Missbrauch erhalten haben, haben die Gerichte Fälle, die auf Missbrauchsansprüchen beruhen, nicht abgewiesen, und es gab keinen unabhängigen forensischen Ermittler, der die Behauptungen des Missbrauchs untermauern konnte. Menschenrechtsbeobachter berichteten, dass Richter oft die Behauptungen über Misshandlungen der Polizei ignorierten. Andere Probleme, über die berichtet wurde, waren körperliche Misshandlungen im Militär, angebliche Folter und Misshandlungen von Häftlingen, die manchmal zum Tode führten, Polizeigewalt gegen friedliche Bürger und der Missbrauch von Insassen in Gefängnissen. Während die Verfassung und das Strafgesetzbuch solche Praktiken verbieten und Strafen von bis zu zehn Jahren Haft vorsehen, werden weiterhin glaubwürdige Anschuldigungen von Folter und anderen Misshandlungen erhoben (USDOS 3.3.2017).

Die Polizei setzte weiterhin Folter und andere Misshandlungen ein, um erzwungene Geständnisse zu erlangen, die später von Richtern als belastendes Beweismaterial benutzt wurden. Behauptungen über Folter und andere Misshandlungen wurden nicht wirksam untersucht (AI 22.2.2018).

Die Regierung stellt keine öffentlich zugänglichen Daten über Folterbeschwerden und -untersuchungen zur Verfügung. Die Menschenrechtskommissarin der Republik Aserbaidschan (Ombudsfrau) erwähnt in ihrem letzten Jahresbericht 2016, dass im Laufe des Jahres 691 Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen eingegangen sind, darunter aber keine Folterfälle. So wird im Bericht der Ombudsfrau zwar erwähnt, dass solche Beschwerden eingegangen sind, nicht aber, ob es sich bei diesen Beschwerden um Folter oder andere Misshandlungen handelte. Im Bericht wurden weder konkrete Fälle noch Zahlenangaben gemacht. Im Gegensatz dazu haben Menschenrechtsorganisationen, Anwälte und Aktivisten Dutzende von Folterfällen dokumentiert (IPD/IPHR/OMCT 1.2018).

Auch der UN-Menschenrechtsausschuss zeigte sich wegen der ständigen Berichte über Folter und Misshandlungen besorgt, einschließlich von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern und Jugendaktivisten, die Berichten zufolge in mehreren Fällen zum Tode geführt haben. Der Menschenrechtsausschuss begrüßte zwar die Einrichtung des nationalen Präventionsmechanismus im Jahr 2011, war jedoch besorgt über die begrenzte Wirksamkeit des Mechanismus bei der Verhütung von Folter und Misshandlung und anderen Verstößen (UN-HRC 16.11.2016).

Quellen:

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AI - Amnesty International: Amnesty International Report 2017/18 (22.2.2018): The State of the World's Human Rights - Azerbaijan, 22https://www.ecoi.net/de/dokument/1425123.html, Zugriff 8.3.2018

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IPD/IPHR/OMCT - Institute for Peace and Democracy (IPD), International Partnership for Human Rights (IPHR), World Organisation against Torture (OMCT) (1.2018): Contribution to the List of Issues Prior to the Submission of the Periodic Report of Azerbaijan - 63rd Session of the Committee against Torture [CAT], http://iphronline.org/wp-content/uploads/2018/02/Final-LOIPR-submission-Azerbaijan.pdf, Zugriff 8.3.2018

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UN-HRC - United Nations-Human Rights Committee (16.11.2016):

International Covenant on Civil and Political Rights: Concluding observations on the fourth periodic report of Azerbaijan [CCPR/C/AZE/CO/4],

http://docstore.ohchr.org/SelfServices/FilesHandler.ashx?enc=6QkG1d%2fPPRiCAqhKb7yhshv33kpjIN1yQcFlNQGeFnqM5IxR4PQMZWvxmoWXyTsshELrTf%2fHJH%2fqsIqI6FD8OFwu28r7iZSlAYRm9fDeUVCTGadLoglKdYRd4jrLMRra, Zugriff 8.3.2018

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Azerbaijan, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394729.html, Zugriff 7.3.2018

Meinungs- und Pressefreiheit

Meinungs- und Pressefreiheit sind stark eingeschränkt. Nicht nur die offiziell staatlichen Tageszeitungen, sondern auch die "unabhängigen" Presseorgane berichten tendenziell positiv über die Regierung und den Präsidenten und üben sich in Selbstzensur. Die auflagenstärksten Tageszeitungen "Azadliq" und "Yeni Musavat", die Parteiorgane der oppositionellen Volksfront- und Musavat-Partei waren, wurden 2015/16 zerschlagen: Erstere musste ihre Druckausgabe aufgrund des finanziellen Drucks einstellen, die Letztere hat sich zu einer regierungsfreundlichen Zeitung gewandelt und wurde daraufhin von der Mutterpartei abgestoßen. Die unabhängige russischsprachige Tageszeitung "Zerkalo" stellte im Mai 2014 ihren Betrieb wegen finanzieller Schwierigkeiten und Verhaftung ihres leitenden Redakteurs ein. Eine unmittelbare Zensur findet nicht statt. Journalisten und Herausgeber der Oppositionszeitungen setzen sich jedoch im Falle kritischer Berichterstattung der Gefahr aus, aufgrund ihrer Tätigkeit Nachteile bis hin zu Gefängnishaft zu erleiden (AA 22.3.2017).

Das politische Klima hinsichtlich der Medien- und Redefreiheit ist extrem repressiv. Es gibt keine redaktionelle Unabhängigkeit der staatlichen Medien, und die Selbstzensur ist unter den privaten Medien weit verbreitet, insbesondere bei Fragen im Zusammenhang mit der herrschenden Elite. Die Behörden gehen unerbittlich gegen unabhängige und oppositionelle Medien vor, unter anderem indem sie ihre Websites blockieren, Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung einleiten und ihre Büros überfallen sowie ihre Mitarbeiter schikanieren, verfolgen und inhaftieren. Infolgedessen waren alle unabhängigen und oppositionellen Medien gezwungen, ihre Aktivitäten im Land einzustellen. In den letzten Jahren haben die aserbaidschanischen Behörden Dutzende von Menschenrechtsaktivisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, Journalisten, Blogger und Dissidenten aus politisch motivierten Gründen verhaftet und inhaftiert. Dieses Vorgehen hat den systematischen Missbrauch des Strafrechtssystems zur Folge gehabt. Die Prozesse in diesen Fällen waren durch grobe Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren gekennzeichnet. Die Angeklagten wurden unter grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Bedingungen festgehalten und erhielten keine angemessene medizinische Versorgung. Die Behörden haben es versäumt, Vorwürfe von Folter und Misshandlung von Häftlingen ordnungsgemäß zu untersuchen (IPHR 10/2017).

Alle Mainstream-Medien blieben unter effektiver staatlicher Kontrolle, wobei unabhängige Medien mit unangemessenen Einschränkungen und Medienschaffende mit Schikanen konfrontiert sind. Der Zugang zu den Webseiten der oppositionellen Zeitungen wird blockiert. Radio Azadliq (Radio Free Europe/Radio Liberty Azerbaijani service), Meydan TV und Azerbaycan SAATI blieben blockiert, nachdem die Staatsanwaltschaft behauptet hatte, dass sie eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellten. Am 12.5.2017 entschied ein Gericht, dass die Websites blockiert bleiben. Die Behörden setzten die willkürliche Festnahme und Inhaftierung unabhängiger Journalisten und Blogger fort. Nach Angaben aserbaidschanischer Menschenrechtsverteidiger blieben mehr als 150 Personen wegen politisch motivierter Anschuldigungen im Gefängnis, und die Zahl solcher Fälle nahm weiter zu (AI 22.2.2018, vgl. USDOS 3.3.2017).

Das Europäisches Parlament verurteilte am 14.6.2017 aufs Schärfste, dass ?fqan Muxtarli (Afgan Muchtarli), von den aserbaidschanischen Behörden zuvor aus dem Exil in Georgien entführt, wegen fingierter Anschuldigungen strafrechtlich verfolgt wird, und bekräftigte seine Auffassung, dass er wegen seiner Tätigkeit als unabhängiger Journalist belangt wird. Das EP forderte die Staatsorgane Aserbaidschans auf, alle Anschuldigungen sofort und bedingungslos fallen zu lassen und ?fqan Muxtarli sowie alle anderen Personen freizulassen, die inhaftiert wurden, weil sie ihre Grundrechte, darunter das Recht auf freie Meinungsäußerung, ausübten; Das EP erklärte sich zutiefst besorgt darüber, dass der Fall ?fqan Muxtarli ein weiteres Beispiel dafür ist, dass die Staatsorgane Aserbaidschans Kritiker im Exil und deren Verwandte in Aserbaidschan ins Visier nehmen und strafrechtlich verfolgen und erinnerte daran, dass auch zuvor schon internationale Haftbefehle gegen aserbaidschanische Bürger im Exil, die dem Staat kritisch gegenüberstehen, ausgestellt wurden. Das EP forderte die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Gefangenen aus Gewissensgründen, darunter Journalisten, Menschenrechtsverfechter und andere Aktivisten der Zivilgesellschaft, und alle Anschuldigungen gegen sie fallen zu lassen und ihre politischen und bürgerlichen Rechte in vollem Umfang wiederherzustellen. Das EP forderte die Staatsorgane Aserbaidschans nochmals mit allem Nachdruck auf, den Praktiken der selektiven strafrechtlichen Verfolgung und Inhaftierung von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern und anderen regierungskritischen Personen ein Ende zu setzen und sicherzustellen, dass alle Inhaftierten, auch Journalisten, politische Aktivisten und Aktivisten der Zivilgesellschaft, ihre Verfahrensrechte in Strafverfahren uneingeschränkt wahrnehmen können und die Normen eines fairen Verfahrens auch in ihren Fällen Geltung erlangen (EP 14.6.2017).

Das Ministerkomitee des Europarates hat Anfang Dezember 2017 ein Verletzungsverfahren gegen Aserbaidschan eingeleitet, da sich die Behörden weiterhin weigern, gemäß einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2014 die bedingungslose Freilassung des Oppositionspolitikers Ilgar Mammadov zu gewährleisten. Im Mai 2014 kam das Gericht zu dem Schluss, dass im nationalen Strafverfahren keine Tatsachen oder Informationen vorgelegt worden waren, welche einen Verdacht begründen würden, der die Erhebung von Anklagen gegen Mammadov oder seine Festnahme bzw. Untersuchungshaft rechtfertigen könnten. Das Gericht stellte fest, dass der eigentliche Zweck dieser Maßnahmen darin bestand, Mammadov zum Schweigen zu bringen oder für seine Kritik an der Regierung zu bestrafen (Europarat 5.12.2017).

Aserbaischan rangierte im World Press Freedom Index 2017 von Reporter ohne Grenzen auf Platz 162 von 180 Ländern (2016: Platz 163) (RSF o.D.).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (22.3.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, Zugriff 9.3.2018

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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