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41/04 Sprengmittel Waffen Munition;Norm
SchUG 1986 §43 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Toifl, über die Beschwerde des mj. B, vertreten durch den Erziehungsberechtigten B in Wien, dieser vertreten durch Dr. Rainer Roniger, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gusshausstraße 2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten vom 4. Juni 1996, Zl. 1005/117-III/4b/96, betreffend Ausschluß von der Schule, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der am 10. April 1981 geborene Beschwerdeführer besuchte im Schuljahr 1995/96 die dritte Klasse eines Bundesgymnasiums und Bundesrealgymnasiums in Wien. Mit dem im Instanzenzug erlassenen Bescheid der belangten Behörde vom 4. Juni 1996 wurde der Beschwerdeführer über Antrag der Schulkonferenz vom weiteren Besuch dieser Schule gemäß § 49 Abs. 1 und 6 SchUG ausgeschlossen. Begründend wurde dargelegt, der Beschwerdeführer habe Mitte Jänner 1996 eine Luftdruckpistole tschechischer Bauart in die Schule mitgebracht und Mitschülern gezeigt. Am 20. Jänner 1996 habe er die Waffe und 1000 Stück Munition zum Preis von S 750,-- an einen Mitschüler verkauft. Der Verkauf habe außerhalb der Schule stattgefunden. Nach eingehender Darlegung des Verfahrensganges und Auseinandersetzung mit den Berufungsgründen vertrat die belangte Behörde sodann die Auffassung, die Mitnahme einer Waffe in die Schule stelle eine gravierende Pflichtverletzung und eine dauernde Gefährdung anderer Schüler hinsichtlich ihrer körperlichen Sicherheit dar. Die im § 49 Abs. 1 SchUG genannten Gründe für den Ausschluß von der Schule seien daher gegeben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Rahmen der Rechtsrüge macht die Beschwerde geltend, soweit der erste Tatbestand des § 49 Abs. 1 SchUG (Pflichtverletzung) angezogen werde, sei der belangten Behörde entgegenzuhalten, daß die Mitnahme der Waffe in das Schulgebäude nicht gegen die im § 43 Abs. 1 SchUG normierten Pflichten der Schüler verstoße. § 49 Abs. 1 SchUG verweise nicht auf die Schulordnung. Darüber hinaus liege die Ausschlußvoraussetzung der erfolglosen Anwendung von Erziehungsmitteln nicht vor. Auch der zweite Tatbestand des § 49 Abs. 1 SchUG sei nicht verwirklicht. Die bloße Mitnahme einer Luftdruckpistole in das Schulgebäude könne die körperliche Sicherheit anderer Schüler nicht gefährden. Es sei nicht festgestellt, daß der Beschwerdeführer Munition in die Schule mitgebracht hätte, die Waffe geladen gewesen wäre bzw. der Beschwerdeführer auf Mitschüler gezielt oder gar geschossen hätte. Das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verhalten sei in keiner Weise gegen seine Mitschüler gerichtet gewesen; bei entsprechender Belehrung könne eine günstige Prognose hinsichtlich des zukünftigen Verhaltens des Beschwerdeführers angenommen werden.
Gemäß § 49 Abs. 1 SchUG ist, wenn ein Schüler seine Pflichten (§ 43) in schwerwiegender Weise verletzt und die Anwendung von Erziehungsmitteln (§ 47) erfolglos bleibt oder wenn das Verhalten eines Schülers eine dauernde Gefährdung anderer Schüler hinsichtlich ihrer Sittlichkeit, körperlichen Sicherheit oder ihres Eigentums darstellt, der Schüler von der Schule auszuschließen, soweit Abs. 9 nicht entgegensteht.
Nach der Auffassung der belangten Behörde stelle die Mitnahme einer Waffe in die Schule eine gravierende Pflichtverletzung und eine dauernde Gefährdung anderer Schüler hinsichtlich ihrer körperlichen Sicherheit dar.
Damit beruft sich die belangte Behörde offenbar auf beide Tatbestände des § 49 Abs. 1 SchUG. Es war somit zunächst zu untersuchen, ob der erste Tatbestand dieser Vorschrift (gravierende Pflichtverletzung und Erfolglosigkeit der Anwendung von Erziehungsmitteln) vorliegt.
Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Auffassung der belangten Behörde, daß das "Mitnehmen einer Waffe in die Schule" - unbeschadet allfälliger Regelungen in der Schulordnung - eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellt. Als Pflichtverletzung sind jedenfalls durch Strafnormen verpönte Verhaltensweisen anzusehen. Eine solche Handlung steht hier - im Hinblick auf § 37 Abs. 1 Z. 1 iVm § 2, 5 und 30 Abs. 2 des im fraglichen Zeitpunkt in Geltung stehenden Waffengesetzes 1986 (WaffG 1986) - in Rede. Im Hinblick darauf, daß das Mitführen einer Waffe - ungeachtet der Frage des vom Betreffenden ausgehenden Gefahrenpotentials - als grober Verstoß gegen das Einordnungsgebot des § 43 Abs. 1 SchUG aufzufassen ist, kann ein solcher Sachverhalt ohne Rechtsirrtum als schwerwiegende Pflichtverletzung im Sinne des ersten Tatbestandes des § 49 Abs. 1 SchUG angesehen werden. Damit ist für den Standpunkt der belangten Behörde aber nichts gewonnen. Der Ausschlußgrund nach dem ersten Tatbestand liegt nur vor, wenn die Anwendung von Erziehungsmitteln (§ 47) erfolglos blieb; im angefochtenen Bescheid findet sich aber kein Hinweis darauf, daß (aus Anlaß des in Rede stehenden Vorfalles) Erziehungsmittel angewendet und erfolglos geblieben wären. Auf den ersten Tatbestand des § 49 Abs. 1 SchUG kann der angefochtene Bescheid angesichts der getroffenen Sachverhaltsfeststellungen somit nicht gegründet werden.
Der festgestellte Sachverhalt kann aber auch den Ausschluß des Beschwerdeführers von der Schule im Grunde des zweiten Tatbestandes des § 49 Abs. 1 SchUG nicht tragen. In diesem Zusammenhang ist zunächst auf das Erkenntnis vom 31. Jänner 1994, Zl. 93/10/0200 zu verweisen, in dem der Verwaltungsgerichtshof folgendes dargelegt hat:
"Der zweite Tatbestand des § 49 Abs. 1 SchUG trägt der Behörde auf, eine Prognoseentscheidung zu treffen; dabei hat sie die Frage zu lösen, ob in Zukunft ein Verhalten des Schülers zu befürchten ist, das eine Gefährdung der genannten Rechtsgüter in Ansehung anderer Schüler darstellt. Diese Entscheidung ist auf der Grundlage der im vorliegenden Zusammenhang relevanten Aspekte der Persönlichkeitsstruktur des betreffenden Schülers zu treffen; dabei ist besonderes Augenmerk auf solche in der Vergangenheit gelegenen Verhaltensweisen zu legen, die Rückschlüsse auf jene Eigenschaften zulassen, von denen es abhängt, ob vom betreffenden Schüler in Zukunft eine Gefährdung der Sittlichkeit, der körperlichen Sicherheit und des Eigentums anderer Schüler ausgehen kann. In dieser Hinsicht können unter Umständen auch einzelne Vorfälle aussagekräftig sein.
Hat der betreffende Schüler ein seiner Art und Intensität nach schwerwiegendes, gegen die im zweiten Tatbestand des § 49 Abs. 1 SchUG genannten Rechtsgüter gerichtetes Fehlverhalten zu vertreten, so ist - auch wenn es sich um den ersten derartigen Verstoß handeln sollte - mit dem Ausschluß vorzugehen, es sei denn, daß - insbesondere in der Persönlichkeitsstruktur des Betreffenden begründete - Umstände vorliegen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, daß sich derartiges nicht wiederholen werde. Die Schulbehörden haben auf das Wohl aller Schüler zu achten; die Bedachtnahme auf das Wohl der Mitschüler des Betreffenden verbietet es, mit dem Ausschluß desjenigen, dem ein gravierendes, gegen die besonders geschützten Rechtsgüter gerichtetes Fehlverhalten vorzuwerfen ist, zuzuwarten, bis die "Dauerhaftigkeit" der vom Betreffenden ausgehenden Gefährdung durch weitere Vorfälle erwiesen ist."
Diese Darlegungen betrafen einen Fall, in dem der beschwerdeführende Schüler einen als "Schläger" bekannten Dritten gegen "Barzahlung" beauftragt hatte, einen Mitschüler zu mißhandeln und zu "demütigen", was zu einer Körperverletzung des Mitschülers geführt hatte. Ins Gewicht fiel auch mangelnde Einsicht des beschwerdeführenden Schülers in sein Fehlverhalten.
Die im Beschwerdefall getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, eine Beurteilung zu tragen, wonach vom Beschwerdeführer - gemessen an seiner Persönlichkeitsstruktur - eine "dauernde Gefährdung der körperlichen Sicherheit der Mitschüler" ausgehe. Die belangte Behörde hat - abgesehen vom Hinweis auf den Umstand, daß der Beschwerdeführer eine Luftdruckpistole in die Schule mitgebracht, dort Mitschülern gezeigt und diese sodann - außerhalb der Schule - nebst Munition an einen Mitschüler verkauft habe - keine Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine überprüfbare Beurteilung der Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers vorgenommen werden könnte. Der erwähnte Vorfall allein kann aber den Schluß nicht tragen, daß vom Beschwerdeführer eine dauernde Gefährdung der körperlichen Sicherheit der Mitschüler ausgehe. Daß das Mitführen einer "Waffe" im Sinne der waffenrechtlichen Vorschriften in der Schule jedenfalls eine Pflichtverletzung darstellt und Anlaß zur Anwendung von Erziehungsmitteln bietet, ist nicht zu bezweifeln. Als Grund für einen Ausschluß nach dem zweiten Tatbestand des § 49 Abs. 1 SchUG kann ein einmaliges Fehlverhalten aber nur dann herangezogen werden, wenn nach den Umständen des Einzelfalles ein seiner Art und Intensität nach schwerwiegendes, gegen die im Gesetz genannten Rechtsgüter (Sittlichkeit, körperliche Sicherheit, Eigentum) gerichtetes Fehlverhalten vorliegt, das Rückschlüsse auf Eigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale zuläßt, die ein künftiges, die geschützten Rechtsgüter gefährdendes Fehlverhalten befürchten läßt. Solche Umstände wurden im Beschwerdefall nicht festgestellt. Sie liegen auch nicht auf der Hand. Dabei ist im vorliegenden Zusammenhang besonderes Augenmerk auf das Unwerturteil zu legen, das der dem Betreffenden vorgeworfenen Handlung nach gesetzlichen Vorschriften zukommt. Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides hat der Beschwerdeführer eine "Druckluftpistole" mitgeführt; nähere Feststellungen wurden nicht getroffen. Die zur Zeit des inkriminierten Vorfalles in Geltung stehenden gesetzlichen Vorschriften (§ 30 Abs. 1 Z. 3 iVm Z. 5 WaffG 1986) sehen Schußwaffen, bei denen die Geschosse durch verdichtete Luft (Druckluftwaffen) oder den unter Verwendung von Kohlensäure entstandenen Gasdruck (CO 2-Waffen) angetrieben werden, sofern das Kaliber nicht 6 mm oder mehr beträgt, als minderwirksame Waffen an, für die nur einige - näher aufgezählte - Vorschriften des WaffG 1986 gelten. Bis zum Inkrafttreten des WaffG 1986 war das Führen solcher Waffen - auch durch Jugendliche - nicht strafbar (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. Dezember 1983, Zl. 83/01/0012). Nach dem WaffG 1986 stellte das Führen einer solchen Waffe ("Druckluftpistole") eine Verwaltungsübertretung dar (vgl. § 37 Abs. 1 Z. 1 iVm § 2, 5 und 30 Abs. 1 WaffG 1986). Auch ist nicht zu bezweifeln, daß die waffenrechtlichen Vorschriften auf den Schutz der körperlichen Sicherheit gerichtet sind. Zumal dann, wenn - wie hier mangels gegenteiliger Feststellungen nicht ausgeschlossen ist - keine Munition mitgeführt wird (vgl. dazu die rechtliche Relevanz des Merkmals "ungeladen" im Zusammenhang mit dem Begriff des "Führens einer Schußwaffe"; § 5 Abs. 1 Z. 2 WaffG 1986), ist der aus dem Gesetz zu erschließende soziale Unwert des Verhaltens - Führen einer ungeladenen Druckluftpistole - auch bei Bedachtnahme auf den Verstoß gegen § 14 WaffG 1986 aber nicht derart, daß ohne Hinzutreten sonstiger Umstände von einem nach Art und Intensität schwerwiegenden, gegen die körperliche Sicherheit gerichteten Fehlverhalten gesprochen werden könnte. Rückschlüsse auf eine allgemeine "Gefährlichkeit" des Betreffenden aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur können somit aus dem festgestellten Sachverhalt allein nicht gezogen werden. Weitere Feststellungen, die diese Schlußfolgerungen deshalb tragen könnten, weil aus ihnen auf eine Gewaltbereitschaft des Beschwerdeführers gefolgert werden könnte, fehlen.
Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts ist daher keiner der Ausschlußgründe des § 49 Abs. 1 SchUG als verwirklicht anzusehen. Der angefochtene Bescheid ist wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne auf die weiteren Darlegungen der Beschwerde einzugehen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 22. März 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1996100242.X00Im RIS seit
02.07.2001