Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.
Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei d***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Dyck, Dr. Christine Monticelli, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei P*****, S.A.S., *****, vertreten durch Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unzulässigkeit einer Exekution (§ 36 EO), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 6. November 2018, GZ 53 R 206/18b-42, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 4. Juli 2018, GZ 39 C 15/17f-33, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.804,50 EUR (hierin enthalten 300,75 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin, eine im Bereich des Handels mit Drogerie- und Parfümwaren tätige GmbH mit Sitz in Österreich, hat es aufgrund einer einstweiligen Verfügung ab sofort zu unterlassen, in Österreich im geschäftlichen Verkehr ohne Zustimmung der Beklagten (als der Markenberechtigten) kosmetische Erzeugnisse, insbesondere Parfüms, die mit näher umschriebenen Wortzeichen und/oder Wortbildzeichen und/oder Bildzeichen gekennzeichnet sind und außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums erstmals in Verkehr gebracht wurden, zum Kauf anzubieten und/oder in Verkehr zu bringen.
Der Rechtsvertreter der Klägerin übermittelte deren Geschäftsführer die ihm im Elektronischen Rechtsverkehr mit Wirksamkeit vom 28. Juni 2017 zugestellte einstweilige Verfügung (erst) am Freitag, den 30. Juni 2017.
Mit Beschluss des Erstgerichts vom 14. Juli 2017, GZ 8 E 3062/17x-10, wurde der Beklagten gegen die Klägerin aufgrund dieser einstweiligen Verfügung die Exekution nach § 355 EO bewilligt und über die Klägerin wegen behaupteter Verstöße gegen den Titel am 29. und am 30. Juni sowie am 1., 3., 4., 5., 6. und 7. Juli 2017 (jeweils durch Verkauf von näher bezeichneten Produkten der Beklagten, die erstmals in Uruguay bzw Russland bzw in Hongkong in Verkehr gebracht worden waren, in näher bezeichneten Filialen der Klägerin) eine Geldstrafe von insgesamt 30.000 EUR verhängt.
Der Beklagtenvertreter übermittelte der Klägerin vorab eine Gleichschrift des Exekutionsantrags, die bei ihr am 3. Juli 2017 einlangte. Der Geschäftsführer der Klägerin, der sich ab 3. Juli 2017 auf Urlaub befand und deshalb die ihm vom Klagevertreter per E-Mail übermittelte einstweilige Verfügung erst mit einigen Tagen Verspätung las, traf am Morgen des 6. Juli 2017 die Entscheidung, sämtliche Produkte der Beklagten aus dem Verkauf zu nehmen. In Umsetzung dieser Entscheidung wurde am Vormittag des 7. Juli 2017 an alle Filialen der Klägerin ein E-Mail versandt, in dem die Filialleiter aufgefordert wurden, die betroffenen Produkte sofort aus dem Regal zu nehmen.
Die in der Exekutionsbewilligung (entsprechend dem Exekutionsantrag und sechs weiteren Strafanträgen) näher bezeichneten Produkte waren tatsächlich alle erstmals in Uruguay bzw Russland bzw in Hongkong, also außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums in Verkehr gebracht worden.
Die Beklagte vertreibt ihre Produkte durch ausgewählte Vertragshändler. Die Klägerin bezieht die vom Titel betroffenen Produkte nicht von Vertragshändlern der Beklagten, sondern von anderen Zwischenhändlern (auf dem Graumarkt). Während die Beklagte seit rund 20 Jahren ein Tracking-System verwendet, das ihr die Ermittlung des Orts der erstmaligen In-Verkehr-Bringung ihrer Produkte ermöglicht, kann die Klägerin – mangels Zugangs zu diesem System – nicht eigenständig überprüfen, wo die ihr gelieferten Waren erstmals in Verkehr gebracht wurden. Sie weist ihre Lieferanten bei jeder Bestellung darauf hin, dass die gelieferte Ware nicht außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums erstmals in Verkehr gebracht worden sein darf. Ihre Lieferanten legen ihr gegenüber ihre Bezugsquellen nicht offen. Die Klägerin vertraut daher auf die Richtigkeit der Angaben ihrer Vertragspartner.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Impugnationsklage die Unzulässigerklärung der Exekutionsbewilligung und der über sie verhängten Geldstrafen. Die im Exekutionsantrag und den sechs Strafanträgen genannten Produkte der Beklagten seien nicht außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums erstmals in Verkehr gebracht worden. Die Umsetzung des Unterlassungsgebots sei insbesondere dadurch erschwert, dass die Klägerin die davon betroffene Ware weder selbst noch mit Hilfe ihrer Lieferanten identifizieren könne; dies sei ausschließlich der Beklagten in einem zeitlich aufwändigen Verfahren möglich. Die Klägerin habe auch Originalware der Beklagten im Sortiment, die vom Unterlassungsgebot nicht umfasst sei. Um dieses erfüllen zu können, müsse die Klägerin ex ante zweifelsfrei erkennen, welche Waren betroffen seien und welche nicht, was aber ohne Mithilfe der Beklagten, die diese ausdrücklich verweigere, unmöglich sei. Aus diesem Grund sei der Unterlassungstitel gar nicht vollstreckbar. Jedenfalls aber treffe die Klägerin, sofern sie tatsächlich nach Zustellung des Titels objektiv gegen das Unterlassungsgebot verstoßen haben sollte, kein Verschulden daran: Am 29. und am 30. Juni 2017 habe sie noch gar keine Kenntnis von der einstweiligen Verfügung gehabt. Eine Reaktion auf diese Entscheidung sei ihr frühestens ab dem 3. Juli 2017 möglich gewesen. An diesem Tag habe sie auch durch Übermittlung einer Kopie des Exekutionsantrags erstmals Kenntnis von angeblichen Verstößen gegen die einstweilige Verfügung erhalten. Sie habe daher mangels anderer Alternativen letztlich die durchaus schwerwiegende Entscheidung treffen müssen, vorläufig die gesamte Ware der Beklagten, also auch die vom Unterlassungsgebot nicht umfasste, aus dem Verkauf zu nehmen. Dies habe sie bereits am 7. Juli 2017 – und damit innerhalb angemessener Frist – veranlasst.
Die Beklagte wendete ein, die Beweislast für den Eintritt der Erschöpfung ihrer Markenrechte treffe die Klägerin, der dieser Beweis bereits im Titelverfahren nicht gelungen sei. Es könne auch keine Rede davon sein, dass die Erlassung der einstweiligen Verfügung für die Klägerin völlig überraschend gewesen wäre. Sie habe vielmehr bereits ab Einleitung des Titelverfahrens Ende Jänner 2017 Kenntnis von der drohenden Erlassung einer einstweiligen Verfügung gehabt.
Das Erstgericht erklärte die Exekution hinsichtlich der in der Exekutionsbewilligung näher bezeichneten Verkäufe vom 29. Juni 2017 für unzulässig und wies das restliche Klagebegehren ab. Nach dem festgestellten Sachverhalt sei das Vorbringen der Beklagten im Exekutionsantrag und in den Strafanträgen bezüglich der Verstöße der Klägerin gegen den Titel richtig gewesen. Die Erfüllung des Titels sei auch nicht deshalb unmöglich, weil die Klägerin den Ort der erstmaligen In-Verkehr-Bringung der Produkte ohne Mitwirkung der Beklagten nicht selbst ermitteln oder überprüfen könne, weil sie, wie sie es letztlich auch getan habe, die betreffenden Produkte der Beklagten gänzlich aus ihrem Sortiment nehmen könne. Der Verkauf von Produkten der Beklagten bloß im Vertrauen auf mündliche Zusagen ihrer Lieferanten falle in den unternehmerischen Risikobereich der Klägerin. Der Klägerin wäre es ab der Zustellung der einstweiligen Verfügung an ihren Vertreter (am 28. Juni 2017) objektiv möglich gewesen, dieser zu entsprechen. Dass sie erst am 6. bzw 7. Juli 2017 veranlasst habe, dass die Produkte aus dem Verkauf genommen werden, sei objektiv verspätet gewesen. Diese Entscheidung hätte sie innerhalb eines Tages ab dem 28. Juni 2017 treffen können, sodass ihr nur hinsichtlich der inkriminierten Verstöße vom 29. Juni 2017 kein Verschulden anzulasten sei.
Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien nicht Folge. Der Verpflichtete müsse alles Zumutbare unternehmen, um die titulierte Verpflichtung erfüllen zu können. Davon könne hier kein Rede sein, weil sich die Klägerin auf Zusicherungen ihrer Lieferanten verlassen habe, die Ware sei erstmals innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums in Verkehr gebracht worden, ohne dass es ihr jemals möglich gewesen wäre, diese Zusagen zu überprüfen. Die Entscheidung der Klägerin, Waren außerhalb des Vertriebssystems der Beklagten offensichtlich günstiger zu erwerben, um konkurrenzfähige Preise gegenüber den Vertriebshändlern der Beklagten anbieten zu können, stelle ihr unternehmerisches Risiko dar. Es wäre ihr offen gestanden, bereits unmittelbar nach Erlassung der einstweiligen Verfügung alle fraglichen Produkte aus ihrem Vertrieb zu entfernen. Dass die Beklagte erst viel später
– nämlich aufgrund eines Schreibens der Klägerin vom 24. Juli 2017 – die Mitwirkung bei der Ermittlung der Herkunft der Produkte verweigert habe, sei ohne Bedeutung. Da die einstweilige Verfügung mit ihrer Zustellung an den Klagevertreter rechtswirksam gewesen sei, wäre dieser gehalten gewesen, sie umgehend dem Entscheidungsträger der Klägerin bekannt zu geben, der zu diesem Zweck gerade in Anbetracht des anhängigen Titelverfahrens auch ständig – allenfalls unter Nennung eines Vertreters – erreichbar sein müsse. Einem Rechtsanwalt müsse allerdings zugebilligt werden, dass er die Entscheidung am Zustelltag lese und in ihrer Bedeutung erfasse, bevor er mit dem Entscheidungsträger der Klägerin Kontakt aufnehme. Das Erstgericht sei deshalb zutreffend davon ausgegangen, dass die Umsetzung der einstweiligen Verfügung durch die Klägerin erst im Lauf des 29. Juni 2017 erfolgen hätte können. Hingegen sei nicht nachvollziehbar, wieso es der Klägerin nicht bereits am Freitag, dem 30. Juni 2017 möglich gewesen sein hätte sollen, sich titelgemäß zu verhalten und die Waren aus dem Verkauf zu nehmen.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands hinsichtlich jedes einzelnen Verstoßes 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision zu, weil sich Rechtsfragen der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO gestellt hätten, und zwar einerseits wie die Beweislast im Impugnationsverfahren bei selektiven Vertriebssystemen verteilt sei, wenn lediglich der Produzent bei der Ermittlung der Herkunft der Waren mithelfen könne, dies aber verweigere, und andererseits dahin, wie rasch eine einstweilige Verfügung umzusetzen sei, die ein Unterlassungsgebot enthalte und im Elektronischen Rechtsverkehr zugestellt worden sei.
Die Revision der Klägerin ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Fragen der Beweislastverteilung stellen sich nur dann, wenn ein Beweis für eine strittige, entscheidungswesentliche Tatsache nicht erbracht werden kann (RIS-Justiz RS0039875). Liegen hingegen entsprechende (positive) Tatsachenfeststellungen vor, spielt es keine Rolle mehr, wen die Beweislast trifft (RIS-Justiz RS0039939 [T23, T26, T29]). Da im Impugnationsverfahren – anders als im Titelverfahren, in dem insoweit Negativfeststellungen getroffen wurden – positiv feststeht, dass die inkriminierten Verkäufe Waren betrafen, die außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums erstmals in Verkehr gebracht worden waren, kommt es hier auf die von der Klägerin ausführlich thematisierte Frage der Beweislastverteilung bei Markenrechtsverletzungen in selektiven Vertriebssystemen nicht an.
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist mangelfrei, wenn es nachvollziehbare Überlegungen über die
Beweiswürdigung anstellt und in seinem Urteil festhält (RIS-Justiz RS0043150 [T1]). Dies hat das Berufungsgericht entgegen der Behauptung der Klägerin getan.
3. Als aktenwidrig rügt die Klägerin die Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach sie bestrebt sei, an den Vertriebshändlern der Beklagten vorbei über den Graumarkt günstigere Waren zu erwerben, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Dieser behaupteten Aktenwidrigkeit fehlt allerdings von vornherein die erforderliche Relevanz (vgl RIS-Justiz RS0043265), weil es im Impugnationsverfahren nur darauf ankommt, ob die Klägerin die behaupteten Verstöße begangen hat und ob sie daran ein Verschulden trifft.
4. Mit der Behauptung, das Unterlassungsgebot sei überhaupt nicht vollstreckbar, weil es der Klägerin ohne Mitwirkung der Beklagten nicht möglich sei, deren von der einstweiligen Verfügung betroffene Produkte von den davon nicht berührten zu unterscheiden, zeigt die Revision ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage auf. Aus der ins Treffen geführten mangelnden Exequierbarkeit einer Verpflichtung zur Vornahme einer unvertretbaren Handlung, die nicht ausschließlich vom Willen des Verpflichteten abhängt, nach § 354 EO (vgl dazu RIS-Justiz RS0004396), lässt sich für die Vollstreckbarkeit des hier zu beurteilenden, nach § 355 EO durchzusetzenden Unterlassungsgebots nichts gewinnen. Dass die Klägerin durchaus in der Lage war, dem Unterlassungstitel zu entsprechen, ist schon dadurch evident, dass sie mit E-Mail vom 7. Juli 2017 an ihre Filialleiter veranlasste, sämtliche Produkte der Beklagten aus den Regalen zu nehmen. Der ihr durch diese Maßnahme und den damit verbundenen Verkaufsstopp auch für die nicht dem Titel widersprechenden Produkte der Beklagten zweifellos entstehende wirtschaftliche Nachteil ist in diesem Zusammenhang irrelevant.
5. Soweit die Klägerin damit argumentiert, dass ihr deshalb kein Verschulden an den Titelverstößen anzulasten sei, weil die Beklagte für Dritte vollkommen ununterscheidbare Ware selbst in Verkehr bringe und dann unter Berufung auf ihr Markenrecht die Unterlassung des Verkaufs einzelner für Dritte wie die Klägerin nicht identifizierbarer Warenstücke bei sonstiger Strafe fordere, gleichzeitig aber die nur ihr allein mögliche Mithilfe bei der Unterscheidung und Aussortierung der betroffenen Ware verweigere, wendet sie sich inhaltlich in Wahrheit gegen die Berechtigung des titulierten Unterlassungsanspruchs der Beklagten, die jedoch weder im Exekutions- noch im Impugnationsverfahren zu überprüfen ist.
6. Daher gelingt es der Klägerin mit ihrer weiteren Behauptung, bis zur Zustellung der Kopie des Exekutionsantrags am 3. Juli 2017 habe sie nicht bewusst gegen die einstweilige Verfügung verstoßen, weil sie die vom Titel erfassten Produkte ohne Mitwirkung der Beklagten nicht habe identifizieren können, ebenfalls nicht, ihr mangelndes Verschulden an der verspäteten Befolgung des Unterlassungsgebots – und damit eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung der Vorinstanzen – darzutun.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Textnummer
E124455European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2019:0030OB00015.19F.0220.000Im RIS seit
04.04.2019Zuletzt aktualisiert am
04.04.2019