Entscheidungsdatum
10.01.2019Norm
B-VG Art.133 Abs4Spruch
W209 2178062-1/5E
Beschluss
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Vorsitzenden und den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer in der Beschwerdesache des XXXX, XXXX, XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumsservice, Landesstelle Oberösterreich, vom 16.11.2017, OB: 410-601939-005, betreffend Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form des Ersatzes des Verdienstentganges beschlossen:
A)
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid der belangten Behörde (im Folgenden SMS) vom 16.11.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 26.06.2017 auf Gewährung einer Hilfeleistung in Form des Ersatzes des Verdienstentganges nach dem VOG abgewiesen. Begründend führte das SMS aus, der Beschwerdeführer habe vorgebracht, dass er aufgrund an ihm begangener Menschenrechtsverletzungen eine schwere Gesundheitsschädigung erlitten habe, weswegen er zwangspensioniert worden sei und ihm dadurch ein Verdienstentgang entstanden sei. Außer dem Vorbringen des Beschwerdeführers hätten sich keine Hinweise ergeben, die das Vorliegen einer vorsätzlichen Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 1 VOG als wahrscheinlich erscheinen ließen. Die Anzeigen des Beschwerdeführers an die Staatsanwaltschaft hätten keinen Erfolg gebracht. Die Behauptungen des Beschwerdeführers alleine seien nicht ausreichend, um mit der geforderten Wahrscheinlichkeit das Vorliegen derartiger Straftaten zu bejahen. Ein Parteiengehör zu den ohne weiteres Ermittlungsverfahren getroffenen Feststellungen des SMS wurde nicht eingeräumt.
2. Dagegen richtet sich die binnen offener Rechtsmittelfrist erhobene Beschwerde, die im Wesentlichen damit begründet wird, dass das SMS seiner Ermittlungspflicht nicht nachgekommen sei, indem es weder den Beschwerdeführer noch seinen behandelnden Arzt befragt habe. Fakt sei, dass ihm eine schwere Menschenrechtsverletzung widerfahren sei, die eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach sich gezogen habe. Dass die Justiz seine Anzeigen nicht weiterverfolgt habe, könne nicht als Begründung für die Ablehnung seines Antrages herangezogen werden. Der Täter sei über seinen sich zusehends verschlechternden Gesundheitszustand genau informiert gewesen. Es habe sich um eine berufliche und psychosoziale Hinrichtung gehandelt. Man habe ihn schlicht loswerden wollen und alles darangesetzt, ihn aus dem Weg zu räumen. Damit sei auch der Tatbestand der Folter erfüllt. Nichtsdestotrotz sei der von ihm immer wieder erhobene Foltervorwurf nie untersucht worden. Auch dies stelle eine Straftat dar. Aus einem der Beschwerde beigelegten Konvolut - darunter eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft - ergibt sich, dass der Beschwerdeführer als Landesbeamter des Landes Oberösterreich aufgrund dauernder Dienstunfähigkeit gegen seinen Wunsch in den Ruhestand versetzt wurde, wobei die in der Beschwerde behaupteten Straftaten und die daraus resultierende Gesundheitsschädigung durch das Pensionierungsverfahren bewirkt worden sein sollen. Der Beschwerdeführer macht hierfür den Altlandeshauptmann XXXX als damals dienstrechtlich und politisch verantwortliches oberstes Organ des Landes Oberösterreich persönlich verantwortlich. Aus der im Konvolut enthaltenen Strafanzeige und dem darin enthaltenen "Hinrichtungsprotokoll XXXX" ergeht, dass der Beschwerdeführer als Sozialarbeiter und Bediensteter des Landes Oberösterreich 1984 von der Jugendwohlfahrt der Bezirkshauptmannschaft XXXX in eine Drogenberatungsstelle nach XXXX versetzt worden sei, wo katastrophale Arbeitsbedingungen geherrscht hätten und es unterschiedliche Auffassungen in Bezug auf die Drogenberatung gegeben habe. Danach sei der Beschwerdeführer entgegen seinem Willen zur Hälfte der Gesellschaft XXXX dienstzugeteilt worden. Nach der Schließung der Drogenberatungsstelle sei er schließlich zur Gänze der genannten Gesellschaft dienstzugeteilt worden. Als er sich geweigert habe, sein Dienstverhältnis zum Land zu lösen und ganz zu
XXXX zu wechseln, um dort die Leitung einer neuen Einrichtung zu übernehmen, sei er wieder zur Jugendwohlfahrt der Bezirkshauptmannschaft XXXX zurückgekehrt. Dort sei der Empfang frostig gewesen. In weiterer Folge sei er mehrere Male ungerechtfertigter Weise bei Beförderungen übergangen worden bzw. habe man seinen Wünschen bezüglich einer beruflichen Veränderung (Versetzung) sowie einer Reduzierung der Arbeitszeit nicht entsprochen. Dies offensichtlich aufgrund der Tatsache, dass er 1984 aus der Kirche ausgetreten sei und sich dadurch die persönliche Feindschaft des Bezirkshauptmanns zugezogen habe. Dies habe schließlich dazu geführt, dass er einen schweren Nervenzusammenbruch erlitten habe. Nur die Gedanken an seine Frau und seine Kinder hätten ihn veranlasst, sich nicht mit einem Strick aufzuhängen. Die darauffolgende amtsärztliche Untersuchung seitens des Landessanitätsdirektors sei für ihn die tiefste Demütigung überhaupt gewesen, da er - einst Sozialarbeiter in der Psychiatrie - nun selbst zu einem "Fall" geworden sei. Dem Ersuchen des Beschwerdeführers, ihm "die entwürdigende Untersuchung und eine weitere Eskalation zu ersparen", sei man nicht nachgekommen. Schließlich habe der Beschwerdeführer 1993 die Diagnose "endogene Depression mit neurotischen Mechanismen" erhalten, welche die Dienstunfähigkeit bedeutet habe. Aus heutiger Sicht wisse er, dass seine Frustrationsverarbeitungsfähigkeit schon durch die Misshandlungen, die er im Stift XXXX erfahren habe, schwer vorgeschädigt gewesen sei.
3. Am 28.11.2017 einlangend legte die belangte Behörde die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor und teilte ergänzend mit, dass dem Beschwerdeführer mit Bescheid des SMS vom 09.11.2017 rückwirkend ab 01.07.2017 eine Leistung in Höhe von € 300,00 monatlich nach dem Heimopferrentengesetz zuerkannt worden sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBI. 12013/10, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 9d Abs. 1 VOG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem ein fachkundiger Laienrichter angehört. Es liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. 12013/33 i.d.F. BGBI. 12013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes AgrVG, BGBl, Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
Der Beschwerdeführer begehrt die Gewährung einer Hilfeleistung in Form des Ersatzes des Verdienstentganges nach den Bestimmungen des VOG.
Gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 VOG haben österreichische Staatsbürger Anspruch auf Hilfe, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben und dadurch ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.
Gemäß § 1 Abs. 3 VOG ist wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit Hilfe nur zu leisten, wenn dieser Zustand voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird oder durch die Handlung nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wird.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet somit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ausgeführt hat, kommt eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt hat oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.
Derartige gravierende Verfahrensmängel, die das Verwaltungsgericht berechtigen, die Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen zurückzuverweisen, liegen im gegenständlichen Fall vor:
Voraussetzung für eine Hilfeleistung nach dem VOG ist u.a., dass erheblich mehr für als gegen das Vorliegen einer Vorsatztat spricht (VwGH 26.04.2013, 2012/11/0001). Die belangte Behörde stützte ihre Annahme, im vorliegenden Fall spreche erheblich mehr gegen das Vorliegen einer Vorsatztat als dafür, lediglich darauf, dass die Anzeigen des Beschwerdeführers nicht zu einer Anklageerhebung geführt hätten. Aus einer Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 190 Z 2 StPO folgt aber ebenso wenig zwingend wie aus dem Unterbleiben einer Anklage, dass die von § 1 VOG geforderte Wahrscheinlichkeit einer Tatbegehung nicht gegeben ist. Die Behörde hat vielmehr, so nicht eine bindende strafgerichtliche Verurteilung vorliegt, eine eigenständige, auf Feststellungen gegründete und schlüssige Beurteilung vorzunehmen (VwGH 21.08.2014, 2013/11/0251). Derartige Feststellungen hat das SMS nicht getroffen. Insbesondere hat es es unterlassen, den Beschwerdeführer einzuvernehmen, obwohl es sich dadurch einen persönlichen Eindruck von seiner Glaubwürdigkeit verschaffen hätte können.
Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer auch einen Missbrauch im Stift XXXX und eine daraus resultierende Gesundheitsschädigung behauptet.
Durch die Unterlassung der Einvernahme des Beschwerdeführers und allfälliger Zeugen, die das Vorbringen bestätigen könnten, hat die belangte Behörde nicht alle verfügbaren Beweismittel genutzt, um entsprechende Feststellungen zum Vorliegen einer Straftat iSd § 1 Abs. 1 VOG treffen zu können. Dies offenkundig in der Erwartung, dass die mangelnde Beweisaufnahme in der Folge ohnehin durch das Verwaltungsgericht nachzuholen sein wird, womit das Verfahren im Sinne der oben aufgezeigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes an einem groben Verfahrensmangel leidet, der das Verwaltungsgericht berechtigt, die Angelegenheit zu Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde alle zweckmäßigen Ermittlungen zum Sachverhalt durchführen müssen, dies insbesondere im Hinblick auf die Frage des wahrscheinlichen Vorliegens einer mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung.
Sollte festgestellt werden, dass wahrscheinlich eine solche strafbare Handlung konkret vorliegt, hat die belangte Behörde in weiterer Folge ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen, das Aufschluss darüber gibt, ob eine Gesundheitsschädigung iSd § 1 Abs. 3 VOG vorliegt, die auf das angeschuldigte Ereignis zurückzuführen ist, und der Beschwerdeführer dadurch einen Verdienstentgang erlittenen hat.
Dabei wird der Beschwerdeführer in Wahrung des Parteiengehörs von den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Kenntnis zu setzen sein.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht liegt unter Berücksichtigung der bereits genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht im Sinne des Gesetzes. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist gegenständlich ebenfalls nicht ersichtlich.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Einvernahme, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W209.2178062.1.00Zuletzt aktualisiert am
20.02.2019