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E000 EU- Recht allgemein;Norm
11992E059 EGV Art59;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde der MK in B, vertreten durch Dr. Wolfgang Schimek, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Graben 42, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 14. Juni 1999, Zl. Senat-ME-98-095, betreffend Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Melk vom 21. September 1998 wurde die Beschwerdeführerin der Begehung folgender Verwaltungsübertretung für schuldig erkannt:
"Tatzeit: 19.8.1996
Tatort: B, R-Straße 2
Fahrzeug: Sattel-Kfz, Kennzeichen: ... und ...
Tatbeschreibung
Sie haben es als das gemäß § 9 Abs. 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 1991/52, zur Vertretung nach außen berufene Organ der K GesmbH, B, R-Straße 2, in der Funktion als handelsrechtlicher Geschäftsführer zu verantworten, dass diese Gesellschaft entgegen dem § 18 Ausländerbeschäftigungsgesetz die Arbeitsleistungen des slowakischen Staatsbürgers MR, geb. am 9.11.1954, in Anspruch genommen hat, ohne dass für diesen Ausländer eine Beschäftigungsbewilligung oder Entsendebewilligung erteilt wurde, indem dieser von der U mit dem Sitz in E, die über keinen Betriebssitz in Österreich verfügt, als Kraftfahrer beschäftigt wurde.
Dadurch übertretene Verwaltungsvorschriften, Geldstrafe und
sonstige Verfahrenskosten:
Übertretung gemäß § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. b in Verbindung mit
§ 18 Abs. 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz 1975"
Auf Grund von der von der Beschwerdeführerin erhobenen Berufung bestätigte die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid den Schuldspruch der Behörde erster Instanz und setzte die verhängte Geldstrafe (samt Ersatzfreiheitsstrafe) herab. Die belangte Behörde stellte folgenden Sachverhalt fest:
"Am Vorfallstag wurde ein der U mit dem Sitz in Luxemburg von der K GesmbH mit dem Sitz in Blindenmarkt erteilter Transportauftrag durch einen slowakischen Staatsbürger im Inland ausgeführt. Für den slowakischen Staatsbürger war der K GesmbH weder eine Beschäftigungsbewilligung noch eine Entsendebewilligung erteilt.
Erheblich ist im gegenständlichen Fall der Umstand, dass der slowakische Staatsbürger als Dienstnehmer der U Arbeitsleistungen im Inland erbracht hat, welche sich aus der Durchführung des Transportauftrages ergeben, der der UCL durch die K GesmbH in Form eines Subauftrages erteilt war. Unerheblich ist dabei, ob die von dem Ausländer im Inland erbrachten Arbeitsleistungen Be- oder Entladevorgänge umfassten bzw. ob es dabei, gegebenenfalls in welcher Phase immer, Leerfahrten gegeben hat oder nicht."
Rechtlich folgerte die belangte Behörde, aus dem festgestellten Sachverhalt gehe nicht hervor, dass die Ausnahmebestimmung des § 18 Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG - zur Anwendung gelangen könne. Es handle sich um eine gemäß § 18 Abs. 1 AuslBG bewilligungspflichtige Beschäftigung. Der Beschwerdeführerin sei jedenfalls fahrlässiges Verhalten bei Begehung der gegenständlichen Verwaltungsübertretung vorzuwerfen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 Abs. 2 VStG richtet sich die Strafe nach dem zur Zeit der Tat geltenden Recht, es sei denn, dass das zur Zeit der Fällung des Bescheides in erster Instanz geltende Recht für den Täter günstiger wäre. Die gegenständliche Tat wurde am 19. August 1996 begangen. Demgemäß ist das AuslBG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 201/1996 anzuwenden. Denn die von der belangten Behörde in der Gegenschrift erwähnte Novelle zum AuslBG, BGBl. I Nr. 78/1997, mit welcher "EU-rechtlichen Normen Rechnung getragen wurde", enthält keine im Hinblick auf den gegenständlichen Beschwerdefall für den Täter günstigere Normen (vgl. die Anfügung der Abs. 12 bis 16 an § 18 AuslBG, welche eine Anzeigepflicht des inländischen Beschäftigers und deren Folgen regeln).
Die Beschwerdeführerin rügt in der Beschwerde - wenngleich auch nur in dem Teil, welcher die "Anregung auf Fassung eines Vorlagebeschlusses gemäß § 38a VwGG auf Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH" zum Thema hat - die von der belangten Behörde vorgenommene Lösung der im gegenständlichen Fall vorliegenden Rechtsfrage der Bewilligungspflicht des slowakischen Arbeitnehmers, welcher Dienstnehmer eines in Luxemburg ansässigen Unternehmens sei, widerspreche Art. 59 (49 neu) des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EGV.
Der Anregung der Beschwerdeführerin auf "Fassung eines Vorlagebeschlusses" ist zwar nicht nachzukommen, weil die gegenständliche Rechtsfrage vom Europäischen Gerichtshof - EuGH - bereits hinreichend geklärt ist, doch zeigt die Beschwerdeführerin damit die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil sich die belangte Behörde mit der Vereinbarkeit ihrer Rechtsansicht mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaft im angefochtenen Bescheid nicht auseinandergesetzt hat.
Die unter dem Kapitel 3 über Dienstleistungen enthaltenen
Artikel 49 und Artikel 50 der konsolidierten Fassung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (vgl. die Kundmachung des Bundeskanzlers, BGBl. III, Nr. 86/1999) lauten:
ARTIKEL 49 (ex-Artikel 59)
"Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten.
Der Rat kann mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission beschließen, dass dieses Kapitel auch auf Erbringer von Dienstleistungen Anwendung findet, welche die Staatsangehörigkeit eines dritten Landes besitzen und innerhalb der Gemeinschaft ansässig sind.
ARTIKEL 50 (ex-Artikel 60)
Dienstleistungen im Sinne dieses Vertrags sind Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen.
Als Dienstleistungen gelten insbesondere:
a)
gewerbliche Tätigkeiten,
b)
kaufmännische Tätigkeiten,
c)
handwerkliche Tätigkeiten,
d)
freiberufliche Tätigkeiten.
Unbeschadet des Kapitels über die Niederlassungsfreiheit kann der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem Staat ausüben, in dem die Leistung erbracht wird, und zwar unter den Voraussetzungen, welche dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt."
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat seit seinem Urteil "van Binsbergen", Rechtssache 33/74, Slg. 1974,1299, in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die die Dienstleistungsfreiheit regelnden Artikel 49 (ex-Artikel 59) und 50 (ex-Artikel 60) EWG-Vertrag unmittelbar verbindlich sind und - ungeachtet entgegenstehenden nationalen Rechts - direkte Rechtsansprüche erzeugen.
In seinem Urteil vom 27. März 1990, Rush Portuguesa Lda gegen Office national d'immigration (Rechtssache C 113/89, Slg. 1989, I 1417) hat der EuGH ausgeführt, der in Art. 59 EWG-Vertrag (nunmehr Artikel 49) vorgesehene freie Dienstleistungsverkehr bedeute nach dem Wortlaut des Artikels 60 EWG-Vertrag (nunmehr Artikel 50), dass der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit vorübergehend in dem Staat ausüben könne, in dem die Leistung erbracht werde, und zwar "unter den Voraussetzungen, welche dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt". Infolgedessen würden die Art. 59 und 60 EWG-Vertrag einen Mitgliedstaat daran hindern, es einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Erbringer von Dienstleistungen zu verbieten, mit seinem gesamten Personal frei in das Gebiet des erstgenannten Staates einzureisen, oder die Einreise des betreffenden Personals von einschränkenden Bedingungen wie der Bedingung der Einstellung von Personal an Ort und Stelle oder der Pflicht zur Einholung einer Arbeitserlaubnis abhängig zu machen. Durch die Auferlegung solcher Bedingungen werde nämlich der Leistungserbringer aus einem anderen Mitgliedstaat gegenüber seinen im Aufnahmeland ansässigen Konkurrenten, die sich ihres eigenen Personals ungehindert bedienen könnten, diskriminiert und seine Fähigkeit, die Leistung zu erbringen, beeinträchtigt (vgl. die Randnummern 11 und 12 des genannten Urteils).
In seinem Urteil vom 9. August 1994, Raymond Vander Elst gegen Office des migrations internationales (Rechtssache C 43/93, Slg. 1994, I-3803) beantwortet der EuGH ein zu den Artikeln 59 und 60 des EWG-Vertrages gestelltes Ersuchen um Vorabentscheidung dahingehend, es laufe den Artikeln 59 und 60 EWG-Vertrag zuwider, dass ein Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Unternehmen, die zur Erbringung von Dienstleistungen auf seinem Gebiet tätig werden und die Angehörige von Drittstaaten ordnungsgemäß und dauerhaft beschäftigen, unter Androhung einer Geldbuße dazu verpflichte, für diese Arbeitnehmer bei einer nationalen Einwanderungsbehörde eine Arbeitserlaubnis einzuholen und die damit verbundenen Kosten zu tragen. Die Arbeitnehmer, die von einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen beschäftigt und vorübergehend zur Erbringung einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden, würden keinen Zutritt zum Arbeitsmarkt dieses zweiten Staates verlangen, da sie nach Erfüllung ihrer Aufgabe in ihr Herkunfts- oder Wohnsitzland zurückkehrten (vgl. Randnummer 21 des genannten Urteils).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund wäre auf Grund der anzuwendenden Rechtslage im gegenständlichen Fall von der belangten Behörde somit zu prüfen gewesen, ob der den slowakischen Dienstnehmer beschäftigende Arbeitgeber mit Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (Luxemburg), am 19. August 1996 den slowakischen Arbeitnehmer (= Drittstaatsangehöriger) im Mitgliedstaat Luxemburg und nach den in diesem Mitgliedstaat geltenden Bedingungen ordnungsgemäß und dauerhaft beschäftigt hat. Denn eine Bestrafung der Beschwerdeführerin aus dem Grunde, sie habe die Arbeitsleistungen eines Ausländers, der von einem ausländischen Arbeitgeber ohne einen im Bundesgebiet vorhandenen Betriebssitz im Inland beschäftigt wird, in Anspruch genommen, ohne dass für den Ausländer eine Beschäftigungsbewilligung oder Entsendebewilligung erteilt worden sei, könnte diesfalls mit Rücksicht auf die derart zu beachtende gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung Österreichs, den freien Dienstleistungsverkehr auch für drittstaatsangehörige Arbeitnehmer eines entsendenden Arbeitgebers zu gewährleisten, nicht in Betracht kommen (vgl. auch die Erörterung dieser Rechtsfragen in der Literatur: Walter Schrammel in ecolex 1997, Seite 724f, Wilhelm in ecolex 1996, Seite 149f, Risak in ecolex 1997, Seite 375f und Binder in DRdA 1999, Heft 1, Seite 1ff, sowie auch das Urteil des EuGH vom 3. Februar 1982, in den verbundenen Rechtssachen Seco und Desquenne und Giral gegen Etablissement d'Assurance contre La Vieillesse et l'Invalidite, Slg. 1982,Seite 0223). Ob (theoretisch) eine Bestrafung gemäß der ab 1. Jänner 1998 in Geltung stehenden Bestimmung des § 28 Abs. 1 Z. 5 lit. b AuslBG - eingeführt mit der Novelle BGBl. I Nr. 78/1997 - mit den im genannten Urteil "Vander Elst" enthaltenen Grundsätzen in Einklang zu bringen wäre, braucht vorläufig nicht beantwortet zu werden, weil diese Bestimmung auch unter Bedachtnahme auf § 1 Abs. 2 VStG im Beschwerdefall nicht anzuwenden ist (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 1999, Zl. 97/09/0262).
Es steht im Beschwerdefall nicht abschließend fest, ob die zur Last gelegte Übertretung des AuslBG vorgelegen bzw. von der Beschwerdeführerin zu verantworten ist.
Da die belangte Behörde somit die Rechtslage im dargelegten Sinn verkannte und derart aus dem Gesichtspunkt des Gemeinschaftsrechts relevante Ermittlungen bzw. Feststellungen unterlassen hat, die eine abschließende Beurteilung hinderten, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 15. Dezember 1999
Gerichtsentscheidung
EuGH 61989J0113 Rush Portuguesa VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999090160.X00Im RIS seit
22.10.2002Zuletzt aktualisiert am
02.11.2015