Entscheidungsdatum
01.08.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
1.) W103 1419119-3/4E
2.) W103 1419120-3/2E
3.) W103 1419121-3/2E
4.) W103 1419122-3/2E
5.) W103 1419123-3/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX ,
3.) XXXX , geb. XXXX , 4.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX , 5.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 07.05.2018, Zln.
1.) 810330002-14708577, 2.) 810330100-14708615, 3.) 810330209-14708658, 4.) 810330503-14708640, 5.) 8103330601-14708631, beschlossen:
A) Die Beschwerden werden gemäß § 9 Abs. 1 Z 3, 17, 28 Abs. 1 VwGVG
zurückgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Erstes Verfahren auf internationalen Schutz:
1.1. Die Erst- bis FünftbeschwerdeführerInnen, welche Staatsangehörige der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig sind, stellten am 06.04.2011 erste Anträge auf Gewährung internationalen Schutzes, nachdem sie zuvor unrechtmäßig in das Bundesgebiet eingereist waren. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und Eltern der jeweils minderjährigen Dritt- bis FünftbeschwerdeführerInnen. Zum Nachweis ihrer Identität wurden die russischen Inlandspässe des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin, der russische Führerschein des Erstbeschwerdeführers sowie die russischen Geburtsurkunden der Dritt- bis FünftbeschwerdeführerInnen vorgelegt.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin wurden am 06.04.2011 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.
Der Erstbeschwerdeführer gab im Wesentlichen an, dass es für ihn unmöglich gewesen sei, in Tschetschenien zu leben. Die erstgeborene Tochter sei im Jahr 2004 bei der Geburt im Spital gestorben. Es herrsche dort sehr schlechte medizinische Versorgung. Auch sein jüngster Sohn leide an Sauerstoffmangel im Gehirn. Er habe im Herkunftsstaat keine ausreichende medizinische Behandlung erhalten. Der Erstbeschwerdeführer habe auch Probleme mit den tschetschenischen Behörden gehabt. Das sei in kurzen Worten schwer zu erklären. Er werde dies aber bei den Asylbehörden näher erklären. Er sei von den föderalen und von den tschetschenischen Beamten geschlagen worden. Es sei unsicher für ihn und seine Familie in die Heimat zurückzukehren. Es würde keine Garantie geben, dass man lebendig zurückkehre, wenn man aus dem Haus gehe.
Die Zweitbeschwerdeführerin brachte anlässlich ihrer polizeilichen Erstbefragung vor, dass grundsätzlich dieselben Gründe wie bei ihrem Mann gelten.
Am 15.04.2011 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt jeweils im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache durch den zur Entscheidung berufenen Organwalter niederschriftlich einvernommen.
Der Erstbeschwerdeführer gab im Wesentlichen Folgendes an:
Er stehe derzeit nicht in ärztlicher Behandlung.
Er lege heute seinen russischen Inlandspass, eine Krankenversicherungskarte, eine Pensionsversicherungskarte und Zeugnisse vor.
Im Herkunftsstaat leben sechs Brüder und drei Schwestern des Erstbeschwerdeführers sowie Tanten, Cousins und Cousinen. Die Eltern des Beschwerdeführers seien im Jahr 2001 verstorben. Sie seien erkrankt, da der Erstbeschwerdeführer am 01.12.2000 halbtot geschlagen worden sei.
Der Erstbeschwerdeführer habe keinen Beruf erlernt. Er habe bis 2008 verschiedene Tätigkeiten als Hilfsarbeiter ausgeführt. 2008 sei er zusammengeschlagen worden und habe an einer Dislokation der Wirbelsäule gelitten. Sein Bruder habe ihn fortan unterstützt. Seine Brüder leben in Tschetschenien. Ein Bruder wohne in XXXX . Vor seiner Ausreise habe sich der Erstbeschwerdeführer im März 2011 in XXXX aufgehalten um sich medizinisch behandeln zu lassen. Er habe damals bei seinem Bruder gewohnt.
Der Erstbeschwerdeführer gab an, er habe seinen Herkunftsstaat verlassen, weil das Leben dort unerträglich sei. Man gehe hinaus und habe keine Garantie, dass man wieder heim komme. Es würde ein Marionettenregime mit einem aufgeblasenen Beamtenstaat geben. Im Jahr 2008 sei er geschlagen worden, weil es einen Auffahrunfall mit geringem Sachschaden gegeben habe. Am 08.08.2008 sei er mit dem Auto auf dem Nachhauseweg gewesen. Sein Bruder sei auch im Auto gewesen. Vor ihm seien zwei Autos gefahren. Hinter ihm ein Auto. Die Autos vor ihm haben plötzlich gebremst und er sei dem Auto hineingefahren. In allen drei Autos seien Kadyrovleute gesessen. Alle 15 Kadyrovleute haben den Erstbeschwerdeführer und seinen Bruder gleich auf der Straße verprügelt. Sie haben eine Gehirnerschütterung erlitten. Als der Erstbeschwerdeführer und sein Bruder diese Leute später zur Rechenschaft haben ziehen wollen, seien sie bedroht worden. Es sei eine lange Prozedur gewesen. Sie haben versucht deren Identität festzustellen. Die Prozedur dauere bis heute an. Befragt, wann die letzte Aktion gewesen sei, sagte der Erstbeschwerdeführer, man habe diese Sache auf die lange Bank geschoben. Es sei nichts passiert. Wenn man gesetzmäßig vorgehe, könne man sie nicht zur Verantwortung ziehen, weil sie selbst das Gesetz seien. Auf Nachfrage gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er selbst nichts gemacht habe. Seine Brüder haben die Prozeduren gemacht. Er sei ja krank gewesen. Er habe nur versucht von den Ärzten Bestätigungen über die Körperverletzungen zu bekommen. Aber niemand habe ihm so ein Papier ausgestellt.
Befragt, welche Aktionen es von den Kadyrovzi gegen seine Person nach diesem Vorfall noch gegeben habe, sagte der Erstbeschwerdeführer, er habe im Jahr 1998 unter einem Pseudonym ein Gedicht veröffentlicht und darin die Marionetten im Kreml beschimpft. Von einem Freund im Verlag habe er im Jahr 2010 erfahren, dass man sich für den Erstbeschwerdeführer interessiere. Sein Freund habe ihm geraten auszureisen, weil Leute, für die man sich interessiere, immer verschwinden. Auf Vorhalt, dass ein Interesse an seiner Person keine konkrete Suche sei, sagte der Erstbeschwerdeführer, er sei schon gesucht worden, weil es konkret geheißen habe, dass sie diese Person brauchen würden. Zu ihm nach Hause gekommen seien sie nicht, weil es ja unter einem Pseudonym erschienen sei. Sie hätten aber nur ihre Spitzel bemühen müssen, um ihn zu finden.
Befragt, wann der Erstbeschwerdeführer den Entschluss gefasst habe auszureisen, sagte er, er habe bereits 2004 ausreisen wollen, als man sein Kind umgebracht habe. Zu Beginn dieses Jahres habe er sich wieder entschlossen auszureisen, als sich die Möglichkeit ergeben habe. Befragt, warum er sich dann schon 2010 einen Pass ausstellen habe lassen, sagte der Erstbeschwerdeführer, jeder Erwachsene müsse einen Auslandsreisepass haben. Den Pass habe sein Bruder ausstellen lassen.
Der Erstbeschwerdeführer gab weiters an, dass sein jüngster Sohn einen Sauerstoffmangel habe. In Tschetschenien würde es verfälschte Medikamente und Nahrungsmittel geben. Das verwendete Impfserum habe Keime in sich. Er könne mit seinem Kind nicht zur Behandlung nach XXXX fahren, da das so eine weite Distanz sei. Er könnte in XXXX auch nirgends wohnen. Bei seinem Bruder könne er mit drei Kindern nicht wohnen.
Befragt warum er, wie eingangs erwähnt, im Jahr 2000 geschlagen worden sei, sagte der Erstbeschwerdeführer, es seien föderale Soldaten gewesen. Der Grund sei ein Filtrationslager und ein Wachposten gewesen. Er sei provoziert und grundlos geschlagen worden. Sie haben gesagt, dass er ein Scharfschütze sei. Der Erstbeschwerdeführer sei von Frauen aus einem Bus befreit worden.
Dem Erstbeschwerdeführer wurden aktuelle Länderberichte zur Lage im Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht. Der Erstbeschwerdeführer sagte, dass alles stimme, aber es sei noch schlimmer. Das könne nur einer wissen, der es am eigenen Leib erfahren habe.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Rahmen ihrer Befragung im Wesentlichen Folgendes zu Protokoll:
Zur gesundheitlichen Situation ihrer Kinder befragt gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass der minderjährige Fünftbeschwerdeführer krank sei und Anfälle habe. Er leide an einem angeborenen Sauerstoffmangel. In Russland habe er verschiedene Medikamente bekommen und sei wegen Epilepsie ständig kontrolliert worden. Die Medikamente aus Russland gebe sie ihm nach wie vor. In Österreich bekomme er Medikamente wegen seiner Erkältung. Er habe auch in Österreich schon einen Anfall gehabt. Die Drittbeschwerdeführerin habe Fieber und Krämpfe gehabt. Sie sei aber geheilt worden. Die Zweitbeschwerdeführerin leide an einem Schmerz vom Rücken bis in die Beine. Sie habe in Österreich Schmerzmittel bekommen. In Russland sei nichts gefunden worden. Ein Arzt in Tschetschenien habe ihr gesagt, dass es ein Gesäßnerv sei.
Die Zweitbeschwerdeführerin habe keine eigenen Fluchtgründe. Sie sei wegen ihres Mannes hier. Ihr Ehemann habe bereits 2004 ausreisen wollen, als das erste Kind verstorben sei. Sie habe damals abgelehnt. Jetzt habe ihr Mann ein Problem. Er habe irgendwelche Gedichte geschrieben und deshalb Probleme bekommen. Wann er diese Gedichte geschrieben habe wisse sie nicht. Das sei vor ihrer Ehe gewesen. Ein Freund ihres Mannes habe ihm mitgeteilt, dass der Verfasser des Gedichtes gesucht werde und sie daher ausreisen sollen. Befragt, ob es in den letzten Monaten vor der Ausreise irgendwelche Vorfälle gegeben habe, sagte die Zweitbeschwerdeführerin, dass ihr Mann nur selten zu Hause gewesen sei. Er habe ihr nicht gesagt, wo er sich aufhalte. Vor der Ausreise sei er noch in XXXX gewesen, weil er geschlagen worden sei und Rückenschmerzen gehabt habe. Er sei am 01.12.2000 geschlagen worden. Seither habe er Rückenprobleme. Er sei auch im Jahr 2008 bei einem Zwischenfall mit seinem Auto geschlagen worden. Die Zweitbeschwerdeführerin habe persönlich keine Probleme gehabt.
Im Herkunftsstaat leben ihre Eltern, ein Bruder und drei Schwestern sowie Tanten und Onkel.
Nach XXXX habe die Familie nicht ziehen können, da sie gewollt haben, dass sich die Kinder normal entwickeln. Die Bedingungen in XXXX unterscheiden sich nicht von den Bedingungen in Tschetschenien. Die Zweitbeschwerdeführerin sei wegen der Probleme ihres Mannes und zum Wohl ihrer Kinder ausgereist.
1.2. Mit Bescheiden jeweils vom 15.04.2011, Zln.: 11 03.300-BAT, 11 03.301-BAT, 11 03.302-BAT, 11 03.305-BAT und 11 03.306-BAT, wies das Bundesasylamt die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (= Spruchpunkt I.) und erkannte diesen den Status der Asylberechtigten nicht zu. Weiters erkannte das Bundesasylamt den beschwerdeführenden Parteien gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. den Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zu (= Spruchpunkt II.) und wies diese gemäß § 10 Abs. 1 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (= Spruchpunkt III.).
Begründend führte das Bundesasylamt im Bescheid betreffend den Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen aus, der Erstbeschwerdeführer habe eine aktuelle Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft machen können. So haben er und seine Gattin Vorfälle aus dem Jahr 2000 und 2008 angegeben, die weder in Zusammenhang gestanden seien noch weitere Konsequenzen einer folgenden Verfolgung oder Bedrohung nach sich gezogen haben. So habe er behauptet, dass er im Jahr 2000 auf einem Kontrollposten misshandelt worden sei. Dort sei er jedoch von vielen Frauen aus einem Bus befreit worden. Weitere Konsequenzen aufgrund dieses Vorfalles habe es nicht gegeben. Im Jahr 2008 habe er einen Verkehrsunfall mit Kadyrovzy gehabt, wobei er von diesen an Ort und Stelle verprügelt worden sei. Auch hier habe es weder weitere Bedrohungen, noch Anklagen oder sonstige Maßnahmen seinerseits gegeben, die zu weiteren Verfolgungshandlungen oder Repressalien geführt hätten. Die Ausreise im Jahr 2011 habe er hingegen damit begründet, dass er im Dezember 2010 gehört habe, dass nach dem Autor eines Gedichtes gesucht werden würde. Er selbst sei dieser Autor, hätte jedoch ein Pseudonym verwendet. Zu Verfolgungshandlungen gegen seine Person oder sonstigen konkreten gezielten Aktionen sei es nicht gekommen. Er habe jedoch aus Furcht das Land verlassen. Diese Angaben seien jedoch in keinster Weise glaubhaft gewesen. So sei dem Inlandspass und dem Inlandspass der Gattin zu entnehmen gewesen, dass er bereits im November 2010 Auslandspässe ausstellen habe lassen. Dies sei jedoch zu einem Zeitpunkt gewesen, als ihm der Umstand der Suche noch gar nicht bekannt gewesen sei und er angeblich auch noch nicht vor gehabt hätte das Land zu verlassen. Auch habe sowohl er, als auch seine Gattin zu verbergen versucht, dass er selbst die Auslandspässe bei der Passbehörde beschafft habe, habe diese Lüge jedoch aufgedeckt werden können. Es sei deutlich geworden, dass er bereits im Herbst 2010 die Ausreise geplant habe, somit schon vor der angeblichen Benachrichtigung von der Suche nach dem Verfasser des Gedichtes. Die Konstruktion des Fluchtgrundes liege auf der Hand und sie augenscheinlich gewesen. Zudem habe er behauptet, dass er bis zur Ausreise an der Wohnadresse gewohnt habe und bis auf die Zeit in XXXX auch zuhause gewesen sei. Die Gattin hingegen habe im Widerspruch zu behaupten versucht, dass der Erstbeschwerdeführer selten zuhause gewesen wäre.
Sein Vorbringen sei somit nicht glaubhaft beziehungsweise weise es keine Aktualität auf. Selbst wenn man seinem Vorbringen Glauben schenke, so weise sein Vorbringen keine Intensität im Sinne eines Konventionsgrundes auf. Zudem stehe ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. So könne er zum Bruder nach XXXX ziehen und hätte er so sowohl persönliche Anknüpfungspunkte, als auch die notwendige Unterstützung für einen Neustart.
Zum Gesundheitszustand seiner Kinder sei anzumerken, dass sein Sohn bereits in der Russischen Föderation in Behandlung gestanden sei, in Österreich hingegen nicht behandelt werde. Medikamentös behandle er seine Kinder immer noch mit den russischen Medikamenten. Ebenso werde auch seine Gattin in Österreich nur mit Schmerzmittel behandelt. In der Russischen Föderation sei die medizinische Versorgung in vollem Umfang erhältlich.
Da die gesamte Kernfamilie von der Ausweisung betroffen sei, greife diese auch nicht in deren Recht auf Achtung des Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK ein. Ein schützenswertes Privatleben iSd Art. 8 EMRK hätten sich die beschwerdeführenden Parteien mangels Setzung von Integrationsmaßnahmen in Österreich nicht aufgebaut, weswegen deren Ausweisung in die Russische Föderation zulässig sei.
1.3. Gegen die angeführten Bescheide erhoben die beschwerdeführenden Parteien am 29.04.2011 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, in welcher sie die Bescheide in ihrem vollen Umfang anfochten und im Wesentlichen Folgendes geltend machten: Sowohl der Vorfall im Jahr 2000, als auch die Vorfälle im Jahr 2004 und 2008 zeigen, dass die Familie aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit und ihrer mangelnden Unterwürfigkeit ständig Probleme mit den in ihrem Land herrschenden Trägern des Systems habe. Der Erstbeschwerdeführer sei schon immer Kritiker des Systems gewesen und habe auch schon 1998 kritische Texte veröffentlicht. Es gehe also aus dem gesamten Vorbringen hervor, dass sie früher oder später damit haben rechnen müssen, lebensbedrohlicher Verfolgung ausgesetzt zu sein. Es werde auf zahlreiche Länderberichte verwiesen, die als notorisch vorausgesetzt werden, wonach in Tschetschenien Menschenrechtverletzungen und willkürliche Verhaftungen an der Tagesordnung stehen. Auch der Behauptung sei entgegenzutreten, dass die von ihnen vorgetragenen Fluchtgründe nicht die im Sinne der GFK geforderte Intensität aufweisen. Zur Rechtslage, dass auch mehrere, im Einzelnen nicht sehr intensive Verfolgungshandlungen asylrelevant sein können, verweise der Erstbeschwerdeführer auf die herrschende Judikatur und Literatur. Hinsichtlich einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Form eines Umzuges seiner Familie nach XXXX sei zu sagen, dass es unmöglich sei, mit seiner ganzen Familie bei seinem Bruder zu leben. Außerdem wäre eine offizielle Registrierung, wie den Länderfeststellungen der belangten Behörde zu entnehmen sei, außerhalb Tschetscheniens kaum möglich. Aufgrund dieser Feststellungen sei davon auszugehen, dass ein Leben ohne Registrierung im Untergrund wohl nicht den Zumutbarkeitsvoraussetzungen einer innerstaatlichen Fluchtalternative entspreche und daher für die Familie nicht in Frage komme.
Zu den gesundheitlichen Problemen der der Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Fünftbeschwerdeführers sei anzumerken, dass die Familie erst seit kurzer Zeit in Österreich sei und die notwendigen Behandlungen erst angelaufen seien. Die Tatsache, dass der Fünftbeschwerdeführer derzeit noch mit Medikamenten versorgt werde, die der Bruder des Beschwerdeführers in XXXX organisiert habe, bedeute nicht, dass dies eine adäquate, sondern bis dato die einzig ihnen offen stehende Behandlungsmöglichkeit darstelle. Da schon eines ihrer Kinder wegen mangelnder medizinischer Versorgung, die ihnen aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit verwehrt worden sei, gestorben sei, befürchten sie eine Wiederholung dieser Vorgangsweise und würde eine Rückkehr in ihre Heimat eine besondere Gefährdung des Kindes darstellen.
Im Akt findet sich ein undatiertes, handschriftlich verfasstes Schreiben des Erstbeschwerdeführers, mit dem er ein Konvolut an medizinischen Befunden betreffend den minderjährigen Fünftbeschwerdeführer in russischer Sprache vorlegt. Weiters führt der Erstbeschwerdeführer darin aus, dass er das von ihm veröffentlichte Gedicht nicht mehr finden könne. Seine Mutter habe alle seine Papiere, Entwürfe und Zeitungen verbrannt, da sie Angst vor Verfolgung gehabt habe.
Mit Schreiben vom 25.10.2011 beantragten die beschwerdeführenden Parteien die Beigabe eines Rechtsberaters. Mit Verfahrensanordnungen des Asylgerichtshofes vom 08.11.2011, wurde diesen gemäß § 75 Abs. 16 iVm § 66 AsylG 2005 ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
Mit Schreiben vom 26.03.2013 legte der Erstbeschwerdeführer ein Konvolut an medizinischen Befunden vor, und zwar:
* Fachärztliche Stellungnahme einer Fachärztin für Psychiatrie vom 21.02.2013, wonach der Erstbeschwerdeführer an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leide;
* Digitaler EEG-Videomonitoringbefund eines Krankenhauses, Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde, vom 21.02.2013, betreffend den Fünftbeschwerdeführer, wonach das EEG "am Rande der altersentsprechenden Norm" sei und es "keine eindeutigen Herdzeichen" und "keine Paroxysmen" gäbe;
* Laborbefund vom 22.02.2013 betreffend den Fünftbeschwerdeführer;
* Laborbefund vom 21.02.2013 betreffend den Fünftbeschwerdeführer;
* Ambulanzbefund vom 21.02.2013 betreffend den Fünftbeschwerdeführer, wonach er wegen "Symptomatischer Epilepsie" und "St. p. Commotio cerebri" behandelt worden sei.
Am 16.07.2013 langte ein Schreiben beim Asylgerichtshof ein und wurde ein Konvolut an medizinischen Unterlagen betreffend den minderjährigen Fünftbeschwerdeführer vorgelegt. Außerdem liegen dem Schreiben zwei Schreiben in russischer Sprache bei, aus denen hervorgehe, dass sich die Geschwister des Beschwerdeführers von diesem und seinem Bruder abgewandt haben.
1.4. Am 03.10.2013 führte der erkennende Senat des Asylgerichtshofes eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und ein Dolmetscher für die russische Sprache teilgenommen haben. Das Bundesasylamt teilte mit Schreiben vom 12.09.2013 mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei, beantragte jedoch aufgrund der gegebenen Aktenlage die Abweisung der Beschwerde.
In dieser Verhandlung legte der Erstbeschwerdeführer folgende Unterlagen vor:
* Konvolut an medizinischen Unterlagen betreffend den Fünftbeschwerdeführer, wonach dieser zusammengefasst an Epilepsie und Großwuchs leide;
* Fachärztliche Stellungnahme einer Fachärztin für Psychiatrie vom 21.02.2013, wonach der Erstbeschwerdeführer an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leide;
* Stationärer Entlassungsbericht eines Krankenhauses, Abteilung für Neurochirurgie, vom 10.09.2012, wonach die Zweitbeschwerdeführerin wegen "Diskusprolaps L4/L5, Lumboischalgie L5 links, St. p. sectio" behandelt worden sei;
* Konvolut an Empfehlungsschreiben für die Familie, Deutschkurs-Teilnahmebestätigungen der Eltern und Schulbesuchsbestätigungen der Kinder.
Mit Schriftsatz vom 29.10.2013 langte ein Schreiben der XXXX betreffend den Erstbeschwerdeführer ein, in dem eine Psychotherapeutin die "typischen Merkmale einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung zu Folge sequentieller Traumatisierung im Krieg" diagnostiziert.
1.5. Mit im Familienverfahren ergangenen Erkenntnissen des Asylgerichtshofs vom 12.11.2013 wurden die oben angeführten Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung jeweils gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011, als unbegründet abgewiesen.
Beweiswürdigend wurden in Bezug auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers insbesondere die folgenden Erwägungen getroffen:
"(...)
Bereits das Bundesasylamt hat die vom Beschwerdeführer präsentierte Fluchtgeschichte bzw. Bedrohungssituation als nicht glaubhaft bzw. nicht asylrelevant gewertet, da das Vorbringen keine Aktualität sowie keine Intensität im Sinne eines Konventionsgrundes aufweise. Die belangte Behörde bemängelte unter anderem, dass die vom Beschwerdeführer und seiner Ehefrau geschilderten Vorfälle aus dem Jahr 2000 und 2008 weder in einem Zusammenhang gestanden seien noch weitere Konsequenzen einer folgenden Verfolgung oder Bedrohung nach sich gezogen haben. In der Beschwerdeverhandlung hätte der Beschwerdeführer die Möglichkeit gehabt, den erkennenden Senat von der Asylrelevanz und Aktualität seines Vorbringens zu überzeugen. Dies ist ihm aber nicht gelungen. Der Beschwerdeführer schilderte vielmehr wiederum die gleichen Vorfälle aus dem Jahr 2000 und 2008 sowie die angeblichen Probleme wegen eines Gedichtes, das er im Jahr 1998 veröffentlicht haben soll. Dass er und seine Familie zum Zeitpunkt der Ausreise im Jahr 2011 eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten gehabt haben, konnte er aber nicht glaubhaft machen. In der Beschwerdeverhandlung sind außerdem Widersprüche zwischen den Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau zutage getreten. Dadurch wurde nicht nur der Eindruck der mangelnden Asylrelevanz verstärkt, sondern sind überhaupt erhebliche Zweifel an der grundsätzlichen Glaubwürdigkeit des Vorbringens hinzugekommen. Bereits bei oberflächlicher Durchsicht des oben wieder gegebenen Verhandlungsprotokolls - auch im Vergleich zu den im Verfahrensgang kurz zusammengefassten Einvernahmen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau vor dem Bundesasylamt - wird augenscheinlich ersichtlich, dass es sich bei den Angaben des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau in ihren Asylverfahren offensichtlich um ein asylzweckbezogen angelegtes, in der geschilderten Form aber weder asylrelevantes noch glaubwürdiges Vorbringen handelt.
Vorweg ist zu erwähnen, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung - beispielsweise zu Details vom Unfall im Jahr 2008 befragt - angibt, er könne keine Einzelheiten schildern, weil er damals eine Gehirnerschütterung davon getragen habe und sich daher nicht mehr erinnern könne. Diese Rechtfertigung ist allerdings aus Sicht des erkennenden Senates lediglich als Schutzbehauptung zu werten, zumal der Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerdeverhandlung - wie auch dem Einvernahmeprotokoll zu entnehmen ist - im Wesentlichen durchaus flüssige und ausführliche Angaben machen konnte und somit der Eindruck entsteht, dass er zu manchen Ereignissen deswegen keine detaillierten Angaben machen kann oder will, weil diese Ereignisse tatsächlich nicht in der geschilderten Form passiert sind.
Doch selbst wenn die vorgegebenen Erinnerungslücken medizinisch begründbar sein sollten, würde dieser Umstand keinesfalls zur Glaubwürdigkeit des Vorbringens führen, da auch die vorgetragenen Begebenheiten, an die er sich erinnern konnte, im Ergebnis zur Unglaubwürdigkeit führen, wie in der Folge auszuführen sein wird (eine fachärztliche Abklärung dieser Erinnerungslücken konnte daher aus verfahrensökonomischen Gründen unterbleiben).
In der Beschwerdeverhandlung machte der Beschwerdeführer als Fluchtgründe - wie bereits beim Bundesasylamt - einen Vorfall aus dem Jahr 2000 geltend, als er von russischen Behörden bei einem Kontrollposten halbtot geschlagen worden sei. Weiters erwähnte er einen Verkehrsunfall aus dem Jahr 2008, in den er und sein Bruder sowie Kadyrovzi verwickelt gewesen seien, welche den Beschwerdeführer und seinen Bruder an Ort und Stelle verprügelt haben. Schließlich gab der Beschwerdeführer auch an, dass er im Jahr 1998 ein regimekritisches Gedicht geschrieben habe und er im Jahr 2010 von Freunden erfahren habe, dass die Kadyrovzi deshalb nach ihm suchen.
Wie schon die belangte Behörde zu Recht festgestellt hat, konnte diesen geschilderten Vorfällen weder Aktualität noch Asylrelevanz beigemessen werden. Auch ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass zwischen den einzelnen Ereignissen überhaupt kein Zusammenhang erkennbar ist. Betrachtet man den Vorfall im Jahr 2000, so stellt der Beschwerdeführer die Situation in der Beschwerdeverhandlung so dar, als dass er auf dem Weg zu seiner Arbeit mehrere Wachposten passieren habe müssen und damals bei einem dieser Wachposten "entweder meine Nerven oder die Nerven der Wachleute es nicht ausgehalten haben" und es zu einer "inadäquaten Reaktion" gekommen sei und der Beschwerdeführer von den Soldaten verprügelt worden sei. Der Vorfall hat sich also aus der Situation heraus ergeben, eine geplante, konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungshandlungen ist darin aber keineswegs zu erblicken. Abgesehen davon fällt diesem Vorfall jedenfalls - wie bereits erwähnt - der zeitliche Konnex zur Ausreise im Jahr 2011. Laut gängiger Judikatur des VwGH muss die Asylrelevanz zum Zeitpunkt der Ausreise gegeben sein und sind Umstände die schon längere Zeit vor der Ausreise zurückliegen nicht mehr beachtlich, die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung muss vielmehr bis zu Ausreise andauern. (VwGH 27.06.1995, 94/20/0689).
Im Wesentlichen das Gleiche gilt für die Ereignisse im Jahr 1998, als der Beschwerdeführer ein regimekritisches Gedicht veröffentlicht haben will. In der Beschwerdeverhandlung gab er an, dass er in der zweiten Jahreshälfte 2010 von einem Freund die Nachricht erhalten habe, dass man im Verlag Erkundigungen über den Verfasser des Gedichtes eingezogen habe. Danach habe sich der Beschwerdeführer versteckt gehalten, weil er wisse, was mit Leuten passiere, die so etwas geschrieben haben. Man könnte ihn deswegen umbringen. Die Befürchtungen des Beschwerdeführers beruhen aber auf sehr vagen Anhaltspunkten. Er wurde von den russischen Behörden weder befragt noch mitgenommen und gibt es - abgesehen von der wenig konkreten Warnung seines Freundes - keinerlei Anzeichen dafür, dass der Beschwerdeführer wegen des 1998 veröffentlichen Gedichtes im Jahr 2010 irgendwelche Probleme mit den Behörden bekommen hat. Der vorsitzende Richter hielt dem Beschwerdeführer auch vor, dass es gerade in Anbetracht der politischen Veränderung in Tschetschenien außerordentlich lebensfern erscheine, dass ein Gedicht, das heute 14 Jahre alt sei, dem Beschwerdeführer zum Verhängnis werde. Der Beschwerdeführer hatte diesem Vorhalt auch in keiner Weise etwas entgegen zu setzen, sondern gab lediglich an, dass dieses Gedicht Leute inspiriere und man außerdem eine Verbindung mit der anderen Angelegenheit herstellen könnte um ihn deshalb zu liquidieren.
Was den Vorfall vom 08.08.2008 betrifft, als der Beschwerdeführer und sein Bruder in einen Auffahrunfall mit Fahrzeugen der Kadyrovzi verwickelt gewesen seien und daraufhin von den Kadyrovzi schwer misshandelt worden sein sollen, so ist wiederum darauf hinzuweisen, dass sich dieses Ereignis - geht man vom Wahrheitsgehalt der Aussagen aus - drei Jahre vor der Ausreise des Beschwerdeführers abgespielt hat und somit der zeitliche Konnex zur Ausreise fehlt. Dass der Beschwerdeführer selbst danach noch irgendwelche Probleme mit den russischen Behörden gehabt hat, machte er explizit nicht geltend. Er sprach in der Verhandlung - und auch schon beim Bundesasylamt - nur davon, dass er bzw. sein Bruder "Prozeduren oder Verfahren gegen die Kadyrov- Leute eingeleitet" haben. Wie diese Verfahren konkret ausgesehen haben, konnte der Beschwerdeführer aber weder beim Bundesasylamt noch in der Beschwerdeverhandlung angeben.
Abgesehen von der mangelnden zeitlichen Aktualität und Intensität der geschilderten Vorfälle ist dem Beschwerdeführer aber auch - wie bereits erwähnt - vorzuhalten, dass sein Vorbringen in der Beschwerdeverhandlung, insbesondere im Verhältnis zu den Aussagen seiner Ehefrau, widersprüchlich ist. Beispielsweise machten der Beschwerdeführer und seine Ehefrau unterschiedliche Angaben rund um den Vorfall am 08.08.2008. Der Beschwerdeführer gab an, er habe auswärts gearbeitet und telefonischen Kontakt via Mobiltelefon zu seiner Ehefrau gehabt. Er habe einmal am Tag, nach der Arbeit, mit seiner Ehefrau und den Kindern telefoniert. Am 08.08. sei die Geburtstagsparty seiner Tochter gewesen und er habe noch vor dem Unfall mit seiner Ehefrau telefoniert und ihr gesagt, dass der Bruder und er sich auf den Heimweg machen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers gab hingegen an, dass sie nicht sehr oft mit ihrem Ehemann telefoniert habe, vielleicht einmal pro Woche, jedenfalls aber nicht täglich. Auf Vorhalt der Aussage ihres Ehemannes, dass sie täglich telefoniert haben, sagte die Ehefrau, das stimme nicht. Sie haben zwar immer nach der Arbeit telefoniert, aber eben nicht täglich. Außerdem sagte die Ehefrau des Beschwerdeführers, dass sie am 08.08. nicht mit ihrem Mann telefoniert habe. Es sei bereits vor seiner Abreise besprochen worden, dass er zur Geburtstagsfeier der Tochter komme. Auf Vorhalt der Aussage ihres Mannes, wonach er sich am 08.08. angerufen habe, sagte die Ehefrau des Beschwerdeführers, sie wisse es nicht. Vielleicht habe er es jemandem anderen gesagt, zu ihr aber nicht.
Völlig lebensfern sind die Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau zum Verhalten der Ehefrau an jenem 08.08.2008. Der vorsitzende Richter fragte die Ehefrau wie sie am 08.08.2008 reagiert habe, zumal der Beschwerdeführer zum vereinbarten Termin nicht erschienen war. Die Ehefrau erwiderte, dass sie normal reagiert habe. Ihr Ehemann sei oft monatelang weg gewesen. Es habe sich natürlich die Frage ergeben, warum er nicht komme. Er habe aber häufig Vereinbarungen nicht eingehalten. Die Ehefrau gab an, dass sie erst ein Monat danach von Verwandten erfahren habe, was mit dem Beschwerdeführer geschehen sei. Der Beschwerdeführer selbst erklärte in der Beschwerdeverhandlung, dass eine Frau in Tschetschenien ihren Mann nicht fragen dürfe, weshalb er nicht komme. Sie dürfe ihre Sorgen nicht äußern und auch nicht fragen. Diese Erklärung überzeugt allerdings in keiner Weise. Auch in Anbetracht der anderen Lebensgewohnheiten in Tschetschenien würde es doch der Lebenserfahrung entsprechen, dass man sich erkundigt, wenn jemand zu einer vereinbarten Geburtstagsfeier der Tochter nicht erscheint.
Schwer vorstellbar bzw. widersprüchlich sind schließlich auch die Angaben des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau zu einigen Aspekten der Ausreise. Die Ehefrau gab in der Beschwerdeverhandlung an, die Familie habe XXXX mit einem LKW verlassen. Sie erinnere sich weder an die Farbe des Fahrzeuges noch könne sie angeben, wofür dieses Fahrzeug normalerweise benutzt werde. Auf Vorhalt, dass der Ehemann zuvor angegeben habe, mit dem LKW werde normalerweise Baumaterial transportiert und befragt, ob ihr da nichts aufgefallen sei, zumal LKW, die Baumaterial transportieren, entsprechend verschmutzt seien, erwiderte die Ehefrau, sie habe nur gesehen, dass Kisten und Fässer im LKW gewesen seien. Weiters erzählte der Beschwerdeführer, dass sie während der Fahrt mit dem LKW von Russland nach Europa einmal einen Halt gemacht und in einem Hotel übernachtet haben. Die Ehefrau gab widersprüchlich dazu an, dass sie zwar während der Fahrt eine längere Pause gemacht haben, erwähnte aber ausdrücklich - auch nach Vorhalt der Aussagen ihres Ehemannes -, dass sie nicht außerhalb des Fahrzeuges geschlafen haben. Diese widersprüchlichen und nicht nachvollziehbaren Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau zu den Umständen der Ausreise führen zu erheblichen Zweifeln bezüglich ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit.
Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau waren daher mit ihren Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht in der Lage, das als nicht asylrelevant und nicht aktuell gewertete Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren zu konkretisieren und glaubhaft zu machen, sondern kamen Ungereimtheiten und Widersprüche hinzu. Der Eindruck, dass das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau nicht der Wahrheit entspricht, jedenfalls aber nicht asylrelevant ist, und der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat somit tatsächlich keine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hat, wurde nach Durchführung der Beschwerdeverhandlung bestätigt. Zusammenfassend ist daher auszuführen, dass es dem Beschwerdeführer mit seinen Angaben in seinem Asylverfahren in keinerlei Hinsicht gelungen ist, glaubhaft, schlüssig und nachvollziehbar darzulegen, in der Russischen Föderation respektive Tschetschenien einer Verfolgung ausgesetzt zu sein. Für den erkennenden Senat des Asylgerichtshofes liegt vielmehr letztlich klar auf der Hand, dass die vom Beschwerdeführer präsentierten Fluchtgeschichten als nicht asylrelevant gewertet werden müssen und der Beschwerdeführer die Russische Föderation allein wegen der allgemein schlechten Lage bzw. wegen des Wunsches nach Veränderung bzw. nach Verbesserung seiner wirtschaftlichen Situation verlassen hat.
(...)"
In Hinblick auf die Zweitbeschwerdeführerin sowie die minderjährigen Dritt- bis FünftbeschwerdeführerInnen wurde im Wesentlichen erwogen, dass in deren jeweiligen Asylverfahren keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht worden seien, sondern diese wegen der Probleme des Erstbeschwerdeführers gemeinsam mit diesem ausgereist seien. Die seitens des Erstbeschwerdeführers geschilderte Bedrohungssituation sei als nicht glaubhaft bzw. nicht asylrelevant zu werten, da das Vorbringen keine Aktualität sowie keine Intensität im Sinne eines Konventionsgrundes aufweise. Daher sei auch das gleichlautende bzw. sich darauf beziehende Vorbringen der Zweit- bis FünftbeschwerdeführerInnen als unglaubwürdig bzw. nicht asylrelevant zu werten.
In Hinblick auf den Gesundheitszustand des minderjährigen Fünftbeschwerdeführers wurden insbesondere die folgenden Erwägungen getroffen:
"Zum Gesundheitszustand des minderjährigen Beschwerdeführers ist auszuführen, dass der Beschwerdeführer an Symptomatischer Epilepsie, Status post "Commotio cerebri" (Gehirnerschütterung), sowie Großwuchs leidet. Dies ergibt sich aus den von den Eltern des Beschwerdeführers mittels Schriftsätzen und im Rahmen der Beschwerdeverhandlung zahlreich vorgelegten medizinischen Unterlagen. Die Epilepsieerkrankung wird in Österreich behandelt und hat eine telefonische Rückfrage des vorsitzenden Richters des Asylgerichtshofes beim behandelnden Arzt des Beschwerdeführers ergeben, dass die medikamentöse Einstellung derzeit erfolgreich ist. Die verwendeten Medikamente sind weltweit verfügbar, da es sich keinesfalls um ausgefallene Medikamente handelt (siehe Aktenvermerk vom 11.10.2013, Zl. D13 419123-1/2011/9Z). Zu erwähnen ist auch, dass die Mutter des Beschwerdeführers in der Einvernahme beim Bundesasylamt am 15.04.2011 ausdrücklich angegeben hat, dass der Beschwerdeführer bereits im Herkunftsstaat wegen der epileptischen Anfälle medikamentös behandelt und ständig ärztlichen Kontrollen unterzogen worden sei. Auch zu Beginn seines Aufenthaltes wurde der Beschwerdeführer mit diesen aus der Russischen Föderation mitgebrachten Medikamenten behandelt. Diesen Aussagen sowie den Länderfeststellungen, welche den Eltern des Beschwerdeführers im Rahmen der Beschwerdeverhandlung zur Kenntnis gebracht wurden, ist somit offenkundig zu entnehmen, dass in der Russischen Föderation nicht nur eine ausreichende medizinische Grundversorgung, sondern die für die spezifische Erkrankung des Beschwerdeführers medizinische Versorgung gewährleistet ist. Dem Beschwerdeführer wird daher bei einer Rückkehr - so wie bereits vor seiner Ausreise - medizinische Hilfe in ausreichendem Maße zu teil werden.(...)"
Die angeführten Erkenntnisse erwuchsen infolge ordnungsgemäßer Zustellung in Rechtskraft.
2. Zweites Verfahren auf internationalen Schutz:
2.1. Am 13.06.2014 wurden die beschwerdeführenden Parteien im Rahmen des Dublin-Verfahrens aus der Schweiz nach Österreich rücküberstellt und brachten in der Folge die verfahrensgegenständlichen zweiten Anträge auf internationalen Schutz ein, zu welchen die erst- und die zweitbeschwerdeführenden Parteien am 16.06.2014 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurden.
Nach den Gründen seiner neuerlichen Antragstellung auf internationalen Schutz gefragt, brachte der Erstbeschwerdeführer zusammenfassend vor, von seinem Bruder im Jahr 2011 nach Österreich geschickt worden zu sein, da es in der Heimat zu gefährlich für ihn gewesen sei. Der Erstbeschwerdeführer habe Probleme mit den Leuten von Kadyrow gehabt, er sei von diesen geschlagen worden. Der Bruder des Erstbeschwerdeführers sei in die Schweiz geflüchtet, dessen Frau sei zu Hause geblieben. Auf die Frage nach dem Vorliegen neuer Gründe gab der Erstbeschwerdeführer an, im Juni von der Frau seines Bruders erfahren zu haben, dass die Leute Kadyrow's den Sohn seines Bruders zu entführen versucht hätten, um diesen zur Rückkehr zu bewegen. Das Kind sei weggelaufen, auf einen Baum geklettert und von diesem heruntergefallen. Dabei habe es das Bewusstsein verloren und sei folglich nicht entführt worden; das Kind sei jedoch seither Invalide. Die neuen Gründe seien dem Erstbeschwerdeführer seit Juni letzten Jahres bekannt.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab nach den Gründen ihrer neuerlichen Antragstellung befragt an, es gebe neue Gründe betreffend ihren Mann. Man habe versucht, das Kind ihres Schwagers zu entführen, um ihren Mann und ihren Schwager zur Rückkehr zu bewegen. Das Kind sei beim Entführungsversuch von einem Baum gefallen. Als die Leute gesehen hätten, dass es am Kopf blute, haben sie es liegen lassen und seien weggefahren, das Kind sei seitdem Invalide. Die Zweitbeschwerdeführerin fürchte, dass ihren Kindern dasselbe passieren könnte wie dem Kind ihres Schwagers, auch habe sie Angst um das Leben ihres Mannes.
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin wurden am 09.07.2014 jeweils im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.
Die Befragung des Erstbeschwerdeführers nahm im Wesentlichen den folgenden Verlauf:
"(...)
LA: Haben Sie Familienangehörige oder Verwandte in Ihrem Herkunftsland, wenn ja, welche?
VP: Meine Familienangehörigen, d.s. drei Brüder, haben ein offizielles Schreiben verfasst, dass sie sich offiziell von mir abgewandt haben, damit sie in der Heimat keine Probleme bekommen. Auf Nachfrage gebe ich an, dass ich nicht genau weiß, wann dieses Schreiben ausgestellt wurde, ich habe es in meinem Zimmer. Auf Nachfrage gebe ich an, meine Brüder heißen (...). Meine drei Schwestern, zwei sind verheiratet, die dritte ist Invalide und deswegen nicht verheiratet. Sie heißen (...).
Anm.: Der AW wird aufgefordert, dieses Schreiben beim Parteienverkehr abzugeben.
LA: Stehen Sie in Kontakt mit Familienangehörigen oder Verwandten in Ihrem Herkunftsland?
VP: Zu den Brüdern habe ich keinen Kontakt, nur mit Schwester XXXX habe ich hin und wieder telefonischen Kontakt.
LA: Wie haben Sie vor Ihrer Ausreise aus Ihrem Heimatland Ihren Lebensunterhalt bestritten?
VP: Ich war als Gesellschafter beteiligt an einer Firma für Kunststofffenster, die zerstörte Stadt XXXX , die mittlerweile wieder aufgebaut wird, meine Firma hat am Wiederaufbau mitgewirkt. Auf Nachfrage gebe ich an, dass ich in XXXX gearbeitet habe, mit meiner Familie habe ich in (...) gewohnt, das ist ca. 70 km von XXXX entfernt. Ich habe bei meinem Bruder XXXX in (...) gewohnt. Dieser Bruder lebt jetzt in der Schweiz.
LA: Wenn Sie sich zum jetzigen Zeitpunkt in Ihrem Heimatland aufhalten würden, könnten Sie auf dieselbe Art und Weise Ihren Lebensunterhalt bestreiten, wie vor Verlassen Ihres Heimatlandes?
VP: Ich kann denselben Job für andere Firmen machen, aber meine Firma existiert nicht mehr. Aber das ist jetzt nicht möglich, wenn ich jetzt zurückkehren würde, würde man mich umbringen.
LA: Geben Sie sämtliche Zeiträume bekannt, in welchen Sie sich in Österreich aufgehalten haben.
VP: von 6.4.2011 bis 1.12.2013, in die Schweiz gefahren, und dann wieder seit 13.6.2014 in Österreich.
LA: Sie haben in Österreich bereits ein Asylverfahren geführt, welches rechtskräftig abgeschlossen wurde. Geben Sie sämtliche Gründe an, weswegen Sie neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz stellen?
VP: Ich habe einen negativen Bescheid bekommen und mir wurde empfohlen das Land zu verlassen. Das habe ich auch getan ohne eine Berufung einzubringen. Im Jänner 2014 ist die Gattin meines Bruders in die Schweiz eingereist und hat uns gesagt, dass wir in Tschetschenien gesucht werden, man hat versucht dort, den Sohn des Bruders zu entführen um ihn als Geisel zu benutzen um damit die Rückkehr seines Vaters nach Tschetschenien zu zwingen. Auf Nachfrage gebe ich an, dass mein Bruder zu dem Zeitpunkt der versuchten Entführung in der Schweiz war, die Frau meines Bruders konnte die Entführung verhindern und mit allen Kindern in die Schweiz flüchten.
LA: Wann ist die versuchte Entführung passiert?
VP: Dieser Versuch fand am 15.6.2013 statt, auf Nachfrage gebe ich an, dass ich zum ersten Mal am 8.1.2014 erfahren, von der Frau meines Bruders, die zu diesem Zeitpunkt in die Schweiz gekommen ist.
LA: Bei der Erstbefragung haben Sie ausgesagt, dass Sie von dem Vorfall bereits im Juni 2013 durch Ihren Bruder Kenntnis hatten. Erläutern Sie das nochmal.
VP: Ich habe gewusst, dass es einen Unfall gab, dass das Kind von einem Baum gefallen ist und das Kind mit dem Kopf auf ein Metallrohr gefallen ist, aber das es sich dabei um einen Entführungsversuch handelte, habe ich erst im Jänner 2014 erfahren. Das Kind ist jetzt Invalide.
LA: Gibt es einen Beweis dafür, dass es sich um einen Entführungsversuch gehandelt hat und wer wollte dieses Kind entführen?
VP: Meine Schwägerin hat das bei der Schweizer Asylbehörde angegeben, sie hat auch Unterlagen, die wir eventuell besorgen könnten. Auf nochmalige Nachfrage gebe ich an, dass maskierte Männer das Kind entführen wollten, dadurch wurde die genaue Identität verborgen.
LA: Von wem werden Sie verfolgt, von wem wurden diese maskierten Männer geschickt?
VP: Das sind die lokalen Innenministerium-Behörden in Tschetschenien, angeführt von XXXX Auf Nachfrage gebe ich an, im Jahr 2008 ist nach einem Verkehrsunfall zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen unseren Familien gekommen. Jetzt missbraucht er seine Stellung als Polizeibeamter um sich an uns zu rächen. Diese Auseinandersetzung würde zu einer Blutfehde ausarten, falls es auf einer Seite zu einem Opfer kommt.
LA: Haben Sie sämtliche Gründe für die neuerliche Antragstellung angeführt?
VP: Dieser Konflikt ist nach wie vor akut und ich bin sicher, dass im Falle einer Rückkehr auch eines meiner Kinder entführen würden, um mich zu zwingen mich zu stellen. Auf Nachfrage gebe ich an, es herrscht in Tschetschenien eine Gesetzlosigkeit; wenn ich wüsste, dass ich vor ein richtiges Gericht gestellt würde, wäre ich beruhigt, da ich in einer Verhandlung meine Unschuld beweisen könnte. Dort ist es jedoch so, dass ich im Falle einer Verhaftung verschwinden würde und niemand könnte mich retten.
LA: Seit wann Ihre Befürchtungen?
VP: Seit 8.8.2008 und in den Jahren danach ist der Konflikt zwischen den Familien immer größer geworden.
LA: Seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist beabsichtigt, Ihren Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, nachdem sich im Vergleich zu Ihrem Erstverfahren kein neuer und wesentlich geänderter Sachverhalt ergeben hat. Möchten Sie dazu etwas angeben?
VP: Ich habe zwar im Juni 2013 erfahren, dass mein Neffe verunglückt ist, jedoch erst im Jänner 2014, dass es sich dabei um einen Entführungsversuch gehandelt hat. Ich kann nicht nach Tschetschenien zurückkehren, da sich meine Brüder von mir losgesagt haben, die Bestätigung bringe ich nach.
(...)
LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint?
VP: Ich habe bei der zweiten Einvernahme, auf Nachfrage gebe ich an, dass dies am 3.10.2013, gefragt, ob die Angaben meines Bruders in der Schweiz für mein Asylverfahren in Betracht kommen. Man hat mir gesagt, dass ich das nachbringen soll, das habe ich jetzt auch mit. Ich glaube dass das der Grund für den negativen Bescheid war, dass ich die Unterlagen meines Bruders zu Bestärkung meines Ansuchens nicht rechtzeitig vorlegen konnte.
Anm.: Dem AW wird mitgeteilt, dass er diese Unterlagen zum Parteienverkehr bringen soll.
LA: Haben Sie den Dolmetscher verstanden?
VP: Ja. (...)"
Die Zweitbeschwerdeführerin tätigte anlässlich ihrer Einvernahme im Wesentlichen die folgenden Angaben:
"(...)
LA: Sie haben in Österreich bereits ein Asylverfahren geführt, welches rechtskräftig abgeschlossen wurde. Geben Sie sämtliche Gründe an, weswegen Sie neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz stellen?
VP: Im Jänner 2014 habe ich von meiner Schwägerin in der Schweiz erfahren, dass ihr Kind bei einem Entführungsversuch von einem Baum gefallen ist und jetzt behindert ist. Wir können nicht zurückkehren, ich habe Angst, dass dasselbe auch mit meinen Kindern passieren könnte.
LA: Haben Sie sämtliche Gründe für die neuerliche Antragstellung angeführt?
VP: Ja, ich habe persönlich keine Probleme, das sind die Probleme die von meinem Gatten ausgehen und sich auf mich und meine Kinder ausbreiten. Nachgefragt gebe ich an, dass für meine Kinder das Gleiche gilt wie für mich. Ich habe Heimweh, ich würde gerne zu meiner Mutter zurückgehen, aber ich kann nicht, ich kann meine Kinder nicht gefährden. (Anm.: AW weint) Ich brauche nur die Sicherheit für meine Kinder, ich brauche sonst nichts. Wir sind seit sechs Jahren auf der Flucht und es gibt noch keine Aussicht auf Sicherheit.
LA: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland?
VP: Ich habe große Angst, dass eines meiner Kinder entführt werden wird, damit sie meinen Mann erpressen können. Nachgefragt gebe ich an, dass ich die Leute nicht kenne, die uns bedrohen. Ich weiß nur von meinem Mann, dass seine Familie mit einer anderen Familie Probleme hat und diese Familie ist sehr einflussreich und setzt ihn unter Druck.
LA: Seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist beabsichtigt, Ihren Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, nachdem sich im Vergleich zu Ihrem Erstverfahren kein neuer und wesentlich geänderter Sachverhalt ergeben hat. Möchten Sie dazu etwas angeben?
VP: Ich möchte (Anm.: AW weint) die Möglichkeit bekommen, hier mit meinen Kindern und mit meinem Gatten in Sicherheit zu sein, weil das Leben meiner Kinder und meines Ehemannes in Tschetschenien gefährdet sind. Außerdem leidet eines meiner Kinder an Epilepsie und ich bin auch aus dem Grund sehr schlecht mit den Nerven, ich bin müde von den sechs Jahren Flucht und der Ungewissheit.
(...)
LA: Ich beende jetzt die Befragung. Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint?
VP: Ich möchte noch sagen, wir möchten hier nur solange bleiben, bis sich die Lage in Tschetschenien beruhigt hat, danach sind wir bereit zurückzukehren. Wir sind auch bereit zu arbeiten, um für unseren Aufenthalt selbst sorgen zu können, falls das erlaubt und möglich ist.
(...)"
Am 23.09.2014 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine ergänzende Einvernahme des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin statt, welche jeweils im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin für die tschetschenische Sprache abgehalten wurde.
Die Befragung des Erstbeschwerdeführers gestaltete sich in ihren gegenständlich relevanten Teilen wie folgt:
"(...)
LA: Wann waren Sie zuletzt in der Russischen Föderation?
VP: Im März 2011 bevor ich ausreiste, war ich zuletzt in XXXX für eine medizinische Behandlung und habe versucht ein Ausreisevisum zu bekommen, seither nicht mehr.
LA: Wie war/ist das Verhältnis zu Ihren Angehörigen?
VP: Ich habe zurzeit nur Kontakt zu einer Schwester und einem Bruder, der in der Schweiz ist. Meine anderen Brüder haben sich von mir losgesagt, sie hatten genug, dass sie immer von Maskierten belästigt wurden. Nachgefragt - Vor der Flucht hatte ich normale, gute Beziehungen zu allen Geschwistern.
LA: Haben Sie auch zu den Verwandten Ihrer Frau Kontakt?
VP: Nein.
LA: Wo leben Ihre Verwandten jetzt?
VP: Meine Schwester lebt in meinem Haus an der Adresse (...). Sie lebt dort mit zwei Kindern. Ich habe noch eine Schwester, die ist behindert, die lebt auch dort. Ein Bruder lebt in der Stadt XXXX , zwei Brüder leben im Dorf XXXX , meine Eltern sind schon verstorben. Ein Bruder lebt in XXXX , ein Bruder in Sibirien XXXX , zu ihm haben wir schon lange keinen Kontakt mehr. Wenn ich zu allen kontakt habe, zirkuliert mehr Information und das wäre gefährlicher. Die Tschetschenen reden gerne, deshalb muss man immer aufpassen, was man wem sagt, denn es wird alles weitergetragen.
LA: Wieso haben Sie zum Bruder in Sibirien keinen Kontakt mehr?
VP: Er ist weggefahren und hat sich lange nicht gemeldet. Wir haben einmal versucht, ihn zu erreichen, das war nicht möglich. Wir wissen überhaupt nicht, ob er noch in der Stadt lebt. Nachgefragt - das war schon vor dem ersten Krieg.
LA: Wann hatten Sie zuletzt Kontakt zu Ihren Verwandten?
VP: Zu meiner Schwester hatte ich letzte Woche über Skype Kontakt. Wir haben dort zwar schlechtes Internet, aber man kann schreibend korrespondieren.
LA: Worum ging es bei diesem Gespräch?
VP: Der Gegenstand der Unterhaltung war, dass mein Bruder in der Schweiz und ich nicht erreichbar waren, dass meine Schwester von irgendwoher gehört hätte, dass wir weggefahren seien, weil irgendwelche Leute gekommen sind. Thema war die schlechte Qualität der Internetverbindung. Sie wollte wissen, wo wir sind.
(...)
LA: Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
VP: Nicht besonders gut. Das Alter hat mich eingeholt.
LA: Sind Sie in ärztlicher Behandlung, nehmen Sie irgendwelche Medikamente?
VP: Nein. Ich hatte Probleme mit dem Rücken, das wurde aber in XXXX erfolgreich behandelt. Und ich habe Probleme mit dem Gehör, da werde ich aber nicht behandelt.
LA: Verfügen Sie über Eigentum in Österreich, zum Beispiel eine Wohnung?
VP: Nein.
LA: Wovon leben Sie bzw. wie bestreiten Sie hier in Österreich Ihren Lebensunterhalt?
VP: Ich lebe in Bundesbetreuung in XXXX .
LA: Haben Sie in Österreich Verwandte?
VP: Nein.
LA: Besuchen Sie jetzt in Österreich Kurse (z.B. Deutschkurs) oder machen Sie Ausbildungen?
VP: Ja. Nachgefragt - montags und mittwochs ist in der Unterkunft ein Kurs. Nachgefragt - ich gehe immer. Ich erkläre dann meiner Frau immer das Kursmaterial, das ich bekomme.
LA: Wie gut sprechen Sie Deutsch? (in Deutsch)
VP: Ein bisschen (Auf Deutsch geantwortet).
LA: (Anm.: auf Deutsch gefragt) Nennen Sie Ihren Namen und Ihre Wohnanschrift? (ANM.: fragt auf Russisch nach, Frage wird 3 Mal wiederholt).
VP: (...).
(Auf Russisch:) Ich muss immer nachfragen, wegen meines Gehörs!
LA: Arbeiten Sie in Österreich? (auf Deutsch)
VP: (Antwort auf Russisch) Nein, ich arbeite hier nicht. Wir sind an einem sehr abgelegenen Ort, da gibt es auch keine Schwarzarbeit. Und wir haben ein krankes Kind. Es muss immer einer beim Kind sein. Nachgefragt - XXXX ist heute mit.
LA: Sind Sie Mitglied in einem Verein, oder einer Organisation hier in Österreich?
VP: Nein.
LA: Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Mit wem haben Sie Kontakt?
VP: Wir haben dort Nachbarn, mit denen wir uns angefreundet haben, wir bekochen uns gegenseitig, im Sinne einer guten Integration. Wir haben gute Beziehungen dort.
LA: Haben Sie österreichische Freunde oder sonstige soziale Kontakte zu Österreichern?