TE Bvwg Erkenntnis 2018/7/30 W196 2189445-1

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Veröffentlicht am 30.07.2018
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Entscheidungsdatum

30.07.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z3
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W196 2189445-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, aliasXXXX, geb. am XXXX, StA Weißrussland, vertreten durch ARGE-Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.02.2018, Zl. 1031586400-14977551, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3 und 57 AsylG 2005, §§ 9, §§ 46, 52 und 55 FPG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruchteil VII. des angefochtenen Bescheides wie folgt zu lauten hat:

"Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wird gemäß § 18 Abs. 1 Z 3 und 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.".

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Weißrussland, reiste zu einem unbestimmten Zeitpunkt illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 18.09.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er ledig sei und die Sprache Russisch in Wort und Schrift beherrsche. Er bekenne sich zum christlichen Glauben und gehöre der Volksgruppe der Weißrussen an. Er habe von 2002 bis 2010 die Grundschule und sodann ein weiteres Jahr eine Ausbildung in der Polizeischule absolviert. Im Herkunftsstaat würden sich noch die Eltern des Beschwerdeführers befinden. Zu seinem Fluchtgrund führte er an, dass es in der Polizeischule zwei Kollegen gegeben habe, die Drogengeld entgegengenommen hätten. Der Beschwerdeführer habe das melden wollen und sei er von den beiden Kollegen, die älter und ranghöher gewesen seien, bedroht worden. Diese Männer hätten sich mit ihm getroffen und sei der Beschwerdeführer im Zuge dessen am Kopf verletzt worden und in Ohnmacht gefallen. Daraufhin hätten sie ihn mit einem Auto zu einem ihm unbekannten Ort gebracht und sei er aufgefordert worden, auszusteigen. Diese Männer hätten zum Beschwerdeführer gesagt, dass er zu viel wisse und würde er jemals zurückkehren, würden sie ihn umbringen.

Am 12.01.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen und wurde er nach allgemeiner Belehrung aufgefordert den bei seinen Eltern im Herkunftsstaat befindlichen Dienstausweis binnen dreier Tage der Behörde vorzulegen. Weiters gab er an gesund und in der Lage zu sein der Befragung zu folgen sowie wahrheitsgemäße Angaben zu tätigen. Auf Vorhalt bei der Erstbefragung eine falsche Identität angegeben zu haben führte der Beschwerdeführer an, dass er vor den Weißrussen in Österreich Angst gehabt habe und habe er nicht gewusst, wie die Verfahren hier abgewickelt werden würden. Seinen ersten Ladungstermin habe er "dummerweise" vergessen. Weiters gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er der Volksgruppe der Weißrussen gehöre, Russisch-orthodoxen Glaubens, sowie ledig und kinderlos sei. Er spreche die Sprachen Russisch, Weißrussisch und Deutsch. Im Herkunftsstaat würden sich die Mutter und die Brüder des Beschwerdeführers befinden, denen es gut gehe und zu denen er in Kontakt stehe, und sei sein Vater im April 2017 verstorben. Überdies habe er noch Freunde und Bekannte im Herkunftsstaat. Von 1996 bis 2006 habe er die Grundschule besucht und eine einjährige Ausbildung zum Koch gemacht. Danach habe er ein halbes Jahr ein Polizeipraktikum absolviert und ein weiteres halbes Jahr bei der Polizei gearbeitet. Der Beschwerdeführer habe im Elternhaus gelebt und sei es ihm und seiner Familie finanziell mittelmäßig gegangen. Er sei selbsterhaltungsfähig gewesen und habe als Koch und bis vor seiner Ausreise als Polizeiassistent gearbeitet. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer an, dass jene aus der Erstbefragung stimmen würden und er dem nichts hinzuzufügen habe. Befragt gab er weiters zu Protokoll, dass er bei der Polizei keinen Dienstgrad gehabt habe und bei der Patrouilleneinheit (PPS) gewesen sei; er habe auf der Straße für Ordnung gesorgt und dauere diese Ausbildung ein halbes Jahr, ansonsten ein Jahr oder länger. Er sei immer einem Bezirk zugeteilt geworden und habe von 08:00 bis 17:00 oder von 17:00 bis 23:00 gearbeitet. Eine Waffe habe er auch getragen, und zwar einen Pfefferspray und einen Gummiknüppel, jedoch habe er diese nie verwenden müssen und habe er auch niemals Menschen getötet. Der Beschwerdeführer wisse nicht mehr, wann er den Vorfall mit dem Drogengeld mitbekommen habe. Es sei irgendwann im Sommer 2014 gewesen und habe er gesehen, wie ein Mann seinen Kollegen Geld gegeben habe. Da er ihnen gesagt habe, dass er das melden werde, hätten sie begonnen ihn mündlich zu bedrohen. Ein paar Tage später hätten sie ein Treffen vereinbart, wo sie den Beschwerdeführer am Kopf geschlagen, in ein Auto gesetzt und nach Österreich gebracht hätten. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass das nicht das erste Mal gewesen sei, dass er so etwas beobachtet hätte, jedoch habe er gedacht, dass es bald aufhören würde. Der Beschwerdeführer habe es den Vorgesetzten nicht gemeldet, weil einer seiner Kollegen einen Verwandten unter den leitenden Beamten gehabt habe. Dennoch habe der Beschwerdeführer den beiden gedroht, es zu melden. Auf Vorhalt, wonach die Behörde dem Vorbringen keinen Glauben schenke führte der Beschwerdeführer an, dass er tatsächlich geglaubt habe, dass seine Kollegen durch seine "Meldedrohung" damit aufhören würden und sei er verfolgt worden, weil sie dachten, dass er es tatsächlich tun würde. Der Beschwerdeführer wisse jedenfalls nicht, ob es bei der Fahrt hierher Grenzkontrollen gegeben habe; vielleicht hätten seine Kollegen Kontakte zu den Zollbehörden gehabt. Er habe im Heimatland niemals Probleme mit den Behörden gehabt und werde auch nicht von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht oder aus bestimmten Gründen (politische Gesinnung, Rasse, Nationalität, Religion) verfolgt. Im Bundesgebiet lebe der privat bei einem russischen Freund, welcher ihn finanziell unterstütze. Er habe in der Vergangenheit in einem Tierheim und als Koch in der Flüchtlingsunterkunft gearbeitet und einen Deutschkurs besucht. Er habe keinen Schulabschluss, der der allgemeinen Universitätsreife entspricht oder Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule und sei überdies nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation. Er habe in Österreich auch keine Schule, Kurse oder sonstigen Ausbildungen absolviert. Der Beschwerdeführer habe keine Verwandten im Bundesgebiet.

Die Verfahrensidentität des Beschwerdeführers wurde abgeändert und eine neue Verfahrenskarte ausgestellt.

Am Ende der Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit in die Länderberichte zur Situation im Herkunftsstaat Einsicht zu nehmen und einer Abgabe einer Stellungnahme gegeben. Dazu gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er sich schon auskenne und verzichtete auf die Abgabe einer diesbezüglichen Stellungnahme.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Belarus (Weißrussland) gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Ferner wurde dem Beschwerdeführer unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Belarus (Weißrussland) gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.) und wurde weiters unter Spruchpunkt VII. gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aberkannt.

Dem Bescheid wurden die entsprechenden Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zu Grunde gelegt. Festgehalten wurde, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Weißrussland sei und seine Identität nicht feststehe. Er sei ledig, kinderlos und gesund und sei einem Erwerb nachgegangen. Es sei nicht glaubhaft, dass er einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei und sei dem Beschwerdeführer eine Rückkehr zumutbar und möglich. Beweiswürdigend führte die Behörde im Wesentlichen aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet sei Asyl zu begründen und gehe die Behörde weiters davon aus, dass ihm auch keine Gefahren drohen, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Der Beschwerdeführer habe auch keine Schritte zur Integration gesetzt. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Spruchpunkt I., dass der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt nicht asylrelevant sei, womit keine Grundlage für eine Subsumierung unter § 3 AsylG 2005 habe festgestellt werden können. Er habe im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt keinerlei Umstände vorgebracht, die die Annahme rechtfertigen würden, dass er persönlich in seinem Heimatstaat Verfolgungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt gewesen sei. Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass beim Beschwerdeführer keine individuellen Umstände vorlägen, die dafür sprechen würden, dass er bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine derart extreme Notlage geraten würde, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen würde. Da der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig sei, sei auf der Grundlage der Länderfeststellungen davon auszugehen, dass er sich im Fall einer Rückkehr eine neue Existenz werde aufbauen können. Zudem habe er genügend familiäre Anknüpfungspunkte. Der Beschwerdeführer erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 und wurde weiters unter Spruchpunkt IV. mit näherer Begründung darauf verwiesen, dass im Verfahren keine Ansatzpunkte hervorgetreten seien, die die Vermutung einer besonderen Integration der Person des Beschwerdeführers in Österreich rechtfertigen würden. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde wurde damit begründet, dass der Beschwerdeführer seine wahre Identität verschleiert habe, keine Verfolgungsgründe vorgebrachte habe und das Vorbringen offensichtlich nicht den Tatsachen entspreche.

Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes vom 15.02.2018 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

Gegen den oben angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhob der Beschwerdeführer durch seine rechtsfreundliche Vertretung mit Schriftsatz vom 14.03.2018 fristgerecht Beschwerde. Im Wesentlichen wurde nach Zusammenfassung des bisherigen Verfahrensganges sowie der Fluchtgründe moniert, dass das behördliche Verfahren mangelhaft sei, zumal aktuelle Länderberichte fehlen würden und es dem Beschwerdeführer überdies auch insgesamt gelungen sei, die fluchtkausalen Momente detailliert und umfassend zu schildern. Für den Fall einer Rückkehr sei die Verletzung seiner in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte nicht ausgeschlossen und sei auch aus diesem Grund die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung dringend geboten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Aufgrund der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, des Antrags auf internationalen Schutz vom 18.09.2014, der Erstbefragung des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 18.09.2014 und der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 12.01.2018 werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt.

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Belarus (Weißrussland), Zugehöriger der Volksgruppe der Weißrussen und bekennt sich zum russisch-orthodoxen Glauben. Seine Identität steht nicht fest. Er beherrscht die Sprachen Russisch, Weißrussisch und etwas Deutsch. Von Geburt an bis zu seiner Ausreise lebte der Beschwerdeführer in Weißrussland, wo er zehn Jahre die Grundschule besuchte, danach die Ausbildung zum Koch sowie ein Polizeipraktikum machte. Er ging einem Erwerb nach und war selbsterhaltungsfähig. Der Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer reiste zu einem unbestimmten Zeitpunkt in das Bundesgebiet ein und stellte am 18.09.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Bundesgebiet geht der Beschwerdeführer keiner legalen Beschäftigung nach und lebt von Leistungen aus der Grundversorgung. Er hat in der Vergangenheit in einem Tierheim und als Koch in der Flüchtlingsunterkunft gearbeitet; weiters besucht er einen Deutschkurs. Er hat keinen Schulabschluss, der der allgemeinen Universitätsreife entspricht oder Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule und ist überdies nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation. Er hat in Österreich auch keine Schule, Kurse oder sonstigen Ausbildungen absolviert. Eine überdurchschnittlich fortgeschrittene Integration im Bundesgebiet konnte nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten im Bundesgebiet. Die Mutter und die Brüder des Beschwerdeführers, zu denen er in Kontakt steht und denen es gut geht, leben auch weiterhin im Herkunftsstaat. Überdies hat er dort Freunde und Bekannte.

Nicht festgestellt werden kann, dass dem Beschwerdeführer in Weißrussland eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität - oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität - in der Vergangenheit gedroht hat bzw. aktuell droht. Der Beschwerdeführer hatte im Heimatland niemals Probleme mit den Behörden gehabt und wird auch nicht von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht oder aus bestimmten Gründen (politische Gesinnung, Rasse, Nationalität, Religion) verfolgt.

Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Weißrussland in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in seinem Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

Zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wird Folgendes festgestellt:

Politische Lage

Die Republik Belarus hat bei einer Landesfläche von 207.600 Quadratkilometern eine Bevölkerung von 9,5 Millionen (Stand 1.7.2014). Staatsoberhaupt ist seit 20.7.1994 Präsident Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko, der diktatorisch herrscht. Er wurde zuletzt am 11.10.2015 für weitere 5 Jahre gewählt. Regierungschef ist Andrej Kobjakow. Das weißrussische Parlament (Nationalversammlung) umfasst 110 Abgeordnete in der Repräsentantenkammer und 64 Deputierte im Rat der Republik. Die Mitglieder der Repräsentantenkammer wurden zuletzt am 11.9.2016 gewählt (AA 3.2017a).

Ihre staatliche Unabhängigkeit erhielt die Republik Belarus im Dezember 1991 mit der Auflösung der Sowjetunion. Im Sommer 1994 fanden erstmals Präsidentschaftswahlen statt, aus denen Alexander Lukaschenko mit über 80% der Stimmen als Sieger hervorging (AA 3.2017b). Seit Anfang der 1990er Jahre und besonders nach 1996 hat Belarus ein parteiloses politisches System gefördert (FH 29.3.2017). Eine Regierungspartei im eigentlichen Sinn gibt es in Weißrussland nicht. Mehr als 95% der Abgeordneten des belarussischen Parlaments sind parteilos. Im November 2007 wurde die pro-Lukaschenko-Sammelbewegung "Belaja Rus" gegründet, die sich nach ihrem Statut in eine Partei umwandeln könnte, was jedoch bisher nicht geschehen ist (AA 3.2017a). Politischen Parteien und nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) wird keine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung zuerkannt (FH 29.3.2017).

Im November 1996 ließ Präsident Lukaschenko ein Referendum zur Änderung der Verfassung abhalten, das ihm erheblich erweiterte Machtbefugnisse zu Lasten der demokratischen Gewaltenteilung einräumte. Der Präsident verfügt über umfangreiche legislative Rechte und kann präsidiale Dekrete, Erlässe und Anordnungen mit bindender, de facto den Gesetzen übergeordneter Wirkung, erlassen. Die Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember 2010 entsprachen nicht den OSZE-Standards. Noch am Wahlabend folgten gewalttätige Übergriffe der Ordnungskräfte gegen Demonstranten. Es erfolgten über 700 Festnahmen und in weiterer Folge eine umfassende Repressionswelle gegen die Opposition sowie gegen unabhängige Medien und die Zivilgesellschaft. Die EU reagierte mit Sanktionen. Die Präsidentschaftswahl am 11. Oktober 2015 gewann Staatspräsident Lukaschenko erneut mit über 80% der Stimmen. Nachdem die Präsidentschaftswahl zwar mit erheblichen Mängeln, aber im Vergleich zu 2010 gewalt- und repressionsfrei und unter umfassender internationaler Beobachtung erfolgt war, wurden die von der EU verhängten Sanktionen gegen Weißrussland zunächst suspendiert und dann Ende Februar 2016 weitgehend aufgehoben. Auch die Parlamentswahlen am 11. September 2016 verliefen trotz bestehender Kritikpunkte weitgehend repressionsfrei (AA 3.2017b).

Bemerkenswert ist, dass bei den Parlamentswahlen am 11. September 2016 erstmals seit 20 Jahren nun auch oppositionelle Abgeordnete gewählt wurden. Die junge Anwältin Anna Kanopazkaja gewann einen Sitz für die liberale Vereinigte Bürgerpartei und Jelena Anisim von der Gesellschaft für Weißrussische Sprache trat als Unabhängige an, gilt jedoch ideologisch der gegen Ende der Sowjetunion gegründeten Weißrussischen Nationalen Front (BNF) nahe und setzt sich für eine Stärkung der weißrussischen Sprache ein. Die restlichen der insgesamt 110 Mandate gingen an regimetreue Kandidaten. Nach Angaben der Wahlkommission lag die Wahlbeteiligung bei knapp 75%. Beobachter werten die Wahl der beiden Oppositionellen als Zeichen für eine gewisse Kooperationsbereitschaft von Machthaber Alexander Lukaschenko mit dem Westen, der sich in diesem Zusammenhang wohl auch eine Stärkung der wirtschaftlichen Beziehungen erhofft, um sein Land aus der tiefen Wirtschaftskrise führen zu können. Manche Beobachter vertreten auch die Auffassung, Lukaschenko habe die beiden Oppositionellen ins Parlament einziehen lassen, um die Kritik von EU und Vereinigten Staaten zu neutralisieren, dass es in Weißrussland keine demokratischen Wahlen gäbe (ZO 12.9.2016; vgl. RFE/RL 11.9.2016 und NZZ 12.9.2016). Tatsächlich kritisierte die OSZE die Wahlen wegen mangelnder demokratischer Standards (OSZE 11.9.2016; vgl. NZZ 12.9.2016). Neben ungleichen Bedingungen für die Kandidaten und der staatlichen Dominanz der Medien bestand ein entscheidender Mangel an Transparenz, der Zweifel an den offiziellen Ergebnissen aufkommen ließ (FH 29.3.2017).

Insgesamt betrachtet hat Weißrussland seit Anfang der 1990er Jahre keine Wahl abgehalten, die als frei und demokratisch bewertet wurde (RFE/RL 11.9.2016).

Obwohl die politische Opposition unter ungünstigen Bedingungen operiert und regelmäßig mit administrativem Druck oder Unterdrückung konfrontiert ist, hat sich das allgemeine politische Klima in den letzten beiden Jahren insgesamt etwas verbessert. Die wirtschaftliche Situation bleibt schwierig, die außenpolitischen Beziehungen zur Europäischen Union und zu den Vereinigten Staaten haben sich zuletzt deutlich entspannt (FH 29.3.2017). Allerdings hat sich im Zuge massiver Proteste gegen einen Gesetzesvorschlag im März 2017 ("Antiparasitismus"-Steuer) gezeigt, dass die Regierung zumindest zwischenzeitlich zu ihren Praktiken der Massenverhaftungen und gefälschten Anschuldigungen zurückgekehrt ist. Die Tatsache, dass der Präsident allerdings kurz nach den Demonstrationen beschlossen hat, die Einziehung der "Antiparasitismus"-Steuer auszusetzen, lässt den Schluss zu, dass er und seine Regierung sehr wohl auf die öffentlichen Widerstand hören können, wenn dieser eine bestimmte Schwelle erreicht. Nach Ansicht des Sonderberichterstatters zeigt die weitgehend unterdrückungszentrierte offizielle Reaktion auf die Ereignisse jedoch, dass die Regierungsführung in Belarus darauf abzielt, die Konsolidierung der Macht in den Händen des Präsidenten und seiner Verwaltung zu schützen, anstatt Orte für alternative Ideen zu schaffen (UN 22.9.2017).

Trotz traditionell enger Beziehungen zwischen Russland und Weißrussland gehört Minsk inzwischen zu Moskaus schwierigsten postsowjetischen Partnern. Seit mindestens drei Jahren ändert Lukaschenko schleichend seinen prorussischen Kurs. Schlüsselmoment dafür war die Annexion der Krim, die Weißrussland bis heute nicht als russisches Territorium anerkennt. Vielmehr wird offen die territoriale Integrität der Ukraine unterstützt. Als Reaktion auf die von Minsk eingeführte Visa-Freiheit für Kurzbesuche von EU-Bürgern führte Russland nach beinahe 20 Jahren wieder Grenzkontrollen zu Weißrussland ein. Linienflüge aus Weißrussland, zuvor wie Inlandsflüge behandelt, werden in Russland nun in internationalen Terminals abgefertigt. Allmählich machen sich Lukaschenkos Behörden Positionen zu eigen, die zuvor seinen Gegnern vorbehalten und vom Staat unterdrückt waren, wie die Betonung der Rolle der weißrussischen Sprache oder den kritischen Zugang zum Erbe von Sowjetunion und Romanow-Reich (WeltN24 18.11.2017 und 11.2.2015, vgl. CoE 6.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Belarus, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node, Zugriff 17.10.2017

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AA - Auswärtiges Amt (10.2017b): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node/-/202924, Zugriff 17.10.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (10.2017c): Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/belarus-node/-/202922, Zugriff 17.10.2017

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CoE - Council of Europe Parlamentary Assembly (6.6.2017): Bericht zu Menschenrechten sowie zu bürgerlichen und politischen Rechten in Belarus (Lage nach Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die 2015 bzw. 2016 abgehalten wurden; Menschenrechtslage und neue Welle von Repressalien mit Stand März 2017; Außenbeziehungen, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1497354295_the-situation-in-belarus.pdf, Zugriff 20.11.2017

-

FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017, https://www.ecoi.net/local_link/338522/481524_de.html, Zugriff 18.10.2017.

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (12.9.2016): Zwei Oppositionelle gewählt,

http://www.nzz.ch/international/europa/weissrussland-zwei-oppositionelle-gewaehlt-ld.116368, Zugriff 17.10.2017

-

OSZE - Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (11.9.2016): International Election Observation Mission, Republic of Belarus - Parliamentary Elections, 11.9.2016, http://www.osce.org/odihr/elections/263656?download=true, Zugriff 23.10.2017

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RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (11.9.2016):Opposition Figures Win Seats In Belarusian Parliament, http://www.rferl.org/content/article/27980719.html, Zugriff 18.10.2017

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UN General Assembly (22.9.2017): Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Belarus, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1508760889_n1729738.pdf, Zugriff 22.11.2017

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WeltN24 (18.11.2017): Putins widerpenstiger Bruder, https://www.welt.de/politik/ausland/article170709919/Putins-widerspenstiger-Bruder.html, Zugriff 20.11.2017

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WeltN24 (11.2.2015): Kämpfen, auch wenn der Gegner Putin heißt, https://www.welt.de/politik/ausland/article137355346/Kaempfen-auch-wenn-der-Gegner-Putin-heisst.html, Zugriff 20.11.2017

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ZO - Zeit Online (12.9.2016): Oppositionelle schaffen es ins Parlament von Belarus,

http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-09/alexander-lukaschenko-belarus-wahl-opposition-parlament, Zugriff 18.10.2017

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Weißrussland ist gut (BMEIA 3.10.2017).

Quelle:

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BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (3.10.2017): Belarus. Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/belarus/, Zugriff 4.12.2017

Rechtsschutz/Justizwesen

Die Justiz in Weißrussland ist nicht unabhängig. Die volle Exekutivgewalt und auch ein bedeutender Teil der Gesetzgebungsbefugnis liegen beim Präsidenten, der auf eigene Initiative Dekrete erlassen kann, denen eine größere Rechtskraft zukommt als der gewöhnlichen Gesetzgebung. Außerdem hat der Präsident praktisch unbegrenzte Befugnisse bei der Ernennung von Richtern und bei der Neuordnung von Gerichten (FH 29.3.2017).

Das Verfassungsgericht ist nicht unabhängig. Vor allem dann nicht, wenn es Entscheidungen zu fällen hat, die für den Präsidenten von wesentlicher Bedeutung sind. Letzterer ernennt die Verfassungsrichter, wobei er gemäß Verfassung über sechs Richter allein entscheiden kann, während die übrigen sechs Richter die Zustimmung des Oberhauses der Nationalversammlung (Rat der Republik) benötigen. Alle Richterernennungen (nicht nur für die obersten Gerichte) erfolgen grundsätzlich per Präsidialerlass (AA 21.6.2017).

Korruption, Ineffizienz und politische Einmischung in Gerichtsentscheidungen sind weit verbreitet. Gerichte verurteilen Personen aufgrund falscher und politisch motivierter Anklagen. Beobachtern zufolge diktieren hohe Regierungsvertreter und Behörden die Urteile. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass Staatsanwälte zu viel Macht hätten und somit beispielsweise die Haft ohne Hinzuziehung eines Richters verlängern können. Auch ist zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ein Machtgefälle gegeben. Verteidiger können Ermittlungsakten nicht einsehen, bei Verhören nicht anwesend sein oder Beweise gegen Angeklagte prüfen, bis ein Staatsanwalt den Fall förmlich vor Gericht gebracht hat. Das alles gilt besonders für Fälle mit einem politischen Hintergrund. Rechtsanwälte unterstehen dem Justizministerium und müssen ihre Lizenz alle fünf Jahre erneuern lassen. Laut Gesetz gilt die Unschuldsvermutung. Der Mangel an richterlicher Unabhängigkeit, Vorverurteilung durch die staatlichen Medien und weit verbreitete Einschränkungen der Verteidigungsrechte bringen es aber mit sich, dass es tatsächlich häufig dem Angeklagten obliegt, seine Unschuld zu beweisen. Obwohl die Gesetze öffentliche Verfahren garantieren, wird die Öffentlichkeit gelegentlich ausgeschlossen. Es gibt keine Geschworenenprozesse. Richter entscheiden alleine oder in schweren Fällen im Kollegium mit zwei Laienrichtern. Die Rechte der Verteidigung werden nicht in vollem Maße respektiert. Auch das Recht des Angeklagten auf Durchführung des Prozesses in belarussischer Sprache und auf freie Wahl des Verteidigers wird immer wieder eingeschränkt. NGO-Anwälte dürfen etwa nur Mitglieder ihrer NGO vertreten. Anwälte, die politisch heikle Fälle übernehmen, erhalten regelmäßig Berufsverbote. Auch müssen Verteidiger häufig Geheimhaltungsvereinbarungen unterschreiben, die es erschweren, Informationen über das Verfahren nach außen dringen zu lassen. Überdies werden von den Gerichten Aussagen zugelassen, die durch die Androhung körperlicher Gewalt während der Verhöre zustande gekommen waren. Das Beschwerderecht gegen Gerichtsentscheidungen wird von den meisten Verurteilten genutzt; trotzdem werden Urteile in der Mehrheit der Fälle bestätigt (USDOS 3.3.2017).

Richter genießen zwar eine gewisse Autonomie, doch besteht - insbesondere wenn ein Fall wesentliche Interessen der Behörden betrifft - die Möglichkeit, direkt Einfluss auf die Richter zu nehmen und endgültige gerichtliche Entscheidungen zu revidieren. Dies gilt sowohl für strafrechtliche als auch verwaltungsrechtliche Fälle, einschließlich derjenigen, die sich auf die Unterdrückung politischer Aktivitäten im Land beziehen, sowie auf Zivilsachen, die die wirtschaftlichen Interessen der herrschenden Kreise oder staatseigener Unternehmen betreffen. Die Einflussnahme erfolgt in der Regel durch direkte Weisungen von Exekutivbeamten an Gerichtshöfe, die den Richtern dann die entsprechenden Anweisungen übermitteln (FH 29.3.2017).

2016 war die politische Abhängigkeit der Gerichte in Verwaltungsverfahren gegen die Organisatoren von Straßenprotesten deutlich sichtbar. Menschenrechtsorganisationen wiesen auf die Verwendung von Gerichten hin, um politische Aktivisten, Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft während des Jahres zu bestrafen. Der offensichtlichste Indikator für die Politisierung von Gerichten ist die rasche Revision der Strafverfolgungspolitik nach einer Änderung der politischen Situation. Bei der Prüfung der Mehrheit der Wahlstreitigkeiten nehmen die Gerichte auch die Seite der Behörden ein (FH 29.3.2017).

Quellen:

-

AA - Auswärtiges Amt (21.6.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus, per E-Mail

-

FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/338522/481524_de.html, Zugriff 20.10.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/337124/479884_de.html, Zugriff 17.10.2017

Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden wie das Innenministerium, das Komitee für Staatssicherheit (KGB) und das 2012 neu aufgestellte Ermittlungskomitee, unterliegen keiner effektiven unabhängigen parlamentarischen oder sonstigen Kontrolle. Sie unterstehen unmittelbar dem Präsidenten. Die Sicherheitsorgane werden für die gezielte Einschüchterung politischer Gegner - vor allem bei nicht genehmigten Demonstrationen - instrumentalisiert. Ein im Juli 2012 in Kraft getretenes neues Gesetz gibt dem Geheimdienst KGB polizeiliche Befugnisse, die er aber de facto auch schon vorher ausübte. Durchsuchungen von Wohnungen und Büros, Festnahmen und falls erforderlich auch Anwendung von Waffengewalt liegen nunmehr ausdrücklich auch in der Befugnis des KGB. Die Justiz trägt nicht zur Mäßigung der Sicherheitsorgane bei, vielmehr wird das Rechtssystem zur staatlich geleiteten Repression und Einschüchterung aktiv genutzt. Die Streitkräfte sind grundsätzlich nicht mit polizeilichen Aufgaben betraut (AA 21.5.2017).

Die zivilen Behörden, insbesondere Präsident Lukaschenko, üben die tatsächliche Kontrolle über die Sicherheitskräfte aus. Der Präsident hat das Recht, alle Sicherheitsorgane seinem persönlichen Kommando zu unterstellen. Die Polizei untersteht dem Innenministerium. Der KGB, die Abteilung für Finanzuntersuchungen des Staatlichen Kontrollkomitees, das Untersuchungskomitee und die präsidentiellen Sicherheitsdienste üben ebenfalls Polizeifunktionen aus. Einzelpersonen können Polizeiübergriffe zwar der Staatsanwaltschaft anzeigen, aber die Regierung geht diesen oft nicht nach bzw. bestraft die Täter nicht. Die Behörden agieren generell in einem Klima der Straflosigkeit (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AA- Auswärtiges Amt (21.6.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus, per E-Mail

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/337124/479884_de.html, Zugriff 17.10.2017

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung von 1996 verbietet Folter und andere Arten unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung.

Menschenrechtsaktivisten und Anwälte sowie unabhängige weißrussische Medien berichteten demgegenüber mehrfach, dass Untersuchungsbehörden durch physischen und psychischen Druck versuchen, Geständnisse zustande zu bringen. Bei Festnahmen und Vernehmungen durch die Miliz kommt es mitunter auch zu schweren körperlichen Übergriffen. Die dafür Verantwortlichen innerhalb der Sicherheitskräfte müssen kaum mit Verfolgung rechnen (AA 21.6.2017).

Inhaftierte werden von Mitarbeitern der Staatssicherheit (KGB), der Bereitschaftspolizei und anderer Sicherheitskräfte, die oft in zivil auftreten, regelmäßig geschlagen. Die Sicherheitskräfte sollen Berichten zufolge auch Personen während der Ermittlungen misshandeln. Menschenrechtsverteidiger, Oppositionsführer und Aktivisten, die aus Haftanstalten entlassen wurden, berichteten weiterhin von Misshandlung und anderen Formen körperlichen und psychischen Missbrauchs von Verdächtigen während strafrechtlicher und administrativer Ermittlungen. Angriffe auf neue Rekruten sollen in der Armee weiterhin vorkommen, mit Schlägen und anderen Formen physischer und psychischer Misshandlung. Beobachter sprechen davon, dass es im Vergleich zu den Vorjahren weniger derartige Fälle gegeben haben mag, da die Regierung die Verfolgung der Täter verstärkt hat. So berichteten beispielsweise am 12.1.2017 verschiedene Medien, dass ein Landgericht in Hrodna zwei hochrangige Polizeibeamte in geschlossenen Anhörungen zu vier Jahren bzw. sechs Jahren Gefängnis verurteilt hat, weil sie "Verbrechen im Zusammenhang mit Gewalt, Folter oder Missbrauch von Verdächtigen begangen haben". Die Behörden hätten den beiden nach ihrer Haftentlassung für fünf Jahre verboten, Positionen in Strafverfolgungsbehörden zu bekleiden (USDOS 3.3.2017).

Auch Freedom House berichtet davon, dass die Behörden die Anwendung von Folter durch Strafverfolgungsbehörden insgesamt eingeschränkt zu haben scheinen, wenngleich als Beispiel für den zyklischen Aspekt der Repression in Weißrussland die Ereignisse im Februar und März 2017 gezeigt haben, dass immer noch auf Folter zurückgegriffen wird. So wird berichtet, dass eine Reihe von Personen, die an den Demonstrationen gegen das Präsidialdekret Nr. 3 teilgenommen haben, während ihrer Festnahme und Inhaftierung willkürlich misshandelt wurden. Auch ist in einigen Fällen die Rede von Elektroschocks, Wasserentzug, Verweigerung der medizinischen Versorgung und ähnlichen Maßnahmen. In den Berichten wird insbesondere auf die Haftanstalten des Staatssicherheitsausschusses in Minsk hingewiesen. Besonders bedenklich scheint die Situation auch in der Haftanstalt der Bezirke Homiel und Tsentralny zu sein; dort wurde den Häftlingen mehrere Tage lang Heizung und fließendes Wasser zum Duschen vorenthalten. Wegen des Ausmaßes der erniedrigenden Behandlung und der hohen Zahl angeblicher Folterfälle hat ein Menschenrechtsverteidiger, eine öffentliche Beschwerde an den Generalstaatsanwalt gerichtet: Dieser hat sich jedoch geweigert, eine entsprechende Untersuchung durchzuführen. Dies verdeutlicht nach Ansicht des Sonderberichterstatters die mangelnde Bereitschaft der staatlichen Behörden, systemische Fragen anzuerkennen (UN 22.9.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Belarus, per E-Mail

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UN - United General Assembly (22.9.2017): Situation of human rights in Belarus; Note by the Secretary-General; Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights in Belarus, https://ecoi3.ecoi.net/en/file/local/1416268/1226_1508760889_n1729738.pdf, Zugriff 4.12.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/337124/479884_de.html, Zugriff 17.10.2017

Korruption

Korruption stellt auf allen Regierungsebenen ein Problem dar, kommt aber im Rahmen der alltäglichen Interaktion zwischen Bürgern und kleinen Staatsbeamten in der Regel nicht vor. Das Nichtvorhandensein eines unabhängigen Justizsystems und einer unabhängigen Strafverfolgung sowie das Fehlen von Gewaltenteilung und einer unabhängigen Presse machen es aber praktisch unmöglich, das tatsächliche Ausmaß der Korruption abzuschätzen oder effektiv zu bekämpfen. Die Generalstaatsanwaltschaft ist für die Organisation und Koordinierung der Aktivitäten zur Bekämpfung der Korruption einschließlich der Überwachung der Strafverfolgungsmaßnahmen, der Analyse der Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen sowie der Ausarbeitung weiterer Rechtsvorschriften zuständig. Sie berichtete, dass Gerichte von Januar bis Mai 2016 451 Korruptionsfälle im Vergleich zu 533 Fällen im gleichen Zeitraum im Jahr 2015 behandelt haben. Die korruptesten Sektoren waren hierbei die staatliche Verwaltung und Beschaffung, der Industriesektor, die Bauindustrie, das Gesundheitswesen und die Bildung. Im Juli 2015 unterzeichnete der Präsident ein Gesetz zur Antikorruptionsgesetzgebung, das am 24. Januar 2016 in Kraft trat und die bestehenden Korruptionsbekämpfungsvorschriften verstärken sollte. Nach dem geänderten Gesetz sind Personen, die wegen Korruption auf geringerem Niveau entlassen werden, mit einem fünfjährigen Beschäftigungsverbot im öffentlichen Dienst konfrontiert, während sie bei schwerwiegenderen Missbräuchen auf unbestimmte Zeit von staatlichen Stellen ausgeschlossen sind. Das Gesetz erlaubt auch die Beschlagnahme von über 25% des jährlichen Einkommens von Beamten, die sich korrupter Praktiken schuldig gemacht haben. Antikorruptionsgesetze verlangen weiters Einkommen- und Vermögenserklärungen von ernannten und gewählten Beamten, ihren Ehepartnern und Mitgliedern von Haushalten, die das gesetzliche Alter erreicht haben und weiterhin mit ihnen im selben Haushalt leben. Dem Gesetz zufolge überwachen und korrigieren Spezialkorruptionsabteilungen innerhalb des Generalstaatsanwaltsbüros, des KGB und des Innenministeriums Antikorruptionspraktiken, und der Generalstaatsanwalt und alle Staatsanwälte sind beauftragt, die Durchsetzung des Antikorruptionsgesetzes zu überwachen. Eine Ausnahme gilt für Kandidaten, die in Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen tätig sind. Es gibt administrative Sanktionen und Disziplinarstrafen bei Nichteinhaltung (USDOS 3.3.2017).

Darüber hinaus haben korrupte Beamte keine Pensionsansprüche. Auch wird ein Institut für öffentliche Kontrolle mit Mechanismen für Bürgerbeteiligung eingerichtet (FH 29.3.2017).

Unternehmen im öffentlichen Beschaffungswesen werden zugunsten von staatseigenen Unternehmen diskriminiert und informelle Zahlungen oder die Abgabe von Geschenken zur Sicherung von Regierungsverträgen sind übliche Praktiken. Während Kleinkriminalität relativ begrenzt ist, bleibt Korruption auf hoher Ebene ungestraft. Die Antikorruptionsbestimmungen sind vage und erfordern eine Verbesserung. Darüber hinaus werden die Korruptionsbekämpfungsgesetze schlecht durchgesetzt (GAN 6.2017).

Die überwiegende Mehrheit der Informationen über Korruption stammt aus offiziellen Quellen, und die Tätigkeit der NGOs in diesem Bereich ist aufgrund ihres fehlenden Zugangs zu Informationen begrenzt. Investigativer Journalismus mit Schwerpunkt auf Korruption ist selten. Präsident Lukaschenko nutzt den Kampf gegen die Korruption, um die Popularität und Legitimität der Regierung zu erhöhen. Offizielle Antikorruptionsprozesse und ihre Berichterstattung in den Medien sind zu einem Standard des politischen Lebens geworden. Um die Kohärenz im Kampf gegen Korruption zu demonstrieren, kündigten die Behörden im Jahr 2016 Strafverfolgungen kleiner und auch hochrangiger Beamten und sogar eines dem Präsidenten nahestehenden Geschäftsmanns an. Dieser wurde der Steuerhinterziehung angeklagt, dann aber unter der Bedingung der Begleichung seiner Steuerschulden wieder auf freien Fuß gesetzt (FH 29.3.2017).

Im Laufe des Jahres gab es zahlreiche weitere Korruptionsermittlungen, aber die Strafverfolgung blieb selektiv, undurchsichtig, und erschien, laut unabhängigen Beobachtern und Menschenrechtsverteidigern, in einigen Fällen politisch motiviert. Am 1. März verurteilten die Behörden Vyachaslau Pakholchyk, einen ehemaligen Chef der örtlichen Exekutivbehörden in der Stadt Uzda, zu sieben Jahren Gefängnis. Sein Vermögen wurde eingezogen wegen der Annahme eines Bestechungsgeldes in Höhe von etwa 31.500 Rubel (15.000 US-Dollar). Pakholchyk wurde auch verboten, für fünf Jahre in Verwaltungspositionen zu dienen (USDOS 3.3.2017).

Im September 2016 veröffentlichte die Gruppe der Staaten des Europarates gegen Korruption (GRECO) eine Zusammenfassung ihres Berichts über Weißrussland. Hierbei wird festgestellt, dass Weißrussland nur eine der 20 anhängigen Empfehlungen zur Korruptionsbekämpfung umgesetzt hat, während bei anderen kein Fortschritt registriert wurde. Der einzige Bereich, in dem Fortschritte erzielt wurden, betrifft die Einführung einer Verwaltungshaftung juristischer Personen für Geldwäschedelikte. Eine evidenzbasierte umfassende Strategie und ein Aktionsplan sowie unabhängige Mechanismen zur Korruptionsbekämpfung fehlen noch immer. Es wurden keine Initiativen ergriffen, um die Unabhängigkeit des Generalstaatsanwalts oder der Justiz zu stärken (CoE 8.9.2017).

Es ist üblich, korrupte Personen zu begnadigen, den finanziellen Schaden aber durch Bußgelder in zumindest doppelter Höhe des veruntreuten Betrags zu kompensieren. Dies schafft Möglichkeiten für den Missbrauch von Begnadigungen und erhöht das Potenzial für eine de facto Kommerzialisierung von Antikorruptionsmaßnahmen (FH 29.3.2017).

Weißrussland liegt im 2016 Corruption Perceptions Index von Transparency International mit einer Bewertung von 40 von 100 (0=sehr korrupt, 100=nicht korrupt) auf Platz 79 (von 176) und hat sich in den vergangenen drei Jahren um 44 Plätze im Ranking verbessert. Damit liegt das Land gleichauf mit Brasilien, China und Indien und vor z.B. Russland, das Platz 131 einnimmt (TI 2016, vgl. TI 2013).

Quellen:

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COE (8.9.2017): 72nd GRECO Plenary Meeting: Summary Report, Group of States against Corruption, https://rm.coe.int/16806cb6f0, Zugriff 23.10.2017

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FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017, https://www.ecoi.net/local_link/338522/481524_de.html, Zugriff 18.10.2017.

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GAN - Business Anti Corruption Portal (6.2017) Belarus Corruption Report,

http://www.business-anti-corruption.com/country-profiles/belarus, Zugriff 23.10.2017

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TI - Transparency International (2013): Corruption Perceptions Index, https://www.transparency.org/cpi2013/results, Zugriff 23.10.2017

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TI - Transparency International (2016): Corruption Perceptions Index,

https://www.transparency.org/news/feature/corruption_perceptions_index_2016, Zugriff 23.10.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Belarus, https://www.ecoi.net/local_link/337124/479884_de.html, Zugriff 17.10.2017

NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Formal ist es möglich, in Weißrussland NGOs zu gründen. Bis Juli 2016 waren im Land insgesamt 15 politische Parteien, 33 Gewerkschaften, 2.695 öffentliche Verbände (davon 226 internationale, 725 nationale und 1.744 lokale), 36 Gewerkschaften öffentlicher Verbände und 7 republikanische staatlich-öffentliche Verbände registriert. In der Praxis gibt es allerdings viele politisch motivierte Einschränkungen für Bildung, Registrierung und Betrieb solcher Gruppen. Daher registrieren sich weißrussische Organisationen häufig im Ausland oder arbeiten aufgrund der ungünstigen rechtlichen Rahmenbedingungen ohne Registrierung. Bis 2015 waren etwa 200 belarussische Organisationen der Zivilgesellschaft in Litauen und Polen registriert (FH 29.3.2017).

Das Gesetz über öffentliche Verbände (vom 4. Oktober 1994, geändert 2011) konzentriert sich ausschließlich auf Verbände, die keine politischen Parteien oder Gewerkschaften sind. Es sieht das Recht vor, Vereinigungen zu gründen, die in Übereinstimmung mit der Verfassung, dem oben genannten Gesetz und anderen Rechtsakten arbeiten sollen. Artikel 6 des Gesetzes sieht sogar die Nichteinmischung staatlicher Behörden in die Tätigkeit solcher öffentlicher Verbände vor, umgekehrt aber auch, dass sich NGOs nicht in die Angelegenheiten der staatlichen Behörden einmischen dürfen. Diese Bestimmung ist gleichbedeutend mit der automatischen Stilllegung kritischer Stimmen bei Nichtregierungsorganisationen und ist zu einem der wichtigsten Auslöser für eine gesamtgesellschaftliche Selbstzensur geworden (UN 22.9.2017).

In Weißrussland ist ein umfangreicher Sektor von Organisationen entstanden, die mit dem Staat verbunden sind. Solche so genannte regierungsorganisierte NGOs erhalten finanzielle und sonstige Unterstützung durch die Regierung sowie einen erheblichen Anteil an internationaler Hilfe. Sieben Organisationen haben formal den Status "staatlich-öffentlich", aber viele andere agieren nominell als unabhängige Organisationen. Die bedeutendsten regierungsorganisierten NGOs sind die Belarussische Republikanisch

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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