TE Vwgh Erkenntnis 2018/8/8 Ro 2018/10/0018

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Veröffentlicht am 08.08.2018
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
82/04 Apotheken Arzneimittel;

Norm

ApG 1907 §19a Abs2 idF 1984/502;
AVG §8;
B-VG Art130 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
VwGVG 2014 §28;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):Ro 2018/10/0019

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kacic-Löffler, LL.M., über die Revisionen der S W in W, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Erzabt-Klotz-Straße 21A, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich je vom 20. Februar 2018, 1) Zl. LVwG-AV-1487/001- 2017, 2) Zl. LVwG-AV-1488/001-2017, betreffend eine Angelegenheit nach § 19a Abs. 2 ApG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Waidhofen an der Ybbs; mitbeteiligte Parteien: 1. A KG in W; 2. J. OG in W, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Völkl, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Nußdorfer Straße 10-12), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden jeweils im Umfang ihres Spruchpunktes 1. wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 2.692,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 30. Oktober 2012 wurde der Revisionswerberin die Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer öffentlichen Apotheke ("Z") in W erteilt.

2 Mit Erkenntnis vom 31. Oktober 2016 wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die dagegen von den mitbeteiligten Parteien erhobenen Berufungen (Beschwerden) ab und erteilte der Revisionswerberin die beantragte Konzession mit der Maßgabe der Präzisierung des Standortes der neu zu errichtende Apotheke.

3 Dieses Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 23. Mai 2017, Ro 2017/10/0006, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf.

4 Mit Bescheiden der belangten Behörde je vom 13. November 2017 wurde den Anträgen der mitbeteiligten Parteien auf Zuerkennung der Parteistellung und Bescheidzustellung in dem vor der belangten Behörde geführten Verfahren zur Betrauung der Revisionswerberin mit der Fortführung des Betriebes der "Z Apotheke" gemäß § 8 AVG iVm § 19a Abs. 2 Apothekengesetz (ApG) keine Folge gegeben. In der Begründung verwies die belangte Behörde - mit näheren Ausführungen - auf die diesbezügliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 9.3.1998, 97/10/0238).

5 Mit den angefochtenen Erkenntnissen vom 20. Februar 2018 "behob" das Landesverwaltungsgericht diese Bescheide infolge der von den mitbeteiligten Parteien erhobenen Beschwerden (jeweils Spruchpunkt 1.) und erklärte die ordentliche Revision jeweils für zulässig (jeweils Spruchpunkt 3.). Im Übrigen wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde der erstbzw. zweitmitbeteiligten Partei zurück, soweit sie sich gegen den die jeweils andere mitbeteiligte Partei betreffenden Bescheid der belangten Behörde vom 13. November 2017 richtete (jeweils Spruchpunkt 2.).

6 Begründend zu den Spruchpunkten 1. führte das Verwaltungsgericht aus, es sei zu prüfen, ob überhaupt ein Anwendungsfall des § 19a Abs. 2 ApG vorliege, setze diese Bestimmung doch voraus, dass eine Apotheke ohne Konzession betrieben werde. Im vorliegenden Fall sei - infolge der Aufhebung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts vom 31. Oktober 2016 - das Verfahren "wieder im Stand des (Konzessions-)Bescheides vom 30.10.2012."

7 Im Falle der Erlassung eines Bescheides nach § 19a Abs. 2 ApG hätten die umliegenden bereits bestehenden Apotheken mit Umsatzeinbußen zu rechnen. Dies sei ein Eingriff in die Erwerbsausübungsfreiheit, der - bei verfassungskonformer Interpretation des § 19a Abs. 2 ApG - eine Parteistellung bestehender Apotheken bedinge.

8 Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig, weil damit von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen werde.

9 In den gegenständlichen ordentlichen Revisionen, die sich ihrem Inhalt nach lediglich gegen die Spruchpunkte 1. der angefochtenen Erkenntnisse richten, wird jeweils die kostenpflichtige Aufhebung der genannten Erkenntnisse beantragt.

10 Die belangte Behörde und die mitbeteiligten Parteien erstatteten Revisionsbeantwortungen. Die Revisionswerberin replizierte.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Verbindung der gegenständlichen Revisionen zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12 Die Revisionen sind zulässig, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Sie sind auch begründet.

13 § 19a Apothekengesetz, RGBl. Nr. 5/1907 idF BGBl. Nr. 502/1984 (ApG), lautet:

"§ 19a. (1) Eine öffentliche Apotheke, die ohne Konzession betrieben wird, ist von der Behörde unverzüglich zu schließen. Gegen einen solchen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

(2) Falls die Aufrechterhaltung des Betriebes einer solchen Apotheke mit Rücksicht auf den Bedarf der Bevölkerung erforderlich ist, so kann die Behörde den Inhaber dieser Apotheke oder auf dessen Rechnung einen verantwortlichen Leiter mit der Fortführung des Betriebes für einen angemessenen Zeitraum betrauen. ..."

14 § 28 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG) lautet:

"Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.

der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.

die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das

Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist."

15 Vorweg sei darauf hingewiesen, dass der Verwaltungsgerichtshof zu § 28 VwGVG festgehalten hat, dass dem Verwaltungsgericht sowohl in den in Art. 130 Abs. 4 B-VG vorgesehenen und in § 28 Abs. 2 VwGVG genannten, als auch in den von § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG erfassten Fällen (kein Widerspruch durch die Verwaltungsbehörde gegen eine Entscheidung in der Sache), in denen § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingreift, eine kassatorische Entscheidung nicht offen steht (vgl. etwa VwGH 24.5.2016, Ra 2016/01/0058 und 29.9.2017, Ro 2015/10/0027, jeweils mit Hinweis auf VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

16 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht - gestützt auf § 28 VwGVG - aus Anlass der gegen die bekämpften Bescheide erhobenen Beschwerden mit den Spruchpunkten 1. der angefochtenen Erkenntnisse diese Bescheide behoben. Ein inhaltlicher Abspruch über die Anträge der mitbeteiligten Parteien (auf Zuerkennung der Parteistellung bzw. Bescheidzustellung) ist nicht erfolgt. Das Verwaltungsgericht hat damit gegen seine Verpflichtung verstoßen, nicht nur die gegen die verwaltungsbehördlichen Bescheide eingebrachten Beschwerden sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl. auch dazu die zitierten hg. Erkenntnisse).

17 Soweit - der Sache nach - das Verwaltungsgericht zunächst die Anwendbarkeit des § 19a Abs. 2 ApG infolge Vorliegens des (nicht rechtskräftigen) Apothekenkonzessionsbescheides vom 30. Oktober 2012 in Zweifel zieht, ist dem zu entgegnen, dass die Regelung des § 19a Abs. 2 ApG auf das Fehlen einer rechtskräftigen Apothekenkonzession - insbesondere nach deren Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof - abstellt (vgl. VwGH 9.3.1998, 97/10/0238, unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien, RV 395 BlgNR 16. GP, S. 15 f). Dieser Fall liegt gegenständlich vor.

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat im erwähnten Erkenntnis 97/10/0238 ausgesprochen, dass den Inhabern öffentlicher Apotheken kein rechtliches Interesse am Unterbleiben der Betrauung eines Leiters mit der Fortführung einer ohne Konzession betriebenen Apotheke nach § 19a Abs. 2 ApG und daher keine Parteistellung im Verfahren nach dieser Bestimmung eingeräumt ist. Auf die näheren Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.

19 Die vom Verwaltungsgericht erwogene "verfassungskonforme Interpretation" des § 19a Abs. 2 ApG geht ins Leere, weil diese Bestimmung keinen verfassungsrechtlichen Zweifeln begegnet (vgl. den ebenfalls in VwGH 97/10/0238 erwähnten Ablehnungsbzw. Abtretungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes im dortigen Verfahren).

20 Den mitbeteiligten Parteien kam im Verfahren der Revisionswerberin nach § 19a Abs. 2 ApG demnach keine Parteistellung bzw. kein Recht auf Zustellung des Betrauungsbescheides zu.

21 Das Verwaltungsgericht hat aus den genannten Gründen die angefochtenen Erkenntnisse hinsichtlich ihrer Spruchpunkte 1. mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb sie in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben waren.

22 Die Entscheidung über den Kostenersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

23 Von der Durchführung der von der Revisionswerberin beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 8. August 2018

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018100018.J00

Im RIS seit

04.09.2018

Zuletzt aktualisiert am

14.11.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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