TE Vwgh Erkenntnis 2000/2/16 99/01/0299

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Veröffentlicht am 16.02.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §4 Abs2;
AVG §58 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Pelant und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des BN in F, geboren am 17. September 1980, vertreten durch Mag. Werner Dax, Rechtsanwalt in 7000 Eisenstadt-Technologiezentrum, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. November 1998, Zl. 206.291/0-III/07/98, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien, reiste seinen Angaben zufolge am 22. August 1998 unter Umgehung der Grenzkontrolle von Tschechien kommend in das Bundesgebiet ein. Er beantragte am 26. August 1998 die Gewährung von Asyl.

Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 2. November 1998 gemäß § 4 Abs. 1 AsylG (idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 4/1999) als unzulässig zurück, weil der Beschwerdeführer in Tschechien Schutz vor Verfolgung finden könne. Zur tschechischen Rechtslage traf es dabei - auszugsweise - folgende Feststellungen:

"Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist das Flüchtlingsgesetz ... sowie das Fremdengesetz ... in Kraft. Die einschlägigen Fragen des Flüchtlingsrechts erfahren dadurch eine einheitliche und umfassende Regelung. In diesem Flüchtlingsgesetz ist keine Frist, die eine Asylantragstellung zeitlich einschränkt, vorgesehen. Demzufolge steht Ihnen nach Ihrer Wiedereinreise nach Tschechien im genannten Staat ein Asylverfahren offen. Desweiteren sind Asylwerber während des Verfahrens in Tschechien zum Aufenthalt berechtigt (vgl. § 8 Flüchtlingsgesetz). Schließlich sieht das vorzitierte Gesetz auch Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat vor, falls dort eine Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG 1997 gegeben wäre (vgl. insbesondere § 17 Flüchtlingsgesetz).

Asylverfahren:

Nach § 5 des Flüchtlingsgesetzes leg. cit. hat ein Asylsuchender beim Grenzübertritt bei der Fremden- und Grenzpolizei Flüchtlingsstatus zu beantragen und sich unverzüglich in das ihm zugewiesene Flüchtlingsaufnahmezentrum zu begeben. Nach Ankunft im Zentrum muss er binnen 24 Stunden, unter Verwendung des vorgesehenen Formblattes, einen Asylantrag stellen. Laut Angaben der tschechischen Behörden wird einem Asylsuchenden der Zugang zum Asylverfahren in der Praxis nicht verwehrt, wenn er sich nach seiner Absichtserklärung nicht 'unverzüglich' im Zentrum einfindet und innerhalb von 24 Stunden den Asylantrag stellt ...; auch UNHCR sind keine Fälle bekannt geworden, in denen die Nichteinhaltung der im § 5 genannten rechtlichen Voraussetzungen zur Verweigerung des Zugangs zum Verfahren geführt hätte. Das gilt auch für Asylanträge rückübernommener Personen ...

Für Personen, die nicht vorschriftsgemäß 'beim Grenzübertritt' Asyl beantragen, gilt § 20 des Gesetzes Nr. 498/90 in seiner abgeänderten Fassung, welcher besagt, dass Ausländer, die aus 'objektiven Gründen' beim Grenzübertritt nicht in der Lage waren ihre Absicht, Asyl zu beantragen, kundzutun, oder Personen, die 'surplace'-Flüchtlinge wurden, Zugang zum Asylverfahren haben. In der Praxis äußern laut Auskunft der tschechischen Behörden nur sehr wenige Personen schon beim Grenzübertritt ihre Absicht, um Asyl anzusuchen. Die meisten Asylsuchenden tun dies erst bei der Fremden- und Grenzpolizei auf tschechischem Hoheitsgebiet oder in einem Flüchtlingszentrum. Die Behörden lassen diese Personen in der Regel zum Asylverfahren zu, ohne unbedingt zu überprüfen, ob den Bestimmungen des § 20 Flüchtlingsgesetz Genüge getan wurde."

Mit Bescheid vom 19. November 1998 wies der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) die dagegen erhobene Berufung des Beschwerdeführers ab. Begründend führte die belangte Behörde zunächst aus, dass sie sich den Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid vollinhaltlich anschließe und diese zum Inhalt ihres Bescheides erhebe. Im Übrigen nahm sie bloß zu den in der Berufung aufgeworfenen Fragen bezüglich der praktischen Schwierigkeiten beim Zugang zum tschechischen Asylverfahren Stellung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die - nach Ablehnung ihrer Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof von diesem an den Verwaltungsgerichtshof abgetretene - Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift absah, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Zurückweisung eines Asylantrages wegen Drittstaatsicherheit voraus, dass die Asylbehörden im Einzelfall zunächst die Rechtslage im potentiellen Drittstaat - bezogen auf die Kriterien des § 4 Abs. 2 AsylG - ermitteln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0284). Demgemäß hätte die belangte Behörde im vorliegenden Fall die tschechische Rechtslage festzustellen und nachvollziehbar darzulegen gehabt, ob für den konkreten Beschwerdeführer in Tschechien im Falle seiner (neuerlichen) Einreise ein Verfahren zur Einräumung der Rechtsstellung eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention offen steht, ob er während eines solchen Verfahrens in Tschechien zum Aufenthalt berechtigt ist und ob er dort Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat genießt, sofern er in diesem gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht ist. Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid, der bezüglich der Darstellung der tschechischen Rechtslage - grundsätzlich zulässig - auf den erstinstanzlichen Bescheid des Bundesasylamtes verweist, jedoch nicht gerecht.

Zunächst ist nicht klar nachvollziehbar, wie die belangte Behörde am Boden der übernommenen Feststellungen des Bundesasylamtes zu der Schlussfolgerung gelangen konnte, dass dem Beschwerdeführer nach seiner Wiedereinreise nach Tschechien im genannten Staat ein Asylverfahren offen stehe. So wurde zu diesem Themenkreis ausgeführt, dass nach § 5 des Flüchtlingsgesetzes ein Asylsuchender beim Grenzübertritt bei der Fremden- und Grenzpolizei Flüchtlingsstatus zu beantragen und sich unverzüglich in das ihm zugewiesene Flüchtlingsaufnahmezentrum zu begeben habe; nach Ankunft im Zentrum müsse er binnen 24 Stunden, unter Verwendung des vorgesehenen Formblattes, einen Asylantrag stellen. Versteht man diese Bestimmung nicht als bloße Ordnungsvorschrift, so wäre der Eintritt in ein Asylverfahren demnach von der Einhaltung dreier zeitlicher Kriterien abhängig: Beantragung des Flüchtlingsstatus beim Grenzübertritt, sodann unverzügliche Anreise in das zugewiesene Flüchtlingsaufnahmezentrum und schließlich formalisierte Asylantragstellung binnen 24 Stunden nach Ankunft in diesem Zentrum. Bezüglich der beiden letztgenannten Anforderungen stellte das Bundesasylamt fest, dass laut Angaben der tschechischen Behörden einem Asylsuchenden der Zugang zum Asylverfahren in der Praxis nicht verwehrt werde, wenn er sich nach seiner Absichtserklärung nicht "unverzüglich" im Zentrum einfindet und innerhalb von 24 Stunden den Asylantrag stellt. Im unmittelbaren Anschluss daran wurde weiter dargestellt, dass auch UNHCR keine Fälle bekannt geworden seien, in denen die Nichteinhaltung der im § 5 genannten rechtlichen Voraussetzungen zur Verweigerung des Zugangs zum Verfahren geführt hätte; dies gelte auch für Asylanträge rückübernommener Personen. Die allgemeine Formulierung dieser beiden letzten Sätze könnte so verstanden werden, die Praxis dispensiere auch vom Erfordernis, dass ein Asylsuchender schon beim Grenzübertritt Flüchtlingsstatus zu beantragen habe. Demgegenüber wurde vom Bundesasylamt zu diesem Gesichtspunkt in der Folge ausgeführt, dass für Personen, die nicht vorschriftsgemäß "beim Grenzübertritt" Asyl beantragen, gemäß § 20 des Flüchtlingsgesetzes (nur) unter besonderen Bedingungen der Zugang zum Asylverfahren vorgesehen sei; die Behörde lasse (jedoch) Personen in der Regel zum Asylverfahren zu, ohne unbedingt zu überprüfen, ob den Bestimmungen des § 20 Flüchtlingsgesetz Genüge getan worden sei.

Es kann nun dahingestellt bleiben, inwieweit eine behördliche Praxis eine aus der Sicht des § 4 AsylG unzureichende Rechtslage "sanieren" kann. Selbst die im vorliegenden Fall dargestellte Praxis gibt nämlich keine widerspruchsfreie Antwort darauf, ob der Beschwerdeführer im Hinblick auf den Umstand, dass er bei seinem Erstaufenthalt in Tschechien offenkundig nicht "beim Grenzübertritt" Asyl beantragte, im Fall einer nunmehr neuerlichen Einreise in diesen Staat Zugang zu einem Asylverfahren erhielte. Einerseits lässt sich aus der Formulierung "die Behörden lassen diese Personen in der Regel zum Asylverfahren zu, ohne unbedingt zu überprüfen, ob den Bestimmungen des § 20 Flüchtlingsgesetz Genüge getan wurde" keine gesicherte Prognose ableiten; andererseits wird damit die zunächst getroffene Feststellung, wonach auch UNHCR keine Fälle bekannt geworden seien, in denen die Nichteinhaltung der im § 5 genannten rechtlichen Voraussetzungen zur Verweigerung des Zugangs zum Verfahren geführt hätte, bezüglich des Erfordernisses, schon "beim Grenzübertritt" Flüchtlingsstatus zu beantragen, relativiert.

Auch auf die Frage der Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers in Tschechien während eines ihm allenfalls offen stehenden Asylverfahrens gibt der bekämpfte Bescheid nur unzureichend Antwort; die übernommene Feststellung des Bundesasylamtes, wonach Asylwerber während des Verfahrens in Tschechien zum Aufenthalt berechtigt seien, entzieht sich mangels näherer Darstellung einer Nachprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. März 1999, Zl. 98/01/0313).

Da die belangte Behörde somit nicht nachvollziehbar dargelegt hat, auf Grund welcher Überlegungen sie zu dem Ergebnis gelangte, dass die tschechische Rechtslage derart beschaffen sei, dass gemäß § 4 Abs. 2 AsylG zu folgern sei, dem Beschwerdeführer stünde im Falle einer (neuerlichen) Einreise nach Tschechien ein Verfahren nach den Grundsätzen der Genfer Flüchtlingskonvention, verbunden mit einem Aufenthaltsrecht während eines solchen Verfahrens, offen, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Ersatz der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG wurde nicht angesprochen.

Wien, am 16. Februar 2000

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999010299.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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