TE OGH 2018/3/6 3R20/18p

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Veröffentlicht am 06.03.2018
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Das Oberlandesgericht Graz hat als Rekursgericht durch die Richter Dr. Sommerauer (Vorsitz), Maga. Weiß und Maga. Dieber im Konkursverfahren über das Vermögen des *****, vertreten durch Dr. Constantino De Nicolò, Rechtsanwalt in Spittal an der Drau, über den Rekurs des Schuldners gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt vom 6. Februar 2018, 41 S 44/06b-85, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass das Abschöpfungsverfahren beendet und dem Schuldner die Restschuldbefreiung erteilt wird.

Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt EUR 30.000,00.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Der Schuldner, geboren 1959, geschieden und Vater von zwei Töchtern, geboren 1990 und 1993, hat den Beruf eines Kochs erlernt; 1990 übernahm er von seinem Vater den *****. Durch Umbauarbeiten unmittelbar nach der Betriebsübernahme – er baute einen Lift ein und errichtete einen Wellnessbereich – häufte er Bankverbindlichkeiten von über ATS 13 Millionen an, die er wegen unzureichender Auslastung seines Betriebes mit Gästen nicht zurückzahlen konnte.

Mit Beschluss vom 5. April 2006 wurde aufgrund eines Gläubigerantrages das Konkursverfahren über sein Vermögen eröffnet. Sein einziger wesentlicher Vermögenswert, nämlich die zugunsten seiner ehemaligen Hausbank, der Raiffeisenbank *****, mit Pfandrechten belasteten Betriebsliegenschaft EZ *****, wurde verwertet. Der Verkaufserlös von EUR 775.000,00 floss zur Gänze zur teilweisen Befriedigung an die genannte Absonderungsgläubigerin (ON 25). Nach Verwertung der (geringfügigen) weiteren Masse – auf die Konkursgläubiger entfiel eine Quote von 0,652 % (AS 134) – verblieben unberichtigte Konkursforderungen von EUR 971.396,00, wovon EUR 635.871,79 auf die Raiffeisenbank ***** entfielen.

Mit Schriftsatz vom 10. Mai 2007 (ON 31) bot der Schuldner einen Zahlungsplan mit einer Quote von 2,08 %, zahlbar in fünf Jahren, an und beantragte (hilfsweise) die Einleitung eines Abschöpfungsverfahrens mit Restschuldbefreiung. Er erklärte, hiezu den pfändbaren Teil seiner Forderungen auf bestehende und künftige Einkünfte aus seinem Arbeitsverhältnis oder auf sonstige wiederkehrende Leistungen mit Einkommensersatzfunktion für die Zeit von sieben Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses, mit dem das Abschöpfungsverfahren eingeleitet wird, an einen vom Gericht zu bestellenden Treuhänder abzutreten (ON 31). Zu diesem Zeitpunkt arbeitete er bei der ***** Bergbahn GmbH und bezog ein Monatseinkommen von EUR 1.109,67, wovon nur ca EUR 75,00 pfändbar waren (Bericht des Masseverwalters vom 22. August 2007, ON 32). In der besonderen Prüfungs-, Verteilungs- und Schlussrechnungstagsatzung am 12. November 2009 verbesserte er den Zahlungsplan auf eine Quote von 2,5 %, zahlbar in zehn Raten, beginnend sechs Monate ab seiner Annahme (AS 134), doch scheiterten diese Bemühungen, weil seine Hauptgläubigerin, die ehemalige Hausbank, den Zahlungsplan ablehnte (AS 147). Deswegen wurde in der Zahlungsplantagsatzung am 17. Dezember 2007 das Abschöpfungsverfahren eingeleitet, der Alpenländische Kreditorenverband zum Treuhänder bestellt und das Konkursverfahren gemäß § 200 Abs 4 KO aufgehoben. Dieser Beschluss wurde am 20. Dezember 2007 in die Insolvenzdatei aufgenommen und damit am 4.Jänner 2008 rechtskräftig (ON 46, 48).

Während des siebenjährigen Abschöpfungszeitraumes arbeitete der Schuldner – mehrmals unterbrochen von kurzen Zeiten der Arbeitslosigkeit – bei diversen Dienstgebern, nämlich der *****, der Gemeinde ***** und der Firma ***** Nach den jährlichen Berichten des Treuhänders deckten bis Ende des Jahres 2011 wegen zahlreicher Lohnpfändungen die abgeschöpften Beträge nicht einmal die Verfahrenskosten; erst ab 2012 wurden äußerst geringe Quoten für die Konkursgläubiger erzielt (2012: 0,069 %; 2013: 0,12 % und 2014: 0,061 %), dies bei zu Beginn des Abschöpfungszeitraumes noch offenen anerkannten Konkursforderungen von EUR 971.343,00 und bei freiwilligen monatlichen Zahlungen des Schuldners von EUR 50,00. Dies entsprach nach dem siebenjährigen Abschöpfungszeitraum einer Befriedigungsquote von nur 0,18 % und unter Berücksichtigung der im vorangegangenen Konkursverfahren erfolgten Verteilung einer Befriedigungsquote von 0,83 % zugunsten der Konkursgläubiger(ON 64).

Mit seinem Antrag vom 17. Dezember 2014 begehrte der Schuldner die „Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens um höchstens drei Jahre“ und brachte vor, er habe sich vom 12. Februar bis 12. Juli 2014 aufgrund eines erlittenen Arbeitsunfalls im Krankenstand befunden, sei sich der Geringfügigkeit der bisher erzielten Befriedigungsquote durchaus bewusst und hätte – bei einer Verlängerung des Abschöpfungszeitraumes – durch familiäre Hilfe (es seien Grundverkäufe und Holzschlägerungen geplant) in Aussicht, eine Quote von 10 % für die Gläubiger aufbringen zu können. Er schloss diesem Antrag die Abtretungserklärung für den pfändbaren Teil seines Einkommens für weitere drei Jahre oder die Dauer der Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens an den bestellten Treuhänder an (ON 63).

Das Erstgericht stellte diesen Antrag dem Treuhänder zur Äußerung zu. Dieser erstattete zwar seinen Abschlussbericht vom 8. Jänner 2015 (ON 64), ging darin auf das Verlängerungsbegehren des Schuldners aber nicht ein.

Mit Beschluss vom 8. Jänner 2015 (ON 64) erledigte das Erstgericht dieses Ansinnen abschlägig. Es sprach aus, das Abschöpfungsverfahren sei beendet, dem Schuldner werde die Restschuldbefreiung nicht erteilt und der bestellte Treuhänder werde seines Amtes enthoben. Aufgrund des Rekurses des Schuldners hob das Oberlandesgericht Graz als Rekursgericht mit Beschluss vom 3. Februar 2015, 3 R 13/15d (ON 68), diesen Beschluss auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Daraufhin verlängerte das Erstgericht mit Beschluss vom 19. März 2015 (ON 73) das Abschöpfungsverfahren um höchstens drei Jahre, zumal aufgrund der Rückstehungserklärung des Gläubigers und Vaters des Schuldners und des beabsichtigten Verkaufs von Grundstücken durch diesen die Erreichung der Mindestquote wahrscheinlich erscheine und die Kosten des Treuhandverfahrens gedeckt seien. Dieser Beschluss wurde am 14. April 2015 in der Insolvenzdatei bekannt gemachte und blieb unbekämpft.

Mit seinem Antrag vom 10.August 2017 (ON 79) begehrte der Schuldner im Hinblick auf die Neufassung des § 213 IO durch das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2017 (IRÄG 2017) und die Übergangsbestimmung des § 280 IO für anhängige Abschöpfungsverfahren wegen des Ablaufs der ursprünglichen Abtretungserklärung, das Abschöpfungsverfahren zu beenden und ihm die Restschuldbefreiung zu erteilen.

Der Treuhänder trat diesem Begehren nicht entgegen (ON 80).

Das Erstgericht wies diesen Antrag mit Beschluss vom 21. August 2017 mit der Begründung ab, das verlängerte Abschöpfungsverfahren ende erst am 18. März 2018. Da sich für die Gläubiger eine Befriedigungsquote von nur 0,284952 % ergebe und damit die 10 %-Quote des § 213 IO immer unterschritten sein werde, bestehe kein Anlass für eine vorzeitige Restschuldbefreiung des Schuldners.

Aus Anlass des Berichtes des Treuhänders vom 24. Jänner 2018 (ON 83) und obwohl dies aktenkundig gewesen wäre, ersuchte der Erstrichter den Treuhänder mitzuteilen, wann die Laufzeit der Abtretungserklärung ende. Der Treuhänder legte hierauf den Verlängerungsantrag samt Abtretungserklärung des Schuldners vom 17. Dezember 2014 vor.

Daraufhin erklärte das Erstgericht mit dem angefochtenen Beschluss das Abschöpfungsverfahren für beendet und sprach aus, dem Schuldner werde die Restschuldbefreiung nicht erteilt. Es begründete seine Entscheidung damit, gemäß § 213 Abs 1 IO habe das Gericht nach Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung das Abschöpfungsverfahren, das nicht eingestellt worden sei, für beendet zu erklären und gleichzeitig auszusprechen, dass der Schuldner von den im Verfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit sei. Da der Schuldner im verlängerten Abschöpfungsverfahren nur eine Befriedigungsquote von rund 0,33 % erreicht habe, sei es nicht tunlich, ihm die angestrebte Restschuldbefreiung zu erteilen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Schuldners, mit dem er beantragt, den bekämpften Beschluss aufzuheben, in eventu ihn im Sinne der Gewährung der Restschuldbefreiung abzuändern. Bereits vor Rekurseinbringung, nämlich am 19. Februar 2018, hatte der Schuldner unter Hinweis auf das IRÄG 2017 und die Übergangsbestimmung des § 280 IO neuerlich beantragt, ihm die Restschuldbefreiung zu erteilen (ON 86).

Der Rekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Das Rechtsmittelverfahren in Insolvenzsachen ist nach ständiger Rechtsprechung - mit Ausnahme des Eröffnungsverfahrens (dazu 8 Ob 282/01f) - grundsätzlich einseitig (§ 260 Abs 4 IO; RIS-Justiz RS0116129; 8 Ob 145/15d, 8 Ob 1/17f ua).

2. Das Abschöpfungsverfahren wurde vor dem 30. Juni 2010 eröffnet. Abgesehen von den Ausnahmen nach § 273 Abs 8 IO gelangen daher (gemäß § 273 Abs 1 IO) die Bestimmungen der Konkursordnung zur Anwendung. Die hier relevante Bestimmung des § 213 KO wurde im Wesentlichen unverändert in die Insolvenzordnung übernommen.

Durch das IRÄG 2017 wurden die Bestimmungen für die Entschuldung natürlicher Personen neu geregelt. Das neue Recht ist nach der Übergangsvorschrift des § 279 Abs 3 IO aber nur anzuwenden, wenn der Antrag auf Durchführung des Abschöpfungsverfahrens nach dem 31. Oktober 2017 bei Gericht eingelangt ist.

Für zu diesem Zeitpunkt anhängige Abschöpfungsverfahren gilt § 280 IO, der lautet:

„Nach Einleitung des Abschöpfungsverfahrens bis zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung ist auf Antrag des Schuldners das Abschöpfungsverfahren zu beenden, wenn die Abtretungserklärung abgelaufen ist oder seit dem 1.November 2017 fünf Jahre der Abtretungserklärung abgelaufen sind. § 213 Abs 1 zweiter bis vierter Satz in der vor dem Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2017 vorgesehenen Fassung sind anzuwenden.“

         § 213 Abs 1 zweiter bis vierter Satz IO in der Fassung vor dem IRÄG 2017, aber auch die Vorgängerbestimmung des § 213 Abs 1 zweiter bis vierter Satz KO lauten:

„Es (das Gericht; Anmerkung des Rekursgerichtes) hat gleichzeitig auszusprechen, dass der Schuldner von den im Verfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern (Konkursgläubigern laut § 213 Abs 1 KO) befreit ist. Die Entscheidung ist, wenn ein Antrag eines Insolvenzgläubigers (Konkursgläubigers laut § 213 Abs 1 KO) auf vorzeitige Einstellung vorliegt, bis zum Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses ausgesetzt. Im Fall der Z 1 enden mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung die Wirksamkeit der Abtretungserklärung und das Amt des Treuhänders.“

         3. Im vorliegenden Verfahren endete die gemäß § 213 Abs 4 KO (um höchstens drei Jahre) verlängerte Dauer des Abschöpfungsverfahrens, dessen Einleitung am 4. Jänner 2008 rechtskräftig geworden war, am 4. Jänner 2018. Zu diesem Zeitpunkt lief auch die (verlängerte) Abtretungserklärung ab. Damit lag für das Erstgericht wegen Ablaufs der (insgesamt zehnjährigen) Frist eine Situation vor, bei der gemäß § 213 Abs 4 KO das Abschöpfungsverfahren für beendet zu erklären und über die Restschuldbefreiung zu entscheiden war.

         4. Bei dieser Situation hat das Erstgericht den durch das IRÄG 2017 geschaffenen § 280 IO außer Acht gelassen und das Zustehen der Restschuldbefreiung nach § 213 Abs 1 KO beurteilt.

         5. Dies wäre nur zu billigen, wenn die Beurteilung des Falles nach § 280 IO (also die Gewährung der Restschuldbefreiung ohne die in § 213 IO in der Fassung vor dem IRÄG 2017 bzw in § 213 KO normiert gewesenen Voraussetzungen) nur auf Antrag des Schuldners zu erfolgen hätte. Ein derartiger Antrag war im Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichtes aber nicht offen, zumal jener vom 10.August 2017 bereits abgewiesen und der vom 19. Februar 2018 noch nicht eingebracht war.

         6. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die nach der alten Rechtslage maximal mögliche Dauer des Abschöpfungsverfahrens von zehn Jahren bereits abgelaufen ist und damit der in § 213 Abs 4 KO normierte Gesetzesauftrag, das verlängerte Abschöpfungsverfahren für beendet zu erklären, vorliegt, die Erteilung der Restschuldbefreiung ohne die nach der Rechtslage vor dem IRÄG 2017 erforderlichen Voraussetzungen davon abhängig zu machen, ob der Schuldner vor Tätigwerden des Gerichtes rechtzeitig einen Antrag „quasi auf Option in das neue Recht“ gestellt hat, schiene dem Rekursgericht sachlich nicht gerechtfertigt. Dies erkennend tritt Mohr (in Neuerungen im Privatinsolvenzrecht - IRÄG 2017, ZIK 2017/110, 97 [102]) dafür ein, das Erfordernis eines Antrages des Schuldners, wie er in § 280 IO vorgesehen ist, um die Fälle der gesetzlichen Beendigung des Abschöpfungsverfahrens nach Ablauf der siebenjährigen Abtretungserklärung (und wohl auch der auf zehn Jahre verlängerten Abtretungserklärung; Anmerkung des Rekursgerichtes) teleologisch zu reduzieren, weil der Gesetzgeber den Schuldnerantrag im § 280 IO deswegen vorsah, um zu vermeiden, dass das Gericht alle anhängigen Abschöpfungsverfahren erheben muss und dabei Gefahr läuft, einige zu übersehen. Diese Gefahr ist aber bei den Abschöpfungsverfahren, die nach Ablauf der sieben- bzw verlängerten zehnjährigen Abtretungserklärung zu beenden sind, nicht gegeben.

         7. Zusammenfassend ist im vorliegenden Fall das Abschöpfungsverfahren daher gemäß § 213 Abs 4 KO wegen des Ablaufes seiner auf zehn Jahre verlängerten Dauer mit 4.Jänner 2018 für beendet zu erklären und dem Schuldner gemäß § 280 IO ohne das Vorliegen der in § 213 Abs 1 und 4 KO (nun: IO) geforderten Voraussetzungen die Restschuldbefreiung zu erteilen.

         Die angefochtene Entscheidung war daher in Stattgebung des Rekurses des Schuldners in die Erteilung der Restschuldbefreiung abzuändern.

         Der Bewertungsausspruch orientiert sich sowohl am angemeldeten Forderungsvolumen als auch am Betrag, um den der Schuldner entschuldet wird; beides übersteigt den Betrag von EUR 30.000,00 um ein Vielfaches.

         Der ordentliche Revisionsrekurs war gemäß § 528 Abs 1 ZPO iVm § 252 IO zuzulassen, weil - soweit vom Rekursgericht überblickbar - noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dem in § 280 IO genannten Antragserfordernis und dessen Reichweite besteht.

Oberlandesgericht Graz, Abteilung 3

Textnummer

EG00149

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0639:2018:00300R00020.18P.0306.000

Im RIS seit

26.06.2018

Zuletzt aktualisiert am

26.06.2018
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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