TE Vwgh Erkenntnis 2000/2/24 96/21/0430

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Veröffentlicht am 24.02.2000
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
10/10 Grundrechte;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs2;
FrG 1993 §18;
FrG 1993 §41;
MRK Art5 Abs2;
PersFrSchG 1988 Art4 Abs6;
VwGG §46 Abs1;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn): 96/21/0616 E 24. Februar 2000

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des am 28. April 1968 geborenen S, vertreten durch

Dr. Andreas Brandtner, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Drevesstraße 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 11. März 1996, Zl. Frb-4250-44/95, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (der belangten Behörde) vom 11. März 1996 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines chinesischen Staatsbürgers, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Aufenthaltsverbots-Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 30. Mai 1995 gemäß § 71 AVG abgewiesen.

Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass gegen den Beschwerdeführer mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch vom 30. Mai 1995 ein Aufenthaltsverbot sowie die Schubhaft verhängt worden seien. Diese Bescheide seien vom Beschwerdeführer am 30. Mai 1995 persönlich übernommen worden. Sowohl der Aufenthaltsverbots-Bescheid als auch der Schubhaftbescheid seien in deutscher Sprache gehalten. Dem Beschwerdeführer sei ein Verständigungsblatt vorgelegt worden, in dem er in englischer Sprache über die Gründe der Anhaltung in Kenntnis gesetzt worden sei. Dieses sei vom Beschwerdeführer auch unterschrieben worden. Anschließend sei der Beschwerdeführer in den Verwaltungsarrest Bludenz eingeliefert worden. Mit Antrag vom 28. Juni 1995 habe der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen Rechtsanwalt, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. In diesem Antrag habe der Beschwerdeführer im Wesentlichen ausgeführt, dass er anlässlich seiner Anhaltung mangels eines Chinesisch-Dolmetschers diese Bescheide nicht verstanden hätte. Er wäre damit durch ein unvorhergesehenes bzw. unabwendbares Ereignis an der Einhaltung der Berufungsfrist gehindert gewesen. Auch bei der Nichtbeiziehung eines Dolmetschers würde es sich um ein "unvorhergesehenes" Ereignis handeln. Seine Bekannte hätte ihn in der Folge im Verwaltungsarrest in Bludenz besucht. Er hätte ihr den Vorfall geschildert und sie hätte ihm versprochen, etwas gegen seine Anhaltung zu unternehmen. Sie hätte sodann am 14. Juni 1995 beim Rechtsanwalt in Feldkirch vorgesprochen. Der Beschwerdeführer bestreite nicht, dass ihm der Aufenthaltsverbots-Bescheid am 30. Mai 1995 ausgefolgt worden wäre und er die Übernahme durch seine eigenhändige Unterschrift bestätigt hätte. Er führe an, dass ihm überhaupt nichts übersetzt worden wäre. Es wäre kein Chinesisch-Dolmetscher anwesend gewesen. Er hätte weder den Inhalt des Bescheides noch die Rechtsmittelbelehrung verstanden.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei abzuweisen, weil die mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache keinen Wiedereinsetzungsgrund darstelle. Hinzu komme, dass es dem Beschwerdeführer möglich gewesen wäre, wie es der üblichen Praxis im Verwaltungsarrest Bludenz entspreche, ohne Weiteres mit einer Bekannten Kontakt aufzunehmen. Dass er dies offensichtlich verspätet getan habe bzw. die Verständigung des Rechtsanwaltes durch seine Bekannte erst am 14. Juni 1995 erfolgt sei, habe der Beschwerdeführer selbst zu verantworten. Es sei Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass, sofern ein Asylwerber in seinem Asylantrag nicht konkret behaupte oder glaubhaft mache, dass es ihm unmöglich gewesen sei, nach außen hin (der Asylwerber habe sich in diesem Fall in Schubhaft befunden und einen in deutscher Sprache abgefassten Bescheid erhalten) - etwa mit einem Flüchtlingshelfer oder mit einer anderen hiefür geeigneten Person - Kontakt aufzunehmen, um zu erfahren, worum es sich bei dem amtlich zugestellten Schriftstück handle und was dagegen unternommen werden könne, einem Wiedereinsetzungsantrag nicht stattzugeben sei. Im gegenständlichen Fall stehe fest, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit gehabt habe, mit einer Bekannten Kontakt aufzunehmen und somit fristgerecht entsprechende Schritte gegen die fremdenpolizeilichen Anordnungen zu setzen. Dem Wiedereinsetzungsantrag sei daher keine Folge zu geben gewesen.

In der vorliegenden Beschwerde wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist u.a. gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil er nicht "ohne weiteres" die mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht habe, sondern auch, dass er sich zum Zeitpunkt der Zustellung des Aufenthaltsverbots-Bescheides in Schubhaft befunden habe und ihm ungeachtet der Wesentlichkeit der verhängten Maßnahmen des Aufenthaltsverbotes und der Schubhaft überhaupt nichts in einer für ihn verständlichen Sprache mitgeteilt worden sei, insbesondere nicht, dass gegen ihn ein Aufenthaltsverbot verhängt sei, dass ein ihm ausgehändigtes Schriftstück einen Bescheid darstelle, gegen den er ein Rechtsmittel ergreifen könne und dass die Rechtsmittelfrist mit Aushändigung des Schriftstückes zu laufen beginne. Hiezu wäre, nachdem es keine Informationsblätter in chinesischer Sprache gebe, ein Dolmetscher beizuziehen gewesen. Ein Durchschnittsmensch könne wohl davon ausgehen, dass - werde von einer Behörde nichts verständlich gemacht - Schriftstücke nicht derart Wesentliches enthielten und Fristen zu laufen begännen bzw. ablaufen könnten. Für den Beschwerdeführer sei die Fristversäumnis auch unabwendbar gewesen, weil er - mangels irgend einer Kenntnis - eben nicht davon ausgehen habe können, dass irgend welche Fristen zu wahren seien. Zu berücksichtigen sei weiters, dass der Beschwerdeführer - wie der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg in seinem Bescheid vom 19. Juli 1995 ausgeführt habe - entgegen Art. 5 Abs. 2 EMRK und Art. 4 Abs. 6 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit nicht in möglichst kurzer Frist und in einer für ihn verständlichen Sprache über die Gründe der Festnahme und die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unterrichtet worden sei. Die Fristversäumnis sei daher auf gravierende Behördenfehler und nicht bloß auf seine mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache zurückzuführen.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Der Aufenthalt eines Fremden in Schubhaft ist - auch wenn er noch unvertreten ist - kein Grund, der es zuließe, die Unterlassung einer rechtzeitigen Berufungseinbringung als unverschuldet oder als ein über den minderen Grad des Versehens nicht hinausgehendes Verschulden zu werten. Auch das Zusammentreffen des Umstandes der Freiheitsentziehung mit einer mangelnden Sprachkenntnis des Betroffenen vermag - weil das Fremdengesetz die Erlassung eines Aufenthaltsverbots-Bescheides in einer für den Betroffenen verständlichen Sprache nicht vorsieht - ohne das Hinzutreten eines ihn konkret treffenden Hinderungsgrundes, der über die allgemeine Situation eines in Schubhaft befindlichen, der deutschen Sprache nicht mächtigen Fremden hinausgeht, die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu rechtfertigen. (Vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 23. Juni 1998, Zl. 97/21/0770, mwN.) Daran ändert auch nichts, wenn der Fremde entgegen Art. 5 Abs. 2 EMRK und Art. 4 Abs. 6 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit nicht in möglichst kurzer Frist und in einer für ihn verständlichen Sprache über die Gründe der Festnahme und die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unterrichtet wurde.

Ein Verhinderungsgrund im Sinn des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG läge bei einem in Schubhaft befindlichen Fremden dann vor, wenn nicht sichergestellt wäre, dass er während der Einengung seiner Freiheit den von ihm gewünschten Rechts- oder sonstigen Beistand rechtzeitig erhält (ohne ihm ständige Urgenzen zuzumuten) bzw. wenn ihm auch die Möglichkeit genommen wäre, trotz eines diesbezüglichen Wunsches eine Berufung verfassen und einbringen zu können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1999, Zl. 99/01/0024). Diese Voraussetzung war jedoch - wie die belangte Behörde zutreffend erkannt hat - im vorliegenden Fall nicht gegeben. Vielmehr war es dem Beschwerdeführer - wie er in seinem Wiedereinsetzungsantrag selbst ausführt - durchaus möglich, trotz der Entziehung seiner persönlichen Freiheit durch die Schubhaft Kontakt mit einer Bekannten aufzunehmen.

Im vorliegenden Fall kann auch nicht gesagt werden, es sei ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darin gelegen, dass dem Beschwerdeführer gar nicht bewusst gewesen wäre, dass ihm behördliche, rechtlich relevante Schriftstücke übergeben worden waren, im Hinblick auf welche durch ihn zur Wahrung seiner Rechte allenfalls Veranlassungen zu treffen gewesen wären. Der Beschwerdeführer führt nämlich in seinem Wiedereinsetzungsantrag aus, dass ihm zwei Schriftstücke übergeben worden seien, wobei er sich während der Anwesenheit eines Journalbeamten und von drei Zollwachebeamten im Raum unter Druck gesetzt gefühlt und gedacht habe, durch die Unterschriftsleistung die von ihm begangenen Übertretungen des Fremdengesetzes, des Grenzkontrollgesetzes und des Meldegesetzes zu bestätigen und sodann freigelassen zu werden, was aber gerade nicht geschehen sei. Der belangten Behörde kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie im Ergebnis davon ausging, dass dem Beschwerdeführer bewusst gewesen sein muss, rechtlich bedeutsame Schriftstücke erhalten zu haben.

Nach dem Gesagten haftet dem angefochtenen Bescheid die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtswidrigkeit nicht an, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. Februar 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1996210430.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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