TE Bvwg Erkenntnis 2018/5/17 I414 2194380-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.05.2018
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Entscheidungsdatum

17.05.2018

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §33 Abs1

Spruch

I414 2194380-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Algerien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, Wattgasse 48/ 3. Stock, 1170, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 11.04.2018, Zl. XXXX,

A)

I. zu Recht erkannt:

Die Beschwerde gegen den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird als unbegründet abgewiesen.

II. den Beschluss gefasst:

Die Beschwerde gegen den Bescheid wird als verspätet zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste seinen Angaben nach im Dezember 2016 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein.

Am 01.12.2016 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, dass er am XXXX in XXXX in Algerien geboren sei. Befragt nach seinen Fluchtgrund gab er im Wesentlichen an, dass Jugendliche das Auto eines betrunkenen Mannes zerstört hätten. Der Beschwerdeführer habe versucht die Jugendlichen davon abzuhalten das Auto zu zerstören. Der Mann habe diesen Vorfall bei der Polizei angezeigt; daraufhin seien die Jugendlichen bestraft worden. Der Mann habe den Beschwerdeführer bedroht, weil er Geld für sein zerstörtes Auto haben wollte. Er habe dem Beschwerdeführer zwanzig Tage Zeit gegeben, das Geld zu besorgen, ansonsten würde er dem Beschwerdeführer etwas antun. Aufgrund dieses Ereignisses sei der Beschwerdeführer geflohen.

Es wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Altersfeststellung in Auftrag gegeben. Dabei stellte der Sachverständige mit Gutachten vom 14.03.2017 fest, dass entgegen den Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung das festgestellte Mindestalter zum Asylantragsdatum 18,72 Jahre beträgt, das spätestmögliche "fiktive" Geburtsdatum lautet XXXX.

Mit Schreiben vom 20.03.2017 stellte der Kinder- und Jugendhilfeträger den Antrag auf Betrauung mit der Obsorge für den Beschwerdeführer an das Bezirksgericht.

Mit Verfahrensanordnung vom 10.04.2017, nachweislich dem Beschwerdeführer zugestellt am 19.04.2017, stellte die belangte Behörde fest, dass es sich beim Beschwerdeführer um eine volljährige Person handelt.

Am 31.05.2017 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als belangte Behörde bezeichnet) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er von einem Freund seines Bruders bedroht und mit einem spitzen Gegenstand attackiert worden sei. Auslöser dieser Probleme wären Differenzen zwischen seinem Bruder und dessen Freund gewesen.

Mit Beschluss vom 31.05.2017, Zl. XXXX, übertrug das Bezirksgericht XXXX die Obsorge für den Beschwerdeführer an die Kinder- und Jugendhilfeträger Wien.

Mit Bescheid vom 31.05.2017, Zl. XXXX, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz als abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen. Zugleich wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und einer Beschwerde wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Dieser Bescheid und die Verfahrensanordnung wurden dem Beschwerdeführer am 06.06.2017 nachweislich zugestellt.

Mit Schreiben vom 28.03.2018 beantragte der Beschwerdeführer die ordnungsgemäße Zustellung des Bescheides vom 31.05.2017, in eventu die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und erhob gleichzeitig vollumfänglich Beschwerde.

Im Wesentlichen wurde begründend ausgeführt, dass der Bescheid nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei, da zum Zeitpunkt der Zustellung ein Obsorgebeschluss des Bezirksgerichtes vorgelegen sei, wonach die gesetzliche Vertretung dem Kinder- und Jugendhilfeträger der Stadt Wien zugekommen wäre und somit hätte der Bescheid dem gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers zugestellt werden müssen.

Mit Bescheid vom 11.04.2018, Zl. XXXX, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 28.03.2018 ab.

Begründend führte die belangte Behörde zusammenfassend aus, dass der Bescheid sowie die Verfahrensanordnung ordnungsgemäß der Partei zugestellt worden sei, zu diesem Zeitpunkt der Bescheiderlassung am 31.05.2017 sei der belangten Behörde kein Obsorgebeschluss zur Kenntnis gebracht worden. Der Bescheid sei somit am 20.06.2017 in Rechtskraft erwachsen. Der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft machen können, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert worden wäre, eine allfällige Beschwerde zu erheben.

Gegen diesen Bescheid richtete sich die fristgerecht erhobene Beschwerde. Zusammenfassend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung als vom Jugendwohlfahrtsträger vertretener unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling zu sehen sei, daher wäre der abweisende Bescheid dem gesetzlichen Vertreter und nicht dem Beschwerdeführer zuzustellen gewesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 01.12.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab an am XXXX geboren zu sein (AS 1).

Der Beschwerdeführer wurde am 14.03.2017 zur Altersfeststellung medizinisch untersucht (AS 103).

Das spätestmögliche fiktive Geburtsdatum des Beschwerdeführers entspricht dem XXXX. Das festgestellte Mindestalter ist mit dem behaupteten Lebensalter des Beschwerdeführers nicht vereinbar (AS 119). Der Beschwerdeführer erreichte somit am XXXX die Volljährigkeit.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 31.05.2017, Zl. XXXX wurde der Kinder- und Jugendhilfeträger mit der Obsorge des Beschwerdeführers vertraut. Dem Obsorgebeschluss lag das vom Beschwerdeführer bei der Erstbefragung angegebene Geburtsdatum - XXXX - zugrunde (AS 347).

Die belangte Behörde hat im Bescheid vom 31.05.2017, Zl. XXXX in der Zustellverfügung ausschließlich den Beschwerdeführer bezeichnet (AS 263). Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 06.06.2017 nachweislich zugestellt (AS 261).

Am 28.03.2018 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die damit verbundene Beschwerde gegen den Bescheid vom 31.05.2017 bei der belangten Behörde ein.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum gegenständlich angefochtenen Bescheid ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsverfahrensaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zum gegenständlichen Verfahren.

Hinsichtlich des tatsächlichen Alters des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass ein medizinisches Mindestalter durch einen medizinischen Sachverständigen ermittelt wurde. Das vom Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung angegebene Geburtsdatum weicht von dem des medizinischen Sachverständigen ab. Das Gutachten kommt zum Schluss, dass ein Mindestalter zweifelsfrei ermittelt werden kann und das ermittelte Mindestalter und das vom Beschwerdeführer behauptete Lebensalter nicht vereinbar sind. Zudem konnte der Beschwerdeführer keine Nachweise zu dem von ihm angegebenen Geburtsdatum vorlegen. Es liegen daher keine Beweise vor, die das Ergebnis der medizinischen Untersuchung erschüttern vermögen. Das erkennende Gericht hat daher keine Veranlassung an der Richtigkeit des Gutachtens und an dem den Mindestaltersangaben entsprechenden fiktivem Geburtsdatum vom XXXX zu zweifeln.

Es wurde daher festgestellt, dass der Beschwerdeführer am XXXX geboren ist und dieser - vor der Antragstellung auf internationalen Schutz - am XXXX volljährig geworden ist.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in der Zustellverfügung des Bescheides der belangten Behörde bezeichnet wurde und der Bescheid dem Beschwerdeführer nachweislich am 06.06.2017 zugestellt wurde, ergibt sich aus dem Akteninhalt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG entscheiden die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017 (im Folgenden: BFA-VG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt in der vorliegenden Rechtssache Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Rechtswirksamkeit des Bescheides vom 31.05.2017:

Vorweg ist zunächst zu prüfen, ob eine wirksame Zustellung des Bescheides vom 31.05.2017 stattgefunden hat und insbesondere, ob die Zustellung des Bescheides aufgrund des Obsorgebeschlusses an den gesetzlichen Vertreter - Kinder- und Jugendhilfeträger - des Beschwerdeführers hätte erfolgen müssen. Eine gewillkürte Vertretung wurde zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens behauptet.

Nach § 9 AVG iVm § 17 VwGVG sind Fragen der persönlichen Rechts- und Handlungsfähigkeit von am Verwaltungsverfahren Beteiligten nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen, wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist. Nach § 10 Abs 1 BFA-VG ist für den Eintritt der Handlungsfähigkeit in Verfahren vor dem Bundesamt und vor dem Bundesverwaltungsgericht (gemäß § 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 BFA-VG) ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht maßgeblich.

Es sind daher die Bestimmungen des ABGB heranzuziehen. Gemäß § 183 Abs 1 ABGB erlischt die Obsorge für ein Kind mit dessen Volljährigkeit.

Nach den getroffenen Feststellungen hat der Beschwerdeführer seine Volljährigkeit am 13.03.2016 erreicht. Somit ist die Obsorge des Kinder- und Jugendhilfeträgers mit Erreichen der Volljährigkeit ex lege, somit vor Erlassung und Zustellung des Bescheides erloschen.

Auch die Bestimmung des § 11 Abs. 5 BFA-VG führt zu keinem anderen Ergebnis.

Ergeht eine Zustellung auf Grund der Angaben des Fremden zu seinem Alter an einen Rechtsberater (§ 49) oder Jugendwohlfahrtsträger (§ 10) als gesetzlichen Vertreter, so ist diese auch wirksam bewirkt, wenn der Fremde zum Zeitpunkt der Zustellung volljährig ist.

Nach den Ausführungen der Erläuterungen zum BFA-VG, BGBl I Nr. 87/2012, stellt § 11 Abs 5 BFA-VG klar, dass Fremde, die das Bundesamt über ihr Alter falsch informieren, daraus keinen Vorteil im Sinne eines "provozierten Zustellmangels" ziehen dürfen. Wird nach der Angabe minderjährig zu sein an den Vertreter zugestellt, ist die Zustellung auch rechtswirksam bewirkt, wenn der Fremde in Wahrheit schon volljährig ist. Diese Norm ist ein typisches Instrument um missbräuchliche Handlungen hintanzuhalten (vgl. die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des BFA-VG, 1803 BlgNR 24 GP, S. 14).

Im gegenständlichen Fall erfolgte die Zustellung an den Beschwerdeführer aufgrund der von der belangten Behörde festgestellten Volljährigkeit des Beschwerdeführers.

Es ist weiters zu prüfen, ob ein Beschluss des Pflegschaftsgerichts, mit dem einem Jugendwohlfahrtsträger die Obsorge für einen Asylwerber übertragen wurde, hinsichtlich des Geburtsdatums eine Bindungswirkung für das Bundesverwaltungsgericht entfaltet und ob über die Vorfrage - nämlich das tatsächliche Geburtsdatum des Asylwerbers - bereits für das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht verbindlich abgesprochen wurde.

Behörden, Gerichte sowie Parteien sind an rechtskräftige Entscheidungen (Beschlüsse, Urteile, Bescheide) der Verwaltungsbehörden und Gerichte im Vorfragenbereich gebunden. Bei der Prüfung der Bindungswirkung einer solchen konkreten Entscheidung ist zunächst zu beachten, dass diese Ausfluss ihrer formellen und Teil ihrer materiellen Rechtskraft ist und daher nur in deren subjektiven und objektiven Grenzen eintreten kann. Sie setzt daher zum einen voraus, dass die Vorfragenentscheidung auch gegenüber den (allen) Parteien des Verwaltungsverfahrens - auf Grund ihrer Parteistellung im anderen Verfahren oder ausnahmsweise auf Grund einer Rechtskrafterstreckung - verbindlich geworden ist. Zum anderen besteht eine Bindung nur insoweit, als inzwischen keine Änderung der maßgeblichen Sach- oder Rechtslage eingetreten ist. Ansonsten ist die Behörde der Verpflichtung zur Durchführung eines Ermittlungsverfahrens (und zur eigenständigen rechtlichen Beurteilung) nicht enthoben (Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 RZ 21-24).

Es muss sich bei der Vorfrage um eine Frage handeln, über die von einer anderen Behörde bzw. einem Gericht als Hauptfrage zu entscheiden war, da immer nur eine Entscheidung über eine Hauptfrage eine Bindungswirkung entfalten kann (VwGH vom 23.11.2017, Ra 2017/22/0081). Die gegenseitige Bindung der Gerichte und der Verwaltungsbehörden erstreckt sich auch nur so weit, wie die Rechtskraft reicht, daher erfasst sie nur den Inhalt des Spruchs, nicht aber die Entscheidungsgründe (VwGH vom 23.11.2017, Ra 2017/22/0081; VwGH vom 12.08.2014, 2011/06/0121; VwGH vom 30.1.2013, 2012/03/0072).

Das Pflegschaftsgericht hat auf Grund der Bestimmung des § 209 ABGB die Obsorge auf das Jugendamt übertragen. Gemäß § 209 ABGB hat das Gericht die Obsorge dem Kinder- und Jugendhilfeträger zu übertragen, wenn eine andere Person mit der Obsorge für einen Minderjährigen ganz oder teilweise zu betrauen ist und sich dafür Verwandte oder andere nahe stehende oder sonst besonders geeignete Personen nicht finden lassen.

Die wesentlichen Elemente des Spruches des Pflegschaftsgerichts sind daher die Minderjährigkeit des Asylwerbers zum Zeitpunkt des Beschlusses des Pflegschaftsgerichts und das Fehlen von Verwandten oder von anderen nahe stehenden oder sonst besonders geeigneten Personen zur Obsorgeübertragung. Nur dies stellt eine vom Pflegschaftsgericht zu klärende Hauptfrage dar.

Das genaue im Spruch eines Obsorgebeschlusses angegebene Geburtsdatum des Asylwerbers entfaltet daher keine Bindungswirkung für das Bundesamt oder das Bundesverwaltungsgericht. Es bedarf auch keines Aufhebungsbeschlusses, da die Obsorge ex lege mit Erreichen der Volljährigkeit endet.

Im gegenständlichen Fall war der Beschwerdeführer zum Zustellzeitpunkt des Bescheides volljährig, somit wurde der Bescheid wirksam erlassen.

Zu A) Spruchpunkt I.

Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Macht eine Partei gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG glaubhaft, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach § 33 Abs. 3 VwGVG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen.

Gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG hat bis zur Vorlage der Beschwerde über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden, § 15 Abs. 3 leg. cit. ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden.

§ 33 Abs. 4 VwGVG kann verfassungskonform nur die Bedeutung zugemessen werden, dass über Wiedereinsetzungsanträge, die bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde eingebracht werden, von dieser, und über jene, die ab Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht eingebracht werden, von jenem mit Beschluss zu entscheiden ist (VwGH 28.09.2016, Ro 2016/16/0013).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl war somit zuständig, über den Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden, weil dieser dort unter einem mit der Beschwerde gestellt wurde.

Ein Ereignis ist dann unabwendbar, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden konnte. Es ist als unvorhergesehen zu werten, wenn die Partei es tatsächlich nicht einberechnet hat, und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (VwGH 17.02.1994, Zl. 93/16/0020).

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen.

Der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund muss bereits im Wiedereinsetzungsantrag bezeichnet und sein Vorliegen glaubhaft gemacht werden. Die Partei muss also jene Umstände, durch die sie an der Vornahme der Prozesshandlung gehindert wurde, konkret beschreiben. Glaubhaftmachung bedeutet, dass die Partei Beweismittel anbieten muss, durch die die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens des Wiedereinsetzungsgrundes dargetan wird. Es ist allein das Vorliegen des geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrundes zu prüfen. Eine amtswegige Prüfung, ob allenfalls weitere Gründe für eine Wiedereinsetzung vorliegen, ist nicht vorgesehen. Nach Ablauf der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag kann der geltend gemachte Wiedereinsetzungsgrund auch nicht mehr ausgewechselt werden (VwGH 25.02.2003, 2002/10/0223).

Im konkreten Fall begründet der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand damit, nicht gewusst zu haben, dass von seinem ehemaligen Betreuer der Wohnungseinrichtung keine Schritte zur Erhebung einer Beschwerde gesetzt worden seien.

Es sei weder ein Termin bei der ARGE Rechtsberatung noch beim Kinder- und Jugendhilfeträger vereinbart worden. Der Beschwerdeführer sei mit der Rechtslage nicht vertraut und habe sich darauf verlassen, dass der Betreuer den Beschwerdeführer informieren würde, wenn er selbst irgendwelche Schritte setzen sollte.

Der Bescheid sowie die Verfahrensanordnung hinsichtlich einer Rechtsberatung bezüglich einer allfälligen Beschwerdeerhebung wurden dem Beschwerdeführer am 06.06.2017 nachweislich zugestellt. Somit hatte der Beschwerdeführer alle Information bezüglich einer allfälligen Beschwerdeerhebung. Im Bescheid der belangten Behörde vom 31.05.2017 wurde der Beschwerdeführer in seiner Muttersprache auf die Dauer der Rechtsmittelfrist hingewiesen. Der Beschwerdeführer war somit über den Verlauf des Verfahrens und die Bedeutsamkeit der Fristen informiert. Dem Beschwerdeführer wurde die Verfahrensanordnung bezüglich allfälliger Beschwerdeerhebung an das Bundesverwaltungsgericht in seiner Muttersprache zugestellt.

Im konkreten Fall ist die Verhinderung einer Rechtsberaterin bzw. das Nichtzustandekommen eines Rechtsberatungsgespräches für die Erhebung einer fristgerechten Beschwerde und die dadurch verursachte verspätete Einbringung einer Beschwerde kein unabwendbares Ereignis, da es durch einen Durchschnittsmenschen sehr wohl hätte objektiv verhindert werden können.

Dass der Beschwerdeführer verhindert war, jemand anderen zu ersuchen, ein von ihm verfasstes Schreiben einzubringen, damit die Beschwerdefrist gewahrt bleibt, brachte der Beschwerdeführer nicht vor. Der Beschwerdeführer hätte die Beschwerde in seiner Muttersprache erheben können. Mangelnde Deutschkenntnisse stellen jedenfalls auch nach höchstgerichtlicher Judikatur alleine keinen Wiedereinsetzungsgrund dar.

Auch die Ausführungen, dass der Beschwerdeführer rechtsunkundig und unerfahren im Umgang mit Behörden sei, sind im gegenständlichen Verfahren nicht geeignet, ein entschuldbares Verhalten des Beschwerdeführers an der Versäumung der Frist glaubhaft zu machen.

Es ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nicht verdeutlicht hat, warum er nicht von sich aus eine Beschwerde einbringen hat können.

Ausschließlich dem Beschwerdeführer selbst trifft die Verpflichtung, sich ausreichend hinsichtlich der ihn betreffenden Rechte und Pflichten zu erkundigen. Die Versäumung der Frist trotz nachgewiesenem Erhalt von Informationen, Beratungen und Rechtsmittelinformationen sowie der Zurverfügungstellung hinreichender und differenzierter Informationsmöglichkeiten seitens der belangten Behörde stellt keinen Fall eines leichten Verschuldens oder eines geringen Grades einer Fahrlässigkeit dar.

Im gegenständlichen Fall ist festzuhalten, dass die eingetretene Fristversäumnis als ein dem Beschwerdeführer zurechenbares und nicht nur leicht fahrlässig selbst verschuldetes Versäumnis zu werten ist. Dies insbesondere deshalb, da der Beschwerdeführer um den Fristenlauf Bescheid wusste.

Aufgrund sämtlicher Ausführungen war im vorliegenden Fall kein glaubhaftes Element erkennbar, welches - einen durchschnittlich sorgsamen Menschen als Vergleichsperson heranziehend - tatsächlich an der fristgerechten Einbringung einer zumindest kurzen Beschwerde gehindert haben konnte.

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand waren daher nicht gegeben, sodass das BFA den Wiedereinsetzungsantrag zu Recht abgewiesen hat.

Vollständigkeitshalber wird darauf hingewiesen, dass die Notwendigkeit bei einem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung abzuerkennen dem Wortlaut des Gesetzes nicht entnommen werden kann.

Zu A) Spruchpunkt II.

Zurückweisung der Beschwerde:

Gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG vier Wochen. Sie beginnt in den Fällen des Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG (= Parteibeschwerde) dann, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung.

Da die verspätete Vorlage der Beschwerde gegen den Bescheid vom 31.05.2017 unstrittig ist, war diese zurückzuweisen.

Entfall der mündlichen Verhandlung

Angesichts der Tatsache, dass das Bundesverwaltungsgericht seiner Entscheidung als maßgebender Sachverhalt den unstrittigen Akteninhalt und das Beschwerdevorbringen zugrunde gelegt hat, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-Verfahrensgesetz unterbleiben.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, da die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Es fehlt an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ob ein Beschluss des Pflegschaftsgerichts, mit dem einem Jugendwohlfahrtsträger die Obsorge für einen Asylwerber übertragen wurde, hinsichtlich des im Spruch enthaltenen Geburtsdatums eine Bindungswirkung für das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht entfaltet.

Die Bedeutung geht auch über den Einzelfall hinaus, da häufig das durch ein medizinisches Sachverständigengutachten festgestellte Mindestalter und das im Obsorgebeschluss eines Pflegschaftsgerichts angegebene Alter divergieren. Die Spruchpraxis des Bundesverwaltungsgerichts divergiert hinsichtlich einer Bindungswirkung an den Obsorgebeschluss ebenfalls.

Schlagworte

Beschwerdefrist, mangelnder Anknüpfungspunkt, Rechtsberater,
Verfahrensführung, Verschulden, Wiedereinsetzung,
Wiedereinsetzungsantrag, zumutbare Sorgfalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:I414.2194380.1.00

Zuletzt aktualisiert am

29.05.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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