TE Lvwg Erkenntnis 2018/3/20 LVwG-AV-240/001-2018

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.03.2018
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Entscheidungsdatum

20.03.2018

Norm

FSG 1997 §7 Abs1
FSG 1997 §7 Abs3 Z3
FSG 1997 §26 Abs2a
StVO 1960 §16

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch HR Mag. Janak-Schlager als Einzelrichter über die Beschwerde des A in ***, vertreten B, Rechtsanwalt in ***, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha vom 31.01.2018, Zl. ***, wegen Entziehung der Lenkberechtigung und Anordnung einer Nachschulung nach dem Führerscheingesetz (FSG) zu Recht:

1.   Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

2.   Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha vom 31.01.2018, Zl. ***, wurde dem nunmehrigen Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 25 Abs. 1 und 3, § 26 Abs. 2a sowie § 29 Abs. 3 FSG die Lenkberechtigung für Kraftfahrzeuge der Klassen A, AM und B auf die Dauer von sechs Monaten ab Zustellung des Bescheides entzogen und angeordnet, dass der Führerschein unverzüglich bei der Behörde oder bei der Polizeiinspektion in *** abzugeben sei und er sich innerhalb der festgesetzten Frist einer Nachschulung zu unterziehen habe. Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen.

In der Begründung legte die belangte Behörde dar, dass der Beschwerdeführer am 20.07.2017 um 06:18 Uhr das Kraftfahrzeug mit dem behördlichen Kennzeichen *** auf der ***, Stkm *** im Gemeindegebiet von *** gelenkt und vier Kraftfahrzeuge überholt hätte, indem er zuerst drei PKW überholt habe und nachdem das in der Spitze der Kolonne fahrende Sattelkraftfahrzeug leicht nach links ausgeschwenkt habe, auch dieses, obwohl nicht einwandfrei erkennbar gewesen wäre, ob das Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr eingeordnet werden könne, ohne andere Straßenbenutzer zu gefährden oder zu behindern. Er hätte vier Kraftfahrzeuge auf einer unübersichtlichen Stelle (vor einer Fahrbahnkuppe) überholt und hätte die gefahrene Geschwindigkeit in etwa 100 km/h betragen. Diesbezüglich wäre er von der BH Bruck an der Leitha mit Strafverfügung vom 04.10.2017 bestraft worden. Diese Strafverfügung sei in Rechtskraft erwachsen.

Aufgrund der nachvollziehbaren und glaubhaften Angaben des Meldungslegers in der diesem Verfahren zugrunde liegenden, rechtskräftigen Strafverfahren bestehe für die Behörde kein Grund dazu, an der Sachverhaltsfeststellung zu zweifeln. Die Führerscheinbehörde sei, wenn eine rechtskräftige Bestrafung – im gegenständlichen Fall – vorliegt, jedenfalls in Ansehung des Umstandes, dass der Betreffende die im Strafbescheid genannte Tat begangen hat, gebunden.

In seinem Fall liege eine „bestimmte Tatsache“ im Sinne des § 7 Abs. 1 FSG vor, da das gleichzeitige Überholen von mehreren Fahrzeugen unmittelbar vor einer uneinsehbaren Kuppe, mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h jedenfalls eine abstrakte Gefährdungssituation darstelle. Dies insbesondere dadurch, dass es dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen wäre, den Überholvorgang vor Erreichen der Kuppe abzuschließen und dadurch ein Überfahren der Kuppe auf der Gegenfahrbahn notwendig gewesen wäre. Der Beschwerdeführer sei daher verkehrsunzuverlässig.

Gegen diesen Bescheid hat der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer ein Rechtsmittel ergriffen und u.a. die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides beantragt. Begründend führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig sei, da sich die belangte Behörde auf ein Straferkenntnis stütze, welches ohne seine Anhördung lediglich aufgrund der Privatanzeige eines anderen Verkehrsteilnehmers erlassen worden sei. Im Verwaltungsstrafverfahren seien keine Sachverhaltserhebungen getroffen worden. Die belangte Behörde unterlasse es daher zu überprüfen, ob tatsächlich eine, den Entzug des Führerscheines rechtfertigende Verkehrsunzuverlässigkeit vorgelegen habe. Es liege ein gravierender Verfahrensmangel vor.

Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha vom 06.03.2018 wurde der Verfahrensakt dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zur Entscheidung über diese Beschwerde vorgelegt.

Da diese Beschwerde nicht zurückzuweisen bzw. das Beschwerdeverfahren nicht einzustellen war, hatte das Landesverwaltungsgericht NÖ darüber gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden.

Im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Beweisverfahrens wird nachfolgender Sachverhalt festgestellt und als erwiesen angenommen:

Basierend auf der auch dem Verfahren nach dem FSG zugrunde liegenden Anzeige der Polizeiinspektion *** vom 29.07.2017, ***, wurde dem Beschwerdeführer mit Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha vom 04.10.2017, Zl. ***, zur Last gelegt, er habe als Lenker des Personenkraftwagens mit dem behördlichen Kennzeichen *** am 20.07.2017, 06:18 Uhr, im Gemeindegebiet ***, auf der Landesstraße *** nächst Strkm. ***, folgende Verwaltungsübertretungen begangen:

„1.  Sie haben ein Fahrzeug überholt, obwohl nicht einwandfrei erkennbar war, ob das Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr eingeordnet werden kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern.

2.   Sie haben auf einer unübersichtlichen Stelle (vor einer Fahrbahnkuppe) ein Fahrzeug überholt.“

Dem Beschwerdeführer wurden damit Verwaltungsübertretungen gemäß § 16 Abs. 1 lit. c Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) (Spruchpunkt 1) und gemäß § 16 Abs. 2 lit. b i.V.m. § 99 Abs. 3 lit. a StVO (Spruchpunkt 2) angelastet und wurden über ihn zu diesen Spruchpunkten gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO Geldstrafen/Ersatzfreiheitsstrafen in der Höhe von jeweils 70 Euro/32 Stunden verhängt.

Diese Strafverfügung ist in weiterer Folge in Rechtskraft erwachsen.

Diese unstrittigen Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus dem vorliegenden unbedenklichen Verfahrensakt der belangten Behörde.

In rechtlicher Hinsicht ergibt sich daraus Folgendes:

§ 16 StVO lautet auszugsweise:

(1)  Der Lenker eines Fahrzeuges darf nicht überholen:

(…)

c)  wenn er nicht einwandfrei erkennen kann, dass er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern,

(…).

(2)  Außer in den im Abs. 1 angeführten Fällen darf der Lenker eines Fahrzeuges nicht überholen:

(…)

b)  bei ungenügender Sicht und auf unübersichtlichen Straßenstellen, z. B. vor und in unübersichtlichen Kurven und vor Fahrbahnkuppen; es darf jedoch überholt werden, wenn die Fahrbahn durch eine Sperrlinie (§ 55 Abs. 2) geteilt ist und diese Linie vom überholenden Fahrzeug nicht überragt wird,

(…).

Gemäß § 99 Abs. 2 lit. c StVO begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 36 Euro bis 2.180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von 24 Stunden bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer als Lenker eines Fahrzeuges, z.B. beim Überholen, als Wartepflichtiger oder in Hinblick auf eine allgemeine oder durch Straßenverkehrszeichen kundgemachte Geschwindigkeitsbeschränkung, unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt, sofern nicht eine Übertretung nach Abs. 2d oder 2e vorliegt.

Eine Verwaltungsübertretung begeht gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO und ist mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen, wer als Lenker eines Fahrzeuges, als Fußgänger, als Reiter oder als Treiber oder Führer von Vieh gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der aufgrund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhalten nicht nach den Abs. 1, 1a, 1b, 2, 2a, 2b, 2c, 2d, 2e oder 4 zu bestrafen ist.

Als verkehrszuverlässig gilt eine Person zufolge § 7 Abs. 1 FSG, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1.  die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

2.  sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.

Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat gemäß Abs. 3 Z 3 leg.cit. insbesondere zu gelten, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten und vergleichbaren Einrichtungen sowie auf Schutzwegen oder Radfahrerüberfahrten, sowie jedenfalls Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet um mehr als 90 km/h oder außerhalb des Ortsgebiets um mehr als 100 km/h, das Nichteinhalten des zeitlichen Sicherheitsabstandes beim Hintereinanderfahren, sofern der zeitliche Sicherheitsabstand eine Zeitdauer von 0,2 Sekunden unterschritten hat und diese Übertretungen mit technischen Messgeräten festgestellt wurden, das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen oder das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen.

Im Falle der erstmaligen Begehung einer in § 7 Abs. 3 Z 3 FSG genannten Übertretung hat die Entziehungsdauer gemäß § 26 Abs. 2a mindestens sechs Monate zu betragen, sofern nicht gemäß Abs. 2 eine längere Entziehungsdauer auszusprechen ist. Eine nach Ablauf von zwei Jahren seit der letzten Übertretung begangene derartige Übertretung gilt als erstmalig begangen.

Die verwaltungsstrafrechtliche Beurteilung des Überholmanövers des Beschwerdeführers am 20.07.2017, um 06:18 Uhr, in *** stellt eine Vorfrage im Sinne des § 38 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) dar.

Entgegen der von der Führerscheinbehörde getroffenen Einschätzung, wonach das Verhalten des Beschwerdeführers geeignet war, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen Verkehrsvorschriften verstoßen worden sei, ging die Verwaltungsstrafbehörde nicht vom Vorliegen im Sinne des § 99 Abs. 2 lit. c StVO qualifizierter Delikte aus.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist im Fall einer rechtskräftigen Bestrafung nach § 99 Abs. 2 lit. c StVO von einer Bindungswirkung der Führerscheinbehörde auszugehen, sodass diese das Vorliegen einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z 3 FSG zugrunde zu legen hat (vgl. die Erkenntnisse vom 23.04.2002, Zl. 2000/11/0025 und Zl. 2002/11/0063). Dies bedeutet aber umgekehrt, dass, wenn die Bestrafung lediglich nach § 99 Abs. 4 lit. a StVO erfolgte, keine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z 3 FSG verwirklicht wurde, weshalb das Vorliegen eines Entziehungstatbestandes zu verneinen ist (vgl. das Erkenntnis des LVwG Tirol vom 25.11.2015, Zl. LVwG-2015/20/1831-6)

Selbst wenn im konkreten Fall tatsächlich eine bestimmte Tatsache nach § 7 Abs. 3 Z 3 FSG vorläge, so wäre angesichts der Länge der seit der Tatbegehung verstrichenen Zeit und des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers vor und nach dieser Tat – Gegenteiliges ist dem Verfahrensakt nicht zu entnehmen – die angenommene Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit von über 13 Monaten als zu lange anzusehen, sodass ausgehend vom Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides, mehr als sechs Monate nach dem Vorfall, eine Entziehung der Lenkberechtigung selbst für die im § 26 Abs. 2a FSG vorgesehene Dauer von sechs Monaten nicht mehr in Betracht kommt. Trifft nämlich die Annahme, der Betroffene werde für diesen Zeitraum verkehrsunzuverlässig sein, nicht (mehr) zu, so darf eine Entziehung der Lenkberechtigung nicht ausgesprochen bzw. vom Verwaltungsgericht nicht bestätigt werden (vgl. dazu sinngemäß im Erkenntnis des VwGH vom 24.04.2007, Zl. 2005/11/0156).

Dem Rechtsmittel des Beschwerdeführers war aus den oben genannten Gründen der Erfolg daher nicht zu versagen und hatte die Aufhebung des angefochtenen Bescheides spruchgemäß zu erfolgen.

Die öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Schlagworte

Verkehrsrecht; Kraftfahrrecht; Lenkberechtigung; Entziehung; Verkehrszuverlässigkeit; Wohlverhalten;

Anmerkung

VwGH 20.07.2018, Ra 2018/11/0089-7, Aufhebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2018:LVwG.AV.240.001.2018

Zuletzt aktualisiert am

07.08.2018
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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