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20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);Norm
ABGB §914;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der B GmbH in D, vertreten durch Dr. Ekkehard Bechtold, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Marktplatz 9, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 21. Dezember 2015, Zl. RV/1100296/2012, betreffend Dienstgeberbeitrag samt Säumniszuschlag für die Jahre 2006 bis 2010, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Strittig ist, ob die revisionswerbende GmbH, deren Unternehmensgegenstand in der Ausübung der Rechtsanwaltschaft besteht, für ihre nicht wesentlich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer, die neben ihrer Tätigkeit als Anwalt auch Geschäftsführungsagenden der Revisionswerberin wahrnehmen, Dienstgeberbeiträge zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu leisten hat.
2 Gestützt auf die Feststellungen einer GPLA-Prüfung erließ das Finanzamt Bescheide über die Festsetzung von Dienstgeberbeiträgen und von Säumniszuschlägen für die Jahre 2006 bis 2010. Begründend wurde auf den Prüfungsbericht verwiesen, in dem ausgeführt wird:
"Die Bezüge und Vorteile eines Gesellschafters (Geschäftsführers) sind DB- und kommunalsteuerpflichtig, wenn er in den Organismus des Betriebes eingegliedert ist. Von einer Eingliederung ist jedenfalls auszugehen, wenn die Tätigkeit kontinuierlich ausgeübt wird."
3 Die Revisionswerberin erhob Berufung, in der sie u. a. vorbrachte, dass die Gesellschafter-Geschäftsführer auf Grund der für Rechtsanwälte geltenden gesetzlichen und standesrechtlichen Regelungen sowie dem klaren Wortlaut der Geschäftsführerverträge keinen Weisungen unterlägen und daher deren Dienstnehmereigenschaft zu verneinen sei.
4 In einer abweisenden Berufungsvorentscheidung führte das Finanzamt zur Frage der Weisungsgebundenheit aus:
"Im Geschäftsführervertrag wird im Vertragspunkt I.5. die weisungsfreie handelsrechtliche Geschäftsführertätigkeit fixiert. Gemäß § 21c RAO ist eine Weisungsgebundenheit ausgeschlossen und so erübrigt sich im Gesellschaftsvertrag eine derartige ausdrückliche Regelung, da durch zwingendes Recht kein Spielraum für eine Vereinbarung besteht. Der gesetzliche Ausschluss schlägt inhaltlich somit auf den Gesellschaftsvertrag durch und es liegen gemäß § 25 Abs 1 Z 1 lit b EStG Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vor, sofern die Beschäftigung sonst alle Merkmale eines Dienstverhältnisses aufweist."
5 Die Revisionswerberin beantragte die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies auch das nunmehr zuständig gewordene Bundesfinanzgericht die Berufung (nunmehr Beschwerde) als unbegründet ab. Das Bundesfinanzgericht stellte zunächst fest, dass bei den jeweils mit weniger als 25% an der Revisionswerberin beteiligten Geschäftsführern keine gesellschaftsrechtliche Sonderstellung vorliege. Sodann wurde beispielshaft der Inhalt eines Geschäftsführervertrages wiedergegeben und insbesondere auf dessen Punkt I.5. Bezug genommen, der folgendermaßen lautet:
"Die handelsrechtliche Geschäftsführertätigkeit (Leitung und Überwachung des Unternehmens) übt der GESCHÄFTSFÜHRER gemeinsam mit seinen Mitgeschäftsführern aus. Auch bei dieser Tätigkeit ist der GESCHÄFTSFÜHRER weisungsfrei. Die aus zeitlicher und tatsächlicher Hinsicht gesehene weit überwiegende Tätigkeit stellt jedoch die Rechtsanwaltstätigkeit dar."
Die Formulierung in Punkt I.5. - so das Bundesfinanzgericht in seinen Entscheidungsgründen - spreche nicht zweifelsfrei dafür, dass sowohl eine sachliche als auch eine persönliche Weisungsgebundenheit ausgeschlossen wären. Der Ausschluss einer persönlichen Weisungsbindung sei jedenfalls nicht ausdrücklich schriftlich vereinbart. Im Übrigen hätten weder das Finanzamt noch die Revisionswerberin im Laufe des Beschwerdeverfahrens dazu Stellung genommen, ob laut Geschäftsführervertrag die Erteilung (auch) von persönlichen Weisungen möglich gewesen wäre oder auch nicht. Alleine aus der gewählten Formulierung sei es jedenfalls nicht eindeutig erkennbar, dass die Gesellschafter-Geschäftsführer keinen persönlichen Weisungen unterlägen seien. Während in Vertragspunkt I.3. (der die rechtsanwaltliche Tätigkeit betrifft) noch von "völliger Weisungsfreiheit" gesprochen werde, werde im Vertragspunkt I.5. nur mehr die Formulierung gewählt, dass der Geschäftsführer bei dieser Tätigkeit weisungsfrei sei. Es wäre an der Revisionswerberin gelegen gewesen, den Anstellungsvertrag derart eindeutig zu formulieren, dass die Gesellschafter-Geschäftsführer keinen sachlichen und auch keinen persönlichen Weisungen unterliegen.
7 Dass tatsächlich keine persönlichen Weisungen erteilt worden seien, könne weder den Prüfungsakten noch dem Beschwerdevorbringen entnommen werden. Im Ergebnis müsse die Frage, ob persönliche Weisungsgebundenheit vorgelegen sei, anhand der unklaren Formulierung in den Geschäftsführerverträgen, den Prüfungsfeststellungen und dem Beschwerdevorbringen mit "ja" beantwortet werden. Auch angesichts des Vertragspunktes III.1., wonach der Geschäftsführer seinen Arbeitsablauf frei einteilen und jederzeit abändern könne und an keine fixen Arbeitsstunden gebunden sei, könne keine persönliche Weisungsfreiheit abgeleitet werden. Eine freie Zeiteinteilung stehe der Beurteilung, dass eine persönliche Weisungsgebundenheit vorliege, nicht entgegen. Eine Eingliederung in den Betrieb liege - wie näher ausgeführt - gleichfalls vor. Die Geschäftsführer würden ihre Tätigkeit nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im Rahmen eines Dienstverhältnisses ausüben.
8 Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof sei unzulässig, weil die zu lösende Rechtsfrage bereits in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beantwortet sei und der vorliegende Revisionsfall von nicht über den Einzelfall hinausgehenden Sachverhaltsfragen abhänge.
9 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit u.a. geltend gemacht wird, dass das angefochtene Erkenntnis den Geschäftsführervertrag entgegen dem klaren und eindeutigen Wortsinn auslege, ohne dazu Parteiengehör gewährt zu haben. Hätte das Verwaltungsgericht den maßgebenden Parteiwillen und die tatsächliche Praxis erhoben, wäre hervorgekommen, dass von den sechs revisionsgegenständlichen Geschäftsführern überhaupt nur drei handelsrechtliche Geschäftsführertätigkeiten ausübten, alle sechs Gesellschafter-Geschäftsführer (wie im Geschäftsführervertrag ausgeführt) auch persönlich (in rechtsanwaltlichen und unternehmerischen Angelegenheiten) weisungsungebunden seien und daher keine Dienstverhältnisse vorlägen.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12 Hinsichtlich der rechtlichen Voraussetzungen für die Verpflichtung zur Entrichtung von Dienstgeberbeiträgen für nicht wesentlich beteiligte Gesellschafter-Geschäftsführer von Gesellschaften mbH, deren Unternehmensgegenstand in der Ausübung der Rechtsanwaltschaft besteht, kann gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGH auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. November 2016, 2013/13/0046, und Ro 2014/13/0040, sowie das Erkenntnis vom 26. Jänner 2017, Ra 2015/15/0064, verwiesen werden. Entscheidend ist demnach, ob die nicht wesentlich beteiligten Geschäftsführer weisungsgebunden und in den geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers eingegliedert sind.
13 Die Revision wendet sich insbesondere gegen die Annahme der Weisungsgebundenheit ihrer Gesellschafter-Geschäftsführer durch das Bundesfinanzgericht.
14 Maßgeblich für die Beurteilung der Weisungsgebundenheit von Gesellschafter-Geschäftsführern einer GmbH iSd § 47 Abs. 2 EStG 1988 ist nicht die sachliche, sondern die davon zu unterscheidende persönliche Weisungsgebundenheit. Die Bindung eines (nicht wesentlich beteiligten) Geschäftsführers an den Gesellschaftsvertrag und die Gesellschafterbeschlüsse stellt bloß eine sachliche Weisungsgebundenheit her. Ob die Gesellschafter-Geschäftsführer der revisionswerbenden GmbH iSd § 47 Abs. 2 EStG 1988 "ihre Arbeitskraft schulden", ist aufgrund der zwischen den Geschäftsführern und der GmbH bestehenden schuldrechtlichen Verhältnisse zu beurteilen (vgl. mit zahlreichen Hinweisen auf die Vorjudikatur VwGH 24.11.2016, 2013/13/0046).
15 In der Revision wird vorgebracht, die vertragliche Formulierung der Weisungsfreiheit lasse objektiv keinen Interpretationsspielraum offen. Schon bei einer reinen Wortinterpretation werde klar, dass von der vereinbarten Weisungsfreiheit sowohl die sachliche als auch die persönliche mitumfasst werden. Das Bundesfinanzgericht hätte von den klaren vertraglichen Regelungen nur dann abgehen können, wenn die Verträge in der Praxis anders gelebt worden wären, was aber weder der Fall gewesen sei noch ohne Verhandlung und Beweisaufnahme festgestellt werden könne.
16 Das Finanzamt hat in den erstinstanzlichen Bescheiden keine Feststellungen zum Vorliegen einer Weisungsgebundenheit der Gesellschafter-Geschäftsführer getroffen. In der Berufung wurde in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Gesellschafter-Geschäftsführer auf Grund der für Rechtsanwälte geltenden gesetzlichen und standesrechtlichen Regelungen sowie dem klaren Wortlaut der Geschäftsführerverträge keinen Weisungen unterliegen würden und daher schon aus diesem Grund das Vorliegen von Dienstverhältnissen iSd § 47 EStG 1988 zu verneinen sei. In der Berufungsvorentscheidung wurde ausdrücklich eingeräumt, dass im Vertragspunkt I.5. "die weisungsfreie handelsrechtliche Geschäftsführertätigkeit fixiert", diesem Umstand jedoch keine Entscheidungsrelevanz beizumessen sei.
17 Im Abgabenverfahren gilt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Überraschungsverbot. Gemäß § 269 Abs. 1 BAO ist dies auch im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesfinanzgericht zu beachten. Teilt das Bundesfinanzgericht die zwischen den Parteien des Beschwerdeverfahrens unstrittigen Standpunkte nicht, so obliegt es ihm daher bei sonstigem Verstoß gegen das Überraschungsverbot, dies den Parteien bekannt zu geben und ihnen Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben (vgl. VwGH 11.2.2016, Ra 2015/13/0047).
18 Ein derartiger Verfahrensmangel liegt im Revisionsfall vor, wenn das Bundesfinanzgericht erstmals aus Punkt I.5. der Geschäftsführerverträge das Bestehen einer persönlichen Weisungsgebundenheit der Geschäftsführer ableitet, zumal diese Vertragsbestimmung, wie die Revision zutreffend aufzeigt, überdies kaum Raum für die vom Bundesfinanzgericht gefundene Auslegung bietet. Dass die Revisionswerberin zu einer "Stellungnahme" hinsichtlich der Frage der persönlichen Weisungsgebundenheit ihrer Geschäftsführer aufgefordert worden wäre, ist dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen. Der Vorwurf des Unterbleibens einer die Zweifel des Bundesfinanzgerichts ausräumenden Stellungnahme erweist sich daher als nicht gerechtfertigt.
19 Gemäß § 914 ABGB ist bei der Auslegung von Verträgen die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Im gegenständlichen Fall wäre es sohin Sache des Bundesfinanzgerichts gewesen, den Parteiwillen zu erforschen, bevor es die betreffende Vertragsbestimmung als eine Festlegung von persönlicher Weisungsgebundenheit der Gesellschafter-Geschäftsführer interpretiert. Die Angaben der Parteien über ihre Absicht im Rahmen des Vertragsabschlusses zählen zu den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens, welche gemäß § 167 Abs. 2 BAO bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 2.9.2009, 2005/15/0035).
20 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
21 Von der von der Revisionswerberin beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
22 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 31. Jänner 2018
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2016150014.L00Im RIS seit
28.02.2018Zuletzt aktualisiert am
12.04.2018