Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten Dr. Schramm, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bringungsgemeinschaft N*****, vertreten durch Mader – Steskal Rechtsanwälte Partnerschaft in Reutte, gegen die beklagte Partei L***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Christian Pichler, Rechtsanwalt in Reutte, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 26. September 2017, GZ 1 R 147/17z-20, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Reutte vom 24. April 2017, GZ 2 C 358/16s-16, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die klagende Partei ist Errichterin und Halterin eines land- und forstwirtschaftlichen Bringungswegs, der in seinem unteren Teil von der Bergstation des von der beklagten Partei betriebenen Doppelsessellifts über ca 3,6 km ins Tal führt. Die beklagte Partei vermietet an der Bergstation sogenannte Mountaincarts (dreirädrige Gefährte ohne Tretvorrichtung oder Kettenantrieb) an Touristen (Liftbenutzer), die damit als Attraktion entsprechend den Hinweisen und der (Internet-)Werbung der beklagten Partei den Bringungsweg hinunterfahren. Diese Wegstrecke ist aufgrund des Übereinkommens zwischen der klagenden Partei und dem örtlichen Tourismusverband für die Öffentlichkeit als Radfahrweg freigegeben sowie aufgrund des Förderungsvertrags zwischen der Gemeinde und dem Land Tirol Teil einer Mountainbike-Route.
Das Erstgericht wies das Begehren der klagenden Partei, die Überlassung von Mountaincarts zum Befahren des Bringungswegs und die Werbung für diese Strecke als Mountaincart-Strecke zu unterlassen, ab.
Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren hingegen statt. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und die Revision zulässig sei, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu bestehe, inwieweit die Verwendung der Teilstrecke einer Mountainbike-Route mit nur zur Talfahrt bestimmten und geeigneten Mountaincarts eine unzulässige Änderung oder Erweiterung einer nur zum Zweck des Radfahrens und insbesondere des Mountainbikens eingeräumten Dienstbarkeit darstelle.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision der beklagten Partei ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) nicht zulässig.
1. Die Aktivlegitimation der klagenden Bringungsgemeinschaft ist ebenso wenig umstritten wie die Passivlegitimation der beklagten Liftgesellschaft als mittelbare Störerin.
2. Die Fragen des Ausmaßes oder des Umfangs einer Dienstbarkeit und der Grenzen der zulässigen Erweiterung sind einzelfallbezogen zu lösen und erfüllen daher – von einer zu korrigierenden Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht abgesehen – nicht die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO (4 Ob 189/16x).
3. Eine gemessene Servitut liegt vor, wenn ihr Inhalt im Titel (allenfalls nach Auslegung) unzweifelhaft umschrieben wird; eine ungemessene Servitut hingegen dann, wenn die Art, das (zeitliche) Ausmaß und der räumliche Umfang im Titel nicht eindeutig begrenzt sind (RIS-Justiz RS0011752 [T7]). Werden im Servitutsbestellungsvertrag Ausmaß und Umfang eines Fahrtrechts nicht näher festgelegt, nimmt die Rechtsprechung eine ungemessene Servitut an (RIS-Justiz RS0011741 [T6]). Bei ungemessenen Servituten ist eine Anpassung der Benützungsart durch den Berechtigten an die fortschreitende technische Entwicklung zulässig (RIS-Justiz RS0016368 [T12]; RS0016370 [T3]). Bei einer gemessenen Dienstbarkeit wird hingegen eine Erweiterung grundsätzlich als unzulässig angesehen (RIS-Justiz RS0105550). Diese Grundsätze gelten auch für unregelmäßige Dienstbarkeiten. An die Stelle der Verhältnisse des herrschenden Guts treten diejenigen der berechtigten Personen (7 Ob 241/08d mwN).
4.1. In dem mit dem örtlichen Tourismusverband geschlossenen Übereinkommen gab die klagende Partei den auf einem beigelegten Plan eingezeichneten Weg jeweils vom 1. 4. bis zum 31. 10. jeden Jahres für das Radfahren mit ausschließlich durch Muskelkraft fortbewegten Fahrrädern frei.
4.2. Nach einer Auslegung, die sich sowohl am maßgeblichen Wortlaut der Urkunde (RIS-Justiz RS0107851 [T3]) als auch am Zweck der Dienstbarkeit orientiert (RIS-Justiz RS0011720 [T9]) ist das zum Zweck der touristischen Nutzung durch die Allgemeinheit eingeräumte Fahrtrecht konkret auf ein bestimmtes Fortbewegungsmittel eingeschränkt: Fahrräder (einschließlich Mountainbikes), die nicht iSd § 2 Abs 1 Z 22 lit b und d StVO über einen (zusätzlichen) elektrischen Antrieb verfügen. Die dreirädrigen Mountaincarts ohne Tretvorrichtung oder Kettenantrieb fallen weder unter § 2 Abs 1 Z 22 lit a oder c StVO noch sind sie nach der Verkehrsauffassung als Fahrräder anzusehen, die auf einer Mountainbike-Strecke Verwendung finden sollen: Ihre Bauart bestimmt sie praktisch nur zum Fahren bergab, während Radfahrer (Mountainbiker) sich zumeist (mit Einsatz von Muskelkraft) auch bergauf bewegen.
4.3. Der Vertrag legte aber nicht nur die Art des Fortbewegungsmittels fest. Er schränkt zudem den Nutzungszeitraum ein. Über die räumlichen Grenzen des Fahrtrechts bestehen aufgrund der angeschlossenen Pläne ebenfalls keine Zweifel. Es handelt sich daher nicht um ein unbeschränktes allgemeines Fahrtrecht im Sinn einer ungemessenen Servitut.
4.4. Die Bestellung der Dienstbarkeit sollte der Allgemeinheit das Radfahren auf einem Weg als Teil einer offiziellen Mountainbike-Route ermöglichen. Angesichts dieses vertraglichen Hintergrunds, einem an der Ausübung eines bestimmten Sports interessierten Publikum eine offizielle Strecke zur Verfügung zu stellen, erfasst der Zweck der Dienstbarkeit entgegen der Auffassung der Revisionswerberin nicht die kommerzielle Nutzung durch Anbieter von anderen sogenannten Fun- oder Trendsportarten.
4.5. Im Zusammenhang mit einer kommerziellen Nutzung von Schiabfahrten hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die unregelmäßige Dienstbarkeit der Schiabfahrt nicht das Recht erfasst, einen Schischulsammelplatz (mit Umzäunung und Werbetafeln) zu betreiben (RIS-Justiz RS0117991) oder Mountainbike-Abfahrtsrennen auf dem als Schiabfahrt genutzten Gelände zu veranstalten (RIS-Justiz RS0117991 [T1]). Die jedermann eingeräumte Dienstbarkeit der Schiff- und Floßfahrt mit Ruder- und Segelbooten auf einem Privatgewässer deckt nicht den gewerblichen Betrieb einer Surfschule (RIS-Justiz RS0011783). Die Legalservitut des § 33 Abs 1 ForstG (Betreten des Waldes zu Erholungszwecken) erfasst keine kommerziellen Veranstaltungen wie die Durchquerung des Waldes im Rahmen von gewerblich geführten Canyoning-Touren (1 Ob 211/17m).
4.6. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, das die kommerzielle Nutzung eines Radwegs und Teil einer Mountainbike-Strecke mit Mountaincarts als unzulässig ansah, ist vertretbar. Der zu 4 Ob 189/16x entschiedene „Segway-Fall“ zwingt zu keinem gegenteiligen Ergebnis: Dort wurde der beklagten Gemeinde ein allgemeines Geh- und Fahrtrecht mit der Berechtigung eingeräumt, diesen Weg der Öffentlichkeit als Rad-, Wander- und Pferdeschlittenweg zur Verfügung zu stellen. Der Oberste Gerichtshof sah kommerzielle Fahrten mit Segways nicht als unzulässige Erweiterung der Servitut an. Die Nutzung war vertraglich jedoch nicht derart eingeschränkt, wie es hier der Fall ist.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, weshalb ihr die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen sind.
Textnummer
E120704European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0100OB00074.17F.0123.000Im RIS seit
26.02.2018Zuletzt aktualisiert am
29.05.2018