TE Vwgh Beschluss 2017/11/14 Ra 2017/20/0205

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Veröffentlicht am 14.11.2017
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Index

E1E
E3R E19103000
E3R E19104000
E6J
41/02 Passrecht Fremdenrecht
59/04 EU - EWR

Norm

AsylG 2005 §5 Abs1
12010E267 AEUV Art267
32003R1560 Dublin-II DV Art5 Abs2
32013R0604 Dublin-III Art13 Abs1
32013R0604 Dublin-III Art17
32013R0604 Dublin-III Art21 Abs1
32013R0604 Dublin-III Art22 Abs1
32013R0604 Dublin-III Art22 Abs7
32013R0604 Dublin-III Art3
62016CJ0670 Mengesteab VORAB

Beachte


Vorabentscheidungsverfahren:
* EU-Register: EU 2017/0009
* EuGH-Zahl: C-657/17
Vorabentscheidungsverfahren:
* Vorabentscheidungsantrag:
Ra 2017/20/0205 B 23.01.2019
* Vorabentscheidungsantrag mit Ra 2017/20/0205 B 23.01.2019 zurückgezogen

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Hainz-Sator und Dr. Leonhartsberger sowie den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Mitter, in der Rechtssache betreffend die Revision des H H, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8.5.2017, Zl. W168 2146185-1/14E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005 und Anordnung einer Außerlandesbringung nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden nach Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Führt die Versäumung der Frist gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 1560/2003 (Durchführungsverordnung) zur Entgegnung (Remonstration) im Falle der fristgerechten Ablehnung eines Aufnahmegesuchs gemäß Art. 21 Abs. 1 der Verordnung 604/2013 (Dublin III-VO) durch den ersuchten Mitgliedstaat zu einem Zuständigkeitsübergang auf den ersuchenden Mitgliedstaat, wenn der ersuchende Mitgliedstaat zunächst fristgerecht ein Aufnahmegesuch im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Unterabsatz 1 der Dublin III-VO gestellt hat und aufgrund (nachträglicher) Ermittlungen der ersuchte Mitgliedstaat als der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO zuständige Mitgliedstaat feststeht?

2. Kann der ersuchte - und nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO zuständige - Mitgliedstaat dem Aufnahmegesuch nach Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO auch dann noch wirksam zustimmen, wenn die in Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO festgelegte Antwortfrist bereits abgelaufen ist und der ersuchte Mitgliedstaat das Aufnahmegesuch zuvor fristgerecht abgelehnt hat?

Begründung

1        I. Sachverhalt und Ausgangsverfahren:

2        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 5.8.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Eine Eurodac-Treffermeldung vom 5.8.2016 ergab eine erkennungsdienstliche Behandlung des Revisionswerbers in Italien vom 23.7.2016. Mit Schreiben eines Röntgeninstitutes vom 17.8.2016 wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mitgeteilt, dass beim Revisionswerber eine Bestimmung des Knochenalters der linken Hand erfolgt sei, die darauf schließen lasse, dass dieser volljährig sei.

3        Aufgrund dieser Information stellte das BFA am 20.8.2016 ein auf Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO gestütztes Aufnahmegesuch gemäß Art. 21 Dublin III-VO an die italienischen Behörden. Unter einem wies es die italienischen Behörden darauf hin, dass die Angaben des Revisionswerbers bezüglich seiner Minderjährigkeit aufgrund der Ergebnisse einer ersten medizinischen Untersuchung unglaubwürdig seien.

4        Mit Schreiben vom 31.8.2016 verweigerten die italienischen Behörden die Rückübernahme des Revisionswerbers mit der Begründung und dem Hinweis auf Art. 8 Abs. 4 Dublin III-VO, wonach der Revisionswerber erklärt habe, dass er ein unbegleiteter Minderjähriger sei und in Italien keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe.

5        Am 5.9.2016 richtete das BFA ein Schreiben an die italienischen Behörden mit dem Inhalt, dass die Ablehnung zur Kenntnis genommen werde und sich die österreichischen Behörden bei Erhalt neuer Ermittlungsergebnisse betreffend das Alter des Revisionswerbers wieder an die italienischen Behörden wenden würden.

6        Aufgrund eines gerichtsmedizinischen Gutachtens vom 20.10.2016 ergab sich die Volljährigkeit des Revisionswerbers zum Zeitpunkt der Antragstellung.

7        Am 12.11.2016 wurden die Ergebnisse der Altersfeststellung mit dem Hinweis, dass der Revisionswerber zum Antragszeitpunkt zumindest 18 Jahre alt gewesen sei, den italienischen Behörden übermittelt.

8        Mit Schreiben vom 14.11.2016 stimmte Italien dem Aufnahmegesuch gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-Verordnung ausdrücklich zu.

9        Mit Bescheid vom 11.1.2017 wurde der Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Behandlung dieses Antrages Italien gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO zuständig sei, weiters wurde gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass die Abschiebung nach Italien zulässig sei.

10       Am 23.2.2017 wurde der Revisionswerber auf dem Luftweg nach Italien überstellt.

11       Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wies die Beschwerde mit Erkenntnis vom 8.5.2017 als unbegründet ab. Begründend führte das BVwG unter anderem aus, dass Italien seine Zuständigkeit ausdrücklich anerkannt habe und es für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates keine Anhaltspunkte gebe. Die Revision wurde vom BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zugelassen.

12       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) gerichtete außerordentliche Revision.

13       In der Revision wird vorgebracht, dem Erkenntnis des BVwG liege die Ansicht zugrunde, dass sich die Zuständigkeit Italiens aus Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO ergebe. Es stelle sich die Frage, ob von einer Zuständigkeit Italiens auszugehen sei, wenn Italien zuerst das Aufnahmegesuch innerhalb der Zwei-Monatsfrist ablehne und die Zustimmung - nach Einleitung eines Remonstrationsverfahrens gemäß Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung zur Dublin III-Verordnung - nach Ablauf der in Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO normierten Zwei-Monatsfrist erteile. Das BVwG gehe hierbei davon aus, dass Art. 5 Abs. 2 der Durchführungsverordnung eine Verlängerung der in Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO normierten Frist für die Antwort auf ein Aufnahmegesuch vorsehe. Zur Frage, ob sich aus dem Remonstrationsverfahren oder einer sonstigen Rechtsgrundlage die Verlängerung der Frist nach Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO ergebe, fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

14       II. Die maßgebenden Bestimmungen des nationalen Rechts:

15       § 5 AsylG 2005 lautet:

„Zuständigkeit eines anderen Staates

(1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

...“

16       III. Die maßgebenden Bestimmungen des Unionsrechts:

17       1. Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO)

18       In den Erwägungsgründen zur Dublin III-Verordnung heißt es:

„(...)

(4) Entsprechend den Schlussfolgerungen von Tampere sollte das GEAS auf kurze Sicht eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats umfassen.

(5) Eine solche Formel sollte auf objektiven und für die Mitgliedstaaten und die Betroffenen gerechten Kriterien basieren. Sie sollte insbesondere eine rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ermöglichen, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten und das Ziel einer zügigen Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz nicht zu gefährden. (...)“

19       Artikel 3 Dublin III-VO lautet auszugsweise:

„Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig. ...“

20       Artikel 13 Abs. 1 Dublin III-VO lautet:

„Einreise und/oder Aufenthalt

Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.“

Artikel 17 Dublin III-VO lautet auszugsweise:

„Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. ...“

21       Artikel 21 Abs. 1 Dublin III-VO lautet:

„Aufnahmegesuch

Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Artikel 20 Absatz 2, diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen.

Abweichend von Unterabsatz 1 wird im Fall einer Eurodac- Treffermeldung im Zusammenhang mit Daten gemäß Artikel 14 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 dieses Gesuch innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung gemäß Artikel 15 Absatz 2 jener Verordnung gestellt.

Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der in Unterabsätzen 1 und 2 niedergelegten Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für die Prüfung des Antrags zuständig.“

22       Artikel 22 Dublin III-VO lautet auszugsweise:

„Antwort auf ein Aufnahmegesuch

(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nach Erhalt des Gesuchs.

(...)

(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.“

23       2. Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 (Durchführungsverordnung):

24       Art. 5 lautet:

„Ablehnende Antwort

(1) Vertritt der ersuchte Mitgliedstaat nach Prüfung der Unterlagen die Auffassung, dass sich aus ihnen nicht seine Zuständigkeit ableiten lässt, erläutert er in seiner ablehnenden Antwort an den ersuchenden Mitgliedstaat ausführlich sämtliche Gründe, die zu der Ablehnung geführt haben.

(2) Vertritt der ersuchende Mitgliedstaat die Auffassung, dass die Ablehnung auf einem Irrtum beruht, oder kann er sich auf weitere Unterlagen berufen, ist er berechtigt, eine neuerliche Prüfung seines Gesuchs zu verlangen. Diese Möglichkeit muss binnen drei Wochen nach Erhalt der ablehnenden Antwort in Anspruch genommen werden. Der ersuchte Mitgliedstaat erteilt binnen zwei Wochen eine Antwort. Durch dieses zusätzliche Verfahren ändern sich in keinem Fall die in Artikel 18 Absätze 1 und 6 und Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe b) der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vorgesehenen Fristen.“

25       IV. Zur Vorlageberechtigung

26       Der VwGH ist ein Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können.

27       Der VwGH vertritt die Auffassung, dass sich bei der Entscheidung der von ihm zu beurteilenden Revisionssache die im gegenständlichen Ersuchen um Vorabentscheidung angeführten und im Folgenden näher erörterten Fragen der Auslegung des Unionsrechts stellen.

28       V. Erläuterungen zu den Vorlagefragen

29       V.1. Das gegenständliche Vorabentscheidungsersuchen bezieht sich auf die Auslegung von Art. 21 Dublin III-VO und Art. 5 Durchführungsverordnung.

30       Vorauszuschicken ist, dass im vorliegenden Verfahren die Zuständigkeit Italiens nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-Verordnung nicht zweifelhaft ist. Auch das Vorabentscheidungsersuchen legt daher diese Annahme zugrunde.

31       Mit Urteil vom 26.7.2017, C-670/16 (Mengesteab gegen Deutschland) hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zu Recht erkannt:

„Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine ihr gegenüber ergangene Überstellungsentscheidung auf den Ablauf einer in Art. 21 Abs. 1 der Verordnung genannten Frist berufen kann, wobei dies auch dann gilt, wenn der ersuchte Mitgliedstaat bereit ist, diese Person aufzunehmen.“

32       V.2. Zur ersten Vorlagefrage:

33       Fallbezogen hat das BFA ausgehend vom Datum der positiven Eurodac-Treffermeldung am 5.8.2016 zunächst rechtzeitig innerhalb der in Art. 21 Unterabsatz 2 Dublin III-VO vorgesehenen Frist von zwei Monaten am 20.8.2016 ein Aufnahmegesuch an Italien gestellt. Ein Zuständigkeitsübergang kann daher nicht unmittelbar auf Art. 21 Unterabsatz 3 Dublin III-VO gestützt werden.

34       Die italienischen Behörden haben dieses Gesuch innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO am 31.8.2016 unter Hinweis auf die behauptete Minderjährigkeit des Revisionswerbers abgelehnt. Diese Ablehnung blieb seitens Österreichs zunächst unwidersprochen.

35       Ein Remonstrationsschreiben im Sinn des Art. 5 Abs. 2 Durchführungsverordnung samt Unterlagen zum Nachweis der Volljährigkeit des Revisionswerbers und eine Übersendung der die Ergebnisse der Altersuntersuchungen betreffenden Unterlagen wurde seitens Österreichs am 12.11.2016 übermittelt.

36       Diese Übermittlung erfolgte daher nach Ablauf der Frist von zwei Monaten ab der in Art. 21 Abs. 1 Unterabsatz 2 Dublin III-VO vorgesehen Frist - diese endete ausgehend von der Eurodac-Treffermeldung am 5.10.2016 - als auch nach Ablauf der dreiwöchigen Frist des Art. 5 Abs. 2 Durchführungsverordnung. Letztere Frist lief ab der Ablehnung seitens Italiens seit 31.8.2016.

37       Während jedoch an die Versäumung der Fristen für das Stellen eines Aufnahmegesuchs im Sinn des Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO sowie auch für die Antwort auf ein solches klare Rechtsfolgen geknüpft sind, geht aus der Dublin III-VO nicht hervor, welche Folgen es hat, wenn der ersuchende Mitgliedstaat erst nach Ablauf der dreiwöchigen Frist des Art. 5 Abs. 2 Durchführungsverordnung ein Remonstrationsschreiben an den - nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-Verordnung zuständigen - Mitgliedstaat richtet. Eine vergleichbare, ausdrückliche Regelung wie jene des Art. 21 Abs. 1 Unterabsatz 3 Dublin III-VO, der im Falle der Versäumung der Frist zur Stellung des Aufnahmegesuchs den ersuchenden Mitgliedstaat als den zuständigen bestimmt, ist für den Fall der Versäumung der Frist des Art. 5 Abs. 2 Durchführungsverordnung weder der Dublin III-VO noch der Durchführungsverordnung zu entnehmen.

38       Es stellt sich daher die Frage, ob und aufgrund welcher Bestimmung der ersuchende Mitgliedstaat zuständig werden kann, zumal wenn - wie hier - der ersuchte Mitgliedstaat als der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO zuständige Mitgliedstaat feststeht.

39       V.3. Zur zweiten Vorlagefrage:

40       Den hier maßgebenden Verordnungen ist auch nicht zu entnehmen, welche Folgen es hat, wenn der ersuchte - und nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-Verordnung zuständige - Mitgliedstaat die Aufnahme zunächst zwar fristgerecht abgelehnt hat, jedoch nach Ablauf der in Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO vorgesehenen Antwortfrist der Aufnahme doch zustimmt.

41       Keine Vorschrift der Dublin III-VO schließt explizit die Möglichkeit aus, dass ein nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-Verordnung zuständiger und um Aufnahme ersuchter Mitgliedstaat, der eine Aufnahme zunächst abgelehnt hat, zu einem späteren Zeitpunkt seine Rechtsmeinung überdenken und einem Aufnahmeersuchen doch noch wirksam zustimmen kann.

42       Die Erwägungsgründe der Dublin III-VO deuten demgegenüber darauf hin, dass der raschen Bestimmung des für die Prüfung zuständigen Mitgliedstaats innerhalb des Dublin-Systems hohe Bedeutung beigemessen und in diesem Zusammenhang auch akzeptiert wird, dass der Antrag auf internationalen Schutz in bestimmten Fallkonstellationen eben nicht von jenem Mitgliedstaat, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-Verordnung zuständig wäre, geprüft wird.

43       Auch stellt der EuGH in seinem Urteil vom 26. Juli 2017, Rs C-670/16, Mengesteab, Rn 49, klar:

„Auch wenn die Anwendung der Dublin III-Verordnung im Wesentlichen auf der Durchführung eines Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats beruht, der anhand der in Kapitel III der Verordnung festgelegten Kriterien ermittelt wird (Urteile vom 7. Juni 2016, Ghezelbash, C-63/15, Rn 41, und vom 7. Juni 2016, Karim, C-155/15, Rn 23), ist insoweit jedoch hervorzuheben, dass dieser Prozess einen Aspekt der Aufnahme- und Wiederaufnahmeverfahren darstellt, die obligatorisch im Einklang mit den insbesondere in Kapitel VI der Verordnung genannten Regeln durchgeführt werden müssen.“

44       Andererseits sehen die Bestimmungen betreffend die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts keine Fristen vor, binnen derer der Mitgliedstaat, der sich an sich nicht für zuständig hält, beschließen kann, die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz selbst durchzuführen. Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, dem an sich zuständigen Mitgliedstaat noch nach Ablauf der entsprechenden Antwortfristen die Möglichkeit einzuräumen, der Wiederaufnahme wirksam zustimmen zu können und so sicherzustellen, dass der Antrag tatsächlich von ihm als dem Mitgliedstaat, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-Verordnung zuständig ist, geprüft wird.

45       V.4. Da die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig erscheint, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt, werden die eingangs formulierten Vorlagefragen gemäß Art. 267 AEUV mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt.

Wien, am 14. November 2017

Gerichtsentscheidung

EuGH 62016CJ0670 Mengesteab VORAB
EuGH 62016CJ0670 Mengesteab VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2017:RA2017200205.L00.1

Im RIS seit

11.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.08.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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