RS Lvwg 2016/9/24 LVwG-480003/14/Gf/MSch/DC/Mu, LVwG-480004/14/Gf/MSch/DC/Mu

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 24.09.2016
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Rechtssatznummer

1

Entscheidungsdatum

24.09.2016

Norm

Art. 56 AEUV
Art. 1 EGRC
Art. 4 EGRC
Art. 3 EMRK
Art. 13 EMRK
§1 HausRG
§2 HausRG
§3 HausRG
§5 HausRG
Art. 94 B-VG
Art. 130 B VG
Art. 131 B VG
§117 StPO
§119 StPO
§120 StPO
§121 StPO
§122 StPO
§123 StPO
§50 GSpG
§6 SPG
§14 SPG
§16 SPG
§39 SPG
§40 SpG
§86a VfGG
§3 VwGVG
§1 BFinGG
§1 SEV
§5 SEV
§8 SEV
§13 AVOG
§10b AVOG-DV

Rechtssatz

* Zur Entscheidung über die auf Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG gestützte Maßnahmenbeschwerde ist das LVwG OÖ nur insoweit sachlich und örtlich zuständig, als es nicht den Beschwerdevorwurf des Abdeckens der Kameraobjektive betrifft;

* § 86a VfGG ist einerseits auf unionsrechtliche Fragen nicht anzuwenden; andererseits wäre Art. 13 EMRK verletzt, wenn während jenes – möglicherweise lange währenden – Zeitraumes, für den ein vom VfGH gemäß § 86a VfGG gefasster Beschluss wirksam ist, über eine Maßnahmenbeschwerde nicht entschieden werden könnte;

* Das Rechtsinstitut der Maßnahmenbeschwerde verkörpert im Interesse der Vermeidung einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes grundsätzlich zwar bloß einen subsidiären Rechtsbehelf; diese Subsidiarität kommt jedoch nicht zum Tragen, wenn bzw. soweit im Besonderen mit einer Bescheidbeschwerde bloß die Aufhebung der Beschlagnahme von Spielautomaten, nicht jedoch auch in einer der Rechtskraft fähigen Weise die eigenständige Feststellung der Unverhältnismäßigkeit jener der Beschlagnahme vorausgegangenen, gegen eigenständige Rechtsgüter gerichteten Amtshandlungen erreicht werden kann, d.h.: Der Beschwerdegegenstand einer Bescheidbeschwerde i.S.d. Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B VG einerseits und jener einer Maßnahmenbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 2 B VG ist in einer derartigen Konstellation nicht deckungsgleich bzw. anders gewendet: wesensverschieden;

* Exekutivbeamte der Bundespolizei bedürfen im Falle der eigenmächtigen Vornahme einer Hausdurchsuchung selbst bei Gefahr in Verzug einer vorangehenden schriftlichen Ermächtigung der Behörde – dieser kommt in der Praxis vornehmlich deshalb essentielle Bedeutung zu, weil dadurch schon ex ante der Gegenstand und der Umfang der Durchsuchung beweiskräftig eingegrenzt und damit willkürlichen Eingriffen entsprechend vorgebeugt wird – und zudem müssen sie über die Vornahme derselben eine Bescheinigung ausstellen (§§ 2 und 3 HausRG); darüber hinaus sind auch die Bestimmungen der StPO – zumindest sinngemäß – zu beachten (§ 5 HausRG);

* Weiters erwies sich im gegenständlichen Fall die Art und Weise der Durchführung der bloß auf den Verdacht der Begehung einer Verwaltungsübertretung gegründeten Hausdurchsuchung als unverhältnismäßig, weil kein gefährlicher Angriff i.S.d. § 16 SPG vorlag und damit schon von vornherein weder eine Heranziehung der in § 39 SPG normierten Befugnisse noch der bloß zur Bekämpfung gravierender justizstrafrechtlicher Delikte eingerichteten Einsatzgruppe Cobra in Betracht kam;

* Im Übrigen erklärt sich aus dem Umstand, dass im HausRG für verwaltungsstrafrechtliche Angelegenheiten eine (vorangehende oder nachträgliche) justizrichterliche Bewilligung und/oder Ermächtigung der Staatsanwaltschaft nicht vorgesehen war bzw. ist, historisch besehen aus dem Grundprinzip der Gewaltenteilung (vgl. Art. 94 Abs. 1 B-VG); dies bedeutet jedoch nicht, dass daraus für den Bürger ein vergleichsweise geringerer Rechtsschutz resultieren würde – vielmehr ergibt sich aus einem Größenschluss gerade das Gegenteil: Wenn nämlich schon im Bereich des die vergleichsweise wesentlich gravierenderen Delikte regelnden gerichtlichen Strafrechts den staatlichen Eingriffsbefugnissen ein relativ hoher Rechtsschutzstandard des Betroffenen gegenübersteht – wie dieser beispielsweise in Bezug auf Haus- und Personendurchsuchungen durch eine vorangehende oder zumindest nachträgliche, auf eine entsprechende richterliche Bewilligung gegründete Ermächtigung der Staatsanwaltschaft gekennzeichnet ist –, so darf dieser Grundrechtsgewährleistungslevel von Verfassung wegen, nämlich insbesondere deshalb, weil Art. 6 Abs. 1 EMRK undifferenziert von einem einheitlichen Strafrechtsbegriff ausgeht (vgl. jüngst wiederum EGMR vom 20. September 2016, 926/08), im Bereich des Verwaltungsstrafrechts – wenn er dort nicht ohnehin schon a priori als signifikant höher angesetzt werden muss – zumindest keinesfalls unterschritten werden;

* Davon ausgehend, dass keine Festnahme der Zweitbeschwerdeführerin ausgesprochen wurde, konnte die Durchsuchung ihrer Person nicht auf § 40 SPG, unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falles aber auch auf keine andere Rechtsgrundlage gestützt werden; angesichts dessen, dass schon der Umstand, sich in einem abgesonderten Raum allein einer Mehrheit von uniformierten – und noch dazu bewaffneten – Exekutivbeamten gegenüberzusehen, geeignet ist, bei jedem durchschnittlichen Bürger den nachhaltigen Eindruck der Minderwertigkeit und des schutzlosen Ausgeliefertseins gegenüber den Vertretern der öffentlichen Gewalt zu erzeugen, bedeutet es fraglos eine zusätzliche Degradierung, wenn einem befohlen wird, sich – als einzige der anwesenden Personen – seiner gesamten Kleidung entledigen zu müssen, weil eine gesteigerte Form der Schutzlosigkeit nur noch im Falle einer zusätzlichen Fesselung oder psychischen Ohnmacht vorstellbar ist; die darüber hinaus an eine Person weiblichen Geschlechts ergehende Aufforderung, sich in gänzlich unbekleidetem Zustand auch noch bücken zu müssen, verkörpert aber nicht bloß eine deren Selbstwertgefühl beeinträchtigende erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 4 EGRC bzw. Art. 3 EMRK, sondern enthält zudem auch noch einen spezifischen Aspekt der Demütigung, der den Schutzanspruch der Zweitbeschwerdeführerin ignoriert, sie seitens der Öffentlichen Gewalt nicht zu einem bloßen Handlungsobjekt herabzusetzen, sondern in jeder Lage, d.h. eben „vorbehaltlos“, ihre Eigenschaft als Mensch und Person respektieren zu müssen; insoweit wurde daher auch das der Zweitbeschwerdeführerin gemäß Art. 1 EGRC gewährleistete Recht auf Schutz der Menschenwürde verletzt.

Schlagworte

Glücksspiel – Maßnahmenbeschwerde – Bescheidbeschwerde – Doppelgleisigkeit und Subsidiarität; Zuständigkeitsabgrenzung LVwG – BFinG; Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; zwangsweises Betreten eines Spielsalons; Abdeckung von Kameraobjektiven; Aufforderung an Kellnerin, sich zu entkleiden und nackt nach vorne zu bücken; Hausrecht – Betriebsräumlichkeit; Zerstörung von Türen und sonstigen Einrichtungsgegenständen; Sondereinheit Cobra; gezielte Demütigung; erniedrigende Behandlung; Würde des Menschen; staatliche Machtdemonstration

Anmerkung

Gegen diese Entscheidung wurde Revision an den VwGH erhoben.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGOB:2016:LVwG.480003.14.Gf.MSch.DC.Mu

Zuletzt aktualisiert am

24.10.2017
Quelle: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich LVwg Oberösterreich, http://www.lvwg-ooe.gv.at
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