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E000 EU- Recht allgemein;Norm
32009R0810 Visakodex Art32 Abs1 litb;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der A E in P, geboren am 14. Jänner 1992, vertreten durch Mag. Dr. Robert Hirschmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Börseplatz 6/23, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Manila vom 11. April 2013, Zl. KONS/0327/2013, betreffend Visum, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine philippinische Staatsangehörige, stellte am 20. März 2013 bei der Österreichischen Botschaft Manila (der belangten Behörde) den formularmäßigen Antrag auf Erteilung eines "Schengen-Visums" für einen Aufenthalt in Litauen in der Dauer von 30 Tagen. Sie beabsichtige, dort den Vater ihres Sohnes zu besuchen. Dem Antrag lagen u.a. ein Kontoauszug der Beschwerdeführerin und eine Bankbestätigung des Einladenden, eine Geburtsurkunde des damals rund acht Monate alten Sohnes, der Nachweis einer Reiseversicherung, Buchungsbestätigungen für Hin- und Rückflug und ein Brief des Einladenden bei, in dem dieser erklärte, die Beschwerdeführerin eineinhalb Jahre zuvor auf den Philippinen kennengelernt zu haben; er sei geschieden, habe eine sehr enge Verbindung zur Beschwerdeführerin und wolle sie näher kennenlernen, um über ein künftiges Zusammenleben zu entscheiden; als Landwirt könne er nicht oft auf die Philippinen reisen. In einem (offenbar anlässlich der Antragstellung angefertigten) Aktenvermerk der belangten Behörde ist festgehalten, dass die Beschwerdeführerin erklärt habe, ihre Mutter werde sich während des Aufenthalts in Litauen um das Kind kümmern; die Beschwerdeführerin sei ohne Beschäftigung und werde von ihrem "Verlobten" unterstützt; eine Hochzeit sei derzeit nicht beabsichtigt.
Die belangte Behörde forderte die Beschwerdeführerin mit formularmäßigem Verbesserungsauftrag vom 20. März 2013 auf, ihre soziale Verankerung auf den Philippinen nachzuweisen und eine aktualisierte Reiseversicherung vorzulegen.
Letzterem Auftrag kam die Beschwerdeführerin am 2. April 2013 nach. Eine Stellungnahme zur sozialen Verankerung ist den vorgelegten Verwaltungsakten nicht zu entnehmen.
Am 27. März 2013 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mittels eines weiteren Formblattes mit, dass keine weiteren Dokumente benötigt würden, dem Antrag aber nicht stattgegeben werden könne, weil die vorgelegten Informationen über den Zweck und die Bedingungen des beabsichtigten Aufenthalts nicht glaubhaft gewesen seien und die Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, nicht festgestellt werden habe können. Der Beschwerdeführerin werde die Möglichkeit gegeben, innerhalb von sieben Kalendertagen nach Erhalt dieses Schreibens eine abschließende Stellungnahme abzugeben.
Mit dem angefochtenen Bescheid, der Beschwerdeführerin ausgehändigt am 11. April 2013, wurde das Visum unter Verwendung des nach der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 (Visakodex) dafür vorgesehenen Formblatts verweigert, weil die vorgelegten Informationen über den Zweck und die Bedingungen des beabsichtigten Aufenthalts nicht glaubhaft gewesen seien und die Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, nicht festgestellt werden habe können.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Vorab ist festzuhalten, dass sich die Zuständigkeit der belangten Behörde zur (auch ablehnenden) Entscheidung über den Visumantrag aus Art. 8 Abs. 1 und Abs. 4 lit.d Visakodex in Verbindung mit dem Abkommen zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Republik Litauen über die gegenseitige Vertretung durch diplomatische und konsularische Vertretungen ihrer Staaten im Verfahren der Visaerteilung, BGBl. III Nr. 86/2009, und der Durchführungsvereinbarung BGBl. III Nr. 29/2011 ergibt. Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Entscheidung über die dagegen erhobene Beschwerde folgt aus Art. 32 Abs. 3 Visakodex, wonach Rechtsmittel gegen den Mitgliedstaat, der endgültig über den Visumantrag entschieden hat, in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht dieses Mitgliedstaats zu führen sind.
Die belangte Behörde gründete die Versagung des beantragten Visums erkennbar auf Art. 32 Abs. 1 lit. b Visakodex. Danach wird die Erteilung eines Visums (u.a.) verweigert, wenn begründete Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen des Antragstellers oder der von ihm bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen.
Mit der Auslegung dieses Verweigerungsgrundes hat sich der Verwaltungsgerichtshof ausführlich im Erkenntnis vom 29. September 2011, Zl. 2010/21/0344, befasst. Unter Bezugnahme auf Vorjudikatur hat er dargelegt, dass schon das Abstellen auf "begründete Zweifel" in der genannten Bestimmung deutlich mache, dass nicht ohne weiteres - generell - unterstellt werden dürfe, dass Fremde unter Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften im Anschluss an die Gültigkeitsdauer eines Visums weiterhin im Schengenraum (unrechtmäßig) aufhältig bleiben. Es werde daher konkreter Anhaltspunkte in diese Richtung bedürfen und die Behörde könne die Versagung eines Visums nicht gleichsam mit einem "Generalverdacht" zu Lasten aller Fremden begründen. Regelmäßig werde daher, wenn nicht gegenteilige Indizien bekannt seien, davon auszugehen sein, dass der Fremde vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums wieder ausreisen werde (siehe idS zuletzt auch das hg. Erkenntnis vom 2. August 2013, Zl. 2013/21/0057).
Vor diesem Hintergrund ist im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Visakodex insbesondere zu beurteilen, ob beim Antragsteller das Risiko der rechtswidrigen Einwanderung besteht und ob er beabsichtigt, vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des beantragten Visums das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu verlassen. Nach Abs. 3 lit. b dieser Bestimmung prüft das Konsulat bei der Kontrolle der Erfüllung der Einreisevoraussetzungen unter anderem, ob die Angaben des Antragstellers zum Zweck und zu den Bedingungen des beabsichtigten Aufenthalts begründet sind. Die Prüfung eines Antrags stützt sich nach Abs. 7 des Art. 21 Visakodex insbesondere auf die Echtheit und Vertrauenswürdigkeit der vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen und den Wahrheitsgehalt und die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen. Schließlich bestimmt Art. 21 Abs. 9 Visakodex noch, dass die Ablehnung eines früheren Visumantrags nicht automatisch die Ablehnung eines neuen Antrags bewirkt. Der neue Antrag ist auf der Grundlage aller verfügbaren Informationen zu beurteilen (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis vom 2. August 2013, Zl. 2013/21/0057).
In verfahrensrechtlicher Hinsicht bestehen für Erledigungen der vorliegenden Art, mit denen über einen Visumantrag abgesprochen wird, dahin Begründungserleichterungen, dass das Ankreuzen von Textbausteinen in dem nach Art. 32 Abs. 2 iVm Anhang VI des Visakodex zu verwendenden Standardformular genügt, ohne dass es einer Bezugnahme auf den konkreten Fall oder ausdrücklicher Feststellungen bedarf, sofern der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt im Akt nachvollziehbar ist. Überdies entspricht es der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass im Rahmen der - auch im Anwendungsbereich des Visakodex vorzunehmenden - Einräumung des Parteiengehörs die konkreten Umstände anzuführen sind, die beim Botschaftsorgan die Zweifel an der Wiederausreiseabsicht begründen. Dazu wurde bereits judiziert, dass das bloße Ankreuzen von Textbausteinen in der Art der hier verwendeten ("Die vorgelegten Informationen über den Zweck und die Bedingungen des beabsichtigten Aufenthalts waren nicht glaubhaft."; "Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, konnte nicht festgestellt werden.") keinen ausreichenden Vorhalt darstellt. Nur wenn die aus der Sicht der Botschaft bestehenden Anhaltspunkte für ihre Zweifel konkret dargelegt werden, wird der Antragsteller nämlich in die Lage versetzt, aber dann auch verpflichtet, die sich daraus ergebenden Bedenken durch unter Beweis zu stellendes geeignetes Vorbringen zu zerstreuen. Einem in dieser Weise konkretisierten Vorhalt kommt vor dem Hintergrund der in Visaverfahren bestehenden Begründungserleichterung besondere Bedeutung zu (siehe zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2013, Zl. 2012/21/0158, Punkt 3., mwN)
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist der belangten Behörde zunächst vorzuwerfen, dass sie einen ausreichend konkretisierten Vorhalt an die Beschwerdeführerin unterlassen hat. Zwar ist die Beschwerdeführerin dem Verbesserungsauftrag betreffend Nachweise zu ihrer "sozialen Verankerung" nach der Aktenlage nicht nachgekommen, auch dies wurde ihr aber im Rahmen des Parteiengehörs nicht vorgehalten (und sei es nur durch Ankreuzen des entsprechenden Textbausteins), sodass sie dazu hätte Stellung nehmen können.
Der für die Entscheidung offenbar maßgebliche Sachverhalt ist im Akt zwar nachvollziehbar, er vermag die Abweisung allerdings nicht zu tragen. In den vorgelegten Verwaltungsakten findet sich folgender Aktenvermerk, dem sich Gründe für die Verweigerung des Visums entnehmen lassen:
"ASt beantragt C-SV mit 30-tägigem Aufenthalt, mehrere Einreisen, zwecks Besuch in Litauen, VE und Vermögensnachweis des Einladers liegen vor. Altersunterschied 41 Jahre, gemeinsames Kind (8 M)
ASt ist 21 Jahre alt, unverheiratet, beschäftigungslos, wird von Einlader erhalten, keine wirtschaftliche Verwurzelung auf PHL nachgewiesen
Zurücklassen des Kindes kann nicht als Nachweis einer Rückkehrabsicht gewertet werden, da ortsüblich oft auch mehrere Kinder im Familienverband zurückgelassen werden, während die Mutter ihr Glück mit einem ausländischen Partner versucht, Einlader gibt im Einladungsschreiben an, dass Familienzusammenführung angestrebt wird, Rückkehrabsicht daher zu hinterfragen, Angaben im Antrag diesbzgl. nicht überzeugend."
Allein daraus kann nicht auf eine fehlende Wiederausreiseabsicht geschlossen werden. Es mag zwar sein, dass die Verankerung der Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland angesichts dessen, dass sie offenbar ohne Beschäftigung ist, nicht stark ausgeprägt ist. Dass sie tatsächlich zu erwägen scheint, sich in Zukunft allenfalls beim Vater ihres Kindes in Litauen niederzulassen, geht schon aus dessen mit dem Visumantrag vorgelegtem Schreiben hervor. Es ist aber nicht ersichtlich, inwiefern der Beschwerdeführerin vor diesem Hintergrund unglaubwürdige Angaben vorgeworfen werden können. Ohne konkrete Anhaltspunkte in diese Richtung - insbesondere ein früheres fremdenrechtliches Fehlverhalten - kann ihr auch nicht unterstellt werden, dass sie unter Umgehung der Einwanderungsvorschriften in Litauen bleiben werde. Die belangte Behörde hat es auch unterlassen, die schon mit dem Antrag vorgelegten Buchungsbestätigungen betreffend den Hin- und Rückflug in ihre Überlegungen einzubeziehen (vgl. zu deren möglicher Relevanz etwa das hg. Erkenntnis vom 14. November 2013, Zl. 2013/21/0137, mwN).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 20. Dezember 2013
Schlagworte
Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12VerfahrensbestimmungenGemeinschaftsrecht Verordnung unmittelbare Anwendung EURallg5/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2013:2013210100.X00Im RIS seit
30.01.2014Zuletzt aktualisiert am
19.03.2014