Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter S*****, vertreten durch Peißl & Partner, Rechtsanwälte OEG in Köflach, gegen die beklagte Partei Ignaz B*****, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Unterlassung (Streitwert 6.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 21. August 2008, GZ 7 R 86/08f-11, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Voitsberg vom 8. April 2008, GZ 2 C 432/07t-7, aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Prozessgericht erster Instanz zurückverwiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.369,10 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 228,18 EUR USt) zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte ist Eigentümer eines 2,2 ha großen Waldes in der Weststeiermark. Die daran nördlich angrenzenden Grundstücke waren ursprünglich Wiesen gewesen; vor etwa 30 Jahren wurden sie in Bauland umgewidmet und der Reihe nach bebaut. Eines dieser Grundstücke, auf dem sich ebenfalls ein Einfamilienhaus befindet, gehört dem Kläger. Sein Haus liegt etwa 15 m vom Waldrand entfernt. Dort stehen zwei Bäume des Beklagten knapp an der Grundgrenze, die übrigen mindestens zwei Meter davon entfernt. Die Bäume sind etwa 60 bis 70 Jahre alt und mit einer Höhe von etwa 25 m voll ausgewachsen. Am Waldrand stehen überwiegend Nadelbäume; nur bei einem der beiden nahe an der Grundgrenze stehenden Bäume handelt es sich um eine Buche.
Etwa ein Drittel der Liegenschaft des Klägers liegt zwischen dem Haus und der Grenze zum Beklagten. Hier sind in der Wiese größere Moosbereiche vorhanden; das übrige Grundstück ist praktisch moosfrei. Am 20. März 2008 lag das Haus des Klägers um 9 Uhr mit Ausnahme der südöstlichen Ecke zur Gänze in der Sonne; vereinzelt gab es Schattenwürfe am Hausdach. Die zwischen dem Haus und dem Wald gelegene Wiese war zu diesem Zeitpunkt im Schatten.
Der Kläger hatte seine Liegenschaft im Jahr 2001 erworben. Damals war der Wald des Beklagten dichter als heute gewesen; seither haben mehrere Stürme eine starke Auslichtung bewirkt. Die Bäume waren nahezu gleich hoch, der südliche Wiesenbereich schon damals vermoost.
Für den Fernsehempfang war bei Erwerb der Liegenschaft an der südlichen Hausfront eine Satellitenanlage montiert gewesen, die damals uneingeschränkt funktioniert hatte. Seit der Umstellung auf ein digitales Signal gibt es abhängig vom Wetter Probleme beim Empfang des ORF; bei den übrigen Programmen ist der Empfang weiterhin nicht beeinträchtigt.
Das Grundstück des Klägers liegt in einem zerstreuten Siedlungsgebiet; in der ländlich geprägten Umgebung gibt es Äcker, Wiesen, Wälder und andere Einfamilienhäuser.
Der Kläger beantragt, dem Beklagten nach § 364 Abs 3 ABGB aufzutragen,
„den Entzug von Licht durch Wald auf dem Grundstück [des Beklagten] von dem Grundstück [des Klägers] zu unterlassen, soweit dadurch der Empfang von Satellitenfernsehen beeinträchtigt und die Vermoosung des Grundstücks der klagenden Partei bewirkt wird."
Auf dem Grundstück des Beklagten befänden sich hohe Bäume, die annähernd das gesamte Grundstück des Klägers derart beschatteten, dass anstelle von Gras nur mehr Moos wachse, ein ungestörter Satellitenempfang nicht möglich sei und die Außenflächen nicht mehr ortsüblich genutzt werden könnten. Der Entzug von Licht überschreite das ortsübliche Ausmaß erheblich. Das Anwachsen der Bäume habe in den letzten Jahren zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung geführt.
Der Beklagte wendet ein, dass seine Liegenschaft seit zumindest 70 Jahren forstwirtschaftlich genutzt werde. Als der Kläger sein Grundstück gekauft habe, sei der Wald bereits in der derzeitigen Form gestanden. Der Kläger könne seine Liegenschaft ortsüblich nutzen, eine unzumutbare Beeinträchtigung liege nicht vor.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ein ortsunüblicher Entzug von Licht liege nicht vor, ebensowenig eine unzumutbare Beeinträchtigung. Der Kläger habe seine Liegenschaft in Kenntnis des vorhandenen, damals bereits nahezu ausgewachsenen Waldes erworben; der südliche Wiesenbereich sei schon damals in gleicher Weise bemoost gewesen.
Das Berufungsgericht hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Weiters sprach es aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR übersteige und der Rekurs zulässig sei.
Das beeinträchtigte Grundstück liege nicht „inmitten" eines „Waldgebiets", weshalb der Kläger „grundsätzlich" einen Anspruch nach § 364 Abs 3 ABGB geltend machen könne. Die Feststellungen des Erstgerichts reichten zur Beurteilung der Unzumutbarkeit nicht aus. Denn einerseits seien im Zeitpunkt des Ortsaugenscheins die Laubbäume noch nicht belaubt gewesen; andererseits ändere sich der Einfallswinkel der Sonnenstrahlung zwischen den Winter- und Sommermonaten. Das Erstgericht werde daher im fortgesetzten Verfahren allenfalls unter Beiziehung eines Sachverständigen Feststellungen über den Schattenwurf der Bäume zu den verschiedenen Jahreszeiten zu treffen und in diesem Zusammenhang auch festzustellen haben, welche Teile der Liegenschaft durch Schattenwurf beeinträchtigt seien, wie diese genutzt würden und in welchem Ausmaß die Verwendung künstlichen Lichts durch den Schattenwurf erforderlich sei. Weiters bedürfe es Feststellungen zur Größe des Grundstücks sowie zur Frage, inwieweit das Haus des Klägers auch an anderer Stelle des Grundstücks hätte errichtet werden können, um die Beschattung zu vermindern. Erforderlichenfalls seien auch Feststellungen darüber zu treffen, durch welche Maßnahmen ein allenfalls unzumutbarer Schattenwurf reduziert werden könne.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, in welchem Ausmaß das Vorhandensein eines Waldes die Anwendbarkeit des § 364 Abs 3 ABGB einschränke.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diese Entscheidung gerichtete Rekurs des Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist, wonach ortsübliche Immissionen jedenfalls zu dulden sind. Er ist aus diesem Grund auch berechtigt.
1. Nach § 364 Abs 3 ABGB kann der Eigentümer des Grundstücks einem Nachbarn
„die von dessen Bäumen oder anderen Pflanzen ausgehenden Einwirkungen durch den Entzug von Licht oder Luft insoweit untersagen, als diese das Maß des Abs. 2 überschreiten und zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks führen."
Der Verweis auf das „Maß des Abs. 2" bezieht sich auf die § 364 Abs 2 ABGB angesprochene Ortsunüblichkeit der Immission (10 Ob 60/06f = JBl 2008, 312; 8 Ob 99/06a = JBl 2007, 712, beide mwN). Der Unterlassungsanspruch besteht daher nur dann, wenn der Entzug des Lichts sowohl ortsunüblich als auch unzumutbar ist. Zwischen diesen Kriterien besteht zwar ein Zusammenhang: Unzumutbarkeit wird umso weniger anzunehmen sein, je näher eine - als solche ortsunübliche - Beeinträchtigung an der Grenze zur Ortsüblichkeit liegt (8 Ob 99/06a; RIS-Justiz RS0121873). Ist die Beeinträchtigung jedoch ohnehin ortsüblich, so ist eine gesonderte Prüfung der Zumutbarkeit nicht mehr erforderlich; solche Immissionen sind jedenfalls zu dulden.
2. Die vom Gesetz gebrauchten Ausdrucke „örtlich" und „ortsüblich" sind nicht im Sinn einer politischen Gemeinde zu verstehen; die Beantwortung der Frage, ob die Beeinträchtigung des „nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß" übersteigt, ist auch nicht auf das beeinträchtigte Grundstück allein abzustellen, entscheidend sind vielmehr die Lage des beeinträchtigten Grundstücks zu jenem, von dem die Störung ausgeht, sowie die Verhältnisse in der unmittelbaren Umgebung beider Liegenschaften (5 Ob 146/72 = SZ 45/98; RIS-Justiz RS0010653). Dabei lässt sich die Umgebung, die der in § 364 Abs 2 ABGB verwendete Begriff „Ort" umschreibt, im Regelfall nicht auf das emittierende und das oder die davon wesentlich beeinträchtigte(n) Grundstück(e) reduzieren. Die „örtlichen Verhältnisse" sind weiträumiger zu verstehen; es geht nach der jüngeren Rechtsprechung um Gebiets- bzw Stadtteile („Viertel") mit annähernd gleichen Lebens- und Umweltbedingungen (1 Ob 6/99k = SZ 72/205; 5 Ob 65/03z = SZ 2003/36).
3. Im vorliegenden Fall liegt das Grundstück des Klägers nach den Feststellungen des Erstgerichts „in" einem zerstreuten Siedlungsgebiet in ländlicher Umgebung. Aus den weiteren Feststellungen ergibt sich jedoch, dass es sich genau genommen am Rand dieses Siedlungsgebiets befindet; an das Grundstück des Klägers und benachbarte Grundstücke schließt nämlich der über zwei Hektar große Wald des Beklagten.
In einer solchen Lage ist der Entzug von Licht durch einen unmittelbar angrenzenden Wald alles andere als ortsunüblich. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgeführt, dass ein Kläger, der ein Grundstück inmitten eines Waldgebiets erworben habe, nun nicht die Beseitigung des Waldes verlangen könne (6 Ob 51/07d = Zak 2007/376; allgemein zur Duldungspflicht neu hinzugekommener Nachbarn RIS-Justiz RS0112502). Gleiches muss gelten, wenn sich der Kläger (bzw sein Rechtsvorgänger) in ländlicher Umgebung unmittelbar am Waldrand ansiedelt. Auch hier hat er die durch waldbedingten Lichtentzug verursachte Beeinträchtigung seiner Liegenschaft als ortsüblich hinzunehmen. Denn diese Beeinträchtigung lag nicht nur schon bei Erwerb der Liegenschaft durch den Kläger vor; sie war auch bei Errichtung des Gebäudes angesichts der damals 30 bis 40 Jahre alten Bäume und der zu erwartenden (ortsüblichen) Bewirtschaftung des Waldes (zumindest) vorherzusehen.
4. Der Kläger hat die Beeinträchtigung seiner Liegenschaft daher als ortsüblich zu dulden. Auf dieser Grundlage kommt es auf die vom Berufungsgericht vermissten Feststellungen zur Zumutbarkeit von vornherein nicht an. Dies gilt um so mehr, als der Kläger den Entzug von Licht ohnehin nur insofern untersagt wissen will, als er zur Vermoosung der Liegenschaft führt. Gegen den vom Berufungsgericht ausführlich erörterten Lichtentzug im Haus ist die Klage nicht gerichtet.
5. Auf die Frage, ob § 364 Abs 3 ABGB analog auf die Beeinträchtigung des Empfangs von Rundfunksignalen angewendet werden kann, kommt es nicht an. Denn nach den Feststellungen des Erstgerichts war und ist der Rundfunkempfang grundsätzlich möglich; Probleme ergeben sich ausschließlich beim digitalen Signal des österreichischen Rundfunks. Dass diese Probleme im Zusammenhang mit dem Wald stünden, lässt sich aus den Feststellungen des Erstgerichts nicht ableiten.
6. Aufgrund dieser Erwägungen ist dem Rekurs des Beklagten Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Pauschalgebühr für den Rekurs an den Obersten Gerichtshof hat der Kläger nicht verzeichnet.
Textnummer
E90280European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0040OB00013.09D.0324.000Im RIS seit
23.04.2009Zuletzt aktualisiert am
19.09.2012