Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Juni 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Hofmann als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Petra S***** und einen anderen Beschuldigten wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 31 HR 122/09z des Landesgerichts Innsbruck, über die Grundrechtsbeschwerde der Petra S***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 16. April 2009, AZ 7 Bs 205/09v (ON 64 des HR-Aktes), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Petra S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Innsbruck führt zur Zahl 19 St 17/09k ein umfangreiches Ermittlungsverfahren gegen die miteinander verheirateten deutschen Staatsangehörigen Petra und Walter S***** wegen Betrugshandlungen zum Nachteil von Banken und einer Leasinggesellschaft mit einem möglichen Schaden von mehr als 6.700.000 Euro.
Die über Walter S***** verhängte Untersuchungshaft wurde zuletzt mit Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Beschwerdegericht vom 19. April 2009, AZ 7 Bs 138/09s, gemäß § 173 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit a und b StPO fortgesetzt (ON 44); der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verhängung der Untersuchungshaft aus den selben Haftgründen auch über Petra S***** war mit Beschluss vom 18. Februar 2009 abgewiesen worden (ON 17). Dieser Beschluss erwuchs unangefochten in Rechtskraft, während die nach erneuter Festnahmeanordnung (ON 32) erfolgte Abweisung des inhaltsgleichen Antrags mit Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 18. März 2009 durch die Staatsanwaltschaft bekämpft wurde.
Das Oberlandesgericht Innsbruck gab der Beschwerde Folge, hob den bekämpften Beschluss auf und trug dem Haft- und Rechtsschutzrichter auf, „die Festnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft vom 30. März 2009 zu bewilligen und nach Einlieferung über Petra S***** gemäß § 173 Abs 2 Z 2 und 3 lit a und b StPO die Untersuchungshaft zu verhängen (ON 64)".
In Entsprechung dieser Anordnung bewilligte das Landesgericht Innsbruck die Festnahmeanordnung (ON 50 S 31), deren tatsächliche Umsetzung misslang jedoch wegen Flucht der Beschuldigten (ON 66), die mit europäischem Haftbefehl zur Fahndung ausgeschrieben wurde (ON 68, 69 und 71).
Rechtliche Beurteilung
Die fristgerechte Grundrechtsbeschwerde ist zulässig.
Zwar stellt die gesetzliche Eingrenzung des Anwendungsbereichs der Grundrechtsbeschwerde (§§ 1 und 2 GRBG) nur auf die persönliche Freiheit im Sinn des Art 5 Abs 1 MRK bzw des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit (BGBl 684/1988), somit auf Grundrechtsverletzungen ab, die offensichtlich zum Tragen gekommen sind, sodass ein Beschluss des Beschwerdegerichts, der eine (durch gleichbleibende Verhältnisse bedingte) Bewilligung der Festnahmeanordnung und die Verhängung der Untersuchungshaft aufträgt, dem Wortlaut nach zunächst nicht bekämpfbar erscheint. Bereits zu 14 Os 22/09f, 23/09b hat der Oberste Gerichtshof erkannt, dass, wenngleich ein Beschuldigter (noch) nicht in Haft ist, durch einen kassatorischen Beschluss des Oberlandesgerichts nach ursprünglicher Enthaftung die Fortsetzung der Untersuchungshaft abschließend effektuiert wird (RIS-Justiz RS0116263) und demnach eine Grundrechtsbeschwerde gegen eine Entscheidung dieses Inhalts zulässig ist.
Die Grundrechtsrelevanz auch einer Entscheidung des Beschwerdegerichts wie im gegenständlichen Fall ist schon deshalb gegeben, weil dieses - was nur bei Vorliegen der Vernehmung der Beschuldigten zur Sache und den Voraussetzungen der Untersuchungshaft (im Gegenstand ON 16 und ON 37) möglich und zulässig ist - das Vorliegen sämtlicher Anforderungen des § 173 StPO einer Prüfung unterzogen hat, sodass die Entscheidung des Oberlandesgerichts durch die Festnahmeanordnung lediglich umgesetzt wird. Einer weiteren (eine Anfechtung mittels Beschwerde ermöglichenden) Beschlussfassung durch den Haft- und Rechtschutzrichter, der ausschließlich der allgemeinen Prüfpflicht im Sinn des § 177 Abs 1 und Abs 2 StPO (und der bloß bei veränderter Sachlage auch eine Entscheidung zu treffen hätte) unterliegt, bedarf es daher nicht. Ob und wann die Festnahmeanordnung tatsächlich vollzogen werden kann, ist nicht Gegenstand der Zulässigkeitsprüfung einer Grundrechtsbeschwerde.
Die sowohl die Annahme des dringenden Tatverdachts wie auch das Vorliegen der Haftgründe bekämpfende Grundrechtsbeschwerde ist aber nicht im Recht.
Grundrechtsbeschwerden haben sich vom argumentativen Aufbau her an den Nichtigkeitsgründen des § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO zu orientieren (Fabrizy, StPO10, GRBG § 10 Rz 1).
Nach der vom Oberlandesgericht Innsbruck zum Gegenstand seiner eigenen Überzeugung gemachten Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts (ON 64 S 17 bis 19; zu dem Erfordernis eigener Sachverhaltsannahmen des Beschwerdegerichts in einem Haftfortsetzungsbeschluss Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 182 [aF] Rz 10) und dessen rechtlicher Beurteilung ist Petra S***** dringend verdächtig, im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Walter S***** mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, andere durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen verleitet zu haben, die diese am Vermögen schädigten, wobei falsche oder verfälschte Urkunden verwendet und ein Schaden über 50.000 Euro herbeigeführt wurde. Insbesondere sei der kreditgewährenden V***** AG bei Ankauf einer Liegenschaft im November 2005 samt darauf befindlichem Gebäude ein weit höherer Wert derselben vorgetäuscht und so zwei Darlehen von über 3.500.000 Euro sowie weitere Kredite in Höhe von knapp 600.000 Euro von der H***** AG erschlichen worden. Auch hinsichtlich des Ankaufs einer unter Eigentumsvorbehalt stehenden Yacht pflichtete das Beschwerdegericht der Einschätzung des Erstgerichts bei und stellte eigene Überlegungen an, denen zufolge Petra S***** massiv an den Betrugs- und Kridahandlungen ihres Ehemanns mitwirkte (ON 64 S 17 bis 19).
Entgegen dem obgenannten Erfordernis benennt die Grundrechtsbeschwerde weder Begründungsmängel, die der angefochtenen Entscheidung anhaften sollen (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO), noch Aktenbestandteile, die erhebliche Bedenken an jenen Tatsachen, die dem dringenden Verdacht zugrundeliegen (§ 281 Abs 1 Z 5a StPO), beim Obersten Gerichtshof erwecken sollen.
Vielmehr ergeht sie sich in umfangreichen, eigenen Beweiswerterwägungen, indem sie vermeint, es sei nicht nachweisbar, dass Petra S***** eine unter Eigentumsvorbehalt stehende Yacht wissentlich veräußert hätte. Demgegenüber wurden in dem angefochtenen Beschluss die Vorgänge hinsichtlich des Boots nachvollziehbar geschildert (ON 64 S 3 bis S 5) und die Erklärung der Beschuldigten, ohne Kenntnis des Inhalts der Dokumente „alles" unterschrieben zu haben, ebenso für widerlegt erachtet (ON 64 S 17) wie die Beteuerung des Werts der Liegenschaften in W***** und K***** durch die polizeilichen Erhebungsergebnisse wie auch durch Zeugenaussagen.
Insgesamt erweist sich die bekämpfte Entscheidung in der Annahme des dringenden Tatverdachts als mängelfrei begründet.
Im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren (Prognoseentscheidung) darauf, ob sich diese angesichts der zu Grunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellen. Dabei kann die in der Begründung des Haftbeschlusses zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen, die erst in der Gesamtschau mit anderen die Prognoseentscheidung tragen, nach § 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht in Frage gestellt werden, es sei denn, eine als willkürlich kritisierte bestimmte Tatsache bildete erkennbar eine notwendige Bedingung für die Prognose (RIS-Justiz RS0117806).
Die vom Oberlandesgericht zur Begründung ins Treffen geführten bestimmten Tatsachen (ON 64 S 19) der lang andauernden, erheblichen Vermögensdelinquenz in Verbindung mit der prekären finanziellen Situation der Beschuldigten lassen einen formal einwandfreien Schluss auf das Vorliegen der Tatbegehungsgefahr zu. Die Grundrechtsbeschwerde vermag dagegen keine substantiellen Argumente ins Treffen zu führen und demgemäß keine Willkür der bekämpften Prognoseentscheidung aufzuzeigen. Einer Überprüfung des Haftgrunds der Verdunkelungsgefahr bedarf es somit nicht.
Die keine Verletzung des verfassungsmäßig geschützten Rechts auf persönliche Freiheit aufzeigende Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
Textnummer
E91241European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0110OS00080.09P.0623.000Im RIS seit
23.07.2009Zuletzt aktualisiert am
05.11.2010