TE OGH 2009/8/5 6Ob93/09h

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Veröffentlicht am 05.08.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertraude B*****,vertreten durch Dr. Peter Schobel, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Mag. Alfred S*****, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des Kurt B***** (AZ ***** des Landesgerichts St. Pölten), wegen 9.927,16 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 16. Oktober 2008, GZ 21 R 288/08y-9, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Lilienfeld vom 10. Juli 2008, GZ 2 C 194/08z-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Akt wird dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

Die Klägerin erhob am 19. 3. 2009 (fristgerecht) Revision (ON 10) gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 16. 10. 2008; gleichzeitig beantragte sie die Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a ZPO. Am 26. 3. 2009 langte beim Erstgericht ein weiterer Schriftsatz (ON 11) der Klägerin ein, mit dem im Zusammenhang mit dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe verschiedene Unterlagen vorgelegt wurden. Das Erstgericht bewilligte mit Beschluss vom 27. 3. 2009 die beantragte Verfahrenshilfe und verfügte die Zustellung dieses Beschlusses unter anderem an den Beklagten samt „ON 10 + ON 11". Auf Seite 110 erliegt im Akt ein Zustellschein, der als Empfänger den Beklagten und als Zustelldatum den 2. 4. 2009 ausweist. Der Zustellschein trägt zwar eine Unterschrift bzw Parafe jener Person, die das Zustellstück übernommen hat; es fehlen jedoch sowohl die Parafe des Zustellers als auch eine Angabe darüber, wer das Zustellstück konkret übernommen hat („Empfänger" oder „Zustellbevollmächtigter" oder „Arbeitnehmer" udgl). Der Inhalt des Zustellstücks ist mit „2 C 194/08z-12 + GS ON 10 + 11" angegeben. Eine Revisionsbeantwortung erstattete der Beklagte nicht. Am 11. 5. 2009 langte der Akt im Wege des Berufungsgerichts beim Obersten Gerichtshof ein.

Am 26. 5. 2009 teilte der Beklagte dem Erstgericht mündlich mit, eine Revision nicht erhalten zu haben, woraufhin das Erstgericht (im Wege des Telefax) eine Kopie des Zustellscheins AS 110 beischaffte und dem Beklagten aushändigte.

Der Beklagte beantragt die neuerliche Zustellung der Revision der Klägerin, in eventu die Bewilligung der Wiedereinsetzung in die Frist zur Erhebung einer Revisionsbeantwortung. Das Erstgericht habe es unterlassen, ihm die Revision ordnungsgemäß zuzustellen, diese sei ihm (daher) auch nie zugekommen; es existiere zwar ein Zustellnachweis, auf dem „lediglich Ordnungsnummern vermerkt sind, nur [sei] das Anführen von Ordnungsnummern nicht ausreichend, einen Zustellvorgang zu bewirken bzw einen Zustellmangel nachzuweisen, da für die ordnungsgemäße Übermittlung der Post der Absender und nicht der Empfänger verantwortlich ist"; es sei absolut unüblich, die Ordnungsnummern mit den jeweiligen Schriftstücken zu vergleichen, „da grundsätzlich beim Verkehr mit Gerichten und Behörden davon auszugehen ist, dass gerichtliche und behördliche Schriftstücke vollständig übermittelt werden und es keine Diskrepanz zwischen Zustellschein und tatsächlich übermittelten Urkunden gibt; in diesem Fall [sei] besonders darauf zu verweisen, dass ein Konvolut von Urkunden, nämlich die ON 10 - ON 12 übermittelt wurden, nicht jedoch die ON 10"; da der Akt zwischenzeitig dem Obersten Gerichtshof vorgelegt worden sei, sei ihm weiterhin die Möglichkeit genommen, eine Revisionsbeantwortung zu erstatten, verfüge er doch nach wie vor nicht über die Revisionsschrift.

Das Erstgericht übermittelte diese Schriftstücke dem Obersten Gerichtshof im Nachhang.

Rechtliche Beurteilung

1. Unter Zustellung versteht man ein gesetzlich geregeltes Verfahren, das aus zwei rechtlich zu unterscheidenden Akten besteht. Dies sind einerseits die Zustellverfügung und andererseits der eigentliche Zustellvorgang, der die Zustellverfügung ausführt. Die Zustellung ist ein an eine gesetzliche Form geknüpfter, hoheitlicher Vorgang, durch den dem als Empfänger des Schriftstücks bezeichneten Adressaten Gelegenheit geboten wird, von einem im Auftrag des Gerichts an ihn gerichteten Schriftsatz Kenntnis zu nehmen; sie hat also das Ziel, dem jeweiligen Adressaten das Schriftstück zukommen zu lassen. An den rechtmäßigen oder im Falle des § 7 ZustG tatsächlichen Vollzug der Zustellung knüpfen sich die Rechtswirkungen behördlicher, schriftlich ausgefertigter Erledigungen (Gitschthaler in Rechberger, ZPO³ [2006] § 87 Rz 3 mwN).

2. Nach § 22 Abs 1 ZustG ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) zu beurkunden. Diese Zustellnachweise sind öffentliche Urkunden, die den Beweis erbringen, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist (vgl 1 Ob 137/05m). Dies gilt allerdings nur dann, wenn der Zustellnachweis die gehörige äußere Form aufweist (VwGH ÖStZB 2003/295; Gitschthaler aaO § 87 [§ 22 ZustG] Rz 2; Stumvoll in Fasching/Konecny² ErgBd § 22 ZustG Rz 8 mwN). Fehlt daher auf dem Rückschein die Beurkundung durch das Zustellorgan, ist er also nicht vollständig und mängelfrei, liegt gar kein Zustellnachweis vor, für den die Vermutung der Richtigkeit und der Vollständigkeit sprechen würde (Gitschthaler aaO mwN). Im vorliegenden Verfahren weist der Zustellschein AS 110 weder die Parafe des Zustellers noch eine Angabe darüber auf, wer das Zustellstück konkret übernommen hat. Daraus ist für den Beklagten jedoch nichts gewonnen, weil er ja gar nicht bestreitet, eine Zusendung des Erstgerichts im vorliegenden Verfahren am 2. 4. 2009 erhalten zu haben; dies ergibt sich im Übrigen ja auch aus dem von ihm vorgelegten Auszug aus seinem Posteingangsbuch, das unter dem Datum 2. 4. 2009 (unter anderem) den Vermerk „B***** BG Lilienfeld Beschluss 27. 3. 09" enthält. Dem - sprachlich etwas unklaren - Vorbringen des Beklagten ist vielmehr zu entnehmen, dass die Zusendung des Erstgerichts entgegen dem auf dem Zustellschein vermerkten Inhalt die Revision der Klägerin tatsächlich nicht enthielt.

3. Selbst bei unbedenklichem Zustellnachweis steht dem Empfänger nach herrschender Auffassung der „Gegenbeweis" nach § 292 ZPO offen (stRsp des Obersten Gerichtshofs, etwa 5 Ob 217/01z, und des Verwaltungsgerichtshofs, etwa VwSlg 10.687 A; Gitschthaler aaO § 87 [§ 22 ZustG] Rz 4; Stumvoll aaO § 22 ZustG Rz 7 uva). Dazu bedarf es aber konkreter Darlegungen über den Zustellmangel und eines entsprechenden Beweis(richtig: Bescheinigungs-)anbots; die Zustellmängel müssen vom Adressaten, zumindest glaubhaft gemacht werden (VwGH ZVR 1980/69; 3 Ob 48/93 EvBl 1994/10 uva).

4.1. Ein Zustellmangel kann auch darin liegen, dass der Rückscheinsendung entgegen seiner Bezeichnung bestimmte Dokumente, Aktenstücke oder Schriftstücke nicht beilagen (5 Ob 592/77 RZ 1977/26; 3 Ob 95/95; Gitschthaler aaO § 87 Rz 8); in einem solchen Fall erfolgte die Zustellung nicht vollständig. Soweit Stumvoll (aaO § 87 Rz 9, § 22 ZustG Rz 16) insbesondere bei Zustellung mehrerer Geschäftsstücke in einem Kuvert an Rechtsanwälte die Auffassung vertritt, bei Anführung der verschiedenen Ordnungsnummern auf dem Zustellnachweis müsse der Empfänger das Fehlen einzelner Geschäftsstücke „in zeitlichem Zusammenhang mit der erfolgten Zustellung" bekannt geben, weil den Rechtsanwalt eine Inhaltskontrolle aufgrund anwaltlicher Sorgfaltspflicht und eine Mitteilungspflicht aufgrund der Nähe zum Beweis träfen, kann daraus zwar keine Zustellfiktion betreffend den Inhalt der Zustellsendung abgeleitet werden, sollte diese zeitliche Nähe nicht eingehalten werden; wohl aber könnte eine Verletzung dieser Pflichten im Hinblick auf die Beweisbarkeit des behaupteten fehlenden Inhalts von Bedeutung sein.

4.2. Der Beklagte stützt sich im vorliegenden Verfahren zumindest erkennbar auf einen derartigen Zustellmangel, auch wenn seine Ausführungen etwas widersprüchlich erscheinen („... ein Konvolut von Urkunden, nämlich die ON 10 - ON 12 übermittelt wurden, nicht jedoch die ON 10"). Er hat dafür auch Bescheinigungsmittel angeboten, nämlich den bereits erwähnten Auszug aus seinem Posteingangsbuch und seine Einvernahme.

Dass sich das Verfahren bereits im Revisionsstadium befindet, schadet dem Beklagten dabei nicht (4 Ob 14/78; 6 Ob 711/78; Gitschthaler aaO § 87 [§ 22 ZustG] Rz 4); seinem Vorbringen steht auch das Neuerungsverbot nicht entgegen (7 Ob 154/01z wobl 2002/51; 3 Ob 202/03g).

5. Da sich der Beklagte zur Darlegung des Zustellmangels nicht nur auf Urkunden, sondern auch auf seine Einvernahme stützt, ist der Akt dem Erstgericht zurückzustellen, das diese Bescheinigungsmittel aufzunehmen haben wird (vgl Gitschthaler aaO § 87 [§ 22 ZustG] Rz 4); im Übrigen hat der Beklagte an das Erstgericht den ausdrücklichen Antrag auf neuerliche Zustellung der Revision der Klägerin gestellt. Das Erstgericht wird dabei auch zu erheben haben, von wem die Zustellsendung tatsächlich übernommen wurde; sollte es sich dabei (was wohl anzunehmen sein wird) nicht um den Beklagten persönlich gehandelt haben, wird das Erstgericht außerdem den tatsächlichen Übernehmer zu befragen haben, desgleichen den mit der Abfertigung der Zusendung befassten Bediensteten des Erstgerichts.

Sollte die Aufnahme dieser Bescheinigungsmittel nicht mit großer Wahrscheinlichkeit ergeben, dass die vom Beklagten oder einem Mitarbeiter seiner Rechtsanwaltskanzlei am 2. 4. 2009 übernommene Sendung auch eine Ausfertigung der Revision der Klägerin enthalten hat - bleiben Zweifel an der Rechtswirksamkeit der Zustellung, dann geht dies zu Lasten der Behörde (Gitschthaler aaO § 87 [§ 22 ZustG] Rz 5 mwN) -, wird das Erstgericht dem Beklagten die Revision zuzustellen und ihm so die Erstattung einer Revisionsbeantwortung zu ermöglichen haben. Andernfalls wird es den Antrag auf neuerliche Zustellung der Revision abzuweisen und über den eventualiter gestellten Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden haben.

Textnummer

E91755

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0060OB00093.09H.0805.000

Im RIS seit

01.10.2009

Zuletzt aktualisiert am

31.03.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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