Index
41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1993 §37 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des M, geboren am 14. Februar 1964, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. Oktober 1996, Zl. 686.814/10-III/16/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 Fremdengesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Devolutionsweg ergangenen Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, in seinem Heimatland gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.
Diesen Ausspruch begründete die belangte Behörde im Wesentlichen wie folgt: Für die Feststellung nach § 54 Abs. 1 FrG komme es nicht auf die allgemeinen, in einem bestimmten Staat herrschenden Verhältnisse, sondern auf eine konkrete, von staatlichen Stellen zumindest gebilligte individuell gegen den Fremden gerichtete aktuelle Bedrohung an, die von ihm glaubhaft zu machen sei. In diesem Licht seien die Ausführungen zu werten, wonach der Beschwerdeführer als staatlich Bediensteter wegen einer Freundschaft zu einem "untergetauchten Polizisten" und einer Ehe mit einer als "weltoffen" zu bezeichnenden Frau bedroht wäre. Dieses Vorbringen stehe im Widerspruch zur niederschriftlichen Aussage vom 29. August 1995, wo der Beschwerdeführer zwar auf die Probleme mit den Fundamentalisten auf Grund seiner Freundschaft mit einem untergetauchten Polizisten hingewiesen, jedoch gleichzeitig betont habe, weder strafrechtlich, politisch, "noch im Sinne des § 37 FrG" verfolgt zu werden. Dem Beschwerdeführer sei daher die Glaubhaftmachung einer aktuellen Bedrohung nicht gelungen. Die allgemeine Lage in Algerien sei kein zwingendes Indiz für das Vorliegen einer Bedrohung gemäß § 37 Abs. 1 FrG. Da die konkret seine Person betreffenden Ausführungen nicht glaubwürdig seien, könne der allgemeinen Situation in Algerien bei der Entscheidungsfindung der Behörde wohl nur geringe Relevanz zukommen. Außerdem seien der belangten Behörde keine Berichte über die politische und menschenrechtliche Lage in Algerien bekannt, welche in Verbindung mit seinem Vorbringen Verstöße gegen Art. 3 EMRK aufzeigen könnten. Zusammenfassend habe eine konkret den Beschwerdeführer betreffende Verfolgung seitens der Moslem-Fundamentalisten nicht glaubhaft gemacht werden können.
Die an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde trat dieser mit Beschluss vom 16. Dezember 1996 nach Ablehnung ihrer Behandlung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung ab (B 4533/96).
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:
Im Verfahren gemäß § 54 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 19. Mai 2000, Zl. 96/21/0528.)
Die belangte Behörde versagte - wie oben dargelegt - dem Vorbringen des Beschwerdeführers allein mit der Begründung die Glaubwürdigkeit, dass er bei einer "niederschriftlichen Aussage" angegeben habe, nicht "im Sinne des § 37 FrG" verfolgt zu werden. Diese Beweiswürdigung hält der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Überprüfung auf ihre Schlüssigkeit (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) nicht stand. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer als Fremder und juristischer Laie wohl schwerlich die Aussage in dieser Form getätigt haben kann, findet sich in der Fortsetzung dieses Protokolls sein Hinweis, Probleme mit den Moslem-Brüdern (Fundamentalisten) gehabt zu haben, weil einer seiner Freunde Polizist sei und angenommen werde, dass er diesen mit Informationen versorgt hätte. Sein Freund habe sich bereits verstecken müssen und der Beschwerdeführer befürchte, "von den Moslem-Brüdern verschleppt zu werden, zwecks Befragung über den Verbleib meines Freundes". Die Beschwerde zeigt zutreffend auf, dass der Niederschrift nicht entnommen werden kann, dass dem rechtunkundigen Beschwerdeführer die Bedeutung der Bestimmung des zitierten § 37 FrG erklärt worden wäre. Ebenso zutreffend zeigt sie auf, dass dem Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht die Möglichkeit gegeben wurde, zu dem von der belangten Behörde erstmals aufgegriffenen angeblichen Widerspruch zu seinem sonstigen Vorbringen Stellung zu nehmen. Es geht nicht an, aus einer in die Form eines rechtlichen Tatbestandes gekleideten Aussage auf eine Unglaubwürdigkeit der Person zu schließen, ohne die weiteren Ermittlungsergebnisse, insbesondere die Angaben über tatsächliche Vorgänge, zu berücksichtigen.
Die Relevanz dieses Verfahrensmangels ist gegeben. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde erschöpft sich das Vorbringen des Beschwerdeführers nämlich nicht in Ausführungen zur allgemeinen politischen Lage in Algerien, sondern beinhaltet eine konkret zu befürchtende Verfolgung wegen der Zusammenarbeit mit einem in der Berufung namentlich genannten Polizisten, wegen seiner Stellung als Tierarzt in einem staatlichen Viehzuchtbetrieb und wegen einer bei den Moslem-Fundamentalisten als "Brandmarkung" angesehenen Ehe mit einer als "weltoffen" zu bezeichnenden Frau. In der Berufung vom 18. September 1995 verwies der Beschwerdeführer überdies darauf, dass die algerische Regierung außer Stande sei, den Schutz ihrer Staatsbürger vor kriminellen Handlungen von fanatischen Algeriern zu gewährleisten. Zu diesem Vorbringen traf die belangte Behörde keine konkreten Feststellungen. Es kann somit nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde im Fall eines mängelfreien Verfahrens zu Feststellungen gelangt, die zu einem für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis in der Sache führen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung die Einbringung der Beschwerdeergänzung in zweifacher Ausfertigung gereicht hätte und kein Stempelgebührenersatz für die Vorlage der Beschwerdeausfertigung im verfassungsgerichtlichen Verfahren zuerkannt werden kann.
Wien, am 23. Jänner 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1996211111.X00Im RIS seit
30.04.2001