D2 250780-0/2008/18E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Feßl als Einzelrichter über die Beschwerde des A.S., geb. 00.00.1968, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 03.06.2004, FZ. 03 32.845-BAI, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.08.2008 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und A.S. gem. § 7 AsylG 1997 i.d.F. BGBl I Nr. 126/2002, Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass A.S. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der (nunmehrige) Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 14.10.2003 von der Slowakei kommend illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 15.10.2003 einen Antrag auf die Gewährung von Asyl. Nachdem er am 21.10.2003 einen zweiten Asylantrag gestellt hatte, zog er jenen vom 15.10.2003 freiwillig zurück.
Das Bundesasylamt trat in die inhaltliche Behandlung dieses Asylantrages ein und führte am 29.10.2003 durch einen Organwalter der Außenstelle Innsbruck eine Einvernahme durch, in welcher der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtweg und seinen Fluchtgründen niederschriftlich befragt wurde und - kurz zusammengefasst - folgenden Sachverhalt vorbrachte:
Er sei insgesamt zweimal von russischen Soldaten gefangen genommen worden. Das erste Mal gemeinsam mit seiner Frau am 00.00.2003 und danach noch einmal 00.00.2003. Damals habe er noch bei seiner Mutter gewohnt. Bei der ersten Entführung sei er kurz darauf wieder aus dem (Militär-)Fahrzeug geworfen worden, das zweite Mal sei er zuerst mit einem Gewehrkolben niedergeschlagen und erst nach ca. zwei Tagen gegen die Zahlung eines Lösegelds wieder frei gelassen worden. Anschließend habe er sich bei Bekannten und Freunden in Grosny und Umgebung aufgehalten. In dieser Zeit seien wieder russische Soldaten zu seiner Mutter gekommen und hätten nach ihm gefragt und dann seinen Bruder mitgenommen. Die Soldaten würden wissen, dass er Kriegsteilnehmer gewesen sei, deswegen würde er auch in Zukunft keine Ruhe vor ihnen haben. Er habe am ersten Tschetschenien-Krieg vom 00.12.1994 bis 00.05.1995 teilgenommen und Verletzte bzw. Militärmaterial transportiert. Mit der Waffe habe er nicht gekämpft.
Am 28.01.2004 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer neuerlich von einem Organwalter des Bundesasylamtes, Außenstelle Innsbruck, niederschriftlich einvernommen und legte bei dieser Gelegenheit schriftliche Rechtsgutachten sowie aktuelle Judikatur bezüglich tschetschenischer Asylwerber vor. Bei der Befragung gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er am 00.00.1995 bei einem Feuergefecht angeschossen und anschließend im Krankenhaus V. operiert worden sei. Später sei er in die Türkei zur Therapie geschickt worden und habe dort geschäftliche Kontakte geknüpft, sodass er nach seiner Rückkehr nach Tschetschenien einen Marktstand mit türkischen Waren in seiner Heimatstadt S. aufgemacht habe.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 03.06.2004, FZ. 03 32.845-BAI, den Asylantrag des Beschwerdeführers gem. § 7 AsylG 1997 ab (Spruchpunkt I.), stellte zugleich fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gem. § 8 Abs. 1 AsylG 1997 zulässig sei (Spruchpunkt II.) und wies ihn gem. § 8 Abs. 2 AsylG 1997aus dem österreichischen Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III.).
Begründend führte die erstinstanzliche Behörde dazu aus, dass sich die Angaben des nunmehrigen Beschwerdeführers zum Ausreisegrund zwar als "denkmöglich, weitestgehend nachvollziehbar und daher auch glaubwürdig" darstellten (AS 119), die von ihm vorgebrachte kurzfristige Anhaltung bzw. Inhaftierung jedoch nicht die für eine Asylgewährung erforderliche Intensität aufweisen würde. Von wohlbegründeter Furcht könne erst dann gesprochen werden, wenn die Zustände im Heimatland des Asylwerbers aus objektiver Sicht dergestalt sind, dass ein weiterer Verbleib des Flüchtlings in diesem Land unerträglich geworden ist. Darüber hinaus sei festzuhalten, dass Umstände die schon längere Zeit vor der Ausreise zurücklägen, nicht mehr beachtlich seien; die wohlbegründete Furcht müsse vielmehr bis zur Ausreise andauern. Da die vom Antragsteller geltend gemachte Anhaltung bereits über vier Monate zurückliege, bestehe kein genügend enger Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung und Ausreise in zeitlicher und sachlicher Hinsicht. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Ausreise noch mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen gehabt hätte. Darüber hinaus stehe ihm - unabhängig von nicht gegebener staatlicher Verfolgung - die reale Möglichkeit zur Verfügung, eine inländische Fluchtalternative in Russland, außerhalb der Republik Tschetschenien, in Anspruch zu nehmen (AS 125).
Gegen diesen Bescheid wurde mit dem am 11.06.2004 eingebrachten Schriftsatz Berufung (nunmehr als Beschwerde zu werten) erhoben. Darin wurde insbesondere geltend gemacht, dass die erstinstanzliche Behörde über vom Rechtsvertreter des nunmehrigen Beschwerdeführers eingebrachte Beweismittel ("Gutachten" des UBAS; einschlägige Judikatur) "großzügig hinweggegangen" sei, was einen schweren Verfahrensmangel darstelle. Daneben wurden dem Schriftsatz drei Farbfotos beigelegt, welche den nunmehrigen Beschwerdeführer "eindeutig als Widerstandskämpfer identifizieren" würden (AS 147). Weiters hätten die Aussagen der Ehefrau des Beschwerdeführers keinen Eingang in den erstinstanzlichen Bescheid gefunden, was ebenfalls einen Verfahrensmangel darstelle, da die Behörde ihr Ermittlungsverfahren in alle Richtungen zu führen habe. Darüber hinaus würden die zwei Gefangennahmen des Beschwerdeführers sehr wohl Eingriffe von erheblicher Intensität darstellen und sei der Druck auf ethnisch gemischte Paare in dessen Herkunftsstaat im Vergleich zu anderen Tschetschenen sogar noch höher (AS 145 ff.).
Der Unabhängige Bundesasylsenat bzw. in der Folge der Asylgerichtshof als dessen Rechtsnachfolger hat über diese Berufung (nunmehr: Beschwerde) ein ergänzendes Ermittlungsverfahren im Zuge einer am 18.06.2007 und am 20.08.2008 stattgefunden habenden öffentlich-mündlichen Verhandlung in Gegenwart einer Dolmetscherin für die russische Sprache, durchgeführt. Im Zuge dieser Verhandlung wurde Beweis erhoben durch Parteienvernehmung des nunmehrigen Beschwerdeführers und seiner Ehegattin G.Z.. Folgende Beilagen wurden dabei zum Akt genommen:
Kopie einer Landkarte Tschetscheniens (Beilage ./1); Farbfoto des nunmehrigen Beschwerdeführers mit Alla Dudajeva, der Frau des ehemaligen tschetschenischen Präsidenten (Beilage ./A); Kopie der Heiratsurkunde des Beschwerdeführers (Beilage ./B); Anfragebeantwortung von Amnesty International an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof bzgl. Tschetschenien vom 27.04.2007 (Beilage ./C); Gutachten zur Situation von abgeschobenen oder freiwillig in die Russische Föderation zurückgekehrter Tschetschenen vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, Stand: Juli/August 2007 (Beilage ./D); der Internetseite taz.de entnommene Meldung vom 07.12.2007 bzgl. Menschenrechtslage in Tschetschenien und Situation von Rückkehrern (Beilage ./E).
Des Weiteren wurden folgende vom Verhandlungsleiter beigeschaffte Berichte zur politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation, insbesondere in Tschetschenien, verlesen und erörtert:
Bericht des auswärtigen Amtes Berlin vom 13.01.2008 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation insbesondere hinsichtlich des Abschnittes der Lage in Tschetschenien (Abschnitt II 3.1.), Ausweichmöglichkeiten (Abschnitt II 4.) und Rückkehrfragen (Abschnitt IV.), (Beilage ./I); Auskunft des auswärtigen Amtes Berlin vom 20.02.2008 an das Verwaltungsgericht Köln (Beilage ./II); Auskunft des auswärtigen Amtes Berlin an das Thüringer Oberverwaltungsgericht betreffend Verfolgung von Rückkehrern (Beilage ./III); Berichte des U.S. Department of State über die Menschenrechtslage in der Russischen Föderation im Jahr 2007 (Beilage ./IV); Stellungnahme des UNHCR über Asylsuchende und Flüchtlinge aus der Tschetschenischen Republik vom 22.10.2004 (Beilage ./V); Anfragebeantwortung von ACCORD vom 14.05.2008 mit dem Titel: Tschetschenien, Klagen vor dem EGMR und Rechtsschutz bei Menschenrechtsverletzungen (Beilage ./VI); Presseaussendung der Organisation Human Rights Watch mit dem Titel: Chechnya, Justice between ruins and reconstruction
(Beilage ./VII).
Des Weiteren wurde zu der bereits im Verwaltungsakt aufliegenden Kopie des russischen Führerscheins des Beschwerdeführers (Beilage zu OZ 8) das Original vorgelegt und hinsichtlich des wesentlichen Inhalts in die deutsche Sprache übersetzt (siehe Seite 2 der Verhandlungsschrift vom 20.08.2008).
In der Verhandlung vom 18.06.2007 berief sich der Beschwerdeführer unter Anderem auf ein Naheverhältnis zur früheren separatistischen tschetschenischen Führung, dieses werde aus dem Lichtbild Beilage ./A deutlich, auf welchem er zusammen mit der Gattin des früheren Präsidenten DUDAEW zu sehen sei.
Auf Grundlage der vom Bundesasylamt durchgeführten Ermittlungen und des dargestellten ergänzenden Beweisverfahrens wird folgender
Sachverhalt festgestellt und der Entscheidung zugrunde gelegt:
Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:
Der Beschwerdeführer trägt den Namen A.S., wurde am 00.00.1968 geboren, ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe.
Das oben wiedergegebene Vorbringen des nunmehrigen Beschwerdeführers wird als glaubhaft erachtet und der Entscheidung zugrunde gelegt. Der Asylgerichtshof geht insbesondere davon aus, dass der Beschwerdeführer, der zur tschetschenischen Volksgruppe gehört und aus dem Dorf S. stammt, zwei Mal von russischen Sicherheitskräften festgenommen wurde. Nach der ersten Festnahme wurde er kurz darauf wieder freigelassen, indem er aus einem fahrenden Wagen gestoßen wurde; anlässlich der zweiten Festnahme wurde er zwei Tage lang in einem Erdloch angehalten und erst nach Zahlung von US-$ 800,-
freigelassen. Danach hat der Beschwerdeführer bei Freunden und Bekannten in Grosny und Umgebung gelebt, bis er 2003 Tschetschenien verlassen hat. Der Asylgerichtshof geht auch davon aus, dass Kontakte zwischen dem Beschwerdeführer und Angehörigen der früheren separatistischen Führung Tschetscheniens bestanden haben (Lichtbild, auf welchem der Beschwerdeführer zusammen mit Alla Dudaewa zu sehen ist; Beilage ./A).
Der nunmehrige Beschwerdeführer wurde rechtskräftig im Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 00.00.2005, wegen des Vergehens der sittlichen Gefährdung von Personen unter 16 Jahren nach § 208 Abs. 1, 1. Fall StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt, wobei diese Strafe durch die Berufungsinstanz, das Landesgericht Feldkirch, auf ein Ausmaß von 200 Tagessätzen angehoben wurde, gleichzeitig aber in einem Ausmaß von 100 Tagessätzen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Weiters wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig im Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 00.00.2007, wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt.
Zur Situation im Herkunftsstaat des nunmehrigen Beschwerdeführers (Russische Föderation insbes. Tschetschenien und sonstiger Nordkaukasus) wird Folgendes festgestellt:
Allgemeine politische Lage
Die große Mehrheit der russischen Bevölkerung verbindet mit der siebenjährigen Amtszeit Präsident Putins überwiegend positive Erfahrungen und ist an Kontinuität interessiert. Nach den Dumawahlen vom 02.12.2007 bestimmen nun die im März 2008 anstehenden Präsidentschaftswahlen das politische Klima in Russland. Präsident Putin hat gegenüber der Öffentlichkeit mehrfach dargelegt, dass er für eine dritte Amtszeit nicht mehr zur Verfügung steht. Statt dessen ist mit seiner Unterstützung Dmitrij Medwedjew als Nachfolgekandidat präsentiert worden, dessen Kandidatur - zusammen mit einem in Aussischt gestellten zukünftigen Einsatz Putins als Premierminister - für einen geordneten "Übergang der Macht" sorgen soll. Die Regierung ist bemüht, die Missstände im Justizsystem durch eine umfassende Justizund Rechtsreform zu beheben (bisher u.a. neue Straf- und Zivilprozessordnungen, Reform des Strafgesetzbuches). Auch wenn die Strafprozessreform aus den Jahren 2002 und 2004 die Stellung der Richter deutlich gestärkt hat, bleibt in der Praxis die Macht der Staatsanwaltschaft beträchtlich. Im September 2007 ist eine weitere Reform der Strafprozessordnung in Kraft getreten, die Aufgaben der Staatsanwaltschaft im Vorfeld der Hauptverhandlung (Ermittlungen, Verfahrenseinstellungen, Anklageerhebung) einem neugeschaffenen Untersuchungskomitee überträgt. Ob diese Aufgabenteilung auch zu einer Teilung der Macht der Generalstaatsanwaltschaft führen wird, ist zur Zeit noch nicht absehbar. Die Gerichte sind nicht wirklich unabhängig, das Vertrauen der Bevölkerung in die Richter und Justizbehörden ist gering. Vertrauensanwälte der Deutschen Botschaft in Moskau beklagen, dass vor allem in der Provinz die Mehrzahl der Strafprozesse durch Politik, Interessengruppen und Prozessparteien unzulässig beeinflusst würden. Laut Präsident Putin ist mit der tschetschenischen Parlamentswahl am 27.11.2005 die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Tschetschenien abgeschlossen worden. Dabei errang die kremlnahe Partei "Einiges Russland" die Mehrheit der Sitze. Beobachter stellten zahlreiche Unregelmäßigkeiten fest. Hauptkritik an der Wahl war u.a. die anhaltende Gewaltausübung und der Druck der Miliz (sog. "Kadyrowzy") gegen Wahlleiter und Wahlvolk. Nach dem Rücktritt seines Vorgängers Alu Alchanow im Februar 2007 hat der bisherige Ministerpräsident Ramsan Kadyrow am 05.04.2007 das Amt des tschetschenischen Präsidenten angetreten.
Lage in Tschetschenien
Mit der Wahl eines tschetschenischen Parlaments am 27.11.2005 ist für Moskau der 2003 begonnene "politische Prozess" zur Beilegung des Tschetschenienkonflikts abgeschlossen. Präsident Putin erklärte im Januar 2006 zum wiederholten Male die "antiterroristische Operation", d.h. den Krieg für beendet. Wenngleich seit der Regierung und Präsidentschaft Ramsan Kadyrows Zeichen der Normalisierung festzustellen sind, finden noch weiterhin kleinere Kämpfe zwischen Rebellen und regionalen sowie föderalen Sicherheitskräften statt. Die aktiven Rebellen weichen immer mehr in die Nachbarrepubliken, insbesondere Inguschetien und Dagestan aus. Hierzu schreibt der russische Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin in seinem Jahresbericht 2006: "Insgesamt bleibt die Lage im Nordkaukasus außerordentlich instabil." Trotz der Tötung der Separatistenführer Aslan Maschadow im März 2005 und Abdelchalim Saidullajew im Juni 2006 sowie des "Top-Terroristen" Schamil Bassajew im Juli 2006 gibt es laut Schätzungen der lokalen tschetschenischen Sicherheitskräfte weiterhin einige hunderte Rebellen in den Bergregionen Tschetscheniens, die vor allem Anschläge auf Sicherheitskräfte verüben. Der russische Armeegeneral Krivonos nannte am 11.05.2007 eine Zahl von noch 300 aktiven Kämpfern. Eine dauerhafte Befriedung der Lage in Tschetschenien ist somit noch nicht eingetreten. Die Aktivitäten der tschetschenischen und föderalen Sicherheitskräfte gegen die Rebellen, insbesondere in den tschetschenischen Grenzgebieten zu den nordkaukasischen Nachbarrepubliken, wurden auch 2007 fortgesetzt. Seit 1999 forderte der Konflikt erhebliche Opfer: 10.000-20.000 getötete Zivilisten (Angaben der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial"), 5.000 bis 7.000 getötete und ca. 18.000 verletzte Angehörige der Sicherheitskräfte (Zahlen des Verteidigungsministeriums, die teilweise widersprüchlich sind). In Tschetschenien finden die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Nichtregierungsorganisationen, internationale Organisationen und Presse berichten, dass sich auch nach Beginn des von offizieller Seite festgestellten "politischen Prozesses" erhebliche Menschenrechtsverletzungen durch russische und pro-russische tschetschenische Sicherheitskräfte gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung fortgesetzt haben. Dies sei häufig darauf zurückzuführen, dass reales Ziel der in Tschetschenien eingesetzten Zeitsoldaten, Milizionäre und Geheimdienstangehörigen Geldbeschaffung und Karriere sei. Zwar hat sich die Sicherheit der Zivilbevölkerung in Tschetschenien mittlerweile stabilisiert. Razzien, "Säuberungsaktionen", Plünderungen und Übergriffe durch russische Soldaten und Angehörige der tschetschenischen Sicherheitskräfte, aber auch Guerilla-Aktivitäten und Geiselnahmen der Rebellen haben nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen und internationalen Organisationen deutlich abgenommen. Doch weisen Nichtregierungsorganisationen zugleich darauf hin, dass es nach wie vor zu willkürlichen Überfällen bewaffneter, nicht zuzuordnender Kämpfer, Festnahmen und Bombenanschlägen kommt. Seit Anfang 2007 hat sich laut Angaben der Menschenrechtsorganisation Memorial die Menschenrechtslage in Tschetschenien gebessert, insbesondere haben die Fälle des "Verschwindenlassens" erheblich abgenommen. Wurden 2006 noch 187 Entführungen von Memorial registriert, ist die Zahl seit Anfang 2007 bis Mitte September 2007 auf 25 Fälle zurückgegangen. Memorial erklärt diese Tatsache damit, dass Präsident Kadyrow seinen Sicherheitskräften, den "Kadyrowzy", die Anweisung gegeben habe, mit den Entführungen aufzuhören. Dies bestätigt die Annahme von Human Rights Watch, nach der seit 2004/2005 diese Gruppe die Hauptverantwortung für Verschleppungen trägt. Der tschetschenische Parlamentspräsident Abdurchachmanow bestätigte am 01.07.2007, dass die Zahl der verschwundenen Personen ursprünglich bei etwa 5.500 gelegen habe, doch habe nach erfolgten Überprüfungen das Schicksal von über 1.000 Personen geklärt werden können. Aktuell gelten 4.300 Personen als spurlos verschwunden. Man gehe davon aus, dass viele der vermissten Personen tot und in anonymen Gräbern bestattet worden seien. Um die Identität der Toten klären zu können, soll nach Angaben des tschetschenischen Ombudsmanns Nuchaschijew Präsident Kadyrow im Juli 2007 den Kauf eines Speziallabors angeordnet haben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilte Russland am 27.07.2006 zur Zahlung von 35.000 Euro an die Familie des im Februar 2000 spurlos verschwundenen Chadschi-Murat Jandijew wegen Verletzung des Rechts auf Leben. Das Gericht stellte fest, dass Russland das Verbot der willkürlichen Festnahme verletzt und dem Festgenommenen keinen ausreichenden Rechtsschutz gewährt hatte. Seitdem ist es zu weiteren ähnlichen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Russland wegen Entführungen und Tötungen in Tschetschenien gekommen. Folter bleibt ein drängendes Problem. Sie erfolgt willkürlich und unvorhergesehen, ein Muster ist nicht erkennbar. Der Menschenrechtskommissar des Europarats Thomas Hammarberg kritisierte nach einem Besuch in Tschetschenien Ende Februar/Anfang März 2007 Folter im ORB-2 (Operatives Fahndungsbüro 2, Teil des Föderalen Innenministeriums). Auch Präsident Kadyrow gab Mitte März 2007 öffentlich Folter im ORB-2 zu. Memorial werden weiterhin aktuelle Fälle von Folter sowohl im ORB-2 als auch durch eine spezielle Einheit des tschetschenischen Innenministeriums gemeldet. Unter Folter unterschriebene Geständnisse werden nach Erkenntnissen von Memorial regelmäßig in Gerichtsverfahren als Grundlage von Verurteilungen genutzt. Frauen berichteten gegenüber Vertreterinnen internationaler Hilfsorganisationen von Vergewaltigungen seitens russischer Soldaten bei der Eroberung von Ortschaften. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten für 2007 weiterhin von extralegalen Tötungen der Zivilbevölkerung während Operationen der Sicherheitskräfte. So sollen nach Angaben von Memorial am 24.03.2007 Militärangehörige auf drei Frauen in Urduchaja, Gebiet Schatoi geschossen haben, von denen eine ums Leben gekommen sein soll, während die beiden anderen schwer verletzt worden seien. Schwere Verbrechen und Vergehen werden auch von Seiten verschiedener Rebellengruppen begangen. Neben den Aufsehen erregenden Terroranschlägen gegen die Zivilbevölkerung (Beslan) werden bei vielen Aktionen gegen russische Sicherheitskräfte Opfer unter der Zivilbevölkerung bewusst in Kauf genommen. Auch werden den Rebellen Exekutionen und Geiselnahmen von Zivilisten in den von ihnen beherrschten Gebieten und Ortschaften vorgeworfen. Außerdem verüben die Rebellen gezielt Anschläge gegen Tschetschenen, die mit den russischen Behörden zusammenarbeiten. Berichtet wurden Fälle von durch Sicherheitsbehörden organisierten Geiselnahmen von Familienangehörigen mutmaßlicher Rebellen, durch die diese zur Aufgabe gezwungen werden sollten. Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend, so dass nach Ansicht von Nichtregierungsorganisationen ein "Klima der Straflosigkeit" entstanden sei. Bisher gibt es nur sehr wenige Fälle von Verurteilungen. Im April 2006 verurteilte ein Gericht in Rostow den Vertragssoldaten Kriwoschenok zu 18 Jahren Haft wegen der Erschießung dreier tschetschenischer Zivilisten im November 2005. Im Juni 2007 verurteilte dasselbe Gericht vier Offiziere in der "Sache Ulman" zu 9, 11, 12 und 14 Jahren Haft wegen Erschießung von sechs tschetschenischen Zivilisten im Dezember 2002. Drei der Verurteilten sind allerdings untergetaucht. Am 22.09.2006 beschloss die Duma eine neue Amnestieverordnung. Sie erfasst Vergehen, die zwischen dem 13.12.1999 und dem 23.09.2006 im Nordkaukasus (Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Tschetschenien, Nordossetien, Karatschajewo- Tscherkessien, Gebiet Stawropol) begangen wurden. Die Amnestie gilt sowohl für Rebellen ("Mitglieder illegaler bewaffneter Formationen", sofern sie bis zum 15.01.2007 die Waffen niederlegen) als auch für Soldaten, erfasst aber keine schweren Verbrechen (u.a. nicht Mord, Vergewaltigung, Entführung, Geiselnahme, schwere Misshandlung, schwerer Raub; für Soldaten: Verkauf von Waffen an Rebellen). Nach Mitteilung des Nationalen Antiterror-Komitees haben sich bis zum Stichtag insgesamt 546 Rebellen gestellt. Etwa 200 Rebellen waren angeblich an Sabotage und Terroraktionen beteiligt, nahezu alle sollen einer illegalen bewaffneten Gruppe angehört haben. Die Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen in letzter Zeit deutlich verbessert. In den Nachbarrepubliken Dagestan, Inguschetien und Kabardino-Balkarien hat sich die Lage hingegen eher verschlechtert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Grosny ist inzwischen fast vollständig wieder aufgebaut - dort gibt es mittlerweile auch wieder einen Flughafen. Nach Angaben der EU Kommission (ECHO) findet der Wiederaufbau überall in der Republik, insbesondere in Gudermes, Argun und Schali statt. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen melden, dass selbst in kleinen Dörfern Schulen und Krankenhäuser aufgebaut werden. Die Infrastruktur (Strom, Heizung, fließendes Wasser, etc.) und das Gesundheitssystem waren nahezu vollständig zusammengebrochen, doch zeigen Wiederaufbauprogramme und die Kompensationszahlungen Erfolge. Missmanagement, Kompetenzgemenge und Korruption verhindern jedoch in vielen Fällen, dass die Gelder für den Wiederaufbau sachgerecht verwendet werden. Die humanitären Organisationen reduzieren langsam ihre Hilfstätigkeiten, da sie keine humanitäre Notlage, dennoch aber erhebliche Entwicklungsprobleme sehen. Wichtigstes soziales Problem ist die Arbeitslosigkeit und große Armut weiter Teile der Bevölkerung. Nach Schätzungen der UN sind 2007 ca. 80% der tschetschenischen Bevölkerung arbeitslos und verfügen über Einkünfte unterhalb der Armutsgrenze (in Höhe von 2,25 USD/Tag). Haupteinkommensquelle ist der Handel. Andere legale Einkommensmöglichkeiten gibt es kaum, weil die Industrie überwiegend zerstört ist. Minen verhindern die Entwicklung landwirtschaftlicher Aktivitäten. Geld wird mit illegalem Verkauf von Erdöl und Benzin verdient; zahlreiche Familien leben von Geldern, die ein Ernährer aus dem Ausland schickt. Der Schulbesuch ist grundsätzlich möglich, findet jedoch unter schwierigen Bedingungen statt. Laut Angaben der VN unterrichten in Sekundarschulen inzwischen 13.000 Lehrer, was ungefähr dem Vorkriegsniveau entspricht, doch findet der Unterricht in 152 Schulen weiterhin in provisorischen Unterkünften statt. Schüler in manchen Bezirken besitzen nur ca. 10 % der benötigten Schulbücher. Zum 31.07.2007 besuchten laut Angaben von UNICEF
214.175 Kinder den Unterricht. Wohnraum bleibt weiterhin ein großes Problem. Nach Schätzungen der VN wurden während der kriegerischen Auseinandersetzungen ab 1994 über 150.000 private Häuser sowie ca. 73.000 Wohnungen zerstört. Die Auszahlung von Kompensationsleistungen für kriegszerstörtes Eigentum ist nach Angaben des damaligen tschetschenischen Präsidenten Alu Alchanow vom 19.10.2006 noch nicht abgeschlossen. Bisher seien an 40.000 Personen Zahlungen in Höhe von über zwei Milliarden Rubel erfolgt. Für das Jahr 2007 seien auf Grund der zugewiesenen Mittel Kompensationszahlungen an 10.000-15.000 Personen geplant. Nichtregierungsorganisationen berichten jedoch, dass nur rund ein Drittel der Vertriebenen eine Bestätigung der Kompensationsberechtigung erhalte. Viele Rückkehrer bekämen bei ihrer Ankunft in Grosny keine Entschädigung, weil die Behörden sich weigern würden, ihre Dokumente zu bearbeiten, oder weil ihre Namen von der Liste der Berechtigten verschwunden seien. Der russische Migrationsdienst gibt nach Angaben von Nichtregierungsorganisationen offen zu, dass von den Entschädigungszahlungen 15 % nach Moskau, 15 % an die lokalen Behörden, zehn Prozent an die zuständige Bank und ein gewisser Prozentsatz an den Migrationsdienst selbst gehen. Verschiedene Schätzungen, u.a. des ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten des Europarates Gil Robles, gehen davon aus, dass 30-50% der Kompensationssummen als Schmiergelder gezahlt werden müssen. Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Durch die Zerstörungen und Kämpfe - besonders in der Hauptstadt Grosny - waren medizinische Einrichtungen weitgehend nicht mehr funktionstüchtig. Nach Angaben von UNDP entspricht die Dichte der Polikliniken in einigen Bezirken nur 20 % des russischen Durchschnitts. Dabei sind einige Krankheiten laut tschetschenischem Gesundheitsministerium 10-15 mal häufiger als vor dem Krieg. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung dank internationaler Hilfe mittlerweile aber ein Niveau erreicht haben, das dem durchschnittlichen Standard in der Russischen Föderation entspricht. Das IKRK hat daher beschlossen, zum Jahresende 2007 sein Unterstützungsprogramm zum Auf- und Ausbau von Krankenhäusern einzustellen. Problematisch bleibt jedoch auch laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben. Schwierig bleibt die humanitäre Lage der tschetschenischen Flüchtlinge innerhalb und außerhalb Tschetscheniens. Nach Angaben des UNHCR waren Ende Juli 2007 29.559 Binnenflüchtlinge registriert. In Inguschetien waren 15.162 tschetschenische Binnenvertriebene registriert (3.883 in Übergangs-, 11.279 in Privatunterkünften), in Dagestan 6.519. Außerdem geht der UNHCR von etwa 40.000 tschetschenischen Flüchtlingen und Binnenvertriebenen in Russland außerhalb dieser drei Republiken aus. Ferner gibt es praktisch in allen russischen Großstädten eine große, durch Flüchtlinge noch wachsende tschetschenische Diaspora: 200.000 in Moskau (nach Angaben der Tschetschenischen Vertretung in Moskau), 70.000 im Gebiet Rostow, 40.000 in der Region Stawropol und 30.000 in der Wolgaregion (Angaben des tschetschenischen Parlamentspräsidenten Abdurachmanow vom 05.06.2006). Tschetschenische Flüchtlinge leben auch in Georgien (nach letzter offizieller Registrierung vom September 2006 1.320 tschetschenische Flüchtlinge), Aserbaidschan und Kasachstan. Nach einer älteren Schätzung sollen sich etwa 31.000 tschetschenische Flüchtlinge in Westeuropa aufhalten. Die russische Regierung arbeitet auf eine möglichst baldige Rückkehr aller tschetschenischen Flüchtlinge hin. Die letzten Zeltlager in Inguschetien wurden bereits 2004 aufgelöst. Die Lebensbedingungen für die Flüchtlinge in den Übergangsunterkünften, die die Zeltlager ablösten, sind in jeder Hinsicht schwierig. Inguschetien und das russische Katastrophenschutzministerium können nur ein Mindestmaß an humanitärer Hilfe leisten. In Tschetschenien wurden für die Flüchtlinge provisorische Unterkünfte errichtet, die nach offiziellen Angaben besser eingerichtet sein sollen als die früheren Lager in Inguschetien. Die Kapazitäten reichen jedoch nicht für alle Flüchtlinge. Unter Leitung des Koordinationsbüros der Vereinten Nationen (OCHA) leisten zahlreiche internationale und nichtstaatliche Organisationen seit Jahren umfangreiche humanitäre Hilfe in der Region. 2007 planen VN- und internationale Hilfsorganisationen humanitäre Projekte im Nordkaukasus mit etwa 65 Millionen USD. Gleichzeitig fahren die russischen Migrationsbehörden die Versorgung der Binnenflüchtlinge in Inguschetien allmählich zurück mit dem Ziel, ihre Rückkehr nach Tschetschenien zu beschleunigen. Tschetschenen werden seit 2001 auf freiwilliger Basis in die russische Armee aufgenommen, aber bislang nur in geringer Zahl und in Spezialfunktionen in Tschetschenien eingesetzt. Tschetschenische Wehrpflichtige werden auf Befehl des Verteidigungsministers aus dem Jahre 2005 nicht einberufen. Es besteht die Absicht, 2007 einen Beschluss zu fassen, der die Einberufungspraxis aus der Region neu regeln wird.
Ausweichmöglichkeiten
Die Weiterreise von tschetschenischen Personen in andere Teile der Russischen Föderation ist grundsätzlich möglich, trifft aber sowohl auf Transportprobleme als auch auf fehlende Aufnahmekapazitäten (vgl. II.3.2.). Soweit zur Weiterreise die Hilfe russischer Regierungsstellen in Anspruch genommen werden muss, kann sie bürokratischen Hemmnissen und Behördenwillkür begegnen. In großen Städten (z.B. in Moskau und St. Petersburg) wird der Zuzug von Personen reguliert. Dies wirkt sich im Zusammenhang mit der antikaukasischen Stimmung besonders stark auf die Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen berichten, dass Tschetschenen besonders in Moskau häufig die Registrierung verweigert wird (s. IV.2.).
Rückkehrerfragen
Situation für Rückkehrer: Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet. Allerdings leben immer noch - trotz erheblicher sozialpolitischer Fortschritte - rund 20 Mio. Russen (knapp 15% der Bevölkerung) unter dem statistischen Existenzminimum. Es gibt staatliche Unterstützung (z.B. Sozialhilfe für bedürftige Personen auf sehr niedrigem Niveau), die jedoch faktisch noch nicht einmal den Grundbedarf deckt. Im Rahmen der sog. "Nationalen Projekte", die der Steigerung des Lebensstandards breiter Bevölkerungsschichten dienen sollen, wurden die zugewiesenen Haushaltsmittel für Projekte in den Bereichen Bildung, Gesundheit und sozialer Wohnungsbau im Jahre 2007 auf insgesamt 239,8 Milliarden Rubel (ca. 6,8 Milliarden Euro) erhöht. 1.2. Die medizinische Grundversorgung in Russland ist grundsätzlich ausreichend. Zumindest in den Großstädten, wie Moskau und St. Petersburg, sind auch das Wissen und die technischen Möglichkeiten für einige anspruchsvollere Behandlungen vorhanden. Nach Einschätzung westlicher Nichtregierungsorganisationen ist das Hauptproblem jetzt weniger die fehlende technische oder finanzielle Ausstattung, sondern ein gravierender Ärztemangel. Theoretisch hat jeder russische Bürger das Anrecht auf eine kostenfreie medizinische Grundversorgung, doch in der Praxis erfolgen zumindest aufwändigere Behandlungen erst nach privater Bezahlung. Dabei zeigt sich im Alltag häufig, dass von mittellosen und wenig verdienenden Personen nichts bzw. wenig an Zusatzzahlungen verlangt wird, bei normal bis gut verdienenden Personen hingegen mehr. Private Praxen nehmen in den Mittel- und Großstädten deutlich zu. Die Versorgung mit Medikamenten ist zumindest in den Großstädten gut, aber nicht kostenfrei. Neben russischen Produkten sind gegen entsprechende Bezahlung auch viele importierte Medikamente erhältlich. Allerdings sind Medikamentenfälschungen relativ häufig. Große Teile der Bevölkerung können sich teure Arzneimittel nicht leisten. Die Zahl der AIDS- und Tuberkulose-Kranken in Russland ist in den letzten Jahren weniger stark gestiegen. Sie hat sich auf einem relativ hohen Niveau stabilisiert. Nach Angaben des Föderalen Zentrums für AIDS-Prävention wurden bisher 394.170 HIVInfizierte, davon 2.642 Kinder, und 3.543 AIDS-Kranke (Stand: Oktober 2007) registriert; mehr als 10.000 Menschen seien bisher an AIDS gestorben. Damit ist nach offiziellen Angaben innerhalb von 9 Monaten die Zahl der HIV-Infizierten um 10 % gestiegen. Im Staatshaushalt sind in den Jahren 2006/2007 erstmals ca. 7,7 Milliarden Rubel (rund 225 Mio. Euro) für die AIDS-Bekämpfung vorgesehen. Es gibt etwa 15 zugelassene AIDSPräparate (weltweit sind ca. 30 Präparate gebräuchlich). Die Behandlungskosten belaufen sich für eine Person auf durchschnittlich ca. 3.000 Euro pro Jahr. Das Büro von UN-AIDS in Moskau stellt zahlreiche Fälle von Diskriminierung und unzureichender medizinischer Versorgung fest. Bei einem 2006 verabschiedeten Nationalen Gesundheitsprojekt wird neben dem Kampf gegen AIDS auch der Prophylaxe gegen Hepatitis besondere Priorität eingeräumt, da man von etwa acht Millionen Hepatitis-B- und drei bis vier Millionen Hepatitis-C-Kranken in Russland ausgeht. Neben einem bis 2008 angelegten Impfprogramm, das 25 Millionen Menschen erfassen soll, ist nunmehr auch die kostenlose Impfung gegen Hepatitis im allgemeinen Impfkalender für Kinder und Jugendliche vorgesehen. Die Notfallversorgung über die "Schnelle Hilfe" (Telefonnummer 03) ist gewährleistet. Die sog. Notfall-Krankenhäuser bieten einen medizinischen Grundstandard. Medizinische Spitzenleistungen für akute Notfälle sind eher unwahrscheinlich.
Behandlung von Rückkehrern: Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige allein deshalb bei ihrer Rückkehr nach Russland staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Bisher liegen dem Auswärtigen Amt auch keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, ob Russen die tschetschenischer Volkszugehörigkeit sind, nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange der Tschetschenien-Konflikt nicht endgültig gelöst ist, ist davon auszugehen, dass abgeschobenen Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen hat etwas abgenommen, wenngleich russische Menschenrechtsorganisationen nach wie vor von einem willkürlichen Vorgehen der Miliz gegen Tschetschenen allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit berichten. Kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen (Ausweis, Fingerabdrücke) auf der Straße, in der U-Bahn und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) haben aber an Intensität abgenommen. Dem Auswärtigen Amt sind keine Anweisungen der russischen Innenbehörden zur spezifischen erkennungsdienstlichen Behandlung von Tschetschenen bekannt geworden. Kontrollen von kaukasisch aussehenden oder aus Zentralasien stammenden Personen erfolgen seit Jahresbeginn 2007 zumeist im Rahmen des verstärkten Kampfes der Behörden gegen illegale Migration und Schwarzarbeit. Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Diese Rechte sind in der Verfassung verankert. Jedoch wird in der Praxis an vielen Orten (u.a. in großen Städten, wie z.B. Moskau und St. Petersburg) der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Russischen Föderation durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Diese Zuzugsbeschränkungen wirken sich im Zusammenhang mit anti-kaukasischer Stimmung besonders stark auf die Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. Die Rücksiedlung nach Tschetschenien wird von Regierungsseite nahe gelegt. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem die Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort ("vorübergehende Registrierung") und ihren Wohnsitz ("dauerhafte Registrierung") melden müssen. Die Registrierung legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses (ein von russischen Auslandsvertretungen in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht nicht aus) und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben laut Angaben von Menschenrechtsvertretern jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Viele Vermieter weigern sich zudem, entsprechende Vordrucke auszufüllen, u. a. weil sie ihre Mieteinnahmen nicht versteuern wollen. Die Registrierungsregeln gelten einheitlich im ganzen Land. Die Praxis ist jedoch regional unterschiedlich. Viele Regionalbehörden der Russischen Föderation wenden örtliche Vorschriften oder Verwaltungspraktiken restriktiv an. Nach der Moskauer Geiselnahme im Oktober 2002 haben sich administrative Schwierigkeiten und Behördenwillkür gegenüber Tschetschenen im Allgemeinen und gegenüber Rückgeführten im Besonderen bei der Niederlassung verstärkt. Nichtregierungsinstitutionen berichten auch, dass vereinzelt Registrierungsbehörden kein Interesse haben, Tschetschenen in ihrem Kreis zu registrieren und wohnen zu lassen. Angesichts der Terrorgefahr dürfte sich an dieser Praxis der Behörden in absehbarer Zeit nichts ändern. Daher haben Tschetschenen erhebliche Schwierigkeiten, außerhalb Tschetscheniens eine offizielle Registrierung zu erhalten. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen berichten, dass vielen Tschetschenen, besonders in Moskau, die Registrierung verweigert werde. Nichtregistrierte Tschetschenen können innerhalb Russlands allenfalls in der tschetschenischen Diaspora untertauchen und dort überleben. Wie ihre Lebensverhältnisse sind, hängt insbesondere davon ab, ob sie über Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse verfügen. Menschenrechtler beklagen eine Zunahme von Festnahmen wegen fehlender Registrierung oder aufgrund manipulierter Ermittlungsverfahren. Tschetschenen leben außerhalb Tschetscheniens und Inguschetiens vor allem in den nordkaukasischen Nachbarrepubliken Dagestan und Kabardino-Balkarien sowie in Südrussland (Regionen Krasnodar, Stawropol, Rostow, Astrachan). Dort ist eine Registrierung auch grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, unter anderem weil Wohnraum (Registrierungsvoraussetzung) dort erheblich billiger ist als in Moskau, wo die Preise auf dem freien Wohnungsmarkt ausgesprochen hoch sind. Eine Registrierung ist in vielen Landesteilen oft erst nach Intervention von Nichtregierungsorganisationen, Duma-Abgeordneten, anderen einflussreichen Persönlichkeiten, oder durch Bestechung möglich. Eine Registrierung als Binnenflüchtling (IDP, internally displaced person) und die damit verbundene Gewährung von Aufenthaltsrechten und Sozialleistungen (Wohnung, Schule, medizinische Fürsorge, Arbeitsmöglichkeit) wird in der Russischen Föderation laut Berichten von amnesty international und UNHCR regelmäßig verwehrt. Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor - wenn auch in stark verringerter Zahl - Kontrollposten der föderalen Truppen oder der sog "Kadyrowzy", die gewöhnlich eine "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben. Sie beträgt für Bewohner Tschetscheniens in der Regel zehn Rubel, also ungefähr 30 Cent; für Auswärtige - auch Tschetschenen - liegt sie höher, z.B. an der inguschetisch-tschetschenischen Grenze bei 50 - 100 Rubel, etwa 1,50 - 3 Euro. Zurückkehrende unbegleitete Minderjährige können über die Abteilung für staatliche Jugendpolitik, Erziehung und sozialen Schutz für Kinder des Bildungs- und Wissenschaftsministeriums der Russischen Föderation in einem Kinderheim untergebracht werden, wenn sich keine Verwandten zur Aufnahme bereit erklären. Die eigentliche Zuständigkeit liegt bei den Behörden des registrierten Wohnortes des Minderjährigen.
Einreisekontrollen: Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können in aller Regel nicht ohne Vorlage eines russischen oder sowjetischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Für diejenigen russischen Staatsangehörigen, die seit dem 01.07.2004 (Ende der Umtauschfrist für sowjetische Inlandspässe) kein gültiges Personaldokument vorweisen können, gilt: Sie müssen eine Geldstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Diese kann dabei seit Inkrafttreten der Verordnung der Regierung der Russischen Föderation Nr. 779 vom 20.12.2006 "am Wohnort, Aufenthalthaltsort oder dem Ort der Antragstellung" erfolgen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets. Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium vom 23.09.2004 haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Pässe erhalten. Noch nicht endgültig gelöst ist die Ausstellung von Reisepässen für die Bewohner Tschetscheniens, weil den dortigen Behörden keine Vordrucke anvertraut wurden. Die Bewohner Tschetscheniens können ihre Anträge aber bei den örtlichen Passstellen abgeben, die diese dann zur Bearbeitung meist nach Stawropol schicken. Es besteht auch die Möglichkeit, sich die Pässe durch eine Reise in die Nachbarregionen, wie Inguschetien oder Stawropol, selbst zu besorgen.
Abschiebewege: Die Rückführung von russischen Staatsangehörigen in die Russische Föderation erfolgt auf dem Luftwege. Am 01.06.2007 trat zusammen mit dem Abkommen über Visaerleichterungen das Rückführungsabkommen zwischen der Russischen Föderation und der Europäischen Union in Kraft. Das dazugehörige Durchführungsabkommen zwischen Russland und Deutschland wurde noch nicht abschließend ausgehandelt, wird aber de facto schon angewandt. Die meisten europäischen Staaten haben keinen formellen Abschiebestopp für ethnische Tschetschenen nach Russland, schieben aber in der Praxis keine oder kaum Tschetschenen nach Russland ab. Dies hängt auch mit dem Problem der Passersatzpapierbeschaffung zusammen (die meisten Antragsteller legen keine Personaldokumente vor) (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation [Tschetschenien] vom 13.01.2008; Beilage ./I, S. 6 ff.).
Angesichts dieser Lage und mangels einer echten inländischen Fluchtalternative innerhalb der Russischen Föderation für Tschetschenen ist UNHCR unverändert der Auffassung, dass Tschetschenen, die vor ihrem Asylantrag im Ausland ihren ständigen Wohnsitz in Tschetschenien hatten, als Personen angesehen werden sollten, die internationalen Schutz benötigen, da sie entweder:
a) begründete Furcht vor Verfolgung haben und somit die Kriterien des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und dessen Protokoll von 1967 erfüllen, und/oder
b) Tschetschenien wegen einer ernsthaften und allgegenwärtigen Bedrohung ihres Lebens, ihrer persönlichen Sicherheit oder ihrer Freiheit infolge allgemeiner Gewalt oder schwerwiegender Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlassen haben. (UNHCR-Stellungnahme zu Asylsuchenden und Flüchtlingen aus der Tschetschenischen Republik [Russische Föderation], 22.10.2004, Beilage ./V, S. 1 f.).
Diese Feststellungen gründen sich auf folgende Beweiswürdigung:
Zur Identität und Herkunft des nunmehrigen Beschwerdeführers:
Aus dem vom Bundesasylamt durchgeführten "Sprachtest", bei dem sich herausstellte, dass der Beschwerdeführer sowohl die russische als auch die tschetschenische Sprache beherrscht (S. 6 des angefochtenen Bescheides), sowie aufgrund seiner in der Beschwerdeverhandlung unter Beweis gestellten Kenntnisse der tschetschenischen Sprache sowie der Ortskenntnisse ergibt sich, dass der Beschwerdeführer zur tschetschenischen Volksgruppe gehört, die tschetschenische Sprache als Muttersprache spricht und tatsächlich in Tschetschenien gelebt hat. Seine Identität steht aufgrund des von ihm vorgelegten Führerscheins (sowohl in Kopie als auch im Original) fest.
Zu den vom Beschwerdeführer vorgebrachten, auf seine Person bezogenen Fluchtgründen:
Zunächst ist darauf zu verweisen, dass das Vorbringen des nunmehrigen Beschwerdeführers bereits im angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes als grundsätzlich glaubwürdig qualifiziert wurde (AS 119). Das Bundesasylamt war jedoch der Auffassung, dass die "vorgebrachte kurzfristige Anhaltung/Inhaftierung nicht die für eine Asylgewährung erforderliche Intensität" aufgewiesen hätte, abgesehen davon zum Zeitpunkt der Ausreise die Ereignisse ohnehin schon zu lange zurückliegen würden um wohlbegründete Furcht zu begründen und hat den Beschwerdeführer darüber hinaus auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer "inländischen Fluchtalternative" verwiesen (AS 125 f.).
Auch der Asylgerichtshof hebt hervor, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der öffentlich-mündlichen Verhandlung vom 18.06.2007 und 20.08.2008 detaillierte und in sich schlüssige Angaben zu seiner Verfolgungssituation gemacht hat, die mit seinen Aussagen vor dem Bundesasylamt in allen wichtigen Punkten übereinstimmen und den in den Feststellungen angeführten Verhältnissen in Tschetschenien durchaus vereinbar sind. Auch die Angaben der Ehefrau stimmen mit jenen des Beschwerdeführers in allen Belangen (insbesondere hinsichtlich der Zeitpunkte der beiden Festnahmen) überein. Es gelang dem Beschwerdeführer auch, das Naheverhältnis zur früheren separatistischen Führung glaubhaft zu machen (siehe Beilage ./A).
Aus diesen Gründen gelangt der Asylgerichtshof zur Ansicht, dass die Voraussetzungen der Glaubhaftmachung erfüllt sind und dass keine hinreichenden Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Vorbringens bestehen. Da sohin keine Umstände vorliegen, die geeignet wären, die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ernstlich in Zweifel zu ziehen und sein Vorbringen auch mit der allgemeinen Situation in Tschetschenien im Fluchtzeitpunkt durchaus im Einklang steht, war es den Feststellungen uneingeschränkt zugrunde zu legen.
Insoweit das Bundesasylamt auf den seiner Ansicht nach fehlenden zeitlichen Konnex zwischen Inhaftierungen und Ausreise abstellt, bleibt auszuführen, dass der Beschwerdeführer sowohl vor dem Bundesasylamt als auch in der Beschwerdeverhandlung vor dem Asylgerichtshof angegeben hat, dass er sich in der Zeit zwischen seiner Freilassung bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise nicht mehr in seinem Heimatort S. aufgehalten, sondern bei Bekannten und Freunden in Grosny, G. und A. gelebt habe. Alleine daraus - insbesondere aber im Zusammenhalt mit der zusätzlichen Information, dass in dieser Zeit die russischen Soldaten weiterhin zu seinem Elternhaus gekommen seien und einmal sogar seinen Bruder mitgenommen hätten - lässt sich aber ableiten, dass sich der Beschwerdeführer nur durch diese Wohnsitznahme bei Freunden/Bekannten weiterer Verfolgung entzogen hat. Dadurch geht aber der Hinweis der erstinstanzlichen Behörde auf einen fehlenden zeitlichen Zusammenhang zwischen Verfolgungshandlungen und Ausreise ins Leere.
Den Ausführungen des Bundesasylamtes, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachten, gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen nicht die für eine Asylgewährung erforderliche Intensität aufweisen würden, ist entgegenzuhalten, dass es die erstinstanzliche Behörde unterlassen hat den Beschwerdeführer näher zu den Umständen und etwaiger Vorkommnisse während des zweitägigen Zeitraumes seiner zweiten Inhaftierung zu befragen und somit der Schluss, dass es zu keinen ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität gekommen sei, unzulässig ist. Weiters ist dazu auszuführen, dass der Beschwerdeführer schon bei seiner Einvernahme vom 29.10.2003 angegeben hat, dass er im Zuge der Gefangennahme durch die russischen Soldaten mit dem Gewehrkolben geschlagen worden sei und im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung (zumindest implizit) ausgeführt hat, dass er geschlagen und misshandelt worden sei (Seite 5 der Verhandlungsschrift vom 18.06.2007). Im Übrigen stellen in der Vergangenheit gesetzte Verfolgungshandlungen lediglich ein Indiz für die im Entscheidungszeitpunkt fortbestehende Gefahr einer Verfolgung dar, welche ja den eigentlichen Inhalt der Asylentscheidung darstellt. Daran, dass der Beschwerdeführer aber als ehemaliger Kriegsteilnehmer mit Naheverhätnis zur früheren tschetschenischen Führung weiterhin Verfolgung durch russische Militärkräfte ausgesetzt sein könnte, besteht für den Asylgerichtshof kein Zweifel.
Die Feststellungen zur Situation in der Russischen Föderation insbesondere in Tschetschenien gründen sich auf die oben bezeichneten Textabschnitte des Berichts Beilage ./I. Dass die reale Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative in anderen Teilen der Russischen Föderation nicht besteht, ergibt sich aus der oben wörtlich wiedergegebenen Stellungnahme des UNHCR über Asylsuchende und Flüchtlinge aus der Tschetschenischen Republik Beilage ./V. Dass für ethnische Tschetschenen die Möglichkeit sich außerhalb des Nordkaukasus niederzulassen durch Zuzugsbeschränkungen, insbesondere durch die Verweigerung der sogenannten Registrierung, beschränkt bzw. unmöglich gemacht wird, ergibt sich aus dem Bericht Beilage ./I, S. 21 f. Der Asylgerichtshof weicht insofern auf Grundlage der angeführten aktuellen Berichte von den Feststellungen im angefochtenen Bescheid ab, wonach "eine legale Niederlassung von rückgeführten Asylwerbern in anderen Teilen Russlands - trotz aller bestehenden Schwierigkeiten - möglich ist" (AS 125) und "mögliche praktische Schwierigkeiten bei der Registrierung in der Regel überwunden werden können" (AS 113). Anzumerken ist dazu, dass das Bundesasylamt seine - mit den nunmehr vorliegenden aktuellen Berichten nicht in Einklang stehenden - Feststellungen nicht schlüssig begründet hat und überdies eine bloße Verweisung auf ausländische (hier: deutsche) Rechtssprechung nicht ausreicht. Vielmehr wäre hier zu prüfen gewesen, welche konkreten Länderberichte und -feststellungen den zitierten Entscheidungen der OVG's Lüneburg bzw. Schleswig zugrunde liegen und ob aus diesen Berichten schlüssig abgeleitet werden kann, dass die Niederlassung in anderen Teilen der Russischen Föderation möglich und zumutbar ist.
Die Feststellungen zu den gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers in Österreich gründen sich auf die dem Asylgerichtshof vorliegenden Verständigungen durch das Bundesasylamt (OZ 6 bzw. OZ 10).
Rechtlich folgt aus dem festgestellten Sachverhalt:
Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (in der Folge: AsylGHG) nimmt der Asylgerichtshof mit 1. Juli 2008 seine Tätigkeit auf. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.
Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:
Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.
Zwar ist das gegenständliche Verfahren gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 (AsylG) zu Ende zu führen, in welchem der Asylgerichtshof keine Erwähnung findet. Dennoch ist aus den bereits im Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 12.08.2008, GZ. C5 251212-0/2008/11E, dargelegten Argumenten von einer sinngemäßen Anwendung des § 75 Abs. 7 AsylG 2005 und sonstiger im AsylG 2005 enthaltener, auf den Asylgerichtshof bezogener Verfahrensbestimmungen in sogenannten - nach dem Asylgesetz 1997 (AsylG) fortzuführenden - Altverfahren auszugehen. Demnach hat über die vorliegende Beschwerde unter sinngemäßer Anwendung von § 75 Abs. 7 Z 1 AsylG 2005 der Asylgerichtshof, und zwar durch einen Einzelrichter zu entscheiden. Die Voraussetzungen der zitierten Z 1 sind deshalb erfüllt, weil bereits vor dem 01.07.2008 eine Verhandlung vor diesem nunmehrigen Einzelrichter stattgefunden hatte, der damals Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates war und nunmehr zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde.
Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Der Asylgerichtshof hat demnach über die nunmehr als Beschwerde geltende Berufung unter Zugrundelegung des gem. § 75 Abs. 1 AsylG 2005 anwendbaren Asylgesetzes 1997 (AsylG) erwogen wie folgt:
Gemäß § 7 AsylG 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention [in der Folge: GFK]) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "begründete Furcht vor Verfolgung". Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (vgl. VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0370). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht, (z.B. VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0262).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein (VwGH 26.06.1996, Zl. 96/20/0414), was bedeutet, dass sie zum Entscheidungszeitpunkt vorliegen muss (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (vgl. zur der Asylentscheidung immanenten Prognose jüngst VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet.
Die drohenden Verfolgungsmaßnahmen beruhen auf den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 der GFK angeführten Gründen. Die Verfolgung des Beschwerdeführers erfolgt nämlich aufgrund seiner Rasse (ethnischer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tschetschenen) und aus Gründen der politischen Gesinnung, nämlich der (ehemaligen) Gegnerschaft zur russischen Armee.
Zwar mag es zutreffen, dass der Beschwerdeführer außerhalb seiner im Nordkaukasus gelegenen Heimatregion (in anderen Teilen der russischen Föderation) nicht unmittelbar Verfolgungsmaßnahmen seitens der Behörden ausgesetzt wäre, sodass keine "landesweite Verfolgung" vorliegt. Doch ergibt sich aus den Feststellungen, dass die Niederlassung in anderen Teilen der Russischen Föderation aus faktischen Gründen nicht möglich bzw. zumutbar ist, dies im Hinblick darauf, dass die so genannte Registrierung, von welcher die legale Wohnsitznahme, der Zugang zur Beschäftigung und zu Sozialleistungen abhängig ist, im Regelfall verweigert wird und aufgrund der im Allgemeinen fremdenfeindlichen Haltung der Behörden und der Bevölkerung (Verdächtigung ethnischer Tschetschenen, an terroristischen Aktivitäten beteiligt zu sein) eine Wohnsitznahme außerhalb des Nordkaukasus nicht zumutbar ist. Da es für den Beschwerdeführer solcherart nicht möglich ist, außerhalb seiner Heimatregion Aufenthalt zu nehmen, liegt - entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen Rechtsauffassung - eine so genannte "inländische Fluchtalternative" nicht vor (siehe zum Kriterium der Zumutbarkeit der inländischen Fluchtalternative insbesondere VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0614 und VwGH 06.10.1999, Zl. 98/01/0535).
Überdies ist auf das Naheverhältnis zur früheren separatistischen Führung Tschetscheniens zu verweisen, das eine Verfolgung auch in anderen Landesteilen der Russischen Föderation zumindest möglich erscheinen lässt.
Der nunmehrige Beschwerdeführer wurde in Österreich zwar strafgerichtlich verurteilt, diese Verurteilungen weisen jedoch eindeutig nicht jene Schwere auf, die erforderlich wäre, um einen Asylausschlussgrund nach § 13 Abs. 2 2. Fall AsylG 1997 (dem Art. 33 Z 2 de