Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol entscheidet durch sein Mitglied Dr. Josef Hauser über die Berufung des Herrn N., vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Dr. E., gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 15.5.2001, Zahl CST-2646/00, wie folgt:
Gemäß § 66 Abs4 AVG iVm §§ 24, 51, 51c und 51e VStG wird die Berufung als unbegründet abgewiesen.
Gemäß § 64 Abs1 und 2 VStG hat der Berufungswerber einen Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in Höhe von 20 Prozent der verhängten Geldstrafe, somit S 180,-- (EUR 13,08), zu bezahlen.
Der Spruch des Straferkenntnisses wird insoferne präzisiert, als nach den Worten ?Richtung Norden? die Worte ?dadurch, dass Sie Ihre Fahrt fortsetzten und nicht vor dem dortigen Schutzweg anhielten? eingefügt werden.
Mit dem bekämpften Straferkenntnis wurde der Berufungswerber für schuldig erkannt, er habe am 7.5.2000 um 19.31 Uhr in Innsbruck, Südtiroler Platz Nr. 5, Nebenfahrbahn, Richtung Norden, als Lenker des Kraftfahrzeuges mit dem behördlichen Kennzeichen I- einem Fußgänger, der einen Schutzweg erkennbar benützen wollte, das unbehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn nicht ermöglicht. Der Berufungswerber habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs3 lita StVO begangen und wurde über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 900,--, Ersatzfreiheitsstrafe 21 Stunden, verhängt. Gleichzeitig wurde er zum Kostenersatz des Strafverfahrens verpflichtet.
In der rechtzeitig gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung bringt der Berufungswerber im wesentlichen vor, die belangte Behörde habe den maßgeblichen Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt. Der Meldungsleger habe lediglich angegeben, dass bei mehreren Personen schon offensichtlich war, dass sie die Nebenfahrbahn überqueren wollten. Aus der Niederschrift des Meldungslegers gehe aber nicht hervor, ob die Personen tatsächlich die Nebenfahrbahn überqueren wollten. Gerade vor dem gegenständlichen Schutzweg, welcher sich vor dem Ausgang der Bahnhofshalle befindet, würden regelmäßig Personen am Gehsteigrand stehen, welche nicht den Schutzweg benützen wollen, sondern auf ein Taxi oder ein anderes Beförderungsmittel warten. Darüberhinaus wurde vorgebracht, dass der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses nicht die als erwiesen angenommene Tat in möglichst gedrängter und deutlicher Fassung darstelle. Es genüge nicht, die Umschreibung der als erwiesen angenommen Tat auf den reinen Gesetzeswortlaut zu beschränken. Zusammenfassend könne auf Grund der besonderen örtlichen Gegebenheiten noch nicht alleine aus dem Umstand, dass Personen am Gehsteigrand stehen und auf die andere Straßenseite blicken, geschlossen werden, dass diese die Fahrbahn auch tatsächlich benützen wollten. Aus den angeführten Gründen sei das bekämpfte Straferkenntnis daher aufzuheben und das diesbezügliche Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.
Für die erkennende Behörde steht fest, dass der Berufungswerber am 7.5.2000 um 19.31 Uhr in Innsbruck, Südtiroler Platz Nr. 5, als Lenker des Kraftfahrzeuges mit dem behördlichen Kennzeichen I- auf der dortigen Nebenfahrbahn in Richtung Norden fuhr und trotz der Tatsache, dass sich eine Personengruppe am Gehsteigrand mit Blickrichtung auf die gegenüberliegende Straßenseite befand, vor dem dortigen Schutzweg nicht anhielt. Dies wird im übrigen auch vom Berufungswerber nicht bestritten.
In rechtlicher Hinsicht ergibt sich folgendes:
Gemäß § 9 Abs2 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges, das kein Schienenfahrzeug ist, einem Fußgänger oder Rollschuhfahrer, der sich auf einem Schutzweg befindet oder diesen erkennbar benützen will, das unbehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen. Zu diesem Zweck darf sich der Lenker eines solchen Fahrzeuges einem Schutzweg nur mit einer solcher Geschwindigkeit nähern, dass er das Fahrzeug vor dem Schutzweg anhalten kann, und er hat, falls erforderlich, vor dem Schutzweg anzuhalten.
Die Absicht einen Schutzweg zu überqueren ist aus dem Gesamtverhalten eines Fußgängers abzuleiten, eine spezielle Kundgabe des Willens (zB durch Handzeichen, Kopfnicken) gegenüber dem Fahrzeuglenker ist zulässig, aber nicht erforderlich. Die Querungsabsicht ergibt sich in aller Regel aus der Blick- und Gehrichtung. Im Falle einer Personengruppe hat der Lenker anzuhalten, weil jeder einzelne Fußgänger dieser Gruppe seinen Vorrang in Anspruch nehmen kann. Gleiches gilt für den Fall, dass Fußgänger unter Verzicht ihres Vorrangs am Fahrbahnrand warten. In einem solchen Fall darf auf Grund der neuen Rechtslage nicht mehr darauf vertraut werden, dass alle Personen verzichten. Fahrzeuglenker müssen in einem solchen Fall vielmehr damit rechnen, dass einzelne Personen aus der Gruppe ?ausbrechen? und ihren Vorrang in Anspruch nehmen. Denn aus dem Vorrangverzicht einzelner Personen, darf nicht auf den Vorrangverzicht aller beobachtbarer Personen geschlossen werden. Das Verlassen einer am Fahrbahnrand stehenden Personengruppe, deren grundsätzliche Querungsabsicht klar erkennbar ist, bedeutet daher in der Regel kein plötzliches Betreten der Fahrbahn im Sinne des § 76 Abs4 lita StVO. § 9 Abs2 StVO gilt aber dann nicht, wenn ein am Fahrbahnrand stehender Fußgänger bzw eine dort stehende Fußgängergruppe deutlich erkennbar (zB fehlende Blick- bzw Gehrichtung zur bzw über die Fahrbahn) keine Querungsabsicht haben.
Der Lenker eines Kraftfahrzeuges hat dem Fußgänger das unbehinderte und gefährdete Überqueren eines Schutzweges zu ermöglichen. Der Fußgänger kann von dieser Möglichkeit Gebrauch nehmen, aber auch auf die ihm ermöglichte Überquerung verzichten und dem Lenker Vorfahrt einräumen. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass ein Fußgänger nicht auf seinen Vorrang verzichtet. Für die Annahme des Verzichts auf den Vorrang müssten nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes konkrete, objektiv wahrnehmbare Reaktionen des Fußgängers vorliegen, die mit Grund die Annahme rechtfertigen, dass er freiwillig auf die Überquerung der Straße vor dem Passieren des Fahrzeuges verzichtet. Der Verzicht ist nur anzunehmen, wenn er durch unmißverständliches Verhalten des Fußgängers zum Ausdruck kommt. Haben mehrere Fußgänger die erkennbare Absicht, einen Schutzweg zu überqueren, so kommt einem sich nähernden Lenker Vorfahrt nur dann zu, wenn sämtliche Fußgänger deutlich erkennbar auf ihren Vorrang verzichten. Bleiben hingegen einige Fußgänger (einer solchen Personengruppe) unter Verzicht auf ihren Vorrang am Fahrbahnrand stehen, so darf sich ein Lenker nicht darauf verlassen, dass sämtliche Personen ihre Fortbewegung unterbrechen und ihm Vorfahrt einräumen. Zur Erfüllung seiner Hauptpflicht, Fußgängern eine unbehinderte und ungefährdete Überquerung zu ermöglichen, hat der Lenker weitere Pflichten wahrzunehmen, nämlich die Pflicht zur sorgfältigen Beobachtung, die Pflicht der richtigen Wahl der Annäherungsgeschwindigkeit sowie die Pflicht, allenfalls anzuhalten.
Bezogen auf das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren bedeutet dies, dass für den Berufungswerber die Pflicht, vor dem Schutzweg anzuhalten, auch für den Fall, dass nur ein Fußgänger der Personengruppe die erkennbare Absicht hatte den Schutzweg zu überqueren, bestand. Dass aber mehrere Personen vor dem dortigen Schutzweg am Gehsteigrand mit Blickrichtung auf die gegenüberliegende Straßenseite standen, steht für die erkennende Behörde fest und wird im übrigen auch vom Berufungswerber nicht bestritten.
Der Berufungswerber hat die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertetung somit in objektiver und subjektiver Hinsicht zu verantworten. Als Verschuldensgrad kommt Fahrlässigkeit in Betracht.
Hinsichtlich der Strafbemessung ist auszuführen, dass die Erstbehörde den Strafrahmen nicht einmal zu 10 Prozent ausgenützt hat. Die verhängte Strafe ist daher, auch unter Berücksichtigung von nur durchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie der bisherigen Unbescholtenheit, angemessen und gerechtfertigt. Dies insbesondere auch im Hinblick auf den Schutzzweck der verletzten Verwaltungsvorschrift, nämlich der Vermeidung von Fußgängerunfällen auf Schutzwegen.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 51e Abs3 VStG abgesehen werden, zumal der Berufungswerber auch keine solche beantragt hat.
Zur Konkretisierung des vorgeworfenen Verhaltens war der Spruch des Straferkenntnisses entsprechend zu ergänzen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.