TE Vwgh Erkenntnis 2001/10/17 2000/16/0575

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Veröffentlicht am 17.10.2001
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E09302000;
E6J;
L34009 Abgabenordnung Wien;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

31992L0012 Verbrauchsteuer-RL Art3 Abs2;
61997CJ0437 Evangelischer Krankenhausverein Wien VORAB;
BAO §115 Abs1;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
EURallg;
LAO Wr 1962 §193 Abs3;
LAO Wr 1962 §193 Abs6;
LAO Wr 1962 §54 Abs1;
LAO Wr 1962 §7 Abs1;
LAO Wr 1962 §90 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail, im Beisein des Schriftführers Dr. Zehetner, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Dr. Matthias Bacher, Rechtsanwalt in Wien I, Führichgasse 6, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission Wien vom 7. Juni 2000, Zl. MD-VfR-H 58/99, betreffend Haftung für Getränkesteuer, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Stadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die X-GmbH (in der Folge: Primärschuldnerin) betrieb bis November 1997 ein Cafe in Wien XII. Die Beschwerdeführerin war Gesellschafterin der Primärschuldnerin und vom 6. Juni 1995 bis zum 31. Mai 1996 alleinige Geschäftsführerin dieser Gesellschaft. Zuvor waren die Geschäfte seit der Gründung der Primärschuldnerin Ende 1993 von B, einem weiteren Gesellschafter, geführt worden. Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 1. Juli 1996 wurde ein am 8. Februar 1996 von der Wiener Gebietskrankenkasse eingebrachter Konkursantrag mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen.

Mit Schreiben vom 12. April 1999 wies der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 4/7, die Beschwerdeführerin darauf hin, dass sie als Geschäftsführerin für infolge Betriebseinstellung uneinbringliche Getränkesteuerrückstände der Primärschuldnerin betreffend den Zeitraum Jänner 1994 bis April 1996 (zuzüglich Säumniszuschlag und Pfändungsgebühr) hafte, und forderte sie auf, sich innerhalb von zwei Wochen dazu zu äußern.

Die Beschwerdeführerin führte dazu aus, sie sei zwar formell für den bezeichneten Zeitraum aus Gefälligkeit zur Geschäftsführerin bestellt worden, aber nie aktiv an der Geschäftsführung beteiligt gewesen. Die Geschäfte seien ausschließlich weiter vom vormaligen Geschäftsführer B geführt worden. Sie habe auch kein Geschäftsführergehalt bezogen. Sie habe zu keinem Zeitpunkt Mittel der Primärschuldnerin verwaltet, aus denen die Getränkesteuer entrichtet hätte werden können. Schon theoretisch könnte ihr nur jene Getränkesteuer angelastet werden, die zur Zeit ihrer Geschäftsführung angefallen sei, nicht aber jener Rest, der davor aufgelaufen sei, zumal die Primärschuldnerin bereits seit Ende des Wirtschaftsjahres 1994 zahlungsunfähig geworden sei. Dies sei ihr allerdings mangels Teilnahme an der Geschäftsführung erst später bekannt geworden. Im Zeitpunkt ihrer Bestellung zur Geschäftsführerin am 6. Juni 1995 seien daher objektiv die Mittel gar nicht vorhanden gewesen, um eine allfällige Getränkesteuerschuld befriedigen zu können.

Mit Haftungsbescheid der Abgabenbehörde erster Instanz vom 11. Juni 1999 wurde die Beschwerdeführerin für den in der Zeit von Jänner 1994 bis April 1996 entstandenen Getränkesteuerrückstand der Primärschuldnerin haftbar gemacht. Aus der Weiterführung des Betriebes bis November 1997 ergebe sich, da nicht nur Umsätze erzielt, sondern auch Zahlungen zB. an Getränkesteuer geleistet worden seien, dass die Primärschuldnerin nicht zahlungsunfähig gewesen sei. Die Haftung eines Geschäftsführers bestehe nicht nur für Rückstände, die in der Zeit der Geschäftsführertätigkeit entstanden seien. Ein Geschäftsführer habe sich bei Übernahme seiner Funktion über eventuell bereits bestehende Rückstände der von ihm künftig vertretenen Gesellschaft zu informieren und dafür zu sorgen, dass diese Außenstände auch aus den Mitteln der Gesellschaft beglichen werden könnten, andernfalls er Einlassfahrlässigkeit begehe und er alle daraus resultierenden Konsequenzen einschließlich der Haftpflicht zu tragen habe. Eine bloß formelle Bestellung zum Geschäftsführer ohne damit verbundene abgabenrechtliche Verpflichtungen sei aus der Sicht der Abgabengesetze nicht möglich. Erschwerend sei schließlich, dass die Haftpflichtige im bezogenen Zeitraum als alleinige Geschäftsführerin der Primärschuldnerin eingetragen gewesen sei und daher die Gesellschaft in diesem Zeitraum auch rechtlich allein vertreten habe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Durch eine Fortführung des Unternehmens sei noch nicht der Nachweis erbracht, dass dieses über die entsprechenden Mittel gerade im Zeitraum der Geschäftsführerbestellung der Beschwerdeführerin verfügt habe. Der Geschäftsführer könne die Abführung von Abgaben delegieren. Erst wenn in weiterer Folge eine Prüfung der Tätigkeit der beauftragten Person ergebe, dass die Abgaben nicht abgeführt worden seien, habe der Geschäftsführer für die Entrichtung der Abgaben zu sorgen oder die Geschäftsführerposition zurückzulegen. Dies sei im Mai 1996 geschehen. Schließlich wurde vorgebracht, die Vorschreibung von Getränkesteuer widerspreche sowohl hinsichtlich der Primärschuldnerin als auch hinsichtlich der Beschwerdeführerin Vorschriften der Europäischen Union.

Die Berufungsbehörde schaffte über Antrag der Beschwerdeführerin das im gerichtlichen Strafverfahren eingeholte Sachverständigengutachten des Wirtschaftsprüfers A bei. Mit Schreiben vom 3. Dezember 1999 hielt die belangte Behörde der Beschwerdeführerin vor, aus dem Gutachten ergebe sich nicht, dass eine Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger der Gesellschaft stattgefunden habe. Die Beschwerdeführerin möge daher eine Liquiditätsaufstellung vorlegen, aus der diese Gleichbehandlung hervorgehe.

Die Beschwerdeführerin antwortete, eine derartige Aufstellung sei ihr mangels aktiver Beteiligung an der Geschäftsführung nicht möglich, und beantragte die Einvernahme des B zu diesem Thema und zum Beweis dafür, dass eine Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger stattgefunden habe. Aus dem Gutachten ergebe sich zumindest, dass die Gesellschaft seit Ende März 1995 überschuldet war und deshalb nicht über die Mittel verfügt habe, die aushaftenden Verbindlichkeiten zu befriedigen. Daher wäre es der Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin schon theoretisch nicht möglich gewesen, die aushaftende Getränkesteuerschuld zu befriedigen.

Daraufhin erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, mit dem sie die Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet abwies. Sie ging zunächst davon aus, dass eine Berichtigung der Abgabenerklärungen der Primärschuldnerin nach § 193 Abs. 3 WAO nicht erfolgt sei. Die Pflichtverletzung der Beschwerdeführerin ergebe sich daraus, dass sie nicht dafür Sorge getragen habe, dass die aushaftenden Abgaben fristgerecht entrichtet wurden.

Es sei nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. September 1954, Slg. NF 1003/F, Aufgabe des Geschäftsführers, nachzuweisen, dass ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten für die Gesellschaft unmöglich war. Es komme auf den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im gegebenen Zusammenhang nicht an, sondern auf die im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgabenschuld gegebene Liquiditätslage und die vom Geschäftsführer daraus gezogenen Konsequenzen. Darüber sage das beigeschaffte Gutachten nichts aus. Da die Primärschuldnerin aus der Betriebsfortführung Umsätze erzielt habe, könne der Schluss gezogen werden, dass gewisse Geldmittel zur Verfügung gestanden seien, um die laufenden Verbindlichkeiten zumindest teilweise abzudecken. Die Beschwerdeführerin sei jedoch trotz ausdrücklicher Aufforderung dem Ersuchen um Vorlage einer Liquiditätsaufstellung, aus welcher die Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger hervorgehen würde, nicht nachgekommen. Die behauptete bloß formale Bestellung zum Geschäftsführer bzw. eine Delegation von Aufgaben an B entlaste die Beschwerdeführerin nicht. Sie sei diesbezüglich schuldhaft ihrer Kontoll- bzw. Aufsichtspflicht nicht nachgekommen. Die Abgabenbehörde dürfe im Falle einer schuldhaften Pflichtverletzung davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung auch Ursache für die Uneinbringlichkeit war. Die Geltendmachung der Haftung entspreche auch den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und Billigkeit, weil bei Abstandnahme von der Haftung der Abgabengläubiger mangels vorhandenem Vermögen bei der Primärschuldnerin seines Anspruches verlustig ginge.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht, nicht zu Unrecht für eine Getränkesteuer haftbar gemacht zu werden verletzt erachtet und darüber hinaus eine Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 54 Abs. 1 der Wiener Abgabenordnung (WAO) haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. § 7 Abs. 1 WAO bestimmt, dass die in den §§ 54 ff bezeichneten Vertreter und sonstigen Verpflichteten neben den Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit haften, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern und sonstigen Verpflichteten auferlegten Pflichten, sei es abgabenrechtlicher oder sonstiger Pflichten, bei den Abgabepflichtigen nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden können, insbesondere im Fall der Konkurseröffnung. § 18 Abs. 1 GmbHG bestimmt die Geschäftsführer einer GmbH als deren Vertreter nach außen. Die Beschwerdeführerin war somit ein zur Vertretung befugtes Organ der Primärschuldnerin im Sinne des § 54 Abs. 1 WAO.

Auch die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass die fälligen Getränkesteuerbeträge von der Primärschuldnerin in der im angefochtenen Bescheid bezeichneten Höhe nicht entrichtet wurden, womit zunächst eine Pflichtverletzung der Beschwerdeführerin nach § 7 Abs. 1 iVm § 54 Abs. 1 WAO indiziert ist. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu

§ 7 Abs. 1 WAO bzw. zu den im Wesentlichen inhaltsgleichen Bestimmungen in anderen Landesabgabenordnungen sowie zu

§ 9 Abs. 1 BAO, auf welche sich auch die belangte Behörde beruft, ist es Sache des Vertreters, im Verwaltungsverfahren darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich war, widrigenfalls die Behörde annehmen darf, dass eine verschuldete Pflichtverletzung vorliegt (s. etwa das hg. Erk. vom 24. Jänner 2001, Zl. 98/16/0094).

Die Beschwerdeführerin hat sich schon in ihrer ersten Stellungnahme auf das Gutachten, welches in einem gegen sie geführten Verfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien erstellt wurde und welches Aussagen über die wirtschaftliche Lage der Primärschuldnerin enthält, berufen. Aus diesem Gutachten geht eindeutig hervor (in dieser Reihenfolge), dass die Primärschuldnerin spätestens Ende 1994 zahlungsunfähig und Ende März 1995 überschuldet war. Diese Zeitpunkte liegen vor Antritt der Geschäftsführertätigkeit der Beschwerdeführerin. Um den Vertreter haftbar zu machen, ist es aber erforderlich, dass sein Verhalten dafür, dass die Abgaben nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden können, auch ursächlich war. Wenn die Abgaben infolge der schon zuvor eingetretenen Zahlungsunfähigkeit der Primärschuldnerin nicht ohne Schwierigkeiten einbringlich waren, könnte eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beschwerdeführerin hierfür kausal sein, wenn die Gesellschaft wieder über ausreichende Mittel verfügt hätte. Hinsichtlich der später entstandenen bzw. fällig gewordenen Abgabenforderungen finden sich im angefochtenen Bescheid keinerlei Feststellungen, dass die Primärschuldnerin nicht nur über Umsätze, sondern auch über die nötige Liquidität verfügt hätte, die gesamten Getränkesteuerforderungen zu bezahlen.

Eine haftungsbegründende schuldhafte Pflichtverletzung könnte sich allerdings aus der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zwischen den Gläubigern durch die Beschwerdeführerin ergeben. Reichen nämlich die zur Verfügung stehenden Mittel nicht aus, so muss der Vertreter die ihm zur Verfügung stehenden Mittel anteilig für die Begleichung aller fälligen Verbindlichkeiten verwenden. Der Abgabengläubiger darf gegenüber anderen Gläubigern nicht benachteiligt werden (Stoll, BAO-Kommentar, S. 122 und 128). Die belangte Behörde hat diese Verletzung unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes angenommen, wonach der Vertreter darzutun hat, dass er den Abgabengläubiger bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel nicht benachteiligt hat (s. beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1998, Zl. 97/14/0160). Diese im Rahmen der Beweiswürdigung eingreifende Regel bedeutet aber nicht die gänzliche Zurückdrängung des nach § 90 Abs. 1 WAO für das Abgabenverfahren geltenden Amtswegigkeitsgrundsatzes.

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Akteninhalt, dass von der Primärschuldnerin von Jänner 1994 bis Dezember 1995 immer wieder Zahlungen auf die Getränkesteuerschuld geleistet wurden. Ab Juni 1995 (Übernahme der Geschäftsführung durch die Beschwerdeführerin) bis Dezember 1995 wurden immerhin noch zwischen 0 und 11,5 % der monatlichen Getränkesteuerforderungen bezahlt, es erfolgten im Laufe des Jahres 1995 noch zusätzliche (Nach-) Zahlungen. Erst ab Jänner 1996 erfolgten keine Zahlungen mehr, woraus sich aber in Anbetracht der im Gutachten dargestellten negativen Entwicklung des Unternehmens (bis März 1995), dem Fehlen einer positiven Fortbestandsprognose und der bald darauf erfolgten Abweisung des Konkursantrages mangels kostendeckenden Vermögens eine Verkürzung des Abgabengläubigers gegenüber anderen Gläubigern ohne Hinzutreten weiterer Tatsachen nicht zwingend ableiten lässt. Der von der belangten Behörde geforderte Liquiditätsnachweis ist zwar ein geeignetes (vgl. das hg. Erk. vom 12. April 1994, Zl. 93/08/0259), sicher aber nicht das ausschließliche Beweismittel zur Klärung dieser Frage. Aufschluss über die Gleichbehandlung hätte möglicherweise der von der Beschwerdeführerin als Zeuge beantragte frühere Geschäftsführer B geben können, welcher nach den Behauptungen der Beschwerdeführerin die Geschäfte faktisch weitergeführt hat. War er tatsächlich "faktischer Geschäftsführer", so müsste er auch über die Handhabung offener Forderungen im bezogenen Zeitraum Bescheid wissen. Durch die Unterlassung der ausdrücklich zu diesem Thema beantragten Vernehmung hat die belangte Behörde somit gegen die §§ 127 und 144 Abs. 3 WAO verstoßen. Die Berufung der belangten Behörde alleine auf eine starre Beweislastregel ohne Prüfung sonstiger angebotener Beweismittel entspricht nicht dem Gebot des § 90 Abs. 1 WAO und stellt eine Verletzung von Verfahrensvorschriften dar, die zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen muss.

Hiezu ist noch festzuhalten, dass sich der haftungspflichtige Vertreter grundsätzlich anderer Personen bei der Erfüllung seiner Pflichten bedienen kann. Es treffen ihn allerdings hinsichtlich dieser Personen Auswahl- und Kontrollpflichten, deren Verletzung zu einer Haftung nach § 7 Abs. 1 WAO führen kann (Stoll, aaO, S. 122 f). Im vorliegenden Fall könnte sich eine Haftung der Beschwerdeführerin somit im fortgesetzten Verfahren dann ergeben, wenn die weiteren Ermittlungen eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes durch B zu Tage bringen und die Beschwerdeführerin ihre Kontrollpflichten missachtet hat. Schon aus dem bisherigen Vorbringen der Beschwerdeführerin ergibt sich, dass ein wirksames Kontrollsystem offenbar nicht bestanden hat. Dies ist jedoch ohne objektive Pflichtverletzung ohne Relevanz.

Die belangte Behörde hat darüber hinaus auch die Vorschrift des § 193 WAO verletzt. Nach § 193 Abs. 3 WAO steht nämlich dann, wenn die Abgabe durch Selbstbemessung (§§ 149 und 150 WAO) festgesetzt wurde, dem zur Berufung gegen den Haftungsbescheid Befugten noch innerhalb der Berufungsfrist das Recht zur Berichtigung der Abgabenerklärung zu. Nach Ansicht der belangten Behörde hat die Beschwerdeführerin von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Diese Auffassung ist unzutreffend, hat doch die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer Berufung gegen den Haftungsbescheid erklärt, die Getränkesteuervorschreibung sowohl an sie als auch an die Primärschuldnerin widerspreche dem Recht der Europäischen Union. Damit hat sie eine "Berichtigungserklärung" abgegeben (hg. Erk. vom 19. Juni 2000, Zl. 2000/16/0235). Nachdem die belangte Behörde die Haftungspflicht - wenn auch ohne ausreichende Grundlage - bejaht hat, hätte sie sich nach § 193 Abs. 6 WAO jedenfalls mit dieser "Berichtigungserklärung" der Beschwerdeführerin auseinander zu setzen gehabt, wobei sie diesbezüglich auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 9. März 2000 in der Rechtssache C- 437/97, Slg. 2000/I-1157, zu berücksichtigen gehabt hätte. Danach kann sich niemand auf Art 3 Abs 2 der Richtlinie 92/12 berufen, um Ansprüche betreffend Abgaben wie die Steuer auf alkoholische Getränke, die vor Erlass dieses Urteils entrichtet oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt. Da das Vorbringen der Beschwerdeführerin als "Klage oder Rechtsbehelf" im Sinne dieses Urteils anzusehen ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Juli 2000, Zl. 2000/16/0227), wäre die Vereinbarkeit der Primärforderungen mit der Verbrauchsteuerrichtlinie zu prüfen gewesen. Sollte die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren eine Haftung der Beschwerdeführerin erneut bejahen, so hätte sie im nächsten Schritt auf die "berichtigte Abgabenerklärung" der Beschwerdeführerin einzugehen.

Da die belangte Behörde bei Einhaltung dieser Verfahrensvorschriften zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 17. Oktober 2001

Gerichtsentscheidung

EuGH 61997J0437 Evangelischer Krankenhausverein Wien VORAB

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Berichtigungserklärung RechtsbehelfGemeinschaftsrecht Terminologie Definition von Begriffen EURallg8 Berichtigungserklärung Rechtsbehelf

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000160575.X00

Im RIS seit

12.03.2002

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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