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61 Familienförderung, JugendfürsorgeNorm
B-VG Art12 Abs1 Z1Leitsatz
Keine Präjudizialität einer grundsatzgesetzlichen Bestimmung; grundsatzgesetzliche Deckung der Verwendung des Begriffs "Tagesmütter/-väter" im Wr Jugendwohlfahrtsgesetz; kein Ausschluß männlicher Personen von der Tagesbetreuung von Kindern durch die Verwendung des Begriffs "Tagesmütter" im GrundsatzgesetzSpruch
Der Antrag, den zweiten Satz des §16 Abs2 des Jugendwohlfahrtsgesetzes 1989, BGBl. 161, sowie den zweiten und den dritten Satz des §22 Abs2 des Wiener Jugendwohlfahrtsgesetzes 1990, LGBl. 36, als verfassungswidrig aufzuheben, wird insoweit, als er sich auf das Jugendwohlfahrtsgesetz 1989 bezieht, zurückgewiesen. Im übrigen wird er abgewiesen.
Der in eventu gestellte Antrag, das Wort "/-vätern" im zweiten Satz des §22 Abs2 des Wiener Jugendwohlfahrtsgesetzes 1990 als verfassungswidrig aufzuheben, wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist zur Zl. 97/11/0299 (früher 97/11/0206) ein Verfahren über eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Wiener Landesregierung anhängig, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers im Instanzenzug abgewiesen wurde, ihm die Übernahme von Kindern in Tagespflege und Erziehung nach §22 Abs4 und 5 Wiener Jugendwohlfahrtsgesetz 1990, LGBl. 36, zu bewilligen. In diesem Antrag waren weder die Namen der Kinder noch die Örtlichkeit, in denen die Tagespflege und die Erziehung stattfinden solle, genannt. Nach der Begründung des Bescheides ist der Antrag aus Gründen, die in der Person des Antragstellers gelegen sind, abgewiesen worden.
Aus Anlaß dieser Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 24. Februar 1998, Zl. A20/98, gemäß Art140 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof die Anträge gestellt, den zweiten Satz des §16 Abs2 des Jugendwohlfahrtsgesetzes 1989, BGBl. 161, sowie den zweiten und den dritten Satz des §22 Abs2 des Wiener Jugendwohlfahrtsgesetzes 1990, LGBl. 36, in eventu das Wort "/-vätern" im zweiten Satz des §22 Abs2 des Wiener Jugendwohlfahrtsgesetzes 1990 als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Die angefochtenen Gesetzesbestimmungen lauten in ihrem Zusammenhang (die bekämpften Vorschriften sind hervorgehoben):
2.1. §16 des Jugendwohlfahrtsgesetzes 1989 in der angefochtenen Stammfassung, BGBl. 161, (im folgenden: JWG) lautet:
"Pflegebewilligung
§16. (1) Pflegekinder unter 16 Jahren dürfen nur mit Bewilligung des öffentlichen Jugendwohlfahrtsträgers in Pflege und Erziehung genommen werden.
(2) Die Bewilligung darf nur für ein bestimmtes Pflegeverhältnis und nur dann erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des §15 Abs2 vorliegen. Tagesmüttern dürfen allgemeine Bewilligungen erteilt werden.
(3) Im behördlichen Verfahren über die Pflegebewilligung haben die Pflegeeltern (Pflegepersonen) und die Erziehungsberechtigten Parteistellung. Das mindestens zehnjährige Kind ist jedenfalls persönlich, das noch nicht zehnjährige Kind tunlichst, in geeigneter Weise zu hören."
2.2. §22 des Wiener Jugendwohlfahrtsgesetzes 1990 in der angefochtenen Stammfassung, LGBl. 36, (im folgenden: Wr. JWG) lautet (auszugsweise):
"Pflegebewilligung
§22. (1) Pflegekinder unter 16 Jahren dürfen nur mit Bewilligung (Bescheid) des Magistrats in Pflege und Erziehung übernommen werden.
(2) Die Bewilligung darf nur für ein bestimmtes Pflegeverhältnis erteilt werden. Bewilligungen, die Tagesmüttern/-vätern erteilt werden, müssen die Namen der Kinder nicht enthalten. Im Bescheid ist jedoch nach Erfordernis durch Auflagen sicherzustellen, daß die ordnungsgemäße Pflege und Erziehung der Kinder gewährleistet ist.
(4) bis (7) ..."
3.1. Zur Präjudizialität bringt der Verwaltungsgerichtshof vor, daß die belangte Behörde zwar nur das Wr. JWG anzuwenden gehabt hätte, gleichwohl seien auch die entsprechenden Bestimmungen des JWG für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes als eines zur Antragstellung nach Art140 Abs1 B-VG berechtigten und verpflichteten Organes präjudiziell.
3.2. In der Sache geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, §16 Abs1 JWG stelle den Grundsatz auf, daß eine behördliche Bewilligung zur Begründung eines Pflegeverhältnisses nur für ein bestimmtes Pflegeverhältnis erteilt werden dürfe. Von diesem Grundsatz mache das JWG im zweiten Satz des §16 Abs2 insofern eine Ausnahme, als "Tagesmüttern" allgemeine Bewilligungen erteilt werden dürfen. "Tagesmütter" seien, wie sich aus einer den §17 Abs1 Z1 JWG miteinbeziehenden Sichtweise zu ergeben scheine, Pflegepersonen für einen Teil des Tages, die regelmäßig oder gewerbsmäßig tätig würden. "Tagesmütter" scheinen aber jedenfalls Pflegepersonen weiblichen Geschlechts zu sein. Das Gesetz verwende im übrigen geschlechtsneutrale Bezeichnungen (etwa Pflegeperson, Erziehungsberechtigte, Eltern, Kind). Aus der Sicht des Verwaltungsgerichtshofes erscheine es angesichts des klaren Wortlautes nicht möglich, im Wege der Auslegung unter dem Begriff "Tagesmütter" auch Pflegepersonen männlichen Geschlechtes zu subsumieren. "Mütter" sei ein ganz klar geschlechtsspezifischer Begriff. Ein anderes Verständnis scheine sich in Ansehung eines Bundesgesetzes aus dem Jahre 1989 auch im Hinblick auf die jüngere legistische Praxis zu verbieten, die auf geschlechtsneutrale Bezeichnungen Wert lege.
Für den Fall, daß man dieser Auffassung folge, führt der Verwaltungsgerichtshof wörtlich aus:
"Eine sachliche Rechtfertigung dafür, daß Pflegepersonen männlichen Geschlechts - denen in Ansehung individualisierter Pflegeverhältnisse durchaus Pflegebewilligungen erteilt werden dürfen - z.U. von Pflegepersonen weiblichen Geschlechts keine allgemeinen (nicht individualisierten) Pflegebewilligungen erteilt werden dürfen, ist nicht erkennbar. Insbesondere kann nicht gesagt werden, daß Pflegepersonen männlichen Geschlechts nur in bezug auf bestimmte Pflegekinder ihren gesetzlichen Aufgabenstellungen gerecht werden können, während Pflegepersonen weiblichen Geschlechts hiezu schlechthin - ohne Ansehung der Person des jeweiligen Pflegekindes - in der Lage wären. Die Beschränkung der Möglichkeit, allgemeine Pflegebewilligungen zu erteilen, auf 'Tagesmütter' entbehrt einer sachlichen Rechtfertigung und widerspricht daher dem Gleichheitsgrundsatz."
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes würden im Falle der Aufhebung der angefochtenen Bestimmung des Grundsatzgesetzes (§16 Abs2 JWG) jene Bestimmungen des Ausführungsgesetzes, welche die Bewilligung nicht individualisierter Pflegeverhältnisse regeln (nämlich der zweite und der dritte Satz des §22 Abs2 Wr. JWG), gegen die dann im Grundsatzgesetz enthaltene Regelung verstoßen, daß nur individualisierte Pflegeverhältnisse bewilligbar seien. Läge diese Unsachlichkeit aber nicht vor, ergebe sich, daß das Wr. JWG in Widerspruch zum Grundsatzgesetz die Erteilung von allgemeinen Pflegebewilligungen ausdrücklich auch an "Tagesväter", also an Pflegepersonen männlichen Geschlechtes, zulasse. Das Ausführungsgesetz stünde insofern in Widerspruch zum Grundsatzgesetz und wäre in diesem Umfang verfassungswidrig.
4.1. Die Wiener Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie sich zur Zulässigkeit des Antrages nicht äußert und dem Verwaltungsgerichtshof in der Sache mit dem Argument entgegentritt, daß mit dem Begriff "Tagesmutter" in §16 Abs2 JWG keine geschlechtsbezogene Aussage getroffen würde, sondern daß darunter eine Funktion zu verstehen sei, die durchaus auch von einer Person männlichen Geschlechtes ausgeübt werden könne. Eine Norm sei jedenfalls dann nicht verfassungswidrig, wenn sie dem Gleichheitsprinzip entsprechend interpretiert werden könne. Im Lichte einer verfassungskonformen Auslegung sei der Begriff "Tagesmutter" nur geschlechtsneutral zu verstehen. Der Wiener Landesgesetzgeber habe in Ausführung des Grundsatzgesetzes im Wr. JWG diesen Umstand durch Hinzufügung des Wortes "/-vätern" nur verdeutlicht, um eine Klarstellung für den Normadressaten zu erzielen.
4.2.1. Die Bundesregierung führt zur Präjudizialität aus, daß die Regelung des §16 Abs2 zweiter Satz JWG auf dem Kompetenztatbestand "Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge" des Art12 Abs1 Z1 B-VG beruhe. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hätten grundsatzgesetzliche Regelungen den Ausführungsgesetzgeber zum Adressaten. Schon in Hinblick darauf, daß Grundsätze kein unmittelbar anwendbares Bundesrecht enthielten, sei es nach Ansicht der Bundesregierung nicht "denkmöglich", daß der Verwaltungsgerichtshof in dem dem Antrag zugrundeliegenden Verfahren auch die Bestimmung des §16 Abs2 zweiter Satz JWG anzuwenden habe. Die Präjudizialität der grundsatzgesetzlichen Regelung sei somit nicht gegeben.
4.2.2. Hinsichtlich des behaupteten Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot weist die Bundesregierung darauf hin, daß das JWG bereits am 1. Juli 1989 in Kraft getreten sei, wodurch die Legistischen Richtlinien 1990 für die Gestaltung von Rechtsvorschriften oder die Empfehlungen des Europarates über die Beseitigung von Sexismus aus der Sprache - da sie erst später erlassen wurden - noch nicht Eingang in die Praxis der Formulierung von Rechtsvorschriften gefunden hätten. Weiters betont die Bundesregierung, daß die Tagesbetreuung durch Tagesmütter/-väter zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des JWG erst im Aufbau begriffen gewesen sei. Eine gefestigte Begriffsbestimmung insbesondere für männliche Pflegepersonen (diese stellten zum Zeitpunkt der Erhebung 1992 knapp 2 % der BetreuerInnen dar) sei daher auch noch nicht gegeben gewesen. Ziel der Regelung des zweiten Satzes des §16 Abs2 JWG sei die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Tagespflege von Kindern gewesen. Schon in Anbetracht dieser Zielsetzung erscheine die allein auf den Wortlaut abstellende Einschränkung der Bedeutung der in Rede stehenden Vorschrift auf Personen weiblichen Geschlechtes zumindest zweifelhaft. Im Zweifel aber seien gesetzliche Regelungen nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verfassungskonform zu interpretieren. Daher sei auch der Begriff "Tagesmutter" im zweiten Satz des §16 Abs2 JWG in verfassungskonformer Weise geschlechtsneutral zu verstehen. Dementsprechend seien in den Ausführungsgesetzen aller Bundesländer mit Ausnahme der Steiermark (Jugendwohlfahrtsgesetze bzw. Salzburger Tagesbetreuungsgesetz und NÖ Kinderbetreuungsgesetz), welche zwischen dem 1. Juli 1990 und dem 1. Jänner 1993 in Kraft getreten seien, geschlechtsneutrale Formulierungen für die Bezeichnung der Pflegepersonen gewählt worden. Auch die Vollzugspraxis zeige, daß sowohl Frauen als auch Männern Bewilligungen zur Tagesbetreuung von Kindern erteilt würden. So seien Ende des Jahres 1995 nach der letzten verfügbaren Jugendwohlfahrtsstatistik 81 Tagesväter in den Bundesländern Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich und Vorarlberg tätig gewesen.
4.2.3. Die Bundesregierung beantragt daher, den Antrag des Verwaltungsgerichtshofes auf Aufhebung des zweiten Satzes des §16 Abs2 des JWG zurückzuweisen, und für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen bejahen sollte, auszusprechen, daß §16 Abs2 zweiter Satz des JWG nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zum Hauptantrag:
1.1. Zur Zulässigkeit:
1.1.1. Gemäß Art140 Abs1 iVm Art135 Abs4 und Art89 Abs2 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen unter anderem auf Antrag des Verwaltungsgerichtshofes, wenn dieser gegen die Anwendung solcher Normen aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit Bedenken hat. Der Verfassungsgerichtshof hat hiebei die ihm unterbreitete Auffassung zur Präjudizialitätsfrage nach ständiger Rechtsprechung auf ihre Denkmöglichkeit hin zu untersuchen (VfSlg. 13424/1993 uva.). Nur wenn dabei die Unrichtigkeit des Standpunktes des Verwaltungsgerichtshofes offen zu Tage tritt, ist der Antrag unzulässig.
1.1.2.1. Die Bundesregierung bestreitet die Präjudizialität des §16 Abs2 zweiter Satz JWG, weil dieser als grundsatzgesetzliche Regelung allein den Ausführungsgesetzgeber zum Adressaten habe. Nach Ansicht der Bundesregierung ist es - da Grundsätze kein unmittelbar anwendbares Bundesrecht enthielten - denkunmöglich, daß der Verwaltungsgerichtshof in dem dem Antrag zugrunde liegenden Verfahren auch die Bestimmung des §16 Abs2 zweiter Satz JWG anzuwenden habe, wodurch die Präjudizialität dieser grundsatzgesetzlichen Regelung zu verneinen sei.
Mit diesem Vorbringen ist die Bundesregierung im Recht. Grundsatzgesetzliche Regelungen sind an den Ausführungsgesetzgeber adressiert, und erst die Bestimmungen des Ausführungsgesetzes werden von den Vollzugsbehörden und damit auch vom Verwaltungsgerichtshof angewandt. Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes, daß er in dem Verfahren, das seinen Anträgen zugrundeliegt, auch die grundsatzgesetzliche Regelung des §16 Abs2 zweiter Satz JWG anzuwenden habe, ist sohin denkunmöglich.
1.1.2.2. Soweit der Antrag die Aufhebung des zweiten Satzes des §16 Abs2 JWG als verfassungswidrig begehrt, war er mangels der für den Verwaltungsgerichtshof erforderlichen Präjudizialität der angefochtenen grundsatzgesetzlichen Bestimmungen als unzulässig zurückzuweisen. (Siehe aber unten 1.2.1.)
1.1.3. Hingegen ist der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes, soweit er die Aufhebung des zweiten und des dritten Satzes des §22 Abs2 Wr. JWG begehrt, zulässig; es besteht kein Zweifel, daß die angegriffenen Bestimmungen des Wr. JWG für den antragstellenden Verwaltungsgerichtshof präjudiziell sind.
1.1.4. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag in diesem Umfang zulässig.
1.2. In der Sache:
1.2.1. Vorauszuschicken ist, daß der Verfassungsgerichtshof dann, wenn bei ihm in einem Verfahren auf Prüfung eines Ausführungsgesetzes verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Grundsatzgesetz entstehen, dessen Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, sohin von Amts wegen ein Verfahren nach Art140 Abs1 B-VG einzuleiten hat.
1.2.2. Die Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes gegen die Grundsatzbestimmung des §16 Abs2 zweiter Satz JWG gehen von der Annahme aus, daß unter dem Begriff "Tagesmütter" allein Pflegepersonen weiblichen Geschlechts verstanden werden könnten. Es sei eine sachliche Rechtfertigung dafür, daß Pflegepersonen männlichen Geschlechts keine allgemeinen (nicht individualisierten) Pflegebewilligungen - im Gegensatz zu individualisierten - erteilt werden dürfen, nicht erkennbar. Die Regelung verstoße daher gegen den Gleichheitsgrundsatz. Im Falle der Aufhebung der angefochtenen Bestimmung des Grundsatzgesetzes (§6 Abs2 JWG) würden die Bestimmungen des Ausführungsgesetzes, welche die Bewilligung nicht individualisierter Pflegeverhältnisse regelten, gegen jene im Grundsatzgesetz enthaltene Regelung verstoßen, daß nur individualisierte Pflegeverhältnisse bewilligbar seien.
Der Verfassungsgerichtshof sieht sich jedoch nicht veranlaßt, die Bedenken gegen den zweiten Satz des §16 Abs2 JWG aufzugreifen, weil bereits die Annahme des Verwaltungsgerichtshofes, unter dem dort vorkommenden Begriff "Tagesmütter" seien allein Pflegepersonen weiblichen Geschlechtes zu verstehen, nicht zutrifft. Nach den Gesetzesmaterialien (RV 171 BlgNR, 17. GP, 23 f.) werden mit dem Begriff "Tagesmütter" jene Personen bezeichnet, die mit einer allgemeinen Pflegebewilligung Kinder tagsüber pflegen und erziehen. Der Begriff der "Tagesmutter" ist dabei - wie auch in den Äußerungen der Wiener Landesregierung und der Bundesregierung dargelegt - nicht geschlechtsspezifisch zu verstehen, sondern mit ihm wird im JWG ein Beruf bezeichnet, der durchaus auch von einer Person männlichen Geschlechts ausgeübt werden kann. Diese Berufsbezeichnung hat deshalb Eingang in das Grundsatzgesetz gefunden, weil die Tagesbetreuung von Kindern regelmäßig von Personen weiblichen Geschlechts ausgeübt wird. Aus diesen tatsächlichen Gegebenheiten erklärt sich die Bezeichnung dieses Berufes mit "Tagesmutter". Ein Ausschluß männlicher Personen von der Tagesbetreuung von Kindern wurde damit nicht normiert.
Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofes, daß unter dem in §16 Abs2 JWG verwendeten Begriff "Tagesmütter" allein Personen weiblichen Geschlechts zu verstehen seien, trifft somit nicht zu; damit ist aber den vom Verwaltungsgerichtshof geäußerten Bedenken gegen die Sachlichkeit der Norm der Boden entzogen.
1.2.3. Der Antrag, den zweiten und den dritten Satz des §22 Abs2 Wr. JWG als verfassungswidrig aufzuheben, war daher abzuweisen, da die angefochtene Gesetzesstelle in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise im zitierten Satz des §16 Abs2 JWG ihre grundsatzgesetzliche Deckung findet.
2. Zum Eventualantrag:
2.1. Auch der vom Verwaltungsgerichtshof in eventu gestellte Antrag, nur das Wort "/-vätern" im zweiten Satz des §22 Abs2 Wr. JWG aufzuheben, ist zulässig; er ist jedoch ebenfalls nicht begründet.
2.2. Für den Fall, daß die Unsachlichkeit des Grundsatzgesetzes nicht vorläge, hegt der Verwaltungsgerichtshof das Bedenken, daß der zweite Satz des §22 Abs2 Wr. JWG mit der durch das Wort "/-vätern" eingeräumten Möglichkeit, allgemeine Pflegebewilligungen auch Personen männlichen Geschlechts zu erteilen, dem §16 Abs2 zweiter Satz JWG, der eine solche Bewilligung nicht zulasse, widerspreche.
Auch dieser Antrag stützt sich auf die Annahme, daß der zweite Satz des §16 Abs2 JWG dadurch, daß er nur von "Tagesmüttern" spreche, Personen männlichen Geschlechts von der allgemeinen Tagespflege ausschließe. Wie bereits unter Pkt. II.1.2.2. dargetan wurde, ist diese Annahme unzutreffend, weil im JWG mit dem Begriff "Tagesmütter" ein Beruf bezeichnet wird und diesem Begriff keine geschlechtsspezifische Bedeutung zukommt.
Das Wr. JWG, welches ausdrücklich auch Tagesväter zur allgemeinen Tagespflege für Kinder zuläßt, verstößt sohin nicht gegen das JWG.
2.3. Der Eventualantrag, das Wort "/-vätern" im zweiten Satz des §22 Abs2 Wr. JWG als verfassungswidrig aufzuheben, war daher abzuweisen.
3. Von einer mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden (§19 Abs4 Satz 1 VerfGG 1953).
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Jugendfürsorge, Eventualantrag, Grundsatz- und Ausführungsgesetzgebung, VfGH / AntragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:G55.1998Dokumentnummer
JFT_10009070_98G00055_00