TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/10 2003/18/0038

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Veröffentlicht am 10.09.2003
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Index

19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §10 Abs2 Z3;
FrG 1997 §114 Abs3;
FrG 1997 §47 Abs2 zweiter Halbsatz;
FrG 1997 §47 Abs2;
FrG 1997 §47 Abs3 Z1;
FrG 1997 §47 Abs3 Z3;
FrG 1997 §49 Abs1;
MRK Art8 Abs2;
StGB §142 Abs1;
StGB §143;
StGB §83 Abs1;
StGB §89;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des N, geboren 1949, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 14. Jänner 2003, Zl. III 4033-5/00, betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 14. Jänner 2003 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Serbien und Montenegro "vom 08.01.2002 bzw. 23.05.2002" auf Erteilung einer "Erst-Niederlassungsbewilligung" gemäß § 47 Abs. 2 iVm § 49 Abs. 1 und § 10 Abs. 2 Z 3 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, abgewiesen.

Die Strafregisterauskunft des Beschwerdeführers weise zwei gerichtliche Vorstrafen auf. Zunächst sei der Beschwerdeführer am 9. Februar 1990 wegen des Vergehens der vorsätzlichen Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Weiters sei der Beschwerdeführer am 7. August 1995 wegen des Verbrechens des schweren Raubes in Form der Betragstäterschaft gemäß §§ 142 Abs. 1, 143 und 12 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren, davon zwei Jahre unter bedingter Strafnachsicht rechtskräftig verurteilt worden. Zu der damit abgeurteilten Straftat hat die belangte Behörde Folgendes festgestellt:

"Dieser Ihrer Verurteilung wegen des Verbrechens des schweren Raubes als Beteiligter liegt zu Grunde, dass Sie und zwei Mittäter (L und L) im November 1989 in Matrei am Brenner und Innsbruck zusammen mit den abgesondert verfolgten N, R und D sonst zur Ausführung einer strafbaren Handlung, und zwar zu dem von den abgesondert verfolgten S und einem derzeit nicht näher bekannten Z am 24.11.1989 in Innsbruck unter Verwendung einer Waffe zum Nachteil des F-Geschäftes G-Weg 4, begangenen schweren Raub, bei dem unter Vorhalt einer Pistole sowie unter anderem durch Fesselung des Filialleiter-Stellvertreters A, sohin mit Gewalt gegen eine Person und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) nach Abnahme des Tresorschlüssels dem Verfügungsberechtigten eine fremde bewegliche Sache, und zwar ein Geldbetrag von ca. S 80.000,-- mit dem Vorsatz weggenommen wurde, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, dadurch beigetragen haben, dass sie sich bei der Tage zuvor in Matrei am Brenner durchgeführten Besprechung zur Tatausführung mit dem Vorgehen einverstanden erklärten, durch die Zusage ihrer Hilfe die Tatausführenden im Entschluss bestärkten sowie darüberhinaus dadurch, dass L absprachemäßig die Zusicherung gab, sich nach der Tat zur Ablenkung eines Tatverdachtes bei der Polizei nach dem Verbleib ihrer Eltern (N) sowie ihres Bruders (N) zu erkundigen und N sowie L, die als Putztrupp im Tatobjekt arbeiteten, absprachegemäß den Zutritt für die die Raubtat Ausführenden durch die von außen nicht zu öffnende Eingangstüre ermöglichten und sich dann wie vereinbart fesseln ließen."

Trotz der Herzerkrankung des Beschwerdeführers könne keine Rede davon sein, dass dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit nicht mehr gefährde. Das Wohlverhalten seit Begehung der Straftat sei dazu noch zu kurz. Die negative Gefährdungsprognose sei ungeachtet dessen zu treffen, dass es sich um das bisher einzige Fehlverhalten des Beschwerdeführers handle. Dazu sei zu bemerken, dass der Beschwerdeführer erst 1995 verurteilt worden sei, weil seine Täterschaft ursprünglich unbekannt gewesen sei.

Durch die Verweigerung der Niederlassungsbewilligung werde in relevanter Weise in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen. Die Verweigerung dieser Bewilligung sei jedoch durch die Art und Schwere des Fehlverhaltens gemäß dem Urteil vom 7. August 1995 zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen iS des Art. 8 Abs. 2 EMRK geboten. Die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an der Wiedereinreise in das Bundesgebiet wögen schwer. Der Beschwerdeführer habe sich von 1970 bis 2000 in Österreich aufgehalten und verfüge über eine dementsprechende Integration im Bundesgebiet. Dasselbe gelte im Wesentlichen für die Großfamilie des Beschwerdeführers, insbesondere für die Ehegattin und die Tochter V, die bereits österreichische Staatsbürgerin sei. Diese Tochter gewähre dem Beschwerdeführer Unterhalt und - bei einer Wiedereinreise in das Bundesgebiet - auch Unterkunft. Weiters leide der Beschwerdeführer an einer mittelschweren Herzklappenerkrankung, die einer ständigen medizinischen Behandlung durch Medikamente bzw. Kontrolle in einem Herzzentrum erfordere. Der Beschwerdeführer lebe derzeit in München bei Verwandten und genieße dort die notwendige medizinische Betreuung. Angesichts der relativen Nähe Münchens zu Österreich könne er von den Mitgliedern seiner Familie dort besucht werden.

Die letzte österreichische Aufenthaltsbewilligung des Beschwerdeführers sei bis 8. Juni 1995 gültig gewesen. Im April 2000 habe der Beschwerdeführer das Bundesgebiet verlassen. Da es sich hiebei nicht nur um eine kurzfristige Unterbrechung der Niederlassung im Bundesgebiet gehandelt habe, sei der gegenständliche Antrag ein "Erstantrag".

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Da die Tochter des Beschwerdeführers unstrittig österreichische Staatsbürgerin ist und ihrem Vater Unterhalt gewährt, handelt es sich beim Beschwerdeführer gemäß § 49 Abs 1 iVm § 47 Abs. 3 Z 3 FrG um einen begünstigten Angehörigen eines Österreichers, dem gemäß § 47 Abs. 2 zweiter Halbsatz FrG eine Niederlassungsbewilligung auszustellen ist, wenn sein Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet.

Bei der Entscheidung über die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung ist in der Weise auf Art. 8 EMRK Bedacht zu nehmen, dass eine Versagung nur dann rechtmäßig ist, wenn Umstände vorliegen, die auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit durch den Fremden von einer solchen Intensität schließen lassen, dass ein Eingriff in das - insbesondere durch einen langjährigen Voraufenthalt begründete - Privat- und Familienleben iS des Art. 8 Abs. 2 der zitierten Konvention gerechtfertigt ist. Dabei genießt das Familienleben eines Fremden mit österreichischen Staatsangehörigen einen erhöhten Schutz, wenn diese familiären Beziehungen zu einem Zeitpunkt begründet wurden, als der Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war und mit der Erteilung weiterer Bewilligungen rechnen durfte. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2000, Zl. 98/19/0304.)

2. Der Beschwerdeführer befand sich von 1970 bis April 2000, also etwa 30 Jahre mit seiner Familie im Bundesgebiet. Bis 8. Juni 1995 verfügte er über Aufenthaltstitel. Nach der Aktenlage wurde gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid der belangten Behörde vom 5. Februar 1996 ein mit zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Grund dafür war die - auch für den hier angefochtenen Bescheid maßgebliche - Begehung des schweren Raubes durch den Beschwerdeführer im November 1989. Der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 11. März 1996, Zl. AW 96/21/0103, aufschiebende Wirkung zuerkannt. Mit hg. Erkenntnis vom 12. Jänner 2000, Zl. 96/21/0182, wurde die Beschwerde abgewiesen. Der weitere Inlandsaufenthalt des Beschwerdeführers nach Ablauf der zuletzt erteilten Aufenthaltsbewilligung bis zum April 2000 war daher zum größten Teil auf Grund der Zuerkennung von aufschiebender Wirkung an die erwähnte Verwaltungsgerichtshofbeschwerde geduldet. Schließlich wurde das Aufenthaltsverbot mit Bescheid der belangten Behörde vom 23. November 2001 gemäß § 114 Abs. 3 FrG aufgehoben, weil es nach diesem Gesetz gar nicht hätte erlassen werden können. Nach dem Akteninhalt war der Beschwerdeführer jedenfalls wesentliche Zeiträume während seines inländischen Aufenthalts - berechtigt - berufstätig. Die am 31. August 1968 geborene Tochter des Beschwerdeführers ist österreichische Staatsbürgerin. Die "Großfamilie" des Beschwerdeführers - dabei handelt es nach dem Akteninhalt um fünf Kinder des Beschwerdeführers, die zum Teil bereits in Österreich geboren wurden, und nach dem Beschwerdevorbringen auch um 20 Enkelkinder - befindet sich im Bundesgebiet. Da diese familiären Bindungen - allenfalls mit Ausnahme jener zu den noch jüngeren Enkelkindern - zu einem Zeitpunkt begründet wurden, als der Beschwerdeführer rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war und mit der Erteilung weiterer Bewilligungen rechnen durfte, genießen sie - wie oben 1. dargestellt - einen erhöhten Schutz. Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an der Erteilung der begehrten Niederlassungsbewilligung kommt daher ein sehr großes Gewicht zu.

Diesen persönlichen Interessen steht die von einem neuerlichen Inlandsaufenthalt des Beschwerdeführers ausgehende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Der belangten Behörde ist zwar zuzustimmen, dass vom Beschwerdeführer auf Grund des in Form der Beitragstäterschaft begangenen schweren Raubes eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgeht. Diese Gefahr wird jedoch dadurch relativiert, dass seit diesem von der belangten Behörde zur Begründung der Abweisung des gegenständlichen Antrages allein herangezogenen Fehlverhalten bereits mehr als 13 Jahre vergangen sind. Von daher ist die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährlichkeit für die öffentliche Sicherheit nicht von solcher Intensität, dass sie den durch die Versagung der Niederlassungsbewilligung bewirkten schwerwiegenden Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers iS des Art. 8 Abs. 2 EMRK rechtfertigt.

3. Schon auf Grund dieser Verkennung der Rechtslage durch die belangte Behörde war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 10. September 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2003180038.X00

Im RIS seit

07.10.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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