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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1997 §114 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. Erwin Dick, Rechtsanwalt in 1120 Wien, Hilschergasse 25/15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 4. Oktober 1999, Zl. Fr 1333/99, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein rumänischer Staatsangehöriger, ist am 21. Jänner 1982 im Alter von sechzehn Jahren nach Österreich eingereist. Mit Bescheid vom 7. Oktober 1982 wurde er als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt und festgestellt, dass er zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sei.
In der Folge wurde der Beschwerdeführer mehrfach straffällig und wie folgt verurteilt:
1. Mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 7. April 1983 (rechtskräftig seit 10. Mai 1983) wegen des unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeuges (Mofas) nach § 136 Abs. 1 und 2 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten.
2. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Baden vom 24. Juni 1987 (rechtskräftig seit 30. Juni 1987) wegen des unbefugten Besitzes einer verbotenen Waffe nach § 36 Abs. 1 Z 2 Waffengesetz 1986 zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Wochen.
3. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Neulengbach vom 24. Juni 1991 (rechtskräftig seit 27. Juni 1991) wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe.
4. Mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 27. April 1993 (rechtskräftig seit 30. April 1993) wegen Einbruchsdiebstahls und Hehlerei nach den §§ 127, 129 Z 1 und 164 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten.
Im Hinblick auf diese strafgerichtlichen Verurteilungen und die von der Behörde angenommene Mittellosigkeit des Beschwerdeführers wurde gegen ihn mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 27. Oktober 1994 gemäß § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 und 7 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, ein bis 27. Oktober 2004 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Die gegen den abweisenden Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 13. März 1995 erhobene Verwaltungsgerichtshofbeschwerde, der mit Beschluss vom 4. September 1995 die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, wurde gemäß § 114 Abs. 7 iVm Abs. 4 und § 115 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, (im Hinblick auf das Außerkrafttreten des angefochtenen Bescheides gemäß § 114 Abs. 4 FrG) als gegenstandslos erklärt und das Verfahren eingestellt; damit trat auch der Bescheid der Behörde erster Instanz außer Kraft.
In der Folge erließ die Bezirkshauptmannschaft Baden gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 30. März 1999 gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z 1 FrG neuerlich ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Zur Begründung verwies sie auf die erwähnten strafgerichtlichen Verurteilungen und stellte Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen Verwaltungsübertretungen wie folgt fest:
"§ 134 Abs. 1, § 102 Abs. 10 KFG 1967, Zahl 3-2208-95,
ATS 300,--, vom 6.9.1995
§ 99 Abs. 3 lit. a, § 52 lit. a Z. 10a StVO 1960, Zahl 3-2208-
95,
ATS 400,--, vom 6.9.1995
§ 82 Abs. 1 Ziffer 3 Fremdengesetz FrG, Zahl 3-19772-95,
ATS 2.000,--, vom 12.10.1995
§ 99 Abs. 3 lit. a, § 16 Abs. 2 lit. a,
§ 52 lit. a Z. 4a StVO 1960, Zahl 3-4924 96,
ATS 1.000,--, vom 11.3.1996
§ 134 Abs. 1, § 103 Abs. 2 KFG 1967, Zahl 3-22545-96,
ATS 1.100,--, vom 11.12.1996
§ 134 Abs. 1, § 103 Abs. 1 Ziffer 1 KFG 1967, Zahl 3-12412-97,
ATS 2.100,--, vom 1.7.1997
§ 134 Abs. 1, § 57 Abs. 5 KFG 1967, Zahl 3-18145-97,
ATS 600,--, vom 10.7.1997."
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der gegen den Bescheid der Erstbehörde erhobenen Berufung keine Folge gegeben. Die belangte Behörde stellte zum eingangs wiedergegebenen Sachverhalt ergänzend fest, dem Beschwerdeführer sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. Februar 1994 die Flüchtlingseigenschaft aberkannt worden. Seit 27. Februar 1994 halte er sich somit unrechtmäßig in Österreich auf, woran auch der Umstand nichts ändern könne, dass der (im ersten Rechtsgang) erhobenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei. Die strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers seien - entgegen seiner Meinung in der Berufung -
trotz des mittlerweile verstrichenen Zeitraumes "sehr wohl" weiterhin vorwerfbar, zumal es sich um vier Verurteilungen handle, wobei die erste bereits kurz nach der Einreise und die letzte im Jahre 1993 erfolgt sei. Deshalb sei nach wie vor die Annahme gerechtfertigt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer von der Bezirkshauptmannschaft Baden mit Straferkenntnis vom 12. Oktober 1995 gemäß § 82 Abs. 1 Z 3 FrG mit einer Geldstrafe von ATS 2.000,-- bestraft worden, weil er sich als passpflichtiger Fremder ohne gültiges Reisedokument im Bundesgebiet aufgehalten habe. Weiters sei er am 3. Dezember 1996 (rechtskräftig seit 21. April 1999) gemäß § 99 Abs. 1 lit. a i.V.m. § 5 Abs. 1 StVO 1960 mit einer Geldstrafe von ATS 8.000,-- bestraft worden, weil er in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug gelenkt bzw. in Betrieb genommen habe. Die weiteren Bestrafungen wegen Verwaltungsübertretungen "in Verbindung mit der Haltung bzw. dem Betrieb von Kraftfahrzeugen" - damit bezieht sich die belangte Behörde offenbar auf die von der Erstbehörde erwähnten Bestrafungen nach dem KFG und der StVO - stellten ein weiteres Indiz für die erwähnte Gefährdungsprognose dar.
Unter dem Gesichtspunkt der Ermessensübung und der Abwägung nach § 37 FrG hob die belangte Behörde das große öffentliche Interesse an der Verhinderung von strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Delikten sowie an einem geordneten Fremdenwesen hervor. Der Beschwerdeführer halte sich seit 17 Jahren in Österreich auf, er lebe mit seiner Mutter, die im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft sei, im gemeinsamen Haushalt und auch seine Geschwister seien in Österreich aufhältig, sodass von einem "nicht unerheblichen Integrationsgrad" auszugehen sei. Dieser sei "jedoch insofern zu relativieren", als der Beschwerdeführer "massiv" gegen die österreichische Rechtsordnung verstoßen habe, nicht durchgehend beschäftigt gewesen und in den letzten fünfeinhalb Jahren unrechtmäßig aufhältig gewesen sei. Die erwähnten familiären Beziehungen seien auch durch die "Großjährigkeit" relativiert. In der Berufung ins Treffen geführte Kreditrückzahlungen für das - 1991 errichtete und im Eigentum der Mutter stehende - Haus könnten vom Beschwerdeführer auch vom Ausland aus geleistet werden. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei daher dringend geboten. Im Übrigen begründete die belangte Behörde noch näher, warum kein Aufenthaltsverfestigungstatbestand gegeben sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Vorweg ist zu der (mehrfach geäußerten) Auffassung in der Beschwerde, im Hinblick auf § 114 Abs. 7 FrG hätte nicht neuerlich ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen werden dürfen, klarzustellen, dass diese Bestimmung der nochmaligen Verhängung eines Aufenthaltsverbotes im selben Ausmaß schon deshalb nicht entgegenstand, weil sich die belangte Behörde dabei auch auf weiteres Fehlverhalten des Beschwerdeführers (Verwaltungsübertretungen; unrechtmäßiger Aufenthalt) gestützt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2003, Zl. 2000/21/0143; siehe auch das hg. Erkenntnis vom 25. April 2002, Zl. 99/21/0200).
Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 36 Abs. 1 FrG die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der (weitere) Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 36 Abs. 2 Z 1 FrG gilt als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegte Auffassung, dass angesichts der erwähnten strafgerichtlichen Verurteilungen der zitierte Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG - und zwar der dritte und vierte Fall - verwirklicht ist, bleibt in der Beschwerde unbestritten. Gegen diese Beurteilung hegt der Verwaltungsgerichtshof angesichts der im Urteil vom 27. April 1993 verhängten bedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten und der zweimaligen Verurteilung wegen strafbarer Handlungen gegen fremdes Vermögen auch keine Bedenken.
Bei der darauf gegründeten Beurteilung nach § 36 Abs. 1 FrG ist der belangten Behörde jedoch ein Begründungsmangel unterlaufen:
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist im Grunde des § 36 Abs. 1 FrG das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die im Gesetz umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Dabei ist - anders als bei der Frage, ob der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 (oder jener der Z 2) FrG erfüllt ist - nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. Jänner 2003, Zl. 2001/21/0106, und vom 25. April 2003, Zl. 2000/21/0051).
Die belangte Behörde hat der erwähnten Verpflichtung zur Feststellung des den strafgerichtlichen Verurteilungen zu Grunde liegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers nicht entsprochen. Dem angefochtenen Bescheid sind (in Verbindung mit der Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides) nämlich jeweils nur der Zeitpunkt der Urteilsfällung, die übertretene Norm, teilweise eine allgemeine Umschreibung des Deliktes sowie die Art und Höhe der verhängten Strafe zu entnehmen. Feststellungen über die vom Beschwerdeführer im Einzelnen begangenen strafbaren Handlungen und die für die Beurteilung seines Verhaltens maßgeblichen Begleitumstände fehlen hingegen - wie schon im Erstbescheid - zur Gänze. Gleiches gilt aber auch für die verwaltungsbehördlichen Bestrafungen des Beschwerdeführers.
Das Fehlen derartiger Feststellungen bewirkt, dass die Ansicht der belangte Behörde, es sei vorliegend die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar ist, zumal dies nicht bereits aus der Art und Häufigkeit der Delikte im Zusammenhang mit den verhängten Strafen und - hier vor allem - unter Bedachtnahme auf den seit ihrer Begehung verstrichenen Zeitraum von vornherein evident wäre (vgl. das bereits erwähnte, einen ähnlich gelagerten Sachverhalt betreffende hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2003, Zl. 2001/21/0106, und hinsichtlich einer etwa drei Jahre zurückliegenden Bestrafung wegen alkoholisiertem Lenken eines Kfz das hg. Erkenntnis vom 18. März 2003, Zl. 99/21/0221).
Die vorstehenden Ausführungen treffen aber - angesichts der gewichtigen privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers - auch auf die Einschätzung der belangten Behörde zu, das Aufenthaltsverbot sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten (§ 37 Abs. 1 FrG). Gleiches würde schließlich auch für die nach § 37 Abs. 2 FrG erforderliche Abwägung gelten, ob die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung, doch ist dem angefochtenen Bescheid eine solche Abwägung nicht zu entnehmen, was einen weiteren Begründungsmangel darstellt.
Der angefochtene Bescheid war somit schon aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333, wobei eine Umrechnung der nach § 24 Abs. 3 VwGG entrichteten Gebühr auf Euro vorzunehmen war.
Wien, am 15. Oktober 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2000210026.X00Im RIS seit
06.11.2003