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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
BEinstG §14 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der M in Salzburg, vertreten durch Riedl & Ringhofer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 18. Dezember 2001, Zl. 3/05-3238/2-2001, betreffend Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Antrag vom 7. Juni 2001 begehrte die Beschwerdeführerin die Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß § 2 und § 14 des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG).
Das Bundessozialamt Salzburg holte daraufhin ärztliche Sachverständigengutachten ein.
Der Facharzt für Unfallchirurgie Dr. N. führte in seinem Sachverständigengutachten vom 21. August 2001 unter anderem aus:
"Seit dem Jahr 1976 hat die Patientin wiederholte Auslassphänomene an beiden unteren Extremitäten, wodurch es anfangs zu mehreren Stürzen jährlich gekommen ist.
Inzwischen, seit 1997 Verschlechterung der Situation, sodass es täglich mehrmals zu spontanen Stürzen kommt."
Dr. N. gelangte in seinem Gutachten zu folgender Beurteilung:
"D. BEURTEILUNG
lfd.Nr.
Art d. Gesundheitsschädigung
Pos. in den Richtsätzen
GdB
I. Gesundheitsschädigungen, die für die Gesamteinschätzung d. GdB berücksichtigt werden
1. Diskret degenerative Veränderungen der Hüftgelenke rechts mehr als links mit nur zeitweiligen Belastungsschmerzen
I/d/99
20
2. Wiederholte Sturzphänomene die aus unfallchirurgisch-orthopädischer Sicht nicht erklärt werden können.
Daher: Die im Zusammenwirken der oben angeführten Gesundheitsschädigungen verursachte Funktionsbeeinträchtigung beträgt ZWANZIG von Hundert (20 v.H.).
Begründung des unteren Rahmensatzes:
Entsprechend der nur geringen Bewegungseinschränkung und berichteten geringen Schmerzsymptomatik.
Die Sturzphänomene sind aus unfallchirurgisch-orthopädischer Sicht nicht erklärbar, sodass diesbezüglich am ehesten ein neurologisches Gutachten erstellt werden sollte."
Der leitende Arzt des Bundessozialamtes Salzburg Dr. K. kam in seinem zusammenfassenden, wenige handschriftliche Zeilen umfassenden, ärztlichen Sachverständigengutachten vom 14. September 2001 daraufhin zu folgender "Aktenmäßiger Rs-Einschätzung":
"2. Wiederholte Auslassphänomene an beiden Beinen ungeklärter Ursache mit Sturzneigung.
vgl. IV/a/422 ............. 20 v.H.
20 v.H. entsprechend dem Auftreten mehrmals im Jahr."
Dr. K kam zu dem Ergebnis, dass der Gesamtgrad der Behinderung 30 v.H. betrage, weil die führende Position 422 durch Position 99 (Einschätzung aus dem Gutachten Dris. N. übernommen;
Grad der Behinderung: 20 v.H.) um eine Stufe gesteigert werde.
Abschließend findet sich im Gutachten Dris. K. der Hinweis:
"Keine NU" (gemeint: keine Nachuntersuchung).
Mit Schreiben vom 19. September 2001 gab das Bundessozialamt
Salzburg der Beschwerdeführerin Gelegenheit, zum Ergebnis der ärztlichen Begutachtung Stellung zu nehmen.
Die Beschwerdeführerin gab dazu keine Stellungnahme ab.
Mit Bescheid vom 4. Oktober 2001 wies das Bundessozialamt Salzburg den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 2 Abs. 1, § 3 und § 14 Abs. 2 BEinstG ab. In der Begründung wurde auf die wesentlichen Ergebnisse der ärztlichen Begutachtung verwiesen. Danach betrage der Grad der Behinderung 30 v.H.
In der dagegen erhobenen Berufung wies die Beschwerdeführerin im Wesentlichen darauf hin, dass eine entsprechende neurologische Begutachtung nicht stattgefunden habe.
Der Landeshauptmann von Salzburg holte in der Folge keine weiteren ärztlichen Sachverständigengutachten ein.
Mit Bescheid vom 18. Dezember 2001 wies der Landeshauptmann von Salzburg die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 und § 14 Abs. 2 BEinstG als unbegründet ab. In der Begründung wurde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, sämtliche von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Gesundheitsbeeinträchtigungen seien von dem amtlicherseits befassten Gutachter sowie vom leitenden Arzt des Bundessozialamtes Salzburg in den Gutachten bzw. Stellungnahmen in detaillierter Form dargestellt und gewertet worden. Auch die wiederholten Auslassphänomene an beiden Beinen ungeklärter Ursache mit Sturzneigung seien vom leitenden Arzt des Bundessozialamtes Salzburg begutachtet und entsprechend der Richtsatzverordnung schlüssig und nachvollziehbar eingestuft worden. Die vorliegenden ärztlichen Gutachten könnten nur durch auf gleichem fachlichem Niveau stehende Gegengutachten entkräftet werden. Derartige Gegengutachten seien jedoch von der Beschwerdeführerin nicht vorgelegt worden. Die Prüfung der vorliegenden Unterlagen auf Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit sei "ohne Anstand geblieben".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1.1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des BEinstG (in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 60/2001) lauten (auszugsweise):
"§ 2. (1) Begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes sind österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 vH. ...
...
§ 3. Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder psychischen Zustand beruht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
...
§ 14.
...
(2) Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Behinderten das örtlich zuständige Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung einzuschätzen und bei Zutreffen der in § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung (Abs. 3) festzustellen. Hinsichtlich der ärztlichen Sachverständigen ist § 90 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, anzuwenden. Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim örtlich zuständigen Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung (Abs. 3) gestellt wird. Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung des Bescheides folgt, mit dem der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird.
(3) Der Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales (nunmehr: für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) ist ermächtigt, nach Anhörung des Bundesbehindertenbeirates gemäß § 8 BBG durch Verordnung nähere Bestimmungen für die Feststellung des Grades der Behinderung festzulegen. Diese Bestimmungen haben die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf das allgemeine Erwerbsleben zu berücksichtigen und auf den Stand der medizinischen Wissenschaft Bedacht zu nehmen.
...
§ 27. (1) Bis zum Inkrafttreten der Verordnung gemäß § 14 Abs. 3 sind für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH außer Betracht zu lassen sind, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
..."
1.2. Da eine Verordnung gemäß § 14 Abs. 3 BEinstG noch nicht erlassen wurde, hat die belangte Behörde zu Recht die aufgrund des § 7 Abs. 2 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 ergangene Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150, über die Richtsätze für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Vorschriften des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 und die in der Anlage zu dieser Verordnung genannten Richtsätze herangezogen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. September 2003, Zl. 2001/11/0344).
2. Die Beschwerdeführerin bekämpft die Einschätzung ihres Leidens "Wiederholte Auslassphänomene an beiden Beinen ungeklärter Ursache mit Sturzneigung" (IV/a/422) mit einem Grad der Behinderung von (lediglich) 20 v.H.; das von der belangten Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegte Gutachten des leitenden Arztes des Bundessozialamtes Salzburg Dr. K. vom 14. September 2001 sei in dieser Hinsicht nicht schlüssig.
Die Beschwerde ist begründet.
Dr. K. begründete die Einschätzung des genannten Leidens mit einem Grad der Behinderung von 20 v.H. mit dem Umstand, dass die Auslassphänomene "mehrmals im Jahr "aufträten. Wie Dr. K. zu dieser Annahme gelangte, wird im Gutachten nicht näher begründet und ist für den Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf das Gutachten Dris. N. vom 21. August 2001, das dem Gutachten Dris. K. zugrunde liegt, nicht nachvollziehbar. Dr. N. führte in seinem oben wiedergegebenen Gutachten nämlich aus, die Patientin habe seit dem Jahr 1976 wiederholte Auslassphänomene an beiden unteren Extremitäten, wodurch es anfangs zu mehreren Stürzen jährlich gekommen sei. Seit 1997 habe sich die Situation verschlechtert, sodass es täglich mehrmals zu spontanen Stürzen komme. Die belangte Behörde hat sich mit dem aufgezeigten offenkundigen Widerspruch in den beiden Gutachten nicht näher auseinandergesetzt, sondern ohne nähere Begründung beide Gutachten als schlüssig und nachvollziehbar bezeichnet.
Dazu kommt, dass Dr. N. in seinem Gutachten ausführte, dass die Sturzphänomene aus unfallchirurgisch-orthopädischer Sicht nicht erklärbar seien, sodass diesbezüglich am ehesten ein neurologisches Gutachten erstellt werden sollte. Warum eine neurologische Begutachtung in der Folge unterblieb, wird im Gutachten Dris. K. nicht dargelegt. Auch die belangte Behörde hat sich mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt.
Schon indem die belangte Behörde ihrer Entscheidung ein nicht schlüssiges Gutachten ihres amtlichen Sachverständigen zugrunde legte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einem Verfahrensmangel, dem im Beschwerdefall auch Relevanz zukommt. Der Rahmensatz für die Richtsatzposition IV/a/422 beträgt nämlich 20 - 40 v.H. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei einem Auftreten der Auslassphänomene mehrmals täglich für die Einschätzung dieses Leidens der obere Rahmensatz von 40 v.H. heranzuziehen ist. Der leitende Arzt Dr. K. geht selbst davon aus, dass es sich bei den Auslassphänomenen um das führende Leiden handle, welches durch das Leiden "Diskret degenerative Veränderungen der Hüftgelenke rechts mehr als links mit nur zeitweiligen Belastungsschmerzen" (I/d/99) um 10 v.H. gesteigert werde. Hätte sich daher die belangte Behörde mit den beiden von der Erstbehörde eingeholten Gutachten näher auseinandergesetzt, so hätte sie allenfalls zur Einschätzung eines Grades der Behinderung von (mindestens) 50 v.H. und damit zu einem anderen Bescheid gelangen können.
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II, Nr. 333/2003.
Wien, am 25. November 2003
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002110022.X00Im RIS seit
19.12.2003