TE Vwgh Erkenntnis 2004/5/18 2001/21/0126

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Veröffentlicht am 18.05.2004
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Index

19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
MRK Art8 Abs2;
StGB §201 Abs1;
StGB §202 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des D in G, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 9. Juli 2001, Zl. Fr 141/1996, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 sowie den §§ 37, 38 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie auf das in Rechtskraft erwachsene Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 18. Juli 2000, mit dem der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt worden war.

Gemäß dem Spruch des in den Verwaltungsakten befindlichen Urteils wurden der Beschwerdeführer und dessen Ehefrau wie folgt schuldig gesprochen:

"Es haben in Graz

I. M D und S D im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter am 22. oder 23.11.1999 in Graz eine Urkunde, über die sie nicht verfügen durften, nämlich den Reisepass der M J dadurch, dass sie diesen an sich brachten, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass dieser von der Berechtigten zum Beweise der sich daraus ergebenden Rechte oder Tatsachen im Rechtsverkehr gebraucht werde,

II. M D am 29.11.1999 in Graz M J durch das Versetzen von zahlreichen Schlägen mit der Faust und der flachen Hand gegen den Kopf, sodass diese zu Boden stürzte, Hochzerren ihres Körpers durch Erfassen an den Haaren, Einführen des Daumens in ihren Mund bzw. Rachenraum, sodass sie kaum atmen konnte, mithin mit schwerer, gegen sie gerichteter Gewalt sowie auch durch Entziehung der persönlichen Freiheit von 1.30 Uhr bis 3.30 Uhr durch Verriegelung der Außentür und Versperren der inneren Tür mit einem Zweitschlüssel und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben, indem er ihr befahl, nicht zu schreien, da er sie ansonsten umbringen werde, zur Vornahme und Duldung des Beischlafes mit M D genötigt.

III. S D am 29.11.1999 in Graz außer dem Fall des § 201 Abs. 1 StGB M J durch Entziehung der persönlichen Freiheit in der Zeit von 1.30 Uhr bis 3.30 Uhr durch Verriegelung der Außentür der Wohnung und Versperren der inneren Tür mit einem Zweitschlüssel sowie durch Gewalt, nämlich durch Festhalten an den Beinen und durch Drohung mit gegenwärtiger Gewalt für ihre Leben, indem sie ihr befahl, nicht zu schreien, da sie sie ansonsten umbringen würde, zur Vornahme und Duldung des Beischlafes mit M D genötigt,

IV. M D die M J in Graz durch gefährliche Drohung teils mit Verletzungen am Körper, teils mit einer Verletzung an der Ehre zu nachstehenden angeführten Handlungen bzw. Unterlassungen genötigt, und zwar

1. am 22. oder 23.11.1999 durch die Äußerung, wenn sie weggehen würde, würde er sie überall auf der Welt finden und ihr etwas antun können, wenn er dies nicht selbst tun würde, würde er ihr jedenfalls jemanden schicken, er werde nicht nur ihr, sondern auch ihrem Verlobten und ihren Verwandten etwas antun, zur Unterlassung der Rückkehr in ihre Heimat nach Kroatien,

2. am 29.11.1999 unmittelbar nach der oben unter Punkt II. geschilderten Tathandlung durch die Äußerung, wenn sie davonlaufe, würde er sich an ihr rächen und er hätte nunmehr Beweise, dass er mit ihr geschlafen hätte, und er würde die von S D im Zuge der oben unter Punkt III. geschilderten Tathandlung von ihr angefertigten Nacktfotos auch ihrem Verlobten und auch sonst überall herumzeigen, zum Verbleiben in Graz und zur Weiterarbeit in seinem Lokal "F" als Kellnerin,

V. M D am 23.5.2000 in Graz durch die in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht für Strafsachen Graz aufgestellte Behauptung, die Polizeibeamten K und F hätten ihn anlässlich seiner polizeilichen Einvernahme geschlagen und das Protokoll aus Eigenem selbst verfasst, wo hingegen er als Verdächtiger keine Angaben gemacht habe, sie mithin von amtswegen zu verfolgender strafbarer Handlungen, nämlich des Missbrauches der Amtsgewalt und des Vergehens der Körperverletzung unter Ausnützung einer Amtsstellung zumindest in der Form des Versuches falsch verdächtigt, wobei er wusste, dass diese Verdächtigungen falsch waren."

Der Beschwerdeführer wurde des Verbrechens der Vergewaltigung nach dem § 201 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB und der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB und des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 zweiter Deliktsfall StGB für schuldig erkannt.

Aus diesem Fehlverhalten und der Tatsache, dass wegen der besonderen sexuellen Neigung, nämlich den Geschlechtsverkehr mit einem zum Beischlaf genötigten Opfer durch seine Ehefrau fotografisch festhalten zu lassen, eine Wiederholungsgefahr keinesfalls gänzlich ausgeschlossen werden könne, sowie dem Umstand, dass der Beschwerdeführer seinem Opfer erst eine Woche vor der Tatausführung im Ausland bereits einmal Gewalt angetan habe, schloss die belangte Behörde auf die Verwirklichung der Gefährlichkeitsprognose des § 36 Abs. 1 FrG. Sie stellte weiters fest, dass der Beschwerdeführer erstmals im August 1990 nach Österreich gereist sei, in der Folge Wiedereinreisesichtvermerke und letztlich eine bis 4. Februar 2000 gültige Aufenthaltsbewilligung erhalten habe, hier mit seiner Ehefrau und zwei Kindern lebe und seine Schwester in Österreich aufhältig sei. Der Beschwerdeführer verfüge über einen Befreiungsschein, gültig bis zum Jahr 2003, und habe im April 1999 eine Baufirma und in weiterer Folge das Lokal "F" gegründet. Davon ausgehend gelangte die belangte Behörde zum Ergebnis, dass mit dem Aufenthaltsverbot ein schwerwiegender Eingriff in sein Privat- und Familienleben verbunden sei, erachtete das Aufenthaltsverbot jedoch zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, zur Verhinderung von weiteren strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Gesundheit und der körperlichen Integrität anderer Personen als dringend geboten. Weiters gewichtete sie die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbots für schwerer als das gegenläufige Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich. Letztlich verneinte sie das Vorliegen der Verfestigungstatbestände des § 35 Abs. 2 und Abs. 3 FrG mit der Begründung, dass der Beschwerdeführer vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes noch nicht zehn Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen gewesen, von einem inländischen Gericht wegen Begehung einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt worden sei und sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden würde. Sie erachtete sich erkennbar außer Stande, das ihr eingeräumte Ermessen nach § 36 Abs. 1 FrG zugunsten des Beschwerdeführers auszuüben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 36 Abs. 1 FrG ist die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen (die nationale Sicherheit, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer) erheblich gefährdet. Daraus folgt, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 36 Abs. 1 FrG nur dann in Betracht kommt, wenn ein solches erforderlich ist, um die festgestellte, vom Fremden ausgehende Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden. In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Aufenthaltsverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2001, Zl. 99/21/0349).

Der Beschwerdeführer tritt den behördlichen Feststellungen nicht entgegen, weshalb keine Bedenken dagegen bestehen, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 erster Fall FrG verwirklicht sei. Wegen des schweren deliktischen Verhaltens des Beschwerdeführers, das zu der festgestellten Verurteilung geführt hat, kann es weiters keinem Zweifel unterliegen, dass die Gefährlichkeitsprognose des § 36 Abs. 1 FrG bejaht werden muss. Der Beschwerdeführer versucht zwar mit dem Argument, er sei bis auf die eine gerichtliche Verurteilung strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, sodass die Argumentation, sein weiterer Aufenthalt würde die öffentliche Ruhe und Ordnung gefährden, "ad absurdum" zu führen sei, die Gefährlichkeitsprognose in Abrede zu stellen; diesem Argument ist aber mit der belangten Behörde entgegenzuhalten, dass die dargestellten Tathandlungen eine Wiederholungsgefahr im besonderen Maße nahe legen, zumal der Beschwerdeführer seinem Opfer schon eine Woche vor dem strafbaren Verhalten am 29. November 1999 unbestritten "bereits einmal Gewalt angetan" hat. Nach den strafgerichtlichen Feststellungen hatte der Beschwerdeführer damals einen Geschlechtsverkehr mit M J durchgeführt, den diese aus Angst vor weiteren Schlägen zugelassen hat.

Unzutreffend ist die Beschwerdeansicht, wegen des (nach den behördlichen Feststellungen nicht von Beginn an) rechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers seit August 1990 im Bundesgebiet müsse der Verfestigungstatbestand des § 35 Abs. 3 (iVm § 38 Abs. 1 Z. 2) FrG Anwendung finden. Diese Ansicht geht zweifach fehl, fordert doch der dort genannte Tatbestand einen ununterbrochenen und rechtmäßigen Aufenthalt vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes von zehn Jahren und es steht eine derartige Aufenthaltsverfestigung einem Aufenthaltsverbot unter anderem nicht entgegen, wenn der Fremde - wie hier - wegen eines Verbrechens zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr rechtskräftig verurteilt worden ist.

Der Schwerpunkt der Beschwerde liegt darin, dass das Ergebnis der von der belangten Behörde nach § 37 FrG vorgenommenen Interessenabwägung als unrichtig dargestellt wird. Es mag zutreffen, dass der Beschwerdeführer auf Grund seines - offensichtlich überwiegend rechtmäßigen - Aufenthaltes im Inland seit 1990, seiner beruflichen Integration und des inländischen Aufenthaltes seiner Ehefrau, seiner Kinder und seiner Schwester beträchtliche private und familiäre Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet hat. Demgemäß nahm auch die belangte Behörde einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen schwerwiegenden Eingriff in sein Privat- und Familienleben an. Ebenso zutreffend erachtete sie aber das Aufenthaltsverbot im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG für dringend geboten und das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 37 Abs. 2 FrG für schwerer wiegend als das gegenläufige Interesse des Beschwerdeführers. Dieses öffentliche Interesse leitete sie frei von Rechtsirrtum aus dem besonders verwerflichen Verhalten des Beschwerdeführers und dem besonders großen öffentlichen Bestreben an der Unterbindung derartiger strafbarer Handlungen gegen die körperliche und sexuelle Integrität anderer Personen ab. Außerdem fällt hier besonders ins Gewicht, dass es sich - wie bereits ausgeführt - nicht um einen einmaligen Vorfall gehandelt hat und dass der Beschwerdeführer mit besonderer Brutalität vorgegangen ist. Wenn der Beschwerdeführer meint, dass ein mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundener Eingriff in das Familienleben nur dann als gerechtfertigt angesehen werden könne, wenn "schwere Straftaten vorliegen", so kann dieses Vorbringen nur die behördliche Maßnahme bekräftigen, ist doch die vom Beschwerdeführer verübte Straftat zweifellos als schwer zu gewichten. Keinesfalls trifft das weitere Beschwerdeargument zu, dass bei der gegebenen Interessenlage nur bei Drogenhandel ein Aufenthaltsverbot zulässig wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1999, Zl. 98/21/0502).

Die in der Beschwerde erhobene Verfahrensrüge, die Begründung im angefochtenen Bescheid stelle lediglich eine Formalbegründung dar, trifft nicht zu, sind doch dem angefochtenen Bescheid - wie sich aus dem Vorstehenden ergibt - sowohl die behördlichen Feststellungen als auch die darauf gegründete rechtliche Beurteilung zu entnehmen.

Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie habe ihn nicht vernommen, legt er die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dar, indem nicht vorgebracht wird, zu welchen Feststellungen die belangte Behörde dadurch hätte gelangen können.

Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 18. Mai 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001210126.X00

Im RIS seit

01.07.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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