TE OGH 1948/6/16 1Ob194/48

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Veröffentlicht am 16.06.1948
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Norm

Mietengesetz §19 Abs2 Z3
Mietengesetz §19 Abs2 Z5
Mietengesetz §19 Abs2 Z6
Schutzverordnung Art1 Abs7
ZPO §503 Z1
ZPO §503 Z2
ZPO §503 Z4

Kopf

SZ 21/104

Spruch

Wird bei Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 19, Abs. 2, Z. 5 MietG. eine Ersatzwohnung angeboten, die allerdings nicht ganz den Erfordernissen des § 19, Abs. 2, Z. 6 MietG. entspricht, so ist der Umstand, daß dadurch für den Gekundigten wenigstens die Gefahr der Obdachlosigkeit beseitigt wird, bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen.

Wird in einem solchen Falle die Aufkündigung für wirksam erklärt, so ist im Urteile auszusprechen, daß die beklagte Partei den Mietgegenstand nur Zug um Zug gegen Übergabe der Ersatzwohnung zu räumen hat.

Entscheidung vom 16. Juni 1948, 1 Ob 194/48.

I. Instanz: Bezirksgericht Floridsdorf; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Erstgericht hat die auf die Kündigungsgrunde nach § 19, Abs. 2, Z. 3, 5 und 6 MietG. gestützte Aufkündigung mit dem Urteil vom 8. Jänner 1948 aufgehoben.

Das Berufungsgericht hat dagegen mit dem angefochtenen Urteil der Berufung der Kläger Folge gegeben und in Abänderung des erstgerichtlichen Urteiles die Aufkündigung für rechtswirksam erkannt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Parteien nicht Folge und bestätigte das Urteil des Berufungsgerichtes mit der Maßgabe, daß die Beklagten zur Räumung der gekundigten Wohnung nur Zug um Zug gegen Übergabe der Ersatzwohnung verpflichtet sind.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Beklagten fechten dieses Urteil seinem ganzen Inhalte nach aus den Revisionsgrunden nach § 503, Z. 1, 2 und 4 ZPO. mit Revision an und beantragen das angefochtene Urteil und das Verfahren erster und zweiter Instanz hinsichtlich des Erstbeklagten für nichtig zu erklären, allenfalls das Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht oder an das Erstgericht zurückzuverweisen oder das Urteil in der Richtung abzuändern, daß die Aufkündigung aufgehoben wird.

Die Kläger bestreiten das Vorliegen der geltend gemachten Revisionsgrunde und beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Der Revisionsgrund nach § 503, Z. 1 ZPO. wird in der Revision darin erblickt, daß sich im Hinblick auf das Vorbringen der Kläger ein Widerstreit zwischen den Interessen des Erstbeklagten und der Zweibeklagten, seiner Kuratorin, ergeben habe, daß trotz Bestellung der Kuratorin die Fortsetzung des Verfahrens ohne Schädigung des Erstbeklagten überhaupt nicht möglich sei und das Verfahren daher im Sinne der Schutzverordnung nichtig sei. Diese Ausführungen in der Revision sind an sich ganz unklar. Offenbar ist dasselbe gemeint, was von den Beklagten in ONr. 5 und 6 vorgebracht wurde. Warum deshalb, weil die Kläger der Zweitbeklagten im Rahmen des Kündigungsgrundes nach § 19, Abs. 2, Z. 3 MietG. ein unsittliches Verhalten angelastet haben, das im Falle der Richtigkeit des Vorbringens den Erstbeklagten zu einem Begehren auf Scheidung seiner Ehe mit der Zweitbeklagten berechtigen würde, eine Interessenkollision angenommen werden sollte, die eine entsprechende Vertretung des Erstbeklagten durch seine Frau nicht gewährleisten würde, ist unerfindlich; denn es muß ja das Bestreben der Zweitbeklagten schon im eigenen Interesse sein, die Unrichtigkeit dieser Behauptung der Kläger in diesem Rechtsstreite darzutun, um eine Aufrechterhaltung der Aufkündigung zu verhindern. Das gleiche Interesse muß aber der Erstbeklagte haben.

Abgesehen davon wurde bisher im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren das Vorliegen des Kündigungsgrundes nach § 19, Abs. 2, Z. 3 MietG. überhaupt nicht untersucht. Eine Nichtigkeit käme nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 1, Abs. 7 der Schutzverordnung i. d. F. d. Bekanntmachung vom 4. Dezember 1943, DRGBl. I S. 666, in Frage. Da die Wiederaufnahme des Verfahrens rechtskräftig angeordnet und das Verfahren seither nicht ausgesetzt worden ist, könnte die Nichtigkeit nur dann vorliegen, wenn das Verfahren bei Kenntnis der Sachlage von dem Gericht ausgesetzt worden wäre. Dies heißt, daß die dafür maßgebenden Umstände dem Gericht vor Beendigung des Verfahrens nicht bekannt geworden sind. Dies trifft aber nach den Ausführungen der Revision überhaupt nicht zu. Der weitere Fall, daß das Verfahren bei Kenntnis der Sachlage vom Gericht ausgesetzt worden wäre, wird überhaupt nur für die Nichtigkeitsklage in Betracht kommen.

Der Revisionsgrund nach § 503, Z. 1 ZPO. liegt somit nicht vor.

Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens - der Revisionsgrund ist irrig mit § 503, Z. 4 statt Z. 2 ZPO. bezeichnet - soll nach der Revision darin bestehen, daß der Erstbeklagte nicht als Partei vernommen wurde. Er soll nämlich allein über die Vereinbarung vierteljähriger Kündigung und über den Umstand, daß nur er Mieter der Wohnung ist, informiert sein, da lediglich mit ihm der Mietvertrag geschlossen worden sei. Übrigens gehe es auch nicht an, dem Erstbeklagten die Möglichkeit zu nehmen, sich selbst gegen die Vorwürfe, welche die Kläger seiner Frau gemacht hätten, zu wehren und dürfte daher das Verfahren ohne Vernehmung des Erstbeklagten als Partei nicht abgeschlossen werden.

Daß eine vierteljährliche Kündigungsfrist vereinbart worden ist, wurde von den Beklagten überhaupt nicht eingewendet, sondern in den Einwendungen bloß behauptet, daß der Kündigungstermin verfehlt sei, ohne daß diese Behauptung im Zuge des Verfahrens näher aufgeführt wurde. Wenn aber die Wohnung gegen vierzehntägige Kündigung gemietet worden ist, konnte jedenfalls das Mietverhältnis zum 31. Mai 1947 aufgekundigt werden. Die Aufkündigung wurde den Beklagten auf jeden Fall vor dem 12. Mai 1947 zugestellt, da sie an diesem Tage die Einwendungen beim Erstgericht eingebracht haben. Eine Aufnahme von Beweisen über die Vereinbarung einer vierteljährigen Kündigungsfrist kam demnach überhaupt nicht in Frage. Daß die Zweitbeklagte als Mitmieterin angesehen wurde, ist für den Erstbeklagten ohne jede Bedeutung; denn im gegenteiligen Falle wäre eben die Kündigung nur hinsichtlich des Erstbeklagten für rechtswirksam erklärt worden. Dann müßte er aber ebenfalls zusammen mit der Zweibeklagten die Wohnung räumen. Der Kündigungsgrund nach § 19, Abs. 2, Z. 3 MietG. wurde von dem Erst- und Zweitgericht überhaupt nicht geprüft, sodaß eine Beweisaufnahme über das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin nicht durchzuführen war.

Als unrichtige rechtliche Beurteilung bekämpfen die Revisionswerber die Meinung des Berufungsgerichtes, daß es sich deshalb nicht mehr mit den Fragen der passiven Klagslegitimation und der formellen Richtigkeit der Kündigung zu befassen habe, weil die Rechtsansicht des Erstgerichtes von den Berufungsgegnern nicht bekämpft wurde. Nach dem Inhalt des allein maßgebenden Protokolls über die mündliche Berufungsverhandlung haben die Beklagten bloß die Berufung der Kläger bekämpft, in der die Frage der passiven Klagslegitimation nicht erörtert worden ist. Eine schriftliche Berufungsmitteilung der Beklagten liegt nicht vor. Demnach haben die Beklagten diese Fragen im Berufungsverfahren ebenfalls nicht aufgeworfen. Hievon abgesehen ist die Frage, ob auch die Zweitbeklagte passiv legitimiert ist, für den Erstbeklagten, wie schon erwähnt wurde, ohne Bedeutung. Die Zweitbeklagte gab aber schließlich, wie in der Revision selbst angeführt wird, zu, daß sie zusammen mit dem Erstbeklagten den Mietvertrag abgeschlossen hat. Daß das Berufungsgericht sich mit der Frage der passiven Klagslegitimation nicht befaßt hat, hat jedenfalls eine erschöpfende Erörterung und grundliche Beurteilung der Streitsache nicht gehindert, so daß der Revisionsgrund des § 503, Z. 2 ZPO. nicht vorliegt. Das gleiche gilt für die Frage der formellen Richtigkeit der Aufkündigung. Formelle Mängel hätten die Beklagten in den Einwendungen geltend machen müssen. Sie haben sich jedoch darauf beschränkt, lediglich den Kündigungstermin als verfehlt zu bezeichnen, ohne dies näher zu begrunden. Daß ihre Behauptung nicht zutreffend ist, wurde bereits dargetan. Daß eine andere Kündigungsfrist vereinbart wurde, haben sie weder in den Einwendungen, noch überhaupt im erstinstanzlichen Verfahren behauptet.

Im Rahmen des Revisionsgrundes nach § 503, Z. 4 ZPO. bekämpfen die Revisionswerber noch die Ausführungen des Berufungsgerichtes über das Vorliegen des Kündigungsgrundes nach § 19, Abs. 2, Z. 5 MietG. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen des ebenfalls geltend gemachten Kündigungsgrundes nach § 19, Abs. 2, Z. 6 MietG. verneint, weil es die angebotene Ersatzwohnung nicht für entsprechend erachtete, jedoch den Kündigungsgrund nach § 19, Abs. 2, Z. 5 MietG. als gegeben angenommen, indem es bei der Interessenabwägung berücksichtige, daß den Beklagten immerhin von den Klägern eine Ersatzwohnung zur Verfügung gestellt wurde.

Nach § 19, Abs. 2, Z. 5 MietG. ist neben dem dringenden Eigenbedarf erforderlich, daß dem Vermieter oder der Person, für die er den Mietgegenstand benötigt, aus der Aufrechterhaltung des Mietvertrages ein unverhältnismäßig größerer Nachteil erwüchse als dem Mieter aus der Kündigung, während nach § 19, Abs. 2, Z. 6 MietG. zu dem dringenden Eigenbedarf an Stelle der Interessenabwägung bei Wohnräumen die Beschaffung eines entsprechenden Ersatzes hinzutreten muß. Das Berufungsgericht hat die von den Klägern angebotene Ersatzwohnung nicht für entsprechend erachtet, hat aber das Angebot, wie schon erwähnt, bei der Interessenabwägung berücksichtigt. Der Oberste Gerichtshof teilt die Meinung des Berufungsgerichtes, daß dann, wenn der Kündigunggrund nach § 19, Abs. 2, Z. 5 MietG. geltend gemacht und gleichwohl eine Ersatzwohnung angeboten wird, die zwar den Erfordernissen des § 19, Abs. 2, Z. 6 MietG. nicht völlig entspricht, dieser Umstand bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist; denn der gekundigte Mieter ist in einem solchen Falle zumindest nicht der Gefahr der Obdachlosigkeit ausgesetzt.

Die völlige Unstichhältigkeit der Behauptung der Revisionswerber, die ihnen angebotene Ersatzwohnung sei für die Kläger hinreichend und daher ein Eigenbedarf der Kläger nicht gegeben, ergibt sich schon daraus, daß die beiden Beklagte, die keine Kinder haben, auf die gekundigte Wohnung, bestehend aus Zimmer, Kabinett und Küche, weiterhin Anspruch erheben, während sich die beiden Kläger mit ihren zwei Kindern mit der von ihnen den Beklagten angebotenen Ersatzwohnung bestehend aus Zimmer und Küche, begnügen sollen, obwohl die Zweitklägerin überdies wegen ihres Gesundheitszustandes auch einer Hilfskraft im Haushalte bedarf.

Den Revisionswerbern ist nur darin beizustimmen, daß das Berufungsgericht in seinem Urteil der darin ausgesprochenen Räumungsverpflichtung der Beklagten hätte beifügen sollen, daß die Räumung nur gegen Übergabe der Ersatzwohnung vorzunehmen ist, da andernfalls die Beklagten doch in die Gefahr der Obdachlosigkeit geraten könnten. Da jedoch die Beklagten in ihrer Revision ein Abänderungsbegehren in dieser Richtung nicht gestellt haben, war das angefochtene Urteil bloß in diesem Punkte zu ergänzen, der Revision aber mangels Vorliegens der geltend gemachten Revisionsgrunde nicht Folge zu geben.

Anmerkung

Z21104

Schlagworte

Ersatzwohnung, Einwendungen im Bestandverfahren, betreffend verfehlten, Kündigungstermin, Ersatzwohnung, Interessensabwägung nach § 19, Abs. 2, Z. 5 MietG., Räumung des Mietgegenstandes Zug um Zug gegen Übergabe der, Ersatzwohnung, Zug um Zug

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1948:0010OB00194.48.0616.000

Dokumentnummer

JJT_19480616_OGH0002_0010OB00194_4800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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