TE OGH 1953/2/13 5Os965/52

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Veröffentlicht am 13.02.1953
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Februar 1953 unter dem Vorsitze des Senatspräsidenten Dr. Ullrich, in Gegenwart der Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. de Pers-Susans, Dr. Wagner, Dr. Schuster und des Rates des Oberlandesgerichtes Dr. Prinz als Richter, dann des Richteramtsanwärters Dr. Bauer als Schriftführers, in der Strafsache gegen Manfred W***** wegen des Verbrechens der Amtsveruntreuung nach dem § 181 StG über die von dem Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 13. Juni 1952, GZ 8 Vr 3281/51-79, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters - Rates des Oberlandesgerichtes Dr. Prinz -, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Herbert Mirnig - und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur - Ersten Staatsanwaltes Dr. Altmann - zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gemäß § 390 a StPO hat der Angeklagte die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.

Anschließend hat der Oberste Gerichtshof nach Anhörung des Vertreters der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Berufung des Angeklagten den Beschluß

gefaßt:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteiles eignete sich der Angeklagte Manfred W***** im Sommer 1948 als Kassier des Landeskrankenhauses Feldbach aus dem ihm anvertrauten Bargeld in wiederholten Zugriffen 20.076,04 S an. Um dies zu verschleiern zahlte er drei Rechnungen über die Lieferung von Kohle und Koks bei der Firma F***** ausnahmsweise bar ein; nach der Beisetzung des Saldierungsvermerkes verfälschte er die Rechnungen dadurch, daß er weitere fingierte Lieferungen mit erfundenen Waggonnummern und willkürlichen Rechnungsbeträgen in der Höhe von 4.000,50 S, 7.600,26 S und 4.475,28 S beifügte und im Zusammenhang damit auch die Saldierungsvermerke ergänzte, womit er den Anschein erweckte, als ob er der Firma F***** auch die so erhöhten Beträge bezahlt hätte. Überdies verfälschte er einen Postaufgabeschein, wonach er 477 S an die Firma F***** aufgegeben hatte, durch Beifügung der Ziffer 4 an der ersten Stelle in einen Zahlungsbeleg über 4.477 S. Gegenüber seiner Verantwortung, daß er unter dem Einfluß von Morphium im Zeitpunkt seiner Tat unzurechnungsfähig gewesen wäre, stellte das Erstgericht fest, daß er zur gleichen Zeit die relativ schwierige und umfangreiche Buchführung anstandslos führte und nach den Angaben einer Reihe von Zeugen wohl eine starke Nervosität, aber in Ansehung seines Geisteszustandes kein krankhaftes Erscheinungsbild zeigte. Auf Grund dieser Feststellungen und gestützt auf die Gutachten der Sachverständigen Prim.Dr. Ernst A***** und Prim.Dr. Anton O***** vermochte es seiner Verantwortung nicht zu folgen; es nahm vielmehr an, daß bei ihm zur Tatzeit keiner der im § 2 lit a bis c StG aufgezählten Schuldausschließungsgründe vorlag.

Weiters stellte es fest, daß der Angeklagte zwar mit dem Beschluß des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 26. August 1950, 22 L 27/49-6, erliegend in den Pflegschaftsakten des gleichen Gerichtes 22 P 175/50 unter ON 1, wegen Geisteskrankheit voll entmündigt wurde, seine Entmündigung jedoch mit dem Beschluß vom 26. Februar 1952, 22 P 175/50-20, aufgehoben und die Ausfertigung dieses Beschlusses dem Angeklagten zu Handen seines Wohnungsgebers - am 14. März 1952 - zugestellt wurde. Es sei daher mit Sicherheit anzunehmen, daß er den Beschluß auch tatsächlich erhielt, also gemäß § 67 Abs 1 EntmO die Aufhebung der Entmündigung hiedurch wirksam wurde.

Hienach wurde der Angeklagte Manfred W***** des Verbrechens der Veruntreuung nach § 181 StG schuldig erkannt.

Er bekämpft seinen Schuldspruch mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 9b des § 281 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Vor allem bemängelt er im Sinne des § 281 Z 5 StPO, daß sich das Urteil bei der Feststellung seiner Zurechnungsfähigkeit im Zeitpunkt seiner Tat hauptsächlich auf das Gutachten des Sachverständigen Prim. Dr. Anton O***** stützte, ohne auf ältere, seiner Tat zeitlich näherliegende gegenteilige Gutachten Bedacht zu nehmen. Die Rüge ist nicht begründet.

An früheren Gutachten findet sich in den Akten der Befund des Stadtarztes Dr. Norbert W***** in Graz vom 18. Jänner 1949, der im Zeitpunkt, als der Angeklagte auf Grund des gegen ihn erlassenen Haftbefehls vom 10. Jänner 1949, ON 3, in Haft genommen werden sollte, einen Nervenzusammenbruch feststellte und die Abgabe an die Nervenklinik veranlaßte (S 45).

Weiters erliegt in den Akten die von der Polizeidirektion Graz in Abschrift vorgelegte Mitteilung der psychiatrisch-neurologischen Klinik der Universität Graz vom 18. Februar 1949 über das Ergebnis der seit dem 19. Jänner 1949 durchgeführten stationären Beobachtung, wonach es sich bei Manfred W***** um einen neurasthenischen Menschen mit vorwiegender Simulation handelt und daher von klinischer Seite kein Einwand gegen seine Verhaftung besteht (S 57). Über den noch am 18. Februar 1949 in das Gefangenhaus eingelieferten Angeklagten erstattete der Sachverständige Prim.Dr. Ernst A***** am 25. Juni 1949 ein Gutachten (ON 31), wonach bei ihm eine konstitutionell fundierte seelische und nervöse Unterwertigkeit im Sinne einer Psycho- und Neuropathie besteht, die mit einer Schwächung der seelischen Widerstandskraft in schwierigen Situationen verbunden und daher als mildernder Umstand zu werten ist. In den zu diesem Zeitpunkt festgestellten seelischen und nervösen Störungen erblickte der Sachverständige abnorme psychische Reaktionen auf das durch die Anklage und die Haft ausgelöste peinliche Erlebnis. Den von dem Angeklagten aufgezeigten geistigen Defekt erklärte der Sachverständige als Versuch einer Täuschung. Der Sachverständige gelangte zu dem Schluß, daß der Angeklagte sowohl in dem Zeitpunkt der Tat als auch im Zeitpunkt der Untersuchung zurechnungsfähig war und bezeichnete ihn als haft- und verhandlungsfähig. Das durch einen neuerlichen Antrag auf Psychiatrierung veranlaßte Gutachten des Gerichtsarztes Dr. Walther K***** vom 23. Juli 1949 (ON 34) lautete auf Grund einer Beobachtung im Inquisitenspital dahin, daß bei Manfred W***** schwere Störungen des Zentralnervensystems bestehen, verschiedene Beobachtungen eine Simulation ausschließen und demnach seine Abgabe an eine geschlossene Anstalt, und zwar in die Heil- und Pflegeanstalt "Am Feldhof" bei Graz notwendig sei. Aus der dort, beginnend mit der Aufnahme vom 26. Juli 1949, von dem Prim.Dr. Anton O***** verfaßten Krankengeschichte ist im wesentlichen ersichtlich, daß Dr. Walther K***** um die Aufnahme wegen schwerer Psychose mit paranoiden Erscheinungen ansuchte, die klinische Diagnose auf Psychopathie erstellt wurde und Manfred W***** schließlich am 29. April 1951 von seinem Zustandsbild geheilt entlassen wurde.

Während des Aufenthaltes des Angeklagten in der Anstalt erstattete der Sachverständige Prim.Dr. Anton O***** auf Grund der dort angestellten Untersuchung und Beobachtung das in den Akten 9 Vr 1556/51 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz unter ON 30 erliegende Gutachten vom 13. Juni 1950, wonach bei Manfred W***** eine schwere Psychopathie mit weitgehender Willenlosigkeit und Neigung zur Süchtigkeit vorliegt. Zusammenfassend sei die Schwere der psychopathischen Abartigkeit zusammen mit den im Gutachten geschilderten anderen Störungen als Krankheit zu werten. Jedenfalls sei Manfred W***** zur Zeit der Tat - in diesen Akten Ende 1947, anfangs 1948 - unter der Wirkung von Rauschgift und Alkohol gestanden, sodaß mit größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, daß bereits damals seine Fähigkeit, das Unerlaubte seiner Handlungen einzusehen, in erheblichem Maße vermindert war.

Das Gutachten, das dem Beschluß des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 26. August 1950, 22 L 27/49-6, zugrundelag, womit der Angeklagte wegen Geisteskrankheit voll entmündigt wurde, liegt zwar nicht vor, da vom Bezirksgericht für ZRS Graz lediglich die Pflegschaftsakten 22 P 175/50, nicht aber die Entmündigungsakten beigeschafft wurden. Dem Beschluß über die Entmündigung ist jedoch zu entnehmen, daß der Angeklagte laut dieses Gutachtens von Anfang an eine psychopathisch abwegige Persönlichkeit war und daß sich auf dem Boden dieser psychopathischen Anlage auf Grund der vorliegenden Strafsache eine reaktive Geistesstörung entwickelte, die schließlich in einen Dauereffekt überging. Wenn auch, wie das Gutachten meint, manches Vorbringen namentlich über die Erinnerungslosigkeit den Verdacht erwecken könnte, daß sich der Untersuchte in die Krankheit flüchte, um sich aus einer unangenehmen Situation zu befreien, ergebe das gesamte Bild doch die Diagnose, daß Manfred W***** sich in einem psychischen Zustand befinde, wonach er nicht mehr als geistesgesund beurteilt werden könne und zur Besorgung seiner Angelegenheiten nicht mehr befähigt sei.

Aus der Zeit nach der Entlassung aus der Landes-Heil- und Pflegeanstalt "Am Feldhof" erliegt in den erwähnten Pflegschaftsakten (S 39) das im Verfahren wegen der Aufhebung der Entmündigung erstattete Gutachten des Sachverständigen Obersanitätsrates Dr. O***** vom 22. August 1951 mit einem Nachtrag vom 9. November 1951, das ausgehend von der Krankengeschichte und einer ambulatorischen Untersuchung den Angeklagten als einen Psychopathen bezeichnet, bei dem überdies ein in die Krankheitsgruppe der Schizophrenie gehöriger, also schizoider psychischer Prozeß auftrat. Der Befund sprach aus, daß die Perceptions- und Aperceptionsfähigkeit erhalten, die Stimmungslage geordnet, ruhig, heiter sei und Sinnestäuschungen wie auch Wahnbildungen fehlen. Auch die Merk- und Gedächtnisfähigkeit sei erhalten, ebenso die Begriffsbildung, Kombinationsfähigkeit und Urteilsbildung. Das Gutachten kam daher zu dem Schluß, daß zu diesem Zeitpunkt eine Geisteskrankheit nicht bestand, da keine Anzeichen eines Schubes vorhanden waren.

Zu den Akten 9 Vr 1556/51 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz wurde weiters vom Sachverständigen Dr. Otto S***** am 10. September 1951 ein in den vorliegenden Akten unter ON 46 in Abschrift beigeschlossenes Gutachten erstattet, das unter ausführlicher Begründung von einer Flucht in die vorgetäuschte Krankheit spricht, aus der sich schließlich das Bild einer Haftneurose entwickelte. Zusammenfassend wird Manfred W***** als eine neurasthenische, mäßig willensschwache Persönlichkeit bezeichnet; es haben aber weder zur Tatzeit Störungen der geistigen Funktionen die einer Geistesschwäche, Geistesstörung oder Sinnenverrückung gleichzusetzen wären, bestanden, noch lägen solche Störungen im Zeitpunkt der Untersuchung vor. Manfred W***** sei voll zurechnungsfähig, verantwortlich und verhandlungsfähig.

Schließlich erstattete der Sachverständige Prim.Dr. Anton O***** in der Hauptverhandlung vom 13. Juni 1952 (ON 77) ein Gutachten, in dem er auf die von ihm verfaßte Krankengeschichte verweist, den Angeklagten für den Zeitpunkt der Tat als zurechnungsfähig bezeichnet, ihm aber zubilligt, daß seine Zurechnungsfähigkeit durch die Einwirkung von Alkohol und Rauschgiften beeinträchtigt war, was als Strafmilderungsgrund zu werten wäre. Zugleich sprach der Sachverständige aus, daß der Angeklagte geheilt entlassen wurde und im gegenwärtigen Zeitpunkt völlig gesund sei. Das Leugnen des Angeklagten, gemeint die in der Hauptverhandlung behaupteten Erinnerungslücken seien, wie der Sachverständige ausführt, nicht auf ein krankhaftes Erscheinungsbild zurückzuführen, sondern zweckbedingt.

Überblickt man die über den Angeklagten erstatteten Gutachten, dann ergibt sich, daß den Gutachten, auf die sich das Urteil stützte, nämlich dem Gutachten des Sachverständigen Prim.Dr. Ernst A***** und dem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten des Prim.Dr. Anton O*****, soweit die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit in Frage steht, keines der anderen Gutachten entgegensteht. Denn die Gutachten, die ihnen widersprechen sollen, also namentlich die Beurteilung des Angeklagten durch den Gerichtsarzt Dr. Walther K*****, der die Einweisung des Angeklagten in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt "Am Feldhof" veranlaßte, beziehen sich nicht oder zumindest nicht in den Teilen, die der Angeklagte in den Vordergrund gerückt wissen will, auf die gegenständliche Tatzeit, sondern auf jenes Krankheitsbild, das erst nachträglich als Reaktion auf die Einleitung des Strafverfahrens, die Anklageerhebung und vor allem die Untersuchungshaft ausgelöst wurde, später aber wieder zurückging. Da nicht diesem späteren Krankheitsbild, sondern nur dem Zustand zur Tatzeit entscheidende Bedeutung zukommt, kann ein Begründungsmangel im Sinne des § 281 Z 5 StPO darin nicht gefunden werden, daß sich das Urteil mit den weiteren vorliegenden Gutachten, namentlich dem des Gerichtsarztes Dr. K*****, nicht besonders befaßte und nicht begründete, warum es ihnen nicht gefolgt ist. Ebensowenig kann von einem Widerspruch zwischen den Entscheidungsgründen und jenen angeblich widersprechenden Gutachten die Rede sein. Aus dem gleichen Grunde geht auch der Vorwurf fehl, das Urteil sei unzureichend begründet, weil die vorliegenden, angeblich widersprechenden Gutachten die Annahme der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht gerechtfertigt hätten. Zur Einholung eines Fakultätsgutachtens bestand bei der gegebenen Sachlage kein Grund; der Beschwerdeführer kann sich übrigens durch die Unterlassung der Einholung eines solchen Gutachtens umsoweniger beschwert erachten, als er vor dem erkennenden Gericht einen darauf abzielenden Antrag gar nicht gestellt hat.

Der Einwand, daß der Sachverständige Prim.Dr. O***** in der Hauptverhandlung nur eine geringe Beobachtungsmöglichkeit gehabt hätte und daher über den geistigen Zustand des Angeklagten im Jahre 1948 Schlüsse zur Widerlegung der angeblich entgegenstehenden Gutachten gar nicht hätte ziehen können, geht fehl. Denn er greift die Beweiskraft dieses Gutachtens an und bekämpft somit in Wahrheit nach Art einer Schuldberufung die erstgerichtliche Beweiswürdigung, wofür im Nichtigkeitsverfahren jedoch kein Raum ist. Er ist auch sachlich nicht begründet, da dieser Sachverständige den Angeklagten in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt "Am Feldhof" aufnahm und dort als behandelnder Arzt durch längere Zeit beobachtete und daher zumindest nach den Urteilsgründen nicht nur als Sachverständiger, sondern sogar auch als Zeuge vernommen wurde.

Auch der Einwand, daß sich der Angeklagte bei seiner Tätigkeit als Kassier laufend Unregelmäßigkeiten, insbesonders nach der Aussage des Zeugen Martin K***** Schlampereien zuschulden kommen ließ, und daß das Urteil danach seine Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit nicht hätte feststellen dürfen, richtet sich lediglich in unzulässiger Weise gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes.

Daß die seelische Widerstandskraft des Angeklagten zur Tatzeit durch Alkohol und Nervengifte beeinträchtigt war, hat das Urteil festgestellt und ihm als mildernd angerechnet.

Rechtliche Beurteilung

Insoweit die Nichtigkeitsbeschwerde mit der Behauptung, es sei hiedurch zur Tatzeit das Bewußtsein des Angeklagten getrübt gewesen, er hätte hiedurch seine Willensfähigkeit verloren gehabt und er hätte sich im Zustand der vollen Berauschung oder Sinnesverwirrung befunden, geltend machen wollte, daß das Erstgericht auf Grund des durchgeführten Beweisverfahrens derartige Feststellungen hätte treffen sollen, wäre ihr auch hier entgegenzuhalten, daß sie den Rahmen des Nichtigkeitsverfahrens überschreitend die Beweiswürdigung des Erstgerichtes bekämpft.

Insoweit sie aber geltend machen wollte, daß die angeführten Umstände die Schuld des Angeklagten ausgeschlossen hätten und er daher freizusprechen gewesen wäre, brächte sie den Nichtigkeitsgrund des § 281 Z 9 b StPO nicht zur gesetzmäßigen Darstellung, da sie entgegen der gesetzlichen Vorschriften nicht von der Feststellung des Erstgerichtes ausginge, wonach im Zeitpunkt der Tat keine solchen tatsächlichen Umstände vorlagen, die die Annahme eines Schuldausschließungsgrundes hätten rechtfertigen können. Das gleiche gilt auch von der Behauptung, daß der Angeklagte unter einem unwiderstehlichen inneren Zwang gestanden wäre. Inwiefern ein solcher Zwang zu wiederholten Veruntreuungen bestanden haben sollte, ist übrigens nicht recht verständlich.

Im Sinne der vorstehenden Ausführungen kann dem Erstgericht somit bei der Annahme, daß der Angeklagte im Zeitpunkt der von ihm begangenen Veruntreuung zurechnungsfähig war, weder ein Begründungsmangel im Sinne des § 281 Z 5 StPO noch ein Rechtsirrtum im Sinne des § 281 Z 9 b StPO zum Vorwurf gemacht werden.

Es erweist sich aber auch der Einwand, daß die volle Entmündigung des Angeklagten im Zeitpunkt der Urteilsfällung mangels einer ordnungsgemäßen Zustellung des die Aufhebung verfügenden Beschlusses noch wirksam gewesen wäre, dem Angeklagten demnach die Stellung eines Kindes unter sieben Jahren zugekommen wäre und er daher nicht bestraft werden durfte, als unbegründet.

Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde mit diesem Einwand im Sinne des § 281 Z 9 b StPO die Rechtsansicht vertreten wollte, daß die volle Entmündigung eines Täters der Annahme des zu jedem Verbrechen erforderlichen bösen Vorsatzes entgegenstehe und aus diesem Grunde ein Schuldspruch des Angeklagten nicht erfolgen dürfte, ist sie völlig verfehlt.

Denn der Angeklagte wurde erst im August 1950, also etwa zwei Jahre nach seiner Tat, entmündigt. Die zu dieser Zeit ausgesprochene Entmündigung könnte somit, selbst wenn die von der Nichtigkeitsbeschwerde vertretene Rechtsansicht zuträfe, die Zurechnung der im Sommer 1948 begangenen Tat nicht hindern. Insoweit sie aber zum Ausdruck bringen wollte, daß der Angeklagte infolge seiner Entmündigung die Prozeßfähigkeit verloren habe und aus diesem Grunde nicht verurteilt werden durfte, ist sie ebenfalls unbegründet. Es ist zwar richtig, daß es im Falle einer geistigen Erkrankung des Angeklagten im Zeitpunkt der Hauptverhandlung an einer allgemeinen Prozeßvoraussetzung fehlt, da gegen eine Person, die sich infolge einer Erkrankung nicht zu verteidigen in der Lage und demnach nicht verhandlungsfähig ist, eine Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden darf. Allein die Tatsache einer wegen Geisteskrankheit ausgesprochenen Entmündigung des Täters bedeutet noch nicht, daß dieser sich auch im Zeitpunkt der Verhandlung im Zustand eines verhandlungsunfähigen Geisteskranken befinden muß. Auf die Bestimmungen der Entmündigungsordnung kann sich der Beschwerdeführer hier nicht berufen. Denn durch eine gemäß § 1 Entmündigungsordnung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche ausgesprochene volle oder beschränkte Entmündigung oder durch eine gemäß § 2 Entmündigungsordnung wegen Verschwendung oder des gewohnheitsmäßigen Mißbrauches von Alkohol oder Nervengiften ausgesprochene beschränkte Entmündigung wird gemäß §§ 3 und 4 dieses Gesetzes ausdrücklich nur die zivilrechtliche Handlungsfähigkeit beschränkt und in diesem Belange ein voll Entmündigter einem Kinde vor dem vollendeten siebenten Lebensjahr und ein beschränkt Entmündigter einem mündigen Minderjährigen gleichgestellt. Daß das Gesetz an die Entmündigung nur zivilrechtliche Wirkungen knüpfen wollte, wird durch die besonderen Anordnungen der §§ 5 bis 7 Entmündigungsordnung und durch die in den §§ 8 bis 11 dieses Gesetzes enthaltenen Bestimmungen über die vorläufige Obsorge nur noch unterstrichen. Hingegen läßt sich weder aus den Vorschriften der Entmündigungsordnung noch aus den Bestimmungen der Strafprozeßordnung ableiten, daß schon die Tatsache der Entmündigung auch die strafrechtliche Verhandlungsunfähigkeit nach sich ziehen muß. Vielmehr kann ohne Verstoß gegen das Gesetz gegen jede physische Person, deren Deliktsunfähigkeit nicht von vornherein mit Gewißheit feststeht, ein Strafverfahren durchgeführt werden und es ist Sache des Urteils, zu allfälligen Zweifeln über die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten Stellung zu nehmen (Lohsing-Serini, S 181). Die Tatsache einer Entmündigung an sich schließt somit für das Strafverfahren die passive Prozeßfähigkeit des Entmündigten nicht aus, sie steht daher der Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Entmündigten nicht entgegen. Insoweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten deshalb ausschließen will, weil ihm angeblich im Zeitpunkt der Hauptverhandlung der Beschluß des Bezirksgerichtes für ZRS Graz, womit die ausgesprochene Entmündigung aufgehoben wurde, noch nicht zugestellt worden war, verwechselt er daher die allein maßgebende Tatsache, ob in dem genannten Zeitpunkt eine Geisteskrankheit des Angeklagten tatsächlich noch bestanden hat, mit der Frage, welche zivilrechtlichen Folgen sich aus dem Unterbleiben der nach § 67 Entmündigungsordnung vorzunehmenden Verständigung von der Aufhebung der Entmündigung knüpfen. Gewiß wird das Gericht daher im Falle einer wegen Geisteskrankheit ausgesprochenen Entmündigung des Angeklagten zu prüfen haben, ob der Verdacht einer zur Zeit der Hauptverhandlung noch fortbestehenden Geistesstörung gegeben ist. Das Erstgericht hat sich aber mit dieser Frage, demnach mit der Frage der Prozeßfähigkeit, ohnehin befaßt und hat - allerdings ebenfalls unter der irrigen Annahme, daß es auf die ordnungsmäßige, von ihm als erwiesen angenommene Zustellung des Beschlusses ankomme - festgestellt, daß die Ausfertigung der am 26. Februar 1952 ausgesprochenen Aufhebung der Entmündigung dem Angeklagten noch vor der Hauptverhandlung zur Kenntnis gekommen ist. Daraus und aus der weiteren Feststellung, daß der Angeklagte selbst mit der Aufhebung der Entmündigung einverstanden war, ergibt sich die Überzeugung des Erstgerichtes, daß beim Angeklagten zur Zeit der Hauptverhandlung tatsächlich keine Geisteskrankheit oder Geistesstörung bestanden hat. Zu diesem Ergebnis konnte das Erstgericht umso eher gelangen, als der Sachverständige Dr. Anton O*****, auf dessen Gutachten es sich beruft, in der Hauptverhandlung ausdrücklich ausgesprochen hat, daß der Angeklagte aus der Landes-Heil- und Pflegeanstalt "Am Feldhof" geheilt entlassen wurde und nunmehr voll gesund sei; er hat auch ausdrücklich erklärt, daß die vom Angeklagten in der Hauptverhandlung behaupteten Erinnerungslücken nur zweckbedingt, also vorgetäuscht seien. Sein Gutachten wird, soweit die Heilung des Angeklagten in Frage steht, durch das Gutachten des Sachverständigen Dr. O*****, das dem Beschluß über die Aufhebung der Entmündigung zur Grundlage diente, vollauf bestätigt, ebenso durch das ungefähr aus der gleichen Zeit stammende Gutachten des Sachverständigen Dr. S*****. Das Erstgericht hatte somit ungeachtet des gegenteiligen Vorbringens des Angeklagten über seinen Geisteszustand im Zeitpunkt der Hauptverhandlung keinen Grund, an seiner Verhandlungsfähigkeit zu zweifeln. Im übrigen hat weder der Angeklagte noch sein Verteidiger gegen die Durchführung der Hauptverhandlung wegen des Zustandes des Angeklagten oder der noch wirksamen Entmündigung einen ausdrücklichen Widerspruch erhoben. Es wurde daher auch der wegen seiner Selbstverständlichkeit in der Strafprozeßordnung nicht ausdrücklich hervorgehobene Grundsatz, daß gegen einen Angeklagten, insolange er an einer geistigen Erkrankung leidet, weder verhandelt noch ein Urteil gefällt werden kann, nicht verletzt (Slg 3814).

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Da die vom Erstgericht gemäß § 182 StG zweiter Strafsatz, über den Angeklagten verhängte Strafe des schweren Kerkers in der Dauer von 18 Monaten die Hälfte des gesetzlichen Mindestmaßes nicht übersteigt, war die Berufung gemäß § 283 Abs 1 StPO als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Anmerkung

E73447 5Os965.52

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1953:0050OS00965.52.0213.000

Dokumentnummer

JJT_19530213_OGH0002_0050OS00965_5200000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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