TE OGH 1959/11/10 4Ob124/59

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Veröffentlicht am 10.11.1959
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Norm

Angestelltengesetz §22

Kopf

SZ 32/145

Spruch

§ 22 AngG. ist auch bei einvernehmlicher Auflösung des Dienstverhältnisses anzuwenden.

Entscheidung vom 10. November 1959, 4 Ob 124/59.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Klägerin ist am 23. März 1953 als Ordinationsgehilfin in die Dienste der beklagten Gebietskrankenkasse getreten. Mit dem an die zahnärztlichen Ordinationsgehilfinnen der Kasse gerichteten Rundschreiben vom 27. Februar 1959 gab die beklagte Partei bekannt, daß im Zuge der Reorganisationsmaßnahmen im Bereich der Zahnambulatorien der Kasse eine Verminderung der Zahl der zahnärztlichen Ordinationsgehilfinnen unvermeidlich sei, so daß Kündigungen zu erwarten seien. Sie erklärte sich bereit, jenen Ordinationsgehilfinnen, die sich freiwillig zum Austritt aus dem Dienst der Kasse meldeten, folgende Begünstigungen zu gewähren: 1. Einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses mit 30. Juni 1959, 2. Erhöhung der Abfertigung über das gesetzliche Ausmaß um einen weiteren Monatsbezug. Daraufhin erteilte die Klägerin mit Schreiben vom 27. Februar 1959 ihre Zustimmung zur einverständlichen Auflösung ihres Dienstverhältnisses zum 30. Juni 1959, worauf die beklagte Partei sie mit Schreiben vom 31. März 1959 verständigte, daß das Dienstverhältnis einvernehmlich zum 30. Juni 1959 aufgelöst und die der Klägerin zustehende Abfertigung um einen Monatsbezug erhöht werde.

Nach dem Klagevorbringen hat es die Beklagte trotz Verlangens der Klägerin abgelehnt, ihr im Sinn der Bestimmung des § 22 AngG. Freizeit zur Stellensuche zu gewähren. Die Klägerin begehrt daher gegenüber der Beklagten die Feststellung, daß ihr bis zur Beendigung ihres Dienstverhältnisses am 30. Juni 1959 auf ihr Verlangen wöchentlich mindestens acht Arbeitsstunden zum Aufsuchen eines neuen Dienstpostens ohne Schmälerung des Entgeltes freizugeben seien.

Die beklagte Partei bestritt den erhobenen Anspruch, weil eine einverständliche Lösung des Dienstverhältnisses erfolgt sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im wesentlichen mit der Begründung ab, daß Voraussetzung für den Anspruch auf Freizeit im Sinne des § 22 AngG. das Vorhandensein einer tatsächlichen Kündigungsfrist sei. Das Fehlen einer Kündigungsfrist bei einer einverständlichen Lösung des Dienstverhältnisses hindere auch eine Feststellung, für welchen Zeitraum das Recht auf Freizeit einzuräumen wäre.

Das Berufungsgericht erkannte im Sinn des Klagebegehrens und führte hiezu in den Gründen seiner Entscheidung aus:

Die Schutzbestimmung des § 22 AngG. bezwecke, dem Dienstnehmer, dessen Beendigung des Dienstverhältnisses bevorstehe, die Möglichkeit zu geben, sich um eine andere Existenzgrundlage umzusehen, um nicht längere Zeit der Stellenlosigkeit preisgegeben zu sein. In Berücksichtigung dieses sozialen Zweckes finde § 22 AngG. stets die Auslegung, daß das Recht auf Freizeit zur Postensuche dem Angestellten auch dann zustehe, wenn er selbst gekundigt hat, also auch dann, wenn er selbst den Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses voraussehen, ja sogar bestimmen konnte und nicht etwa durch die Kündigung des Dienstgebers überrascht wurde. Auf dieses Recht könne vom Angestellten nicht von vorneherein verzichtet werden (§ 40 AngG.). Es treffe zwar zu, daß § 22 AngG. mit den Worten "während der Kündigungsfrist" beginne. Daraus könne aber mit Rücksicht auf den offenbaren sozialen Zweck dieser Bestimmung nicht zwingend geschlossen werden, daß der Dienstnehmer, der mit seinem Dienstgeber übereinkomme, das Dienstverhältnis zu einem bestimmten künftigen Zeitpunkt zu lösen, von diesem Recht ausgeschlossen werden solle. In der Literatur werde einmütig die Ansicht vertreten, daß auch bei einem auf bestimmte Zeit eingegangenen Dienstverhältnis dieses Recht dem Dienstnehmer mit Rücksicht auf den sozialen Zweck der Gesetzesbestimmung nicht verwehrt werden könne. Berücksichtige man nun, daß eine Vereinbarung der einverständlichen Lösung des Dienstverhältnisses für einen bestimmten künftigen Zeitpunkt nichts anderes bedeute als eine Umwandlung eines unbefristeten Dienstverhältnisses in ein befristetes, so bestunden keine Bedenken, das Recht auf Freizeit für Postensuche auch jenem Dienstnehmer zuzugestehen, der sich auf Aufforderung des Dienstgebers mit einer einverständlichen Lösung des Dienstverhältnisses abfinde. Das Fehlen eines Kündigungsausspruches und damit auch einer Kündigungszeit sei kein unüberwindliches Hindernis für diese Auslegung. Daß bei vorzeitiger Kündigung nicht während der Gesamtdauer der Kündigungszeit dieses Recht zu gewähren sei, sondern nur während der gesetzlichen Kündigungszeit, sei schon in der Entscheidung des Gewerbegerichtes Wien am 2. Dezember 1927 (Willms L 133) ausgesprochen worden. Für welche Zeit tatsächlich die Freizeit zu gewähren sei, lasse sich gerade im vorliegenden Fall ins klare setzen: die Lösung sei auf Anregung des Dienstgebers erfolgt; sie sei dergestalt vereinbart worden, daß von der Vereinbarung bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses genau jener Zeitraum liege, der der Dienstnehmerin als Kündigungsfrist zugestanden wäre, wenn sie der Dienstgeber gekundigt hätte. Es sei also durch die Anregung der Dienstgeberin der gleiche Erfolg erreicht worden, als ob diese selbst unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist gekundigt hätte, so daß sich auch die Freizeitgewährung nach dieser gesetzlichen Kündigungsfrist zu richten habe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In ihren Ausführungen wendet sich die Revision gegen die nach ihrer Meinung vom Berufungsgericht vorgenommene extensive Interpretation des § 22 AngG., für die im Hinblick auf die den §§ 20 bis 22 AngG. vorangestellte Überschrift "Kündigung" kein Raum sei. Denn hieraus ergebe sich eindeutig die klare Absicht des Gesetzgebers, daß nur für den Fall der "Kündigung" Freizeit zur Stellensuche zu geben sei. Im übrigen sei der Entschluß zur Auflösung des Dienstverhältnisses von der Klägerin ausgegangen, die daher höchstens während der einmonatigen Kündigungsfrist des § 19 Abs. 4 AngG. Anspruch auf Freizeit zur Stellensuche beanspruchen könne.

Den Ausführungen der Revision vermag sich das Revisionsgericht nicht anzuschließen. Es kann dahingestellt bleiben, ob § 22 AngG., wenn auch nicht nach seinem Wortlaut, so doch nach seiner Zweckbestimmung auch für zeitlich befristete Dienstverhältnisse gilt, eine Frage, die im Schrifttum übrigens einhellig bejaht wird (vgl. insbesondere Lenhoff, Das Angestelltengesetz, S. 78 Anm. 2 zu § 22.; Mayer - Grünberg, Kommentar zum Handlungsgehilfengesetz, S. 262; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Aufl. I S. 697 f. und die unter Anm. 16 angeführte weitere Literatur). Denn im vorliegenden Fall haben die Parteien an Stelle einer Auflösung des Dienstverhältnisses durch Kündigung den Weg der einverständlichen Auflösung des Dienstverhältnisses gewählt. Dabei ist entgegen der Meinung der Revision die Initiative zur Auflösung des Dienstverhältnisses nicht von der Klägerin, sondern von der Beklagten ausgegangen. Diese war infolge der Reorganisationsmaßnahmen genötigt, die Zahl der zahnärztlichen Ordinationsgehilfinnen zu vermindern. Sie hat darum an alle in den Zahnambulatorien beschäftigten Ordinationsgehilfinnen, also auch an die Klägerin, die Aufforderung gerichtet, von der unter einem gebotenen Möglichkeit eines begünstigten Ausscheidens aus dem Dienst durch einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses Gebrauch zu machen. Wenn die Klägerin - letztlich gewiß auf Grund eines freien Willensentschlusses, aber doch unter dem Eindruck einer ihr drohenden Kündigung - dieses Anbot angenommen hat, so ist sie damit nur den Absichten der Beklagten entgegengekommen, die einer einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses an Stelle einer Kündigung den Vorzug geben wollte. Wäre es von vorneherein nicht in der Absicht der Beklagten gelegen gewesen, gerade das Dienstverhältnis der Klägerin zur Auflösung zu bringen, dann hätte sie darauf die Klägerin aufmerksam machen müssen. Das ist Gegenteil, die Beklagte hat dem auf das Rundschreiben vom 27. Februar 1959 gegrundeten Ansuchen der Klägerin um einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses widerspruchslos entsprochen.

Hat nun aber die Beklagte anstatt einer Kündigung des Dienstverhältnisses den Weg einer einvernehmlichen Auflösung gewählt, dann ist sie im Gründe der Bestimmung des § 22 AngG. verpflichtet, den Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Freizeit zur Stellensuche genau so zu erfüllen, als ob das Dienstverhältnis durch Kündigung zur Auflösung gebracht worden wäre.

Anmerkung

Z32145

Schlagworte

Angestellter Freizeitgewährung nach § 22 AngG., Auflösung einvernehmliche - des Dienstverhältnisses, Anwendbarkeit des, § 22 AngG., Einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses, Anwendbarkeit des, § 22 AngG., Freizeit zur Stellungssuche nach § 22 AngG., Stellungssuche, Gewährung von Freizeit nach § 22 AngG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1959:0040OB00124.59.1110.000

Dokumentnummer

JJT_19591110_OGH0002_0040OB00124_5900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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