Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 12.September 1979
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Racek in Gegenwart des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich und der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Bernardini, Dr. Walenta und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Plischnack als Schriftführer in der Strafsache gegen Liselotte A und einen anderen Beschuldigten wegen der Verbrechen des Diebstahls nach §§ 127 f. (12) StGB und der Hehlerei nach § 164 Abs 1 Z 1, Abs 3 StGB
über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen das Verfahren anläßlich der Haftprüfungsverhandlung des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 31.Mai 1979, GZ 18 Vr 624/79-59, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Knob, und der Ausführungen des Verteidigers Dr. Zitta zu Recht erkannt:
Spruch
In der obbezeichneten Strafsache 18 Vr 624/79 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz verletzt das Verfahren anläßlich der Haftprüfungsverhandlung am 31.Mai 1979, insoweit der Vorsitzende die vom Verteidiger der Liselotte A begehrten Vorlesungen (aus den Akten) generell (und ohne konkrete Begründung) nicht zuließ, die Fassung eines bezüglichen Beschlusses der Ratskammer verweigerte und den Antrag, dies zu protokollieren, ablehnte, das Gesetz in der Bestimmung des § 195 StPO in Verbindung mit den Vorschriften der §§ 101, 238 und 271
StPO
Text
Gründe:
I./ Aus den Akten 18 Vr 624/79 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz ergibt sich folgender Sachverhalt:
Über die am 5.August 1937 geborene Geschäftsfrau Liselotte A, gegen die nach ihrer Festnahme am 17.Mai 1979, 14 Uhr, wegen des Verdachtes der Verbrechen des Diebstahls nach §§ 127 Abs 1 und Abs 2 Z 1, 128
Abs 2 StGB in Verbindung mit § 12 StGB und der Hehlerei nach § 164 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB die Voruntersuchung eingeleitet worden war, wurde mit dem Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 23.Mai 1979, GZ 18 Vr 624/79-41, aus den Haftgründen der Z 1 und 2
des § 180 Abs 2 StPO die Untersuchungshaft verhängt. Die dagegen erhobene Beschwerde der Genannten war Gegenstand einer am 31.Mai 1979 vor dem Landesgericht für Strafsachen Graz durchgeführten Haftprüfungsverhandlung. Im Verlauf derselben beantragte der Verteidiger der Liselotte A eine Darlegung des Vr-Akts, und zwar der Seiten 199 ff., was der Vorsitzende jedoch ebenso ablehnte wie das in weiterer Folge erhobene Begehren auf Fassung eines entsprechenden Senatsbeschlusses und auf Protokollierung 'solcher Feststellungen'. Diese Vorgangsweise nahm der Verteidiger zum Anlaß, den Vorsitzenden wegen Befangenheit abzulehnen (vgl. S. 438, 439), worauf die Haftprüfungsverhandlung zunächst unterbrochen wurde. Nachdem dem Ablehnungsantrag keine Folge gegeben worden war, faßte die Ratskammer in einer weiteren Haftprüfungsverhandlung am 12. Juni 1979 schließlich den Beschluß auf Fortsetzung der (über Liselotte A verhängten) Untersuchungshaft nach § 180 Abs 2 Z 1 und 2 StPO (vgl. S. 479). Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Rechtliche Beurteilung
II./ Das Verfahren anläßlich der Haftprüfungsverhandlung am 31.Mai 1979 steht, insoweit der Vorsitzende die vom Verteidiger der Liselotte A begehrte Darlegung der Akten generell (und ohne konkrete Begründung) nicht zuließ, die Fassung eines bezüglichen Beschlusses der Ratskammer verweigerte und den Antrag, 'solche Feststellungen' zu protokollieren, ablehnte, mit dem Gesetz nicht im Einklang. Zur Frage, in welcher Form die im Gesetz vorgesehene Haftprüfungsverhandlung abzuführen ist, enthält der § 195 StPO lediglich einige ausdrückliche (Rahmen-) Bestimmungen. Darnach ist die der Ratskammer obliegende Verhandlung - zu der der Staatsanwalt und der Verteidiger zu laden sind, von der der Beschuldigte verständigt und zu der er vorgeführt werden muß und an der auch der Untersuchungsrichter teilzunehmen hat (§ 195 Abs 1 - 3 StPO) - nichtöffentlich. Sie hat sich auf die Haftfrage zu beschränken und darf die Erreichung des Untersuchungszweckes nicht gefährden (§ 195 Abs 4 StPO). In ihrem Ablauf trägt zuerst der Untersuchungsrichter eine Darstellung des bisherigen Ganges der Untersuchung vor. Hierauf erhält der Staatsanwalt das Wort und dann der Beschuldigte oder sein Verteidiger zur Erwiderung. Dem Beschuldigten oder seinem Verteidiger gebührt das Recht der letzten Äußerung (§ 195 Abs 5 StPO). Schließlich hat über die Fortdauer der Untersuchungshaft die Ratskammer - nach geheimer Beratung - durch vom Vorsitzenden mündlich zu verkündenden Beschluß zu entscheiden, gegen den dem Staatsanwalt und dem Beschuldigten die Beschwerde an den Gerichtshof zweiter Instanz offensteht (§ 195 Abs 5 und 6 StPO).
Daß über die Haftprüfungsverhandlung ein Protokoll aufgenommen werden muß, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt, kann jedoch (insbesondere auch bei Berücksichtigung des § 101 StPO) nicht zweifelhaft sein (vgl. auch das amtliche StPOForm. Prot. 6 - Protokoll über die Haftprüfungsverhandlung). Demgemäß wurde auch im vorliegenden Fall ein Protokoll geführt.
Die Verhandlungsleitung behandelnde Bestimmungen sind dem § 195 StPO gleichfalls nicht zu entnehmen. In dieser Beziehung wird daher eine analoge (sinngemäße) Anwendung der entsprechenden, an sich die Hauptverhandlung betreffenden Vorschriften (§§ 232 ff. StPO) Platz zu greifen haben und davon auszugehen sein, daß die Verhandlung vom Vorsitzenden zu leiten ist. Dies entspricht übrigens auch schon begrifflich dem Wesen und der Stellung eines Vorsitzenden eines in Gegenwart der Parteien (in einem kontradiktorischen Verfahren) verhandelnden richterlichen Kollegiums. Dem Vorsitzenden der Ratskammer steht demnach auch die Befugnis zu, das Verfahren zu straffen, es insbesondere (im Sinne des § 195 Abs 4 StPO) auf die Haftfrage zu beschränken und Verzögerungen zu vermeiden. Sollten im Zuge der Verhandlung über einzelne Punkte des Haftprüfungsverfahrens (ZB. die Frage einer Ergänzung des Berichtes des Untersuchungsrichters) von den Parteien entgegengesetzte Anträge gestellt werden oder sollte er dem unbestrittenen Antrag einer Partei nicht stattzugeben finden, wird er allerdings (in sinngemäßer Anwendung des § 238 StPO) die - nicht abgesondert bekämpfbare, im Protokoll ersichtlich zu machende (vgl. auch § 271 StPO) - Zwischenentscheidung der Ratskammer einzuholen haben. Daß es den Parteien unbeschadet der im § 195 Abs 4
StPO normierten Beschränkungen an sich auch im Haftprüfungsverfahren möglich sein muß, (Zwischen-) Anträge zu stellen und insbesondere Darlegungen (Vorlesungen) aus den Akten zu begehren, ergibt sich schon daraus, daß von einer 'Verhandlung' nur gesprochen werden kann, wenn es grundsätzlich zulässig ist, die Entscheidungsgrundlagen - im Haftprüfungsverfahren (das eine Beweisaufnahme während der Verhandlung nicht kennt, sondern im § 195 Abs 1
StPO nur die Möglichkeit vorsieht, dem Untersuchungsrichter vor der Verhandlung rasch durchführbare, ergänzende Erhebungen aufzutragen) die Akten - abzuklären und zu erörtern. Wenn daher auch die Verhandlung auf die Haftfrage zu beschränken und so zu führen ist, daß der einer allfälligen Anklageerhebung nachfolgenden Hauptverhandlung sowie dem Urteil nicht vorgegriffen und der Zweck der Untersuchung nicht gefährdet wird, so ist doch die Frage, ob diese Voraussetzungen gewährleistet sind, nach Lage des jeweiligen Einzelfalles zu beantworten, zumal zu den Voraussetzungen der Haft und des Fortbestehens einer bereits verhängten Haft auch der dringende Tatverdacht gehört und sich die Haftprüfungsverhandlung deshalb mitunter auch damit beschäftigen muß, ob ein dringender Tatverdacht von Anfang an vorlag oder noch besteht. Schließlich ergibt sich die Notwendigkeit, allfällige Anträge der Parteien, die der Vorsitzende für unzulässig erachtet, zu protokollieren und mit Zwischenerkenntnis zu erledigen, auch daraus, daß die getroffene Endentscheidung (über die Fortdauer der Untersuchungshaft) der Anfechtung mit Beschwerde unterliegt, eine sachgerechte Beschwerdeentscheidung aber nur möglich ist, wenn das Beschwerdegericht dem Protokoll über die Haftprüfungsverhandlung alle wesentlichen Vorgänge entnehmen kann, die sich bei der Verhandlung ereignet haben.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß der Vorsitzende entweder die vom Verteidiger der Liselotte A in der Haftprüfungsverhandlung am 31.Mai 1979
begehrten Darlegungen zulassen oder eine bezügliche Zwischenentscheidung der Ratskammer herbeiführen und für die Protokollierung dieser Vorgänge sorgen mußte. Die gewählte (andere) Verfahrensweise verletzte das Gesetz in der Bestimmung des § 195 StPO in Verbindung mit den Vorschriften der §§ 238 und 271 StPO Da die (unterbrochene) Haftprüfungsverhandlung am 12.Juni 1979 ohnedies neu durchgeführt wurde, kann es allerdings mit der Feststellung dieser Gesetzesverletzung sein Bewenden haben, ohne daß es einer konkreten Maßnahme im Sinne des § 292
StPO bedürfte.
Der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs 2
StPO erhobenen Beschwerde war daher stattzugeben und gemäß § 292 StPO wie eingangs zu erkennen.
Anmerkung
E02185European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1979:0100OS00114.79.0912.000Dokumentnummer
JJT_19790912_OGH0002_0100OS00114_7900000_000