Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Hofmann, Dr. Riedler und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 21.November 1978 geborenen Petra und der am 4.Februar 1982 geborenen Birgit A, infolge Revisionsrekurses der Mutter Renate A, Haushalt, Wien 18., Naafgasse 16/4, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 5.Dezember 1984, GZ 43 R 1463/84-20, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 2.November 1984, GZ 3 P 196/83-15, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung:
Die Ehe der Eltern wurde am 27.10.1983 geschieden. Mit Vergleich von diesem Tag wurde dem Vater ein Besuchsrecht dahin eingeräumt, daß er berechtigt ist, die beiden Kinder an jedem ersten und dritten Samstag im Monat um 9.00 Uhr von der Wohnung der Mutter abzuholen, und verpflichtet ist, sie jeweils am darauffolgenden Sonntag um 18.00 Uhr dorthin zurückzubringen.
Die Mutter beantragte die Entziehung des Besuchsrechts. Das Erstgericht schränkte das Besuchsrecht des Vaters seinen beiden Kindern gegenüber auf jeden ersten Sonntag im Monat von 8.00 bis 18.00 Uhr und - allerdings nur in Ansehung der mj. Petra - auch auf jeden dritten Sonntag im Monat für den gleichen Zeitraum ein und wies den darüber hinausgehenden Antrag der Mutter ab. Die Mutter befürchte zu Recht, die beiden Kinder könnten irritiert werden, weil der Vater die geplante katholische Erziehung durch seine Zugehörigkeit zur Evangelikalen Bewegung beeinträchtige. Dagegen habe die Mutter ihre Behauptung, der Vater habe die Kinder mißhandelt und in ihrer Gegenwart Drohungen gegen den Lebensgefährten der Mutter ausgestoßen, nicht unter Beweis stellen können.
Das Rekursgericht wies den Antrag der Mutter in Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses zur Gänze ab. Die von ihr ins Treffen geführten Gründe seien nicht erweisbar gewesen; in erster Linie dürften es Spannungen zwischen den Eltern gewesen sein, die die Mutter zu dieser Antragstellung veranlaßt haben. Solche Spannungen reichten jedoch zur Entziehung des Besuchsrechtes nicht aus. Die von der Mutter erst im Laufe des Verfahrens geäußerten Bedenken, die Betätigung des Vaters in einer Sekte werde die Kinder, die sie nun katholisch zu erziehen beabsichtige, in ihrer religiösen Erziehung irritieren, seien abstrakte Befürchtungen, die zu keiner Einschränkung des Besuchsrechtes führen könnten. Dem Akt sei kein Anhaltspunkt zu entnehmen, der auf eine Beeinträchtigung des Kindeswohls schließen lasse, wenn der Vater sein Besuchsrecht ausübe. Seit der vergleichsweisen Vereinbarung des Ausmaßes des Besuchsrechts sei keine wesentliche önderung der Umstände eingetreten.
Rechtliche Beurteilung
Der von der Mutter beim Erstgericht zu Protokoll gegebene Revisionsrekurs ist im Ergebnis berechtigt.
Zweck des Besuchsrechtes ist es, den auf der Blutsverwandtschaft beruhenden Zusammenhang zwischen dem besuchsberechtigten Elternteil und dem Kind zu gewährleisten, die sonst zu befürchtende Entfremdung zu verhindern und es diesem Elternteil zu ermöglichen, sich Kenntnis von der Erziehung und dem Gesundheitszustand des Kindes zu verschaffen (EFSlg.40.725 u.a.). Doch haben die Eigeninteressen der Eltern zurückzustehen; ausschlaggebend ist allein das Wohl der Kinder (EFSlg.40.728 u.a.). Wäre demnach mit der Ausübung des Besuchsrechtes eine erhebliche seelische Irritation der Kinder verbunden, müßte dem Vater das Besuchsrecht veweigert bzw. entzogen werden. Sind diese Irritationen allerdings allein auf Spannungen zwischen den Eltern zurückzuführen, wie sie häufig nach der Zerstörung der Ehe zu beobachten sind, ist es Pflicht und Aufgabe der Eltern, Liebe und Zuneigung der Kinder zu beiden Elternteilen in gleicher Weise zu fördern. Das mag zwar den Eltern vielfach schwer fallen, doch ist dieses Verhaltensgebot gerade nach der Vernichtung der Ehe für das richtig verstandene Kindeswohl, seine Charakterbildung und sein seelisches Gleichgewicht nach gesicherter Erkenntnis von besonderer Bedeutung (EFSlg.40.723, 40.733 u.a.). Nur dann, wenn die Irritation jenes Maß überschreitet, das als natürliche Folge der Zerreissung des Familienbandes durch die Trennung der Eltern in Kauf genommen werden muß, müßte diesem Konflikt für die Frage der Besuchsrechtsgewährung besondere Bedeutung zugemessen werden (EFSlg.40.739 u.a.).
Die Mutter beruft sich zur Darlegung eines solchen Konflikts auf das kinderärztliche Attest Dris. Ilse B (ON 19), die darin ausführt, ein 'zu häufiges Wechseln des Aufenthalts beim jeweiligen Elternteil' schade dem seelischen und körperlichen Gleichgewicht der Kinder 'noch mehr', und ferner auf den 'Bericht' der Klassenlehrerin der mj. Petra (ON 22), der in die Schlußfolgerung mündet, es sei 'zu überlegen, wieweit Petra psychisch belastbar ist, um zwei verschiedene Erziehungsteile zu verkraften'. Die beiden Atteste langten zwar erst nach der rekursgerichtlichen Beschlußfassung beim Erstgericht ein, die darin wiedergegebenen Zustandsbilder (Angstzustände, Aggressionen und Einnässen) erstrecken sich jedoch auf erhebliche Zeiträume v o r der Beschlußfassung der Vorinstanzen. Zufolge § 10 AußStrG bleibt es den Parteien unbenommen, sich auch noch im Revisionsrekurs auf solche Umstände zu berufen, die schon vor Erlassung des erstgerichtlichen Beschlusses vorhanden waren und für die richtige rechtliche Beurteilung des Sachverhalts von Bedeutung sein können (JBl.1983, 483 u.v.a.). Die in den beiden Attesten von nicht gänzlich unberufener Seite aufgezeigten Verursachungszusammenhänge bedürfen deshalb einer eingehenden Prüfung im Sinne des § 2
Abs.2 Z 5 AußStrG. Das Erstgericht wird deshalb im fortgesetzten Verfahren - vor allem durch Einholung geeigneter Gutachten - zu klären haben, ob die von der Mutter behaupteten, das Kindeswohl beeinträchtigenden Zustandsbilder bei beiden Minderjährigen - oder wenigstens bei der mj. Petra - tatsächlich vorliegen und bejahendenfalls, worauf diese zurückzuführen sind. Erst dann wird unter Bedachtnahme auf die eingangs dargelegte Rechtslage beurteilt werden können, ob das Besuchsrecht überhaupt entzogen bzw. ob und inwieweit es allenfalls eingeschränkt werden muß, um das wohlverstandene Kindesinteresse zu sichern und zu fördern. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren ferner zu prüfen haben, ob und inwieweit die Behauptungen der Mutter zutreffen, daß der Vater die Kinder - vor allem die ältere Tochter - an den Gottesdiensten seiner Religionsgemeinschaft teilnehmen läßt, sie hiedurch in der (religiösen) Erziehung beeinflußt und hierin irritiert. Der besuchsberechtigte Elternteil ist nicht befugt, in die Erziehung der Kinder, die allein dem sorgeberechtigten Elternteil zukommt (§§ 144, 146 ABGB), einzugreifen. Sollten sich die Behauptungen der Mutter bewahrheiten, könnte allein schon darin der Anlaß zur Einschränkung des Besuchsrechts auf das schon vom Erstgericht festgesetzte Ausmaß gefunden werden.
Anmerkung
E05183European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1985:0010OB00526.85.0227.000Dokumentnummer
JJT_19850227_OGH0002_0010OB00526_8500000_000