TE OGH 1986/2/20 12Os15/86

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.02.1986
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.Februar 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger sowie Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gruber als Schriftführerin in der Strafsache gegen Claus B*** ua wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Peter W*** und Gerhard W*** sowie die Berufung des Angeklagten Harald Z*** gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 23.Jänner 1985, GZ 1 a Vr 633/83-229, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

I) Den Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Peter W***

und Gerhard W*** wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt

1)

im Schuldspruch laut Punkt A 1 des Urteilssatzes hinsichtlich der Angeklagten

Peter W*** und Gerhard W*** sowie

gemäß § 290 Abs. 1 StPO auch in Ansehung

der Angeklagten Thomas H***, Rene L***,

Harald Z*** und Thomas K*** zur Gänze,

2) a)

im Schuldspruch laut Punkt B 2 des Urteilssatzes hinsichtlich der Angeklagten Peter W*** und Gerhard W*** sowie

gemäß § 290 Abs. 1 StPO auch in Ansehung

der Angeklagten Thomas H***, Rene L***,

Harald Z*** und Thomas K***,

b)

im Schuldspruch laut B 1 des Urteilssatzes gemäß § 290 Abs. 1 StPO in Ansehung der Angeklagten Andreas M*** und Günther

H***,

in der darauf beruhenden rechtlichen

Beurteilung des den Angeklagten Andreas M***,

Günther H***, Thomas H***, Rene L***,

Peter W***, Gerhard W***, Harald Z***

und Thomas K*** zufolge Punkt B 1 und 2 des Urteilssatzes weiterhin zur Last fallenden

Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB im Faktum B 1 auch als Vergehen

der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 2 Z 2 StGB sowie im Faktum B 2 auch als Vergehen der schweren Körperverletzung sowohl nach § 84 Abs. 2 Z 2 StGB als auch nach § 84 Abs. 2 Z 4 StGB, sowie

3)

hinsichtlich der Angeklagten Andreas M***,

Günther H***, Thomas H***, Rene L***,

Peter W***, Gerhard W***, Harald Z***

und Thomas K*** im Strafausspruch

einschließlich des Ausspruches gemäß § 38 StGB aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfange dieser Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

II) Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten Peter W***, Gerhard W*** und Harald Z*** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil (das auch andere Entscheidungen enthält) wurden der am 16.Juni 1968 geborene Maurerlehrling Peter W***, der am 27.März 1965 geborene Schüler Gerhard W*** und der am 3.Juli 1966 geborene Harald Z*** zu A 1 des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs. 1 StGB und zu B 2 des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 2 und Z 4 StGB, Peter W*** überdies zu J des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach haben

Peter W***, Gerhard W***, Harald Z***, Thomas H***, Rene L*** und Thomas K*** am 2.März 1983 in Wien im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten Erwachsenen Alexander M*** und zahlreichen anderen Unbekannten Kriminalinspektor Christian S*** durch das Versetzen von Faustschlägen und Fußtritten an einer Amtshandlung, nämlich der Festnahme des Alexander M*** gehindert (A 1);

Peter W***, Gerhard W***, Harald Z***, Andreas M***, Günther H***, Thomas H***, Rene L*** und Thomas K*** am

2. MÄrz 1983 in Wien im bewußten und gewollten Zumsammenwirken mit zahlreichen anderen Unbekannten in verabredeter Verbindung von mindestens drei Personen den Kriminalbezirksinspektor Christian S*** vorsätzlich am Körper verletzt und an der Gesundheit geschädigt und zwar Thomas H***, Rene L***, Peter W***, Gerhard W***, Harald Z*** und Thomas K*** in Kenntnis (B 2), hingegen Andreas M*** und Günther H*** ohne diese Kenntnis (B 1), daß es sich bei dem Mißhandelten um einen Kriminalbeamten handelte, indem sie ihm Fußtritte und Faustschläge versetzten, wodurch der Genannte eine Schwellung unter dem linken Auge, eine Platzwunde an der rechten Stirnseite, eine Schwellung unter der Nase, Schürfwunden am Hals und am Kinn, ein Haematom am linken Oberarm und eine Schwellung am rechten Ohr, verbunden mit Schmerzen erlitt; Peter W*** gemeinsam mit Thomas H*** am 29. oder 30. Jänner 1983 in Linz vorsätzlich ein Fahrzeug, das zum Antrieb mit Maschinenkraft eingerichtet ist, nämlich das Moped eines Unbekannten, unbefugt in Gebrauch genommen (J).

Gegen dieses Urteil haben Peter W*** und Gerhard W*** Nichtigkeitsbeschwerden (die jeweils auf die Gründe der Z 4, 5 und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützt werden und lediglich die Schuldsprüche in den Fakten A 1 und B 2 bekämpfen) und Berufungen erhoben. Auch der Angeklagte Harald Z*** hat gegen das Urteil Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet, diese Rechtsmittel jedoch nicht ausgeführt. Seine Nichtigkeitsbeschwerde wurde bereits mit Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 27.Dezember 1985 zurückgewiesen (ON 278).

Was den Zeitpunkt der Rechtsmittelausführung des Angeklagten W*** betrifft, so ergaben die vom Obersten Gerichtshof durchgeführten Erhebungen, daß dem Verteidiger dieses Angeklagten die Ausfertigung des Ersturteils nicht - wie am Zustellausweis festgehalten - am 21.November 1985, sondern erst am 22.November 1985 zugestellt wurde. Die am 6.Dezember 1985 der Post zur Weiterbeförderung übergebene Rechtsmittelausführung des Angeklagten W*** erfolgte daher am 14. Tage der Rechtsmittelausführungsfrist und sohin rechtzeitig.

Zu den Rechtsmitteln der Angeklagten Peter W*** und Gerhard W***:

Rechtliche Beurteilung

Schon die Verfahrensrüge (Z 4) beider Angeklagten ist begründet. In der Hauptverhandlung am 15.Jänner 1985 (S 332/IV) beantragten sie die Einvernahme der (den Sachverhalt erhebenden) Polizeibeamten W***, P***, H*** und S*** zum Beweise dafür, daß die Angeklagten durch psychischen und physischen Druck zu der im Polizeiprotokoll angeführten Aussage gezwungen wurden. Diese Beweisanträge wies das Erstgericht mit Zwischenerkenntnis mit der Begründung ab, daß es durchaus möglich sei, daß die Angeklagten geschlagen und unter Druck gesetzt wurden und sich das Gericht mit diesem Umstand bei der Beweiswürdigung werde auseinandersetzen müssen, wozu aber die Einvernahme der Polizeibeamten von keinerlei Nutzen sein könne.

In den Entscheidungsgründen des Urteils wird hiezu ausgeführt, es sei ganz gleich, ob Personen bei der Polizei nun mißhandelt werden oder nicht, es bleibe immer noch die Frage offen, ob sie - möglicherweise unter Schlägen - nicht doch oder gerade deswegen die Wahrheit gesagt haben. Auch der kleine Apfeldieb, der den Diebstahl von Obst leugnet, werde unter der drohenden Hand seines Vaters sich viel eher zur Wahrheit bequemen, als wenn ihm überhaupt keine Nachteile drohen (S 446/IV).

Durch die Abweisung dieser Beweisanträge wurden die Angeklagten W*** und W*** in ihren Verteidigungsrechten beeinträchtigt. Denn mit dem genannten Antrag wollten sie ersichtlich unter Beweis stellen, daß ihre Angaben vor der Polizei, sie hätten zum Zeitpunkt ihrer Tätlichkeiten den Zeugen S*** als Polizeibeamten erkannt, nicht der Wahrheit entsprachen; sollte das Gericht als erwiesen annehmen, daß die Beschwerdeführer durch Schläge zu wahrheitswidrigem Vorbringen genötigt wurden, stünden ihre Schuldsprüche im Faktum A 1 sowie die Unterstellung der Tat im Faktum B 2 unter die Qualifikation nach § 84 Abs. 2 Z 4 StGB mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Das Erstgericht läßt in den Entscheidungsgründen (S 446/IV) offen, ob die Beschwerdeführer von der Polizei mißhandelt wurden; es weist weiters auf die Möglichkeit hin, die Beschwerdeführer könnten gerade wegen der Schläge die Wahrheit gesagt haben. Es setzt sich damit aber nicht auseinander, ob durch die beantragte Beweisaufnahme nicht der (denkmögliche) Beweis hätte erbracht werden können, daß das vor der Polizei bekundete Wissen der Angeklagten um die Beamteneigenschaft des Zeugen S*** nicht den Tatsachen entsprach. Das Erstgericht hat daher durch die Abweisung dieses der Entlastung dienenden Beweisantrages Grundsätze des Verfahrens hintangesetzt, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten gewesen wäre. Aber auch die Mängelrüge ist im Recht.

Das Schöffengericht begründete die Urteilsannahme, die Tat im Faktum B 2 wäre in verabredeter Verbindung von mindestens drei Personen ausgeführt worden damit, "weil es üblich gewesen sei, bei Fußballveranstaltungen Schlägereien zu inszenieren, wobei es ungeschriebenes Gesetz war, daß einer dem anderen sogleich zu Hilfe eile und in das Geschehen eingreife. Bei diesen Schlägereien treten die Angeklagten immer rudelweise in Erscheinung, um durch ihre geballte Kraft die Gegner möglichst einzuschüchtern und wirkungsvoll vorgehen zu können" (S 449/IV).

Damit werden aber keine zureichenden Gründe für die Annahme der Qualifikation nach § 84 Abs. 2 Z 2 StGB angegeben. Denn in verabredeter Verbindung handeln Personen dann, wenn sie den gemeinsamen Tatentschluß (am Tatort als Einheit aufzutreten) vor der Tat gefaßt haben (vgl Burgstaller in WK, RN 49 zu § 84 StGB). Eingreifen in eine tätliche Auseinandersetzung ohne vorangegangene Willenseinigung genügt nicht; sie ist allenfalls als (bloße) Mittäterschaft anzusehen (ÖJZ-LSK 1981/151). Daß es "üblich" war, bei Fußballspielen Schlägereien zu inszenieren, wobei es ein "ungeschriebenes Gesetz" war, daß einer dem anderen zu Hilfe eilt, stellt in dieser allgemein gehaltenen Form keine tragfähige Begründung dafür dar, daß die Angeklagten Peter W*** und Gerhard W*** bereits vor der zu B 2 geschilderten Tat den Entschluß gefaßt haben, mit den übrigen an diesem Faktum Beteiligten Christian S*** vorsätzlich zu verletzen, denn das, was üblich gewesen ist, besagt nichts für den konkreten, hier aktuellen Fall. Da auch die Angeklagten Thomas H***, Rene L***, Harald Z*** und Thomas K*** den verfahrensgegenständlichen, die Urteilsfakten A 1 und B 2 betreffenden Beweisantrag gestellt haben, kommen ihnen dieselben Gründe zustatten, auf denen die Entscheidung über die Verfahrensrüge zugunsten der Angeklagten Peter W*** und Gerhard W*** beruht. Gemäß § 290 Abs. 1 zweiter Satz, zweiter Fall StPO hatte daher der Oberste Gerichtshof auch hinsichtlich der zuvor genannten Angeklagten, die keine Nichtigkeitsbeschwerde ergriffen haben, von Amts wegen so vorzugehen, als wäre der in Frage kommende formelle Nichtigkeitsgrund auch von ihnen geltend gemacht worden (9 Os 59/78, EvBl 1965/282; SSt 41/59).

Ferner hatte auch hinsichtlich des angeführten Urteilsmangels eine Verfügung gemäß § 290 Abs. 1 StPO zugunsten der Mitangeklagten Andreas M***, Günther H***, Thomas H***, Rene L***, Harald Z*** und Thomas K*** zu ergehen, da die von den Angeklagten Peter W*** und Gerhard W*** zu Recht gerügte mangelhafte Begründung der Annahme, daß die Körperverletzung des Christian S*** in verabredeter Verbindung der Täter erfolgte, sich auch zum Nachteil der genannten sechs Mitangeklagten auswirkt.

So gesehen erweist sich das erstinstanzliche Verfahren in den Fakten A 1 und B 2 im aufgezeigten Sinn als erneuerungsbedürftig, weshalb den zum Vorteil der Angeklagten ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden gemäß § 285 e StPO schon bei einer nichtöffentlichen Beratung Folge zu geben war, da es sich zeigt, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist; im übrigen war gemäß § 290 Abs. 1 StPO wie im Spruche vorzugehen. Das Erstgericht wird im erneuerten Verfahren nach Einvernahme der Zeugen W***, P***, H*** und S*** zu entscheiden haben, ob die beiden Nichtigkeitswerber und die Angeklagten Thomas H***, Rene L***, Harald Z*** und Thomas K*** schon zur Zeit ihrer Tätlichkeiten gewußt haben, daß Christian S*** Polizeibeamter war; ebenso wird zu klären sein, ob die Angeklagten Peter W***, Gerhard W***, Andreas M***, Günther H***, Thomas H***, Rene L***, Harald Z*** und Thomas K*** schon vor Beginn der Tätlichkeiten gegen Christian S*** den Entschluß gefaßt haben, gemeinsam mit den anderen Tatbeteiligten den Genannten vorsätzlich zu verletzen (siehe hiezu neuerlich Burgstaller im WK, RN 49 zu § 84 StGB u. d. dort zit. Judikatur).

Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten Peter W***, Gerhard W*** und Harald Z*** auf vorstehende Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E07687

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0120OS00015.86.0220.000

Dokumentnummer

JJT_19860220_OGH0002_0120OS00015_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten