TE OGH 1986/9/9 10Os118/86

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Veröffentlicht am 09.09.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9.September 1986 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef K*** wegen des Vergehens nach § 64 (mit Bezug auf § 63 Abs. 1 Z 1) LMG 1975, AZ U 996/82 des Bezirksgerichtes Korneuburg, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Berufungsgericht vom 25.November 1985, AZ 9 a Bl 42/83, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, und des Verteidigers Dr. Prunbauer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Durch das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Berufungsgericht vom 25.November 1985, AZ 9 a Bl 42/83, wurde das Gesetz in der Bestimmung der §§ 8 lit. b, 64 (mit Bezug auf § 63 Abs. 1 Z 1) LMG 1975 verletzt.

Dieses Urteil sowie alle darauf beruhenden Beschlüsse und Verfügungen werden aufgehoben; die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Korneuburg vom 21.März 1983, GZ U 996/82-7, wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem soeben bezeichneten Urteil des Bezirksgerichtes Korneuburg wurde Josef K*** von der (in Form eines Antrags auf gesetzliche Bestrafung) gegen ihn erhobenen Anklage, er habe am 16. Februar 1982 in Langenzersdorf Lebensmittel, nämlich (zwei Gläser) "Alete-Huhn in Spaghetti und Gemüse" mit Ablaufdatum 26. Oktober 1981 sowie (eine Packung) "Nestle-Aletana, Anschluß-Milchnahrung" mit Ablaufdatum 11.September 1981, verdorben in Verkehr gebracht, ohne daß dieser Umstand deutlich und allgemein verständlich kenntlich gemacht worden wäre, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Davon ausgehend, daß die inkriminierten Produkte keine äußeren Zeichen einer abwegigen Beschaffenheit aufwiesen, vertrat der Erstrichter die Auffassung, daß auch die Angabe einer empfohlenen Aufbrauchfrist nach § 3 Z 10 LMKV (als bloße Information über die Mindestdauer der Haltbarkeit) zur tatsächlichen Beschaffenheit des betreffenden Lebensmittels nach dem Fristablauf nichts aussage, sodaß letzterer für sich allein noch nicht zur Annahme einer Verkehrsunfähigkeit der Ware (§ 7 LMG 1975) wegen Verdorbenheit (§ 8 lit. b LMG 1975) führe; zudem habe der Beschuldigte die subjektive Tatseite des § 64 LMG 1975 nicht verwirklicht.

Gegen diesen Freispruch erhob die Staatsanwaltschaft Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld, mit der sie der Sache nach Feststellungsmängel (§ 468 Abs. 1 Z 4 iVm § 281 Abs. 1 Z 9 lit. a StPO) darüber geltend macht, ob im konkreten Fall vom Standpunkt der Lebensmittelchemie oder -technologie unter Bedacht auf die besonderen Anforderungen, die an Babynahrung gestellt werden, durch die eine längere Zeit über das Ablaufdatum hinaus fortgesetzte Lagerung der beanstandeten Produkte bei letzteren nicht doch eine nachteilige Veränderung eingetreten sei; darnach sei auch der Fahrlässigkeitsvorwurf zu beurteilen.

Das Kreisgericht Korneuburg gab der Berufung nach Beweiswiederholung und -ergänzung mit Urteil vom 25.November 1985, AZ 9 a Bl 42/83, dahin Folge, daß es den Angeklagten nach Aufhebung des angefochtenen Freispruchs zugleich des Vergehens nach § 64 (mit Bezug auf § 63 Abs. 1 Z 1) LMG 1975 schuldig erkannte. Zwar wies es in Erweiterung der dem Ersturteil zugrunde gelegenen Sachverhaltsbasis (unter anderem) darauf hin, daß auch in chemischer, biologischer oder sonstiger Hinsicht eine Veränderung der inkriminierten Lebensmittel in bezug auf ihre Beschaffenheit vor dem jeweiligen Ablauf des Haltbarkeitsdatums nicht feststellbar sei, doch hielt es die Ware nichtsdestoweniger deswegen für "verdorben" (§ 8 lit. b LMG 1975), weil sich nach den Ernährungsgewohnheiten eines durchschnittlichen Verbrauchers kaum eine Mutter bereit fände, ihrem Säugling ein "abgelaufenes Produkt" zu verabreichen, sodaß die beanstandete Babynahrung der Verbrauchererwartung widerspreche und dementsprechend nicht bestimmungsgemäß verwendbar sei; auch habe der Angeklagte in bezug auf das In-Verkehr-Setzen der solcherart verdorbenen Waren fahrlässig (§ 6 StGB) gehandelt.

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Berufungsgerichtes steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Denn als Gegenstand jener Verbrauchererwartung, die für die Annahme der Verdorbenheit eines bestimmten Lebensmittels im Sinn des § 8 lit. b LMG 1975 von Bedeutung ist, weil sie produktbezogen die jeweils maßgebenden Kriterien für dessen "bestimmungsgemäße Verwendbarkeit" und damit auch für deren wesentliche Verminderung (einschließlich ihres gänzlichen Wegfalls) determiniert, kann nach dem gesetzlich umschriebenen Verwendungszweck der Lebensmittel - von Menschen in unverändertem, zubereitetem oder verarbeitetem Zustand überwiegend zu Ernährungs- oder Genußzwecken gegessen, gekaut oder getrunken zu werden (§ 2 LMG 1975) - gleichwie auch schon nach dem natürlichen Wortsinn des Begriffs "verdorben" in seinem Bezug auf Lebensmittel folgerichtig nur die für diese Zielsetzung aktuelle tatsächliche Beschaffenheit des betreffenden Stoffs in Betracht kommen.

Darüber aber besagt der Ablauf einer empfohlenen Aufbrauchfrist allein, wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat, noch nichts (vgl. SSt. 40/33); daß ein Lebensmittel einer solcherart bloß auf die Mindestdauer der Haltbarkeit bezogenen Verbrauchererwartung nicht entspricht, hat demnach - selbst dann, wenn dieser Umstand aus Gründen der Vorsicht weithin zu einem Konsumverzicht, also zum tatsächlichen Unterbleiben seiner bestimmungsgemäßen Verwendung, führt - für sich allein noch nicht eine Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Verwendbarkeit der Ware, sohin ihrer Genußtauglichkeit, (und damit ihre Verdorbenheit) zur Folge, weil sich eine derartige Verbrauchererwartung nicht auf die dafür maßgebende effektive Beschaffenheit des betreffenden Lebensmittels bezieht.

Schon deswegen war die lediglich auf den Ablauf der jeweiligen Aufbrauchfrist gestützte Beurteilung der beanstandeten Babynahrung durch das Berufungsgericht als verdorben im Sinn der §§ 8 lit. b, 64 (mit Bezug auf § 63 Abs. 1 Z 1) LMG 1975 rechtlich verfehlt. Die dem Kreisgericht Korneuburg insoweit unterlaufene Gesetzesverletzung war daher in Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wie im Spruch festzustellen, ohne daß eine Erörterung jenes von der Beschwerdeführerin - im Anschluß an Barfuß-Pindur-Smolka, Lebensmittelrecht, I B 42, 43; 52/I, 53, jedoch ohne Erwähnung der bei Brustbauer/Jesionek/Petuely/Wrabetz, LMG 1975, 30) vertretenen abweichenden Ansicht - ins Treffen geführten weiteren Arguments erforderlich wäre, demzufolge die Annahme einer Verdorbenheit (§ 8 lit. b LMG 1975) ebenso wie schon nach dem Wortlaut des Gesetzes jene einer Wertminderung (§ 8 lit. g LMG 1975) überdies stets eine nachträgliche Veränderung der maßgebenden tatsächlichen Beschaffenheit einer zunächst unverdorbenen Ware voraussetze. Nach § 292 letzter Satz StPO war das rechtsirrige verurteilende Erkenntnis des Berufungsgerichtes zu beheben; auf Grund des dieser Entscheidung zugrundeliegenden Tatsachensubstrats war der Oberste Gerichtshof in der Lage, über das dementsprechend neuerlich einer Erledigung zuzuführende Rechtsmittel sogleich zu erkennen. Denn im Hinblick darauf, daß in zweiter Instanz eine aus der effektiven Beschaffenheit der inkriminierten Lebensmittel ableitbare Verdorbenheit dieser Produkte selbst unter Berücksichtigung ihrer von der Staatsanwaltschaft relevierten besonderen Zweckbestimmung als Babynahrung gleichfalls nicht festgestellt werden konnte und daß dementsprechend der die subjektive Tatseite betreffenden Rüge der Boden entzogen ist, muß der von der Anklagebehörde erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld ein Erfolg versagt bleiben; sie war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 474 StPO), womit der erstinstanzliche Freispruch in Rechtskraft erwachsen ist.

Anmerkung

E09083

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0100OS00118.86.0909.000

Dokumentnummer

JJT_19860909_OGH0002_0100OS00118_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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