Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17.November 1988 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bogensberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Thilo B*** wegen des Vergehens der Schändung nach § 205 Abs. 2 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14.Oktober 1987, GZ 5 c E Vr 4668/87-15, und des Oberlandesgerichtes Wien vom 16.März 1988, AZ 22 Bs 59/88, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, und des Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14.Oktober 1987, GZ 5 c E Vr 4668/87-15, wurde der damals 45-jährige Thilo B*** des Vergehens der Schändung nach § 205 Abs. 2 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer (unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er in der Zeit von 1984 bis Anfang 1987 in Wien in wiederholten Angriffen eine Person, nämlich die am 22.Juni 1964 geborene Ingrid F***, die wegen Schwachsinns unfähig ist, die Bedeutung des Vorganges einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, außer dem Fall des § 205 Abs. 1 StGB zur Unzucht mißbraucht, indem er sie am entblößten Geschlechtsteil betastete und sein Glied durch sie betasten ließ.
Der gegen dieses Urteil vom Angeklagten ergriffenen Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld gab das Oberlandesgericht Wien mit Entscheidung vom 16.März 1988, AZ 22 Bs 59/88 (= ON 28), nicht Folge; hingegen wurde seiner Berufung wegen Strafe dahin Folge gegeben, daß über ihn unter Anwendung des § 37 Abs. 1 StGB (unter Beachtung des § 295 Abs. 2 zweiter Satz StPO nF) eine unbedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen, für den Fall der Uneinbringlichkeit 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt wird; der Tagessatz wurde mit 150 S bestimmt.
Die Generalprokuratur vermeint, daß die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 14.Oktober 1987 und des Oberlandesgerichtes Wien vom 16.März 1988, letzteres insoweit, als damit der Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und Schuld nicht Folge gegeben wurde, mit der Bestimmung des § 205 Abs. 2 StGB nicht im Einklang stehen. In ihrer deshalb gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde hat sie hiezu ausgeführt:
"Das Erstgericht und das Berufungsgericht gingen, dem Gutachten des gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Univ.Prof. Dr. Heinz P*** folgend, in tatsachenmäßiger Beziehung davon aus, daß ein hochgradiger und schon auf Grund des persönlichen Eindrucks für das Gericht wie für jeden Durchschnittsbürger erkennbare Schwachsinn Ingrid F*** unfähig machte, die inkriminierten Vorgänge in ihrer gesamten Tragweite zu erkennen. Nach Beurteilung der Gerichte war Ingrid F*** demnach zu den in Betracht kommenden Tatzeiten wegen Schwachsinns unfähig, die Bedeutung der von Thilo B*** gesetzten Unzuchtshandlungen einzusehen und dieser Einsicht gemäß zu handeln. Den Urteilsfeststellungen zufolge war dem Angeklagten bei diesen Tathandlungen auch klar, daß Ingrid F*** schwachsinng ist, und er hielt es auch ernstlich für möglich und fand sich damit ab, daß dieser Zustand sie unfähig machte, die Bedeutung der Unzuchtsvorgänge einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
Rechtliche Beurteilung
Insoweit liegt dem Schuldspruch aber eine unrichtige Rechtsansicht zugrunde:
Deliktsobjekt des § 205 Abs. 1 und Abs. 2 StGB ist nicht jede (Frauens-)Person, die sich in einem ihre Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand im Sinne des § 11 StGB befindet, sondern nur eine solche, der infolge eines derartigen Umstandes die Fähigkeit fehlt, die Bedeutung des Vorganges - des Beischlafs- bzw des Unzuchtsaktes - zu erkennen und die Rolle, die geschlechtlichen Beziehungen physisch und psychisch, vom Standpunkt eines einfachen Menschen aus gesehen, zukommt, zu erfassen. Bei Bedachtnahme auf den Schutzzweck dieser strafgesetzlichen Bestimmung, Personen, die wegen ihrer geistigen Verfassung hilflos sind, davor zu bewahren, als willenloses Sexualobjekt mißbraucht zu werden, sind an die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit in bezug auf Sexualakte keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es erscheint demnach verfehlt, für eine Tatbestandsverwirklichung schon genügen zu lassen, daß die geisteskranke (geistesschwache) Person die sexualbezogenen Vorgänge nicht in ihrer gesamten Tragweite, also in ihrer vollen sozialen und sittlichen Dimension und in der einem durchschnittlich intellektuell befähigten Menschen möglichen Klarheit und Differenziertheit erkennen konnte. Die geschützte Person muß nur wissen, was mit ihr geschieht, und in der Lage sein, dieser Einsicht gemäß über den eigenen Körper zu verfügen und hierüber eine Entscheidung zu treffen; auf die Erfassung sittlicher Aspekte, die mit dem Beischlaf oder anderen sexualbezogenen Handlungen verbunden sind, kommt es hingegen nicht an (vgl Pallin im WK § 205 Rz 16 bis 18). Feststellungen, daß Ingrid F*** auch in diesem Sinn unfähig war, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wurden weder vom Erstgericht, noch vom Berufungsgericht getroffen und hätten nach den gesamten Verfahrensergebnissen, insbesondere im Hinblick auf die Angaben des Tatopfers im polizeilichen Vorverfahren (vgl S 13, 14 d.A) und im Rahmen der Befundaufnahme durch die gerichtspsychiatrischen Sachverständigen (vgl S 35 ff d.A), auch nicht getroffen werden können."
Die geltend gemachte Gesetzesverletzung liegt jedoch nicht vor. Gewiß trifft es zu, daß eine zur Unzucht mißbrauchte Person nicht schon deshalb Deliktsobjekt des § 205 Abs. 2 StGB ist, weil sie schwachsinnig ist. Um Objekt einer Schändung zu sein, muß sie vielmehr wegen des Schwachsinns unfähig sein, die Bedeutung des Vorgangs, nämlich ihres Mißbrauchs zur Unzucht, einzusehen oder nach
dieser Einsicht zu handeln (vgl SSt 46/10 = EvBl 1975/217
= RZ 1975/38 ua). Hiefür ist nicht erforderlich, daß ihre
Willenstätigkeit vollständig aufgehoben ist; es genügt, daß sie infolge ihres Schwachsinns (oder eines der anderen im § 205 Abs. 2 StGB angeführten Zustände) in einem Maße gestört ist, daß ihre Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit in bezug auf den Mißbrauch zur Unzucht nicht (oder nicht mehr) vorhanden ist (Foregger-Serini StGB4, 477; Leukauf-Steininger Komm2 § 205 Rz 6), sodaß sie außerstande ist, durch verstandesmäßige Erwägungen über den eigenen Körper in geschlechtlicher Hinsicht zu verfügen und dem an sie gestellten Verlangen (zur Vornahme bzw Duldung unzüchtiger Handlungen) mit freier Entscheidung zu begegnen (12 Os 8/87). Genau das hat aber das Erstgericht in tatsachenmäßiger Beziehung (und damit einer Anfechtung gemäß § 33 Abs. 2 StPO entzogen) hinsichtlich der Ingrid F*** festgestellt (S 97, 98 d.A), wobei es diese Feststellung zum einen auf das eingeholte psychiatrische Sachverständigengutachten und zum anderen auf den von der Genannten in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck (S 98 d.A) stützen konnte. In rechtlicher Beziehung ist das Gericht keineswegs davon ausgegangen, daß das Vorliegen eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Schwachsinns allein für die Annahme eines Deliktsobjekts nach § 205 Abs. 2 StGB genüge; es hat vielmehr zutreffend darauf abgestellt, daß hiefür ein Zustand erforderlich ist, der die zur Unzucht mißbrauchte Person unfähig macht, die Bedeutung der Unzuchtshandlung einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Auf der Basis der - in den Verfahrensergebnissen
gedeckten - Urteilskonstatierungen über die psychische Beschaffenheit der Ingrid F***, gegen deren Richtigkeit sich aus den Akten keine erheblichen Bedenken (§ 362 StPO) ergeben, haftet dem Erst-(und auch dem Berufungs-)urteil eine rechtsirrige Beurteilung der Tat des Thilo B*** als Schändung nach § 205 Abs. 2 StGB nicht an, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen war.
Anmerkung
E15577European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0120OS00091.88.1117.000Dokumentnummer
JJT_19881117_OGH0002_0120OS00091_8800000_000