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E3R E19103000;Norm
32003R0343 Dublin-II Art16 Abs1 litc;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):2005/20/0504 E 16. Dezember 2008Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des T, zuletzt in B, geboren 1973, vertreten durch Dr. Peter Nader, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Mai 2005, Zl. 260.474/0-VIII/23/05, betreffend §§ 5 und 5a Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Georgien, reiste gemäß seinen Angaben am 3. März 2005 in das Bundesgebiet ein und stellte am 4. März 2005 persönlich in der Erstaufnahmestelle West des Bundesasylamtes einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Auf Grund eines "Eurodac-Treffers", der ergab, dass der Beschwerdeführer bereits am 24. November 2004 in Italien Asyl beantragt hatte, übermittelte das Bundesasylamt - nach der Aktenlage am 9. März 2005 - ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-VO), an die zuständigen italienischen Behörden. Dieses Gesuch blieb (zunächst) unbeantwortet. Mit Schreiben vom 11. April 2005 teilte daraufhin die Grundsatz- und Dublinabteilung des Bundesasylamtes der Erstaufnahmestelle West mit, "dass das Konsultationsverfahren mit einer Zuständigkeit Italiens (Zuständigkeit durch Verfristung) gem. Artikel 20.1.c geendet" habe.
Mit Bescheid vom 19. April 2005, dem Beschwerdeführer durch eigenhändige Übernahme zugestellt am 21. April 2005, wies das Bundesasylamt daraufhin den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück. Unter einem stellte es fest, dass für die Prüfung des Asylantrages gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO Italien zuständig sei und dass der Beschwerdeführer gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen werde. Das Bundesasylamt stellte fest, dass der Beschwerdeführer - entgegen seinen Behauptungen bei der Einvernahme vom 14. März 2005 - kein Opfer von Folter sei und dass dem "eingeleiteten Wiederaufnahmeersuchen an Italien" mit Schreiben vom 11. April 2005 entsprochen worden sei, "zumal einer Übernahme der Ast. zugestimmt wurde". Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt aus:
"Die Angaben des Antragstellers stehen diametral zu den amtswegigen Ermittlungsergebnissen, insbesondere zu dem Schreiben der italienischen Dublinbehörde und dem im Akt einliegenden Eurodac Treffer, sodass die gegenständlichen Schriftstücke als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden.
Die Feststellung zum Nichtvorliegen von Folterspuren gründet sich auf die gutachtliche Stellungnahme des Herrn Dr. med. W. K., Arzt für Allgemeinmedizin."
Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er ua. auf sein erstinstanzliches Vorbringen betreffend erlittene Folterungen in Georgien verwies. Die im Akt erliegende Berufungsschrift endet auf ihrer Seite 3 wie folgt:
"Dennoch wurde dann von der Behörde festgestellt, ich wäre kein Opfer von Folter. In der Beweiswürdigung beruft sich die Behörde auf die"
Mit dem bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers "gemäß § 5 Abs. 1 AsylG" ab. Sie verwies hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellungen und der Beweiswürdigung auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid, gab rechtlich Überlegungen der Erstbehörde wieder, die darin münden, dass "in dem im Spruch des angefochtenen Bescheides genannten Mitgliedstaat" die Gefahr einer Verletzung der EMRK nicht zu befürchten sei und schloss wörtlich wie folgt:
"3.3. Die Erstbehörde ist mit diesen ihren Ausführungen im Ergebnis im Recht.
Die Annahme eines den Anforderungen der österreichischen Asylrechtslage entsprechenden Asylverfahrens begegnet vor dem Hintergrund der oben ausgeführten Erwägungen des Europäischen Rates und der im Mitgliedstaat vorgefundenen (notorischen) rechtlichen und faktischen Standards - ohne konkreten Hinweis, dass diese berufende Partei nicht in deren Genuss gelangen könnte -
keinen Bedenken.
Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in den (gemeint: dem) Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nämlich nicht, um diese Abschiebung als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der betreffende Fremde dort den nach Art. 3 EMRK verpönten Übergriffen ausgesetzt wäre (VwGH 97/18/0336). Auch aus dem Vorbringen in der Berufung kann die Berufungsbehörde nicht erkennen, dass Umstände hervortreten würden, die die rechtliche Beurteilung der Erstbehörde in Frage stellen würden, wobei die berufende Partei selbst all jene Umstände aufzuzeigen hat, die in ihrer persönlichen Sphäre liegen und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann. Genau diesen Anforderungen entspricht das Vorbringen der berufenden Partei nicht. Hatte schon die Erstbehörde zu Recht die Unbestimmtheit des Vorbringens der berufenden Partei in diesem Punkt dargetan, so ist auch die Berufung nicht geeignet neue und zulässige Umstände darzutun, welche die Berufungsbehörde zu neuerlichen Sachverhaltsermittlungen verpflichten würden.
3.4. Es steht somit die Zuständigkeit des im Spruch des hier angefochtenen Bescheides genannten Mitgliedstaats für die Prüfung des hier gegenständlichen Asylantrages nicht in Zweifel und hat sich dieser Mitgliedstaat - wie im angefochtenen Bescheid ausgeführt - bereit erklärt, die berufende Partei wieder zu übernehmen und deren Asylantrag dort inhaltlich zu prüfen.
Für die übrigen Auseinandersetzungen der Berufungsschrift verbleibt vor dem Hintergrund obiger Erwägungen und dem Umstand, dass der in Aussicht genommene Staat Mitgliedstaat der Europäischen Union ist, kein Raum.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden."
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der vorliegende Bescheid lässt - wie die weitgehend wortgleichen Bescheide, die den hg. Erkenntnissen vom 27. September 2005, Zl. 2005/01/0313, und vom heutigen Tag, Zl. 2005/01/0457, zu Grunde liegen - keine fallbezogene Beschäftigung mit den wesentlichen Umständen der Sache oder mit der Berufung des Beschwerdeführers erkennen. Das beginnt damit, dass das offenkundige Fehlen von weiteren Seiten der Berufungsschrift nicht zum Anlass genommen wurde, auf die Vorlage einer vollständigen Ausfertigung zu dringen. Es zeigt sich weiters darin, dass - wie schon im Bescheid des Bundesasylamtes, weshalb hinsichtlich Sachverhaltsfeststellungen und Beweiswürdigung nicht auf dessen Ausführungen hätte verwiesen werden dürfen - in der Bescheidbegründung von einer Erklärung "des im Spruch des angefochtenen Bescheides genannten Mitgliedstaates" (eine namentliche Bezeichnung desselben findet sich im gesamten Berufungsbescheid nicht), den Beschwerdeführer wieder zu übernehmen und dessen Asylantrag inhaltlich zu prüfen, die Rede ist, was weder mit der eingangs erwähnten Mitteilung der Grundsatz- und Dublinabteilung des Bundesasylamtes vom 11. April 2005 noch mit der spruchgemäß auf Art. 20 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO gestützten Zuständigkeit Italiens - wegen Unterbleibens einer (fristgerechten) Beantwortung des österreichischen Wiederaufnahmegesuchs - in Übereinstimmung zu bringen ist. (Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass in den Verwaltungsakten eine Note der italienischen Behörden vom 25. Juli 2005 - die damit rund zwei Monate nach Erlassung des bekämpften Bescheides stammt - erliegt, wonach dem österreichischen Wiederaufnahmegesuch entsprochen werde.)
Der bekämpfte Bescheid leidet im Hinblick auf den dargestellten Umstand allerdings nicht nur an Aktenwidrigkeit, er ist unter diesem Gesichtspunkt - wie im Folgenden darzustellen sein wird - auch mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet:
Art. 20 Abs. 1 der Dublin II-VO lautet - auszugsweise - wie folgt:
"Artikel 20
(1) Gemäß Artikel 4 Absatz 5 und Artikel 16 Absatz 1 Buchstaben c), d) und e) wird ein Asylbewerber nach folgenden Modalitäten wieder aufgenommen:
a)
...
b)
der Mitgliedstaat, der um Wiederaufnahme des Asylbewerbers ersucht wird, muss die erforderlichen Überprüfungen vornehmen und den Antrag so rasch wie möglich und unter keinen Umständen später als einen Monat, nachdem er damit befasst wurde, beantworten. Stützt sich der Antrag auf Angaben aus dem Eurodac-System, verkürzt sich diese Frist auf zwei Wochen;
c) erteilt der ersuchte Mitgliedstaat innerhalb der Frist von einem Monat bzw. der Frist von zwei Wochen gemäß Buchstabe b) keine Antwort, so wird davon ausgegangen, dass er die Wiederaufnahme des Asylbewerbers akzeptiert;
d)
...
e)
..."
Im vorliegenden Fall war das Wiederaufnahmegesuch Österreichs auf einen "Eurodac-Treffer" gestützt. Italien hätte daher dieses Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. b der Dublin II-VO binnen zwei Wochen zu beantworten gehabt. Ausgehend von einem Einlangen des österreichischen Wiederaufnahmegesuchs bei den italienischen Behörden via "DubliNet" - siehe dazu Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Dublin II-VO - noch am 9. März 2005 endete die Italien zur Verfügung stehende Frist damit (vgl. Art. 25 Abs. 1 der Dublin II-VO) am 23. März 2005. Bereits ab diesem Zeitpunkt war daher - gegebenenfalls - gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO davon auszugehen, dass Italien die Wiederaufnahme des Beschwerdeführers akzeptiere. Das bedeutet aber weiter, dass damit das "Konsultationsverfahren" beendet gewesen wäre, weshalb unter Bedachtnahme auf die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2005, Zl. 2005/20/0038, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, bei Erlassung des erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheides die 20-tägige Entscheidungsfrist des § 24a Abs. 8 AsylG bereits abgelaufen gewesen wäre. Die belangte Behörde hätte daher - bei Zutreffen der obigen Annahme - der gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung Folge geben sowie den Asylantrag zulassen und zur Durchführung des materiellen Asylverfahrens an das Bundesasylamt zurückverweisen müssen. Da sie demgegenüber in offenkundiger Verkennung der Rechtslage ohne Beschäftigung mit diesem Thema die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen hat, war der bekämpfte Bescheid wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 18. Oktober 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005010461.X00Im RIS seit
18.11.2005Zuletzt aktualisiert am
20.05.2009