Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josefine L***, geboren am 30. Jänner 1952 in Mehrnbach, Hausfrau, Neuhofen, Auleiten 50, vertreten durch Dr. Walter Brandt und Dr. Karl Wagner, Rechtsanwälte in Schärding, wider die beklagte Partei Johann L***, geboren am 1. November 1952 in Ried im Innkreis, Landwirt in Schildorn, Ebersau 20, vertreten durch Dr. Johann Kahrer und Dr. Christian Haslinger, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgerichtes vom 16. Mai 1989, GZ R 158/89-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Ried im Innkreis vom 2. März 1989, GZ C 122/88-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.706,20 (darin enthalten S 617,70 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile schlossen am 30. April 1981 die Ehe, der drei Kinder entstammen. Die Ehe der Streitteile verlief schon seit mehreren Jahren nicht mehr harmonisch. Der Beklagte trank zunehmend Alkohol und neigte im alkoholisierten Zustand zu Gewalttätigkeiten gegenüber den Familienangehörigen. Am 4. September 1988 schlug er im Zustand voller Berauschung die Klägerin, seine im gemeinsamen Haushalt lebende Mutter sowie die Tochter Cornelia und fügte diesen Personen dabei Verletzungen zu. Die Klägerin verließ darauf mit den Kindern und ihrer Schwiegermutter die gemeinsame Ehewohnung. Nachdem der Beklagte versprochen hatte, nicht mehr zu trinken und sich jeder Gewalttätigkeit zu enthalten, kehrte die Klägerin mit den Kindern in die Ehewohnung zurück. Am 4. November 1988 verprügelte der Beklagte die Klägerin im Zuge eines Streites neuerlich und verletzte sie dabei an der Nase. Daraufhin verließ die Klägerin mit den Kindern endgültig die Ehewohnung. Wegen der Tätigkeit vom 4. September 1988 erkannte das Kreisgericht Ried im Innkreis den Beklagten des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB und wegen der Tätlichkeiten vom 4. November 1988 des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB für schuldig und verurteilte den Beklagten zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 5 Monaten. Der Beklagte unterzog sich in der Zeit vom 26. November 1988 bis 20. Jänner 1989 einer Entwöhnungskur. Derzeit findet noch eine Nachbehandlung statt. Die Klägerin wohnt in einer Mietwohnung in Neuhofen und weigert sich, in das gemeinsame Wohnhaus zurückzukehren und die Ehe mit dem Beklagten fortzusetzen. Sie hat das Vertrauen zum Beklagten verloren und hat ihm sein aggressives ehe zerstörendes Verhalten nicht verziehen.
Die Klägerin begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Die Ehe sei infolge der Alkoholkrankheit und des aggressiven Verhaltens des Beklagten schon seit längerer Zeit erheblich zerrüttet. Wegen des Vorfalles vom 4. September 1988 sei sie mit den Kindern aus der Ehewohnung ausgezogen. Nur auf die Bitten und Zusagen des Beklagten, sich zu bessern, habe sie sich bewegen lassen, zum Beklagten zurückzukehren. Nach den neuerlichen Tätlichkeiten des Beklagten sei jedoch die Wiederherstellung eines dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten.
Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Die Ehe der Streitteile befinde sich bloß in einer vorübergehenden Krise. Es bestünde die Aussicht auf Versöhnung, weil sich der Beklagte nunmehr - erfolgreich - einer Entwöhnung unterzogen habe. Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus dem Verschulden des Beklagten. Es wertete den Alkoholmißbrauch des Beklagten und die körperlichen Mißhandlungen der Klägerin durch den Beklagten als schwere Eheverfehlungen, die die Ehe so tief zerrüttet hätten, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht mehr zu erwarten sei. Verzeihung durch die Klägerin sei nicht anzunehmen. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es sei unerheblich, daß der schuldige Teil am Bestehen der Ehe festhalte und - nach der Zerrüttung der Ehe - das ehezerstörende Verhalten aufgegeben habe. Die Klägerin habe die schweren Eheverfehlungen des Beklagten als ehezerstörend empfunden. Diese hätten auch die Zerrüttung der Ehe herbeigeführt. Daß die Klägerin mit der Anbringung der Ehescheidungsklage längere Zeit zugewartet und das ehewidrige Verhalten des Beklagten jahrelang ertragen habe, ändere nichts daran. Von einer Verzeihung könnte nur dann die Rede sein, wenn der gekränkte Ehegatte durch sein Gesamtverhalten zum Ausdruck gebracht habe, daß er das Fehlverhalten des Ehepartners nicht mehr als solches betrachtet und vorbehaltslos bereit sei, mit ihm die Ehe fortzusetzen. Die Klägerin hingegen sei nach den neuerlichen Angriffen des Beklagten vom 4. November 1988 endgültig aus der Ehewohnung ausgezogen und habe am 16. November 1988 die Ehescheidungsklage eingebracht.
Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung im Sinne der Abweisung der Scheidungsklage abzuändern. Hilfsweise stellt der Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Beklagte versucht in seiner Revision darzutun, daß die Ehe der Streitteile bereits vor den Vorfällen vom 4. September und 4. November 1988 unheilbar zerrüttet gewesen sei, so daß diese Vorfälle nicht mehr zur Zerrüttung der Ehe hätten beitragen können. Gemäß § 49 EheG könnten schwere Eheverfehlungen nur dann als Scheidungsgrund herangezogen werden, wenn sie die Zerrüttung der Ehe herbeigeführt haben. Dies wäre aber bei den geltend gemachten Scheidungsgründen nicht der Fall gewesen. Da die Klage nicht auch auf § 55 EheG gestützt worden sei, wäre sie abzuweisen gewesen.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden: Es trifft zwar zu, daß eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv für mindestens einen Ehegatten Zerrüttungswirkung auf die Ehe haben muß (SZ 36/124; RZ 1978/43 uva) und ein der unheilbaren Zerrüttung der Ehe nachfolgendes Verhalten keinen Scheidungsgrund mehr bilden kann (EvBl 1964/385 uva). Die Zerrüttungswirkung einer Eheverfehlung muß jedoch nicht sofort eintreten, sondern kann erst allmählich und auch erst im Zusammenhang mit weiteren Eheverfehlungen wirksam werden (2 Ob 589/87). Ob die Zerrüttung einer Ehe durch neu hinzutretende Umstände noch vertieft werden kann, was durchaus möglich ist, hängt auch von der Art der neu eingetretenen Umstände ab (1 Ob 873/52; 8 Ob 20/64). Der Beklagte geht jedoch nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wenn er meint, daß die Vorfälle vom 4. September und 4. November 1988 nichts mehr zur Zerrüttung der Ehe der Streitteile hätten beitragen können. Den Vorfall vom 4. September 1988 hat die Klägerin immerhin zum Anlaß genommen, mit den Kindern die Ehewohnung zu verlassen. Darin kommt zum Ausdruck, daß dieser Vorfall trotz der jahrelangen Eheverfehlungen des Beklagten noch zu einer Vertiefung der Zerrüttung geführt hat. Aus der Rückkehr der Klägerin auf Bitten des Klägers in die Ehewohnung geht hervor, daß die Klägerin das Zusammenleben mit dem Beklagten dennoch versuchen wollte. Daß dann das neuerliche aggressive Verhalten des Beklagten vom 4. November 1988 noch geeignet sein konnte, die - endgültige - Zerrüttung der Ehe herbeizuführen, ist evident.
In der Beurteilung der Vorinstanzen, daß die schweren Eheverfehlungen des Beklagten vom 4. September und 4. November 1988 zur endgültigen Zerrüttung der Ehe beigetreten haben, kann somit kein Rechtsirrtum erblickt werden. Der Revision des Beklagten war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E18111European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0070OB00633.89.0720.000Dokumentnummer
JJT_19890720_OGH0002_0070OB00633_8900000_000