Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel, Dr.Melber, Dr.Zehetner und Dr.Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eleonore G***, kfm.Angestellte,
Glatzgasse 4/20, 1190 Wien, vertreten durch Dr.Werner Zach, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei V*** DER Ö*** B***, Versicherungs-AG,
Praterstraße 1-7, 1020 Wien, vertreten durch Dr.Josef Lechner und Dr.Ewald Wirleitner, Rechtsanwälte in Steyr, wegen Feststellung infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 17.Mai 1990, GZ 42 R 789/89-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 1.März 1989, GZ 6 C 1614/88g-10, aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind gleich weiteren Verfahrenskosten zu behandeln.
Text
Begründung:
Die Klägerin brachte in ihrer am 17.6.1988 überreichten Klage vor, sie habe am 2.5.1988 als Beifahrerin in einem PKW bei einem Verkehrsunfall, der vom Lenker eines entgegenkommenden, bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKW verschuldet worden sei, schwere Verletzungen erlitten. Dauer- und Spätfolgen seien gegeben. Die Klägerin begehrte das Urteil, es werde festgestellt, daß die Beklagte der Klägerin für sämtliche Schadenersatzansprüche aus Anlaß des Verkehrsunfalles vom 20.5.1988 hafte.
Die beklagte Partei wendete ein, das überwiegende Verschulden am Unfall treffe die Lenkerin des Fahrzeuges, in dem sich die Klägerin befunden habe, die Haftung wäre überdies mit der Haftpflichtversicherungssumme begrenzt, außerdem habe die Klägerin ihre Ansprüche mit den übrigen Geschädigten zu teilen. Es fehle an einem Feststellungsinteresse, weil Verjährung noch nicht drohe und überdies ein Leistungsbegehren möglich wäre.
In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 21. Dezember 1988 "berichtigte" die Klägerin ihr Begehren dahin, daß eine Feststellung der Haftung der beklagten Partei nur bis zum Haftungshöchstbetrag in jeweils gesetzlichem Ausmaß gemäß ABGB und EKHG begehrt werde.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Ansicht, daß ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung der beklagten Partei fehle. Die Vorgangsweise der Klägerin, die Feststellungsklage nicht mit bereits bestehenden, im Anspruchsschreiben vom 26.11.1988 bereits geltend gemachten Leistungsansprüchen zu kombinieren, widerspreche striktest dem Grundsatz der Prozeßökonomie. Durch die unrealistisch niedrige Bewertung des Feststellungsinteresses werde weiters bewirkt, daß über das Feststellungsbegehren keinesfalls dasselbe Gericht entscheide wie über das spätere Leistungsbegehren, was die Gefahr divergierender Entscheidungen in sich berge. Durch diese Bewertung sei auch die Anfechtbarkeit der Urteile stark beschränkt. Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens und neuerliche Entscheidung auf. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Das Gericht zweiter Instanz führte aus, ein Feststellungsinteresse fehle, wenn der gesamte Leistungsanspruch aus dem strittigen Rechtsverhältnis bereits fällig sei. Dies sei hier aber nicht der Fall, denn die Klägerin habe nachvollziehbar dargelegt, daß sie ihren gesamten Schaden derzeit nicht beziffern könne und mit dem Eintritt von Schäden für einen längeren Zeitraum als 3 Jahre zu rechnen sei. Ein rechtliches Interesse bestehe aber nur an der Feststellung künftiger Schadenersatzansprüche. Die Feststellung der Haftung für sämtliche Ansprüche sei unzulässig, bereits fällige Ansprüche seien mit Leistungsklage geltend zu machen. Wohl würden Feststellungsklagen von der Art der vorliegenden in aller Regel mit einer Leistungsklage verbunden, doch sei dies nicht zwingend, die gesonderte Erhebung einer Feststellungsklage sei zulässig. Für die Prozeßökonomie wäre auch nicht viel gewonnen, wenn die Klägerin das Feststellungsbegehren mit einer ganz geringfügigen Leistungsklage, so etwa wegen eines Kleiderschadens, verbunden hätte. Auch der Hinweis auf den noch in der Ferne liegenden Ablauf der Verjährungsfrist vermöge nicht zu überzeugen, weil das rechtliche Interesse an der Feststellung der Haftung für künftige Schäden nicht nur wegen der Verjährung bestehe, sondern auch in der Vermeidung späterer Beweisschwierigkeiten. Das Interesse der Klägerin an der Feststellung der Haftung der Beklagten für ihre künftigen Schäden sei daher gegeben. Die beklagte Partei habe das Klagebegehren bestritten, somit auch die Behauptung der Klägerin, mit dem Eintritt von Schäden auch nach Ablauf von 3 Jahren sei zu rechnen. Sofern diesbezüglich nicht noch eine Außerstreitstellung erfolgen sollte, werde darüber ein Beweisverfahren durchzuführen sein. Über den Unfallshergang erübrige sich hingegen ein Beweisverfahren, weil die Klägerin Beifahrerin gewesen und ein unabwendbares Ereignis nicht behauptet worden sei. Beizupflichten sei der beklagten Partei aber, daß die "Präzisierung" des Klagebegehrens nicht ausreiche. Zum einen sei nicht ersichtlich, welche Haftungsbeschränkung nach dem ABGB bestehen solle, zum anderen sei das Problem durch die Bezugnahme auf das EKHG nicht gelöst. Maßgeblich sei vielmehr die Bestimmung des § 7 KHVG, wodurch die bisherige gesetzliche Anknüpfung an das EKHG entfallen sei. Der Haftpflichtversicherer hafte bis zur vertraglich vereinbarten Versicherungssumme, mindestens aber gemäß § 158 c Abs 3 VersVG bis zur gesetzlichen Mindesthaftpflichtversicherungssumme. Eine Bezugnahme auf die Haftungshöchstbeträge des EKHG sei daher vorliegend sogar irreführend, da unbestritten sei, daß den Lenker des bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Fahrzeuges ein Verschulden am Unfall treffe, und der Lenker gemäß § 1 Abs 2 AKHB mitversichert sei. Die fehlerhafte "Präzisierung" des Klagebegehrens rechtfertige allerdings nicht die Klagsabweisung. Da kumulativ auf Verschuldenshaftung und EKHG Bezug genommen werde, das Verschulden des mitversicherten Lenkers aber zugestanden sei, liege eine taugliche Begrenzung überhaupt nicht vor. Die nach Meinung des Berufungsgerichtes angebrachte Beschränkung auf die für den Haftpflichtversicherungsvertrag geltende Versicherungssumme wäre daher als Zuspruch eines minus durchaus zulässig. Eine Bezugnahme auf Ansprüche der weiteren bei dem Unfall Geschädigten im Spruch des Feststellungsurteils sei jedoch nicht erforderlich, die Frage nach dem Ausreichen des Deckungsfonds könne dem Leistungsprozeß vorbehalten werden. Das Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren Beweise darüber aufzunehmen haben, welche Verletzungen die Klägerin erlitten habe und ob aufgrund dieser Verletzungen das Entstehen von Vermögensschäden nach dem 21.5.1991 möglich sei. Da insbesondere zur Frage, wie und in welchem Umfang die Begrenzung der Haftung der beklagten Partei gemäß Versicherungsvertrag, allenfalls EKHG, und wegen möglicher Inanspruchnahme durch mehrere Geschädigte im Spruch zum Ausdruck gelangen müsse, keine Entscheidungen aufgefunden worden seien, sei - vor allem wegen der Änderung der Rechtslage durch das KHVG - die Voraussetzung des § 502 Abs 1 ZPO gegeben, sodaß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zuzulassen gewesen sei. Die beklagte Partei bekämpft den Beschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs und beantragt die Wiederherstellung des Ersturteiles. Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig (§§ 519, 502 Abs 1 ZPO), aber nicht berechtigt.
Die Rekursausführungen, das Berufungsgericht habe das Ersturteil aufgehoben, um der Klägerin versäumte Prozeßhandlungen nachzuholen, sind verfehlt. Die Aufhebung erfolgte zur Beweisaufnahme über die von der Klägerin schon in der Klage aufgestellte, von der beklagten Partei aber bestrittene Behauptung über die erlittenen Verletzungen und die Möglichkeit erst künftig auftretender Schäden. Die Aufhebung aus diesen Gründen erfolgte aber zu Recht, denn falls die Möglichkeit künftiger Schäden besteht, dann hat die Klägerin im Sinne der ständigen Rechtsprechung ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für diese künftigen Schäden. Daran kann es nichts ändern, wenn die Klägerin gegenüber der beklagten Partei aus dem Unfall auch bereits fällige Leistungsansprüche hat, denn die Klägerin ist nicht genötigt, alle ihr gegenüber der beklagten Partei zustehenden Leistungs- und Feststellungsansprüche in einer einzigen Klage geltend zu machen, wenn dies im allgemeinen auch ökonomisch sein wird. Die Feststellungsklage ist nach ständiger Rechtsprechung für sich allein, auch ohne Verbindung mit einem Leistungsbegehren, zulässig (ZVR 1973/46, ZVR 1985/51 ua).
Die Ansicht der beklagten Partei, das Klagebegehren sei nicht schlüssig, kann ebenfalls nicht geteilt werden. Gewiß hätte dem ursprünglichen Klagebegehren, das auf Feststellung der Haftung der beklagten Partei für sämtliche Schadenersatzansprüche - ohne jegliche Einschränkung - lautete, nicht voll stattgegeben werden können und ebensowenig dem "berichtigten", mit welchem die Haftung der beklagten Partei "nur bis zum Haftungshöchstbetrag in jeweils gesetzlichem Ausmaß gemäß ABGB und EKHG begehrt wurde". Ein auf künftige Schäden und ein betragsmäßig eindeutig eingeschränktes Begehren bildet aber gegenüber dem von der klägerin gestellten Begehren kein aliud, sondern ein minus, der Zuspruch eines solchen ist auch bei Feststellungsklagen zulässig (SZ 58/187 ua). Das Gericht kann daher dem Klagebegehren in einem dem Gesetz entsprechenden eingeschränkten Umfang Folge geben. So hat der Oberste Gerichtshof etwa in mehreren Fällen dem Feststellungsausspruch die Haftungsbegrenzung nach dem EKHG angefügt (8 Ob 13/77, 2 Ob 24/77, 8 Ob 21/81), oder diesem Ausspruch die Worte "in Zukunft entstehende" beigefügt (2 Ob 35/88 ua).
Zur Frage der Haftungsbegrenzung ist folgendes auszuführen:
Würde den Lenker des bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Fahrzeuges am Unfall kein Verschulden treffen und nur eine Haftung nach den Vorschriften des EKHG bestehen, dann wäre die Haftung der beklagten Partei mit den Haftungshöchstbeträgen des EKHG im Spruch der Entscheidung zu begrenzen. Ein Verschulden dieses Lenkers bestreitet die beklagte Partei aber offenbar nicht, da sie einwendete, der andere Fahrzeuglenker habe den Unfall überwiegend verschuldet. Sollte sie ein Verschulden des Lenkers des bei ihr haftpflichtversicherten Fahrzeuges bestreiten, dann müßte sie dies im fortgesetzten Verfahren klarstellen. In diesem Fall wären auch Feststellungen über den Unfallshergang erforderlich. Ist aber von einem Verschulden dieses Fahrzeuglenkers auszugehen, dann ist die Haftung im Sinne der ständigen zu § 63 Abs 1 KFG ergangenen Rechtsprechung auf den "Rahmen des betreffenden
Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrages oder Schadensbehandlungsvertrages" zu beschränken (ZVR 1979/282 ua). § 63 KFG wurde zwar durch § 30 Z 10 KHVG 1987 aufgehoben, doch wurde im § 22 Abs 1 dieses Gesetzes eine gleichartige Regelung getroffen, nach welcher der geschädigte Dritte den ihm zustehenden Schadenersatzanspruch im Rahmen des betreffenden Versicherungsvertrages auch gegen den Versicherer geltend machen kann. Nach der neuen Rechtslage ist daher die Feststellung der Haftung auf den "Rahmen des betreffenden Versicherungsvertrages" zu beschränken.
Aus der "auf den Rahmen des betreffenden Versicherungsvertrages" beschränkten Haftung ergibt sich, daß die Haftung auch bei Schädigung mehrerer Personen mit der Versicherungssumme beschränkt ist. Eines entsprechenden Hinweises im Ausspruch über das Feststellungsbegehren bedarf es daher nicht.
Aus diesen Gründen war dem Rekurs ein Erfolg zu versagen. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E22350European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00072.9.1010.000Dokumentnummer
JJT_19901010_OGH0002_0020OB00072_9000000_000