Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Roman Merth und Henrike Blatterer als Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Milan S*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr. Wolfgang Taussig, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. November 1991, GZ 33 Rs 144/91-91, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 25. März 1991, GZ 3 Cgs 19/89-83, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem 1. Juni 1988 gerichtete Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß der am 16. August 1941 geborene Kläger für alle leichten und mittelschweren Tätigkeiten geeignet sei, bei denen keine besondere Geschicklichkeit der rechten Hand erfordert werde. Überdurchschnittliche Staub- und Rauchentwicklung am Arbeitsplatz sei auszuschließen. Aus der Sicht des Sachverständigen der Berufskunde kämen für den Kläger bei diesem medizinischen Leistungskalkül Hilfstätigkeiten in größeren Betrieben, insbesondere bei der Materialversorgung der Arbeiter, Zubringen von diversen Arbeitsmaterialien in Leichtbehältern mit Handwagen und Aufsichtstätigkeiten in diversen Betrieben, inbesondere als Tagportier in Betracht. Rechtlich folgerte das Erstgericht, daß der noch nicht 55-jährige Kläger, der in den letzten 15 Jahren keinen erlernten oder angelernten Beruf überwiegend ausgeübt habe, nach dem Leistungskalkül noch Erwerbstätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben könne. Er sei daher nicht invalid im Sinne des für ihn maßgeblichen § 255 Abs. 3 ASVG.
Das Berufungsgericht wies die Berufung des Klägers, soweit sie Nichtigkeit geltend machte, zurück und gab ihr im übrigen nicht Folge. Der Kläger mache Nichtigkeit gemäß § 477 Abs. 1 Z 4 ZPO geltend, weil die Anstaltsakten nicht verlesen worden seien. Dieser Nichtigkeitsgrund liege aber nur vor, wenn einer Partei die Möglichkeit genommen wurde, vor Gericht zu verhandeln. Dies treffe hier nicht zu. Auch die gerügten Verfahrensmängel seien nicht gegeben. Zur Berufslaufbahn habe der Kläger in seiner Klage vorgebracht, daß er den Beruf eines Monteurs angelernt und in den letzten 15 Jahren immer nur als Monteur gearbeitet habe. Wenn er nunmehr in der Beweisrüge geltend zu machen versuche, das Erstgericht habe keine Feststellungen darüber getroffen, ob er einen erlernten oder angelernten Beruf ausgeübt habe, übersehe er, daß er die Erlernung eines Berufes nicht behauptet habe und daß Monteur kein Lehrberuf sei. Nach einer Bestätigung der österreichischen P***** Industrie GesmbH sei der Kläger in diesem Unternehmen vom 21. Februar 1977 bis 3. Mai 1981 als Monteur beschäftigt gewesen. Nach eigenen Angaben in den Anstaltsakten sei er von 1976 bis 1981 als Hilfsarbeiter tätig gewesen. Bei diesen Verfahrensergebnissen habe kein Anlaß und keine Möglichkeit bestanden, Feststellungen über die Anlernung eines Lehrberufes zu treffen. In der rechtlichen Beurteilung sei das Erstgericht völlig zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger keinen erlernten oder angelernten Beruf überwiegend ausgeübt habe, so daß § 255 Abs. 3 ASVG anzuwenden sei. Nach dieser Gesetzesstelle sei der Kläger nicht als invalid anzusehen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist im Sinne ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.
Der Revisionsgrund der Nichtigkeit (§ 503 Z 1 ZPO) liegt allerdings nicht vor. Der Kläger wirft unter diesem Revisionsgrund, aber auch unter dem der Mangelhaftigkeit des Verfahrens dem Erstgericht vor, es habe dadurch den Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 412 Abs. 1 ZPO verletzt, daß es nach dem Wechsel in der Senatsbesetzung nicht sämtliche Beweisergebnisse wiederholt, insbesondere die bisherigen Protokolle nicht verlesen habe. Eine solche angebliche Nichtigkeit des Ersturteils wurde in der Berufung nicht gerügt, sie kann daher schon deshalb mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden (SSV-NF 5/41 mwN). Derselbe Grundsatz gilt, wenn man in der Unterlassung der Verlesung von Protokollen einen Mangel des Verfahrens erster Instanz erblickte, weil auch dieser Mangel in der Berufung nicht geltend gemacht wurde und daher nicht mehr den Gegenstand der Revision bilden kann (SSV-NF 1/68,
10 Ob S 275/91 = SSV-NF 5/120 - in Druck - uva).
Zutreffend macht der Kläger jedoch geltend, daß der Inhalt seiner Berufstätigkeit ungeprüft blieb. Der Kläger hat schon in der Klage behauptet, in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag in Österreich immer nur als Monteur gearbeitet und den Beruf eines Monteurs angelernt zu haben. Das Erstgericht hat diesem Vorbringen überhaupt keine Beachtung geschenkt und ohne jede Tatsachengrundlage ausgeführt, der Kläger habe in den letzten 15 Jahren keinen erlernten oder angelernten Beruf ausgeübt. Dem in der Berufung erhobenen Einwand, es fehlten jegliche Feststellungen über die Art der ausgeübten Tätigkeit, hielt das Berufungsgericht lediglich entgegen, daß Monteur kein Lehrberuf sei. Nach ständiger Rechtsprechung muß aber ein angelernter Beruf keinem gesetzlich geregelten Lehrberuf entsprechen; auch ohne Vergleich mit einem konkreten erlernten Beruf müssen die qualifizierten, in der Praxis erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten an Qualität und Umfang nur jenem in einem Lehrberuf gleichzuhalten sein (SSV-NF 1/70 uva). Für jene angelernten Berufe, für die kein entsprechender Lehrberuf vorgesehen ist, soll Berufsschutz gewährt werden, wenn damit gleichartige und gleichwertige qualifizierte Kenntnisse verbunden sind (vgl. SSV-NF 4/74, 111, 158). Selbst mit einer (vom Erstgericht gar nicht getroffenen) Feststellung, der Kläger habe als Monteur gearbeitet, würde über die berufliche Qualifikation nichts ausgesagt. Die Klärung der Frage, ob ein Versicherter Berufsschutz genießt, ist in allen Fällen, in denen ausgehend vom Bestehen eines Berufsschutzes die Verweisbarkeit in Frage gestellt ist, unabdingbare Entscheidungsvoraussetzung. Wenn nach dem Inhalt des Prozeßvorbringens hierüber keine Klarheit besteht und nach der Aktenlage nicht ohne weiteres der Schluß gezogen werden kann, daß der Kläger als einfacher Hilfsarbeiter tätig war, hat das Gericht auf Grund der Bestimmung des § 87 Abs. 1 ASGG diese Frage von Amts wegen zu überprüfen, mit den Parteien zu erörtern und hierüber Feststellungen zu treffen (SSV-NF 3/136, 4/119 ua). Nur dann, wenn jeglicher Anhaltspunkt dafür fehlt, daß ein Versicherter eine angelernte Tätigkeit ausgeübt hat, bedarf es keiner weiteren Erhebungen und Feststellungen über die genaue Art der Hilfsarbeitertätigkeiten, weil schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auch für jeden juristisch nicht Geschulten unter "Hilfsarbeiter" ein Arbeiter ohne besondere Qualifikation verstanden wird, also ein Arbeiter, der keine besondere Ausbildung besitzt und auch nicht angelernt ist (SSV-NF 3/46, 4/119). Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch handelt es sich beim Monteur um ein breitgestreutes Berufsbild; allgemein versteht man darunter einen (Fach-)Arbeiter, der speziell mit dem Zusammenbau von technischen Geräten und Anlagen, dem Aufstellen, Einbauen und Anschließen von Maschinen und anderem betraut ist und der die notwendigen Anpassungsarbeiten vornimmt (vgl. Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Meyers Enzyklopädisches Lexikon9, Brockhaus Enzyklopädie19, Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, jeweils unter Stichwort "Monteur").
Die Frage, ob der Kläger als Monteur Berufsschutz genießt, kann mangels jeglicher Feststellungen über Art und Umfang der ausgeübten Tätigkeit nicht beantwortet werden. Dieser Frage könnte jedoch im vorliegenden Fall mit Rücksicht auf das Leistungskalkül des Klägers relevante Bedeutung zukommen. In dieser Richtung erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig.
Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, war auch das Urteil des Erstgerichtes aufzuheben und die Sozialrechtssache an dieses zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs. 1 ZPO.
Anmerkung
E29410European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00075.92.0407.000Dokumentnummer
JJT_19920407_OGH0002_010OBS00075_9200000_000