Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Karl Heinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Eckner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Kahraman A*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr. Dieter Natlacen, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei ALLGEMEINE UNFALLVERSICHERUNGSANSTALT, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Februar 1992, GZ 34 Rs 202/91-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 24. Juni 1991, GZ 13 Cgs 37/91-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Rechtliche Beurteilung
Entscheidungsgründe:
Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Unter diesem Revisionsgrund bekämpft der Kläger unter Hinweis auf die angebliche Unzulänglichkeit des medizinischen Sachverständigengutachtens in bezug auf die weitere Entwicklung seines Gesundheitszustandes in Wahrheit die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen. Das Berufungsgericht hat der schon in der Berufung enthaltenen "Mängelrüge" entgegengehalten, daß die beim Kläger vorliegenden Dauerfolgen im chirurgischen Gutachten dargestellt und berücksichtigt wurden und daß für die Behauptung, die Dauerfolgen hätten sich noch nicht abschätzen lassen, jegliche Grundlage fehlt. Eine Überprüfung der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen ist dem Obersten Gerichtshof verwehrt (vgl SSV-NF 3/19).
In seiner Rechtsrüge strebt der Kläger unter Geltendmachung des Fehlens deutscher Sprachkenntnisse einen höheren Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit als 20 vH an, weil die medizinische Betrachtung seinen "Marktwert" auf dem Arbeitsmarkt zu wenig berücksichtige.
Die Rechtsrüge muß erfolglos bleiben.
Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates hat grundsätzlich ein ärztliches Gutachten über die Unfallfolgen und deren Auswirkungen die Grundlage für die Ermittlung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aus medizinischer Sicht zu bilden. Die Richtlinien, die den ärztlichen Sachverständigen dabei zur Verfügung stehen, nehmen auf die Verhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, der grundsätzlich das Verweisungsfeld in der gesetzlichen Unfallversicherung bildet, Bedacht. Die medizinische Einschätzung, die sich dieser Richtlinien bedient, berücksichtigt auf diese Weise auch die Auswirkungen einer Unfallverletzung auf die Einsatzmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (SSV-NF 1/64 = SZ 60/262 ua). In welchem Ausmaß in diesem Sinn aus medizinischen Gründen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit besteht, ist eine Tatfrage. Die Tatsacheninstanzen haben auf der Grundlage der Gutachten der ärztlichen Sachverständigen festzustellen, in welchem Ausmaß die Erwerbsfähigkeit des Versicherten durch die Unfallfolgen aus medizinischer Sicht herabgesetzt ist. Zu prüfen bleibt, ob im Hinblick auf die besondere Situation im Einzelfall die Ausbildung und die bisherigen Berufe des Unfallverletzten zur Vermeidung unbilliger Härten angemessen zu berücksichtigen sind. Die Entscheidung, ob ein derartiger Härtefall vorliegt, der ein Abweichen von der ärztlichen Einschätzung geboten erscheinen läßt und in welchem Umfang dem bei Festsetzung des Grades der MdE Rechnung getragen werden muß, ist Gegenstand der rechtlichen Beurteilung (SSV-NF 1/64 ua, zuletzt 10 Ob S 3/92). Dabei ist zur Vermeidung einer zu starken Annäherung an konkrete Schadensberechnung ein strenger Maßstab anzulegen
(10 Ob S 67/92 mwN).
Die Unkenntnis der deutschen Sprache ist jedenfalls kein Umstand, der dabei ausschlaggebend sein kann, und zwar gleichgültig, ob es sich bei dem Versicherten um einen Ausländer oder einen Inländer ohne (ausreichende) deutsche Sprachkenntnisse handelt. Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt dargelegt, daß die Unkenntnis der deutschen Sprache kein Verweisungshindernis bei Beurteilung des Versicherungsfalles der geminderten Arbeitsfähigkeit ist (zuletzt 10 Ob S 46/92 mit ausführlicher Begründung). Dieser Grundsatz muß auch im Unfallversicherungsrecht gelten, weil auch hier das - nicht unfall- oder berufskrankheitsbedingte - Fehlen der Sprachfertigkeit nicht zu den versicherten Risken gehört.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Da der Kläger durch einen im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt vertreten ist, wird er mit Kosten des Revisionsverfahrens nicht belastet, sodaß schon deshalb kein Anlaß besteht, ihm nach Billigkeit Kostenersatz zu gewähren (SSV-NF 1/19, 2/26, 2/27 ua).
Anmerkung
E29435European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:010OBS00112.92.0526.000Dokumentnummer
JJT_19920526_OGH0002_010OBS00112_9200000_000