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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §13 Abs1;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2005/08/0115 E 21. November 2007Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der C in S, vertreten durch Dr. Bernhard Huber, Mag. Christian Ebmer, Mag. Eva Huber-Stockinger, Dr. Elisabeth Achatz, Dr. Hans Peter Wöss und Mag. Elisabeth Nagel, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Schillerstraße 12, gegen den Bescheid der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vom 23. März 2005, Zl. BMSG-228793/0001-II/A/3/2005, betreffend Zurückweisung einer Berufung als verspätet in einer Angelegenheit betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und dem AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. R in S; 2. Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77; 3. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1201 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65;
4. Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1; 5. Arbeitsmarktservice, Landesgeschäftsstelle Oberösterreich, 4021 Linz, Europaplatz 9), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 24. Februar 2004 wurde ausgesprochen, dass die Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Tätigkeit als Barkellnerin beim Erstmitbeteiligten in der Zeit ab 18. August 2000 nicht der Pflichtversicherung in der Vollversicherung und der Arbeitslosenversicherung unterliege. Ebenso bestehe keine Formalversicherung.
Dem dagegen von der Beschwerdeführerin eingebrachten Einspruch wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 11. November 2004 keine Folge gegeben. Dieser Bescheid enthielt folgende Rechtsmittelbelehrung:
"Gegen diesen Bescheid kann innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab der Zustellung schriftlich, telegrafisch oder mit Telefax eine Berufung an das Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz eingebracht werden. Die Berufung hat den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet und einen begründeten Entscheidungsantrag zu enthalten.
Die Berufung ist von der Einspruchswerberin bei der Oö. Gebietskrankenkasse, von der Oö. Gebietskrankenkasse beim Landeshauptmann, p.A. Amt der oö. Landesregierung, Bahnhofplatz 1, 4021 Linz einzubringen."
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen dargelegt, die Zustellung des Bescheides des Landeshauptmannes von Oberösterreich an die Beschwerdeführerin bzw. ihren Vertreter sei laut Rückschein unbestrittenermaßen am Dienstag, dem 23. November 2004, erfolgt. Die zweiwöchige Berufungsfrist habe demnach am Dienstag, dem "7.12.2001" (wohl gemeint: 7. Dezember 2004), geendet. Die Berufung sei ausschließlich bei der Einspruchsbehörde (wenn auch folgendermaßen bezeichnet:
"OÖ. Gebietskrankenkasse, p.A. Amt der OÖ. Landesregierung, Bahnhofplatz 1, 4021 Linz") eingebracht worden und dort am "9.12.2001" (wohl gemeint: 9. Dezember 2004) eingelangt. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2004 sei die Berufung schließlich an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse weitergeleitet worden. Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin sei die oben genannte Rechtsmittelbelehrung weder unklar noch irreführend. Richtig sei, dass, § 415 ASVG folgend, zwei Einbringungsstellen angeführt seien, nämlich erstens die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse und zweitens der Landeshauptmann, p.A. Amt der Oö. Landesregierung. Konkret bedeute dies, dass von der Beschwerdeführerin die Berufung bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse einzubringen gewesen sei, von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse hingegen beim Landeshauptmann p.A. Amt der Oö. Landesregierung. Die Adresse beziehe sich ausschließlich auf den Landeshauptmann und nicht auch auf die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse, ansonsten hätte schon nach der Gebietskrankenkasse der Einschub "p.A. Amt der OÖ Landesregierung" angeführt sein müssen. Die Rechtsmittelbelehrung sei weder für einen juristischen Laien bzw. für eine mit den Verfahrensvorschriften nicht so vertraute Person noch für einen rechtskundigen Vertreter irreführend, da aus ihrem Wortlaut eindeutig hervorgehe, bei welcher Behörde die Berufung schließlich einzubringen sei. Aus der Rechtsmittelbelehrung ergebe sich, dass nur die Berufung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse beim Landeshauptmann einzubringen sei. Die Formulierung "von der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse beim Landeshauptmann, p. A. Amt der OÖ Landesregierung" sei jedenfalls nicht so zu verstehen, dass auch die Berufung der Beschwerdeführerin bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse, p.A. Amt der Oö. Landesregierung, einzubringen gewesen sei. Im Übrigen sei es einem Rechtsanwalt durchaus zuzumuten, sich über die Rechtslage des ihm vertrauten Falles zu informieren, die Rechtsmittelbestimmungen richtig anzuwenden und im Zweifelsfall das Gesetz zu Rate zu ziehen. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass durch das neue Gebäude der Landesregierung am Bahnhofplatz ein großes Kunden- und Bürgerzentrum entstanden sei, weshalb angenommen habe werden können, dass auch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse nunmehr eine ihrer Abgabestellen dort eingerichtet habe, sei entgegen zu halten, dass der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin verpflichtet gewesen wäre, entsprechend den Sorgfaltspflichten zu handeln und sich über die richtige Abgabestelle vorab zu informieren. Er habe nicht einfach ohne nähere Recherchen davon ausgehen können, dass die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse dort tatsächlich eine Abgabestelle eingerichtet habe. Die Berufung trage das Datum 7. Dezember 2001 (richtig: 7. Dezember 2004). Wäre an diesem Tag das Rechtsmittel, adressiert an die erstinstanzliche Behörde (Oö. Gebietskrankenkasse, direkt - Gruberstraße 77, 4021 Linz und nicht per Adresse Amt der Oö. Landesregierung) oder an die Berufungsbehörde zur Post gegeben worden, wäre die Rechtzeitigkeit zu bejahen. Irrtümlicherweise sei jedoch die Berufung an die Einspruchsbehörde "(OÖ Gebietskrankenkasse, p.A. Amt der Oberösterreichischen Landesregierung)" übermittelt worden und dort erst am 9. Dezember 2001 (richtig: 9. Dezember 2004) eingelangt. Selbst unter dem Gesichtspunkt, dass eine Weiterleitung seitens der Einspruchsbehörde im Sinne des § 6 AVG noch am selben Tag erfolgt wäre, wäre diese Berufung zum damaligen Zeitpunkt als verspätet anzusehen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand. Auch die mitbeteiligte Unfallversicherungsanstalt verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift. Das mitbeteiligte Arbeitsmarktservice schloss sich in einer als "Gegenschrift" bezeichneten Äußerung den Darlegungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides vollinhaltlich an.
Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Sie führte darin u.a. aus, dass sie ihre Adressen, Amtsstunden und Parteienverkehrszeiten gemäß § 13 AVG kundgemacht habe. Demnach sei für Zustellungen von Brief- und Paketpost ausschließlich die Postadresse der Hauptstelle, 4021 Linz, Gruberstraße 77, Postfach 61, maßgebend. Es treffe zu, dass die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse am Bahnhofsgelände in Linz ein Kundenservicecenter betreibe. Die genaue Adresse dieser Einrichtung laute entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin 4021 Linz, Bahnhofplatz 3-6. Nach der amtlichen Verlautbarung gemäß § 13 AVG befinde sich an dieser Adresse keine Abgabestelle der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse. Die Beschwerdeführerin habe nicht geprüft, ob an der Adresse am Bahnhofplatz Postsendungen rechtswirksam eingebracht werden können. Außerdem sei in der Adressierung der Berufung ausdrücklich auch das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung angeführt worden. Dass die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse beim Amt der Oberösterreichischen Landesregierung keine Abgabestelle eingerichtet habe, hätte die Beschwerdeführerin klar erkennen müssen.
Die übrigen Parteien haben sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 13 Abs. 1 AVG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 10/2004 hat folgenden Wortlaut:
"§ 13. (1) Anträge, Gesuche, Anzeigen, Beschwerden oder sonstige Mitteilungen können, sofern in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, bei der Behörde schriftlich oder, soweit es der Natur der Sache nach tunlich erscheint, mündlich eingebracht werden. Dies kann in jeder technischen Form geschehen, die die Behörde zu empfangen in der Lage ist. Einem mündlichen Anbringen ist unabhängig von der technischen Einbringungsform jedes Anbringen gleichzuhalten, dessen Inhalt nicht zumindest in Kopie zum Akt genommen werden kann. Als Kopie gilt jede inhaltlich unverfälschte Wiedergabe des Originals. Die Behörde hat die Adressen sowie die allenfalls bestehenden besonderen technischen Voraussetzungen, unter welchen Anbringen rechtswirksam eingebracht werden können, durch Anschlag an der Amtstafel und im Internet kundzumachen. Langt ein Anbringen an einer nicht kundgemachten Adresse der Behörde ein, so ist es auf Gefahr des Einschreiters an eine kundgemachte Adresse weiterzuleiten."
§ 61 AVG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 lautet:
"§ 61. (1) Die Rechtsmittelbelehrung hat anzugeben, ob der Bescheid noch einem weiteren Rechtszug unterliegt oder nicht und bejahendenfalls, innerhalb welcher Frist und bei welcher Behörde das Rechtsmittel einzubringen ist. Sie hat ferner auf die gesetzlichen Erfordernisse der Bezeichnung des angefochtenen Bescheides und eines begründeten Rechtsmittelantrages hinzuweisen.
(2) Enthält ein Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung oder fälschlich die Erklärung, dass kein Rechtsmittel zulässig sei oder ist keine oder eine kürzere als die gesetzliche Rechtsmittelfrist angegeben, so gilt das Rechtsmittel als rechtzeitig eingebracht, wenn es innerhalb der gesetzlichen Frist eingebracht wurde.
(3) Ist in dem Bescheid eine längere als die gesetzliche Frist angegeben, so gilt das innerhalb der angegebenen Frist eingebrachte Rechtsmittel als rechtzeitig.
(4) Enthält der Bescheid keine oder eine unrichtige Angabe über die Behörde, bei der das Rechtsmittel einzubringen ist, so ist das Rechtsmittel auch dann richtig eingebracht, wenn es bei der Behörde, die den Bescheid ausgefertigt hat, oder bei der angegebenen Behörde eingebracht wurde."
§ 63 Abs. 5 AVG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 lautet:
"(5) Die Berufung ist von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides, im Fall bloß mündlicher Verkündung mit dieser. Wird eine Berufung innerhalb dieser Frist bei der Berufungsbehörde eingebracht, so gilt dies als rechtzeitige Einbringung; die Berufungsbehörde hat die bei ihr eingebrachte Berufung unverzüglich an die Behörde erster Instanz weiterzuleiten."
Gemäß § 415 Abs. 2 ASVG hat der Versicherungsträger, der den Bescheid in erster Instanz erlassen hat, die Berufung beim Landeshauptmann einzubringen.
Im vorliegenden Fall wurde als für die Beschwerdeführerin maßgebende Einbringungsbehörde in der Rechtsmittelbelehrung die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse angegeben. Die Adressierung der Berufung erfolgte an die "OÖ Gebietskrankenkasse, pA Amt der OÖ Landesregierung, Bahnhofplatz 1, 4021 Linz".
Die Rechtsmittelbelehrung muss zwar keine Adresse enthalten. Wird aber eine Adresse genannt, dann gelten auch dafür die Regeln des § 61 AVG. Bei der Adresse handelt es sich nämlich um eine Angabe über die Behörde im Sinne des § 61 Abs. 4 AVG.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im hg. Erkenntnis vom 6. Mai 1968, Slg. Nr. 7345 A, mit Verweis auf Vorjudikatur ausgesprochen, dass auch eine (bloß) irreführende Rechtsmittelbelehrung die Rechtsfolgen des § 61 Abs. 4 AVG auslösen kann. Dabei kommt es auf das Verständnis eines nicht rechtskundigen und auch nicht mit speziellen Kenntnissen der deutschen Sprachlehre ausgestatteten Bescheidadressaten an. Die diffizile Unterscheidung zwischen "diesem" und "jenem" Amt liegt nach dem genannten hg. Erkenntnis außerhalb des Bereiches jener Überlegungen, die von der Partei eines Verwaltungsverfahrens bei der Lektüre einer Rechtsmittelbelehrung erwartet werden dürfen.
Im vorliegenden Fall kann die Wendung "p.A. Amt der oö. Landesregierung, Bahnhofplatz 1, 4021 Linz" unter Zugrundelegung der vorigen Ausführungen auch so verstanden werden, dass sie sich auch auf die im ersten Satzteil enthaltene Wortfolge "bei der Oö. Gebietskrankenkasse" bezieht. Es liegt ein Parallelismus der Wortfolgen des Satzteiles vor dem ersten und jenes vor dem zweiten Beistrich vor. Ein Bezug des daran anschließenden dritten Satzteiles, der von den beiden anderen - insoweit Gleichwertigkeit nicht ausschließend, sondern eher indizierend - ebenfalls nur durch einen Beistrich getrennt ist, ausschließlich auf den zweiten Satzteil muss einer nicht rechtskundigen Person keinesfalls zwingend erscheinen. Dies führt aber dazu, dass das bei der im dritten Satzteil genannten Adresse eingebrachte Rechtsmittel als im Sinne des § 61 Abs. 4 AVG richtig eingebracht gilt. Daran vermag auch eine Kundmachung einer von der in der Rechtsmittelbelehrung angegebenen verschiedenen Adresse im Sinne des § 13 Abs. 1 vorletzter Satz AVG nichts zu ändern.
Indem die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Mehrbegehren war im Hinblick auf die auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende sachliche Gebührenfreiheit gemäß § 110 ASVG abzuweisen.
Wien, am 15. Februar 2006
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2006:2005080063.X00Im RIS seit
22.03.2006Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008