Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.E.Huber, Dr.Jelinek, Dr.Rohrer und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** Kapitalvermittlungsgesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Edgar Kollmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Herbert H*****, selbständiger Handelsvertreter, ***** wegen S 75.000,- sA, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Handelsgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 7.Jänner 1993, GZ 1 R 443/92-6, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 10.November 1992, GZ 3 C 2883/92b-2, bestätigt wurde, den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Dem Erstgericht wird die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens aufgetragen.
Text
Begründung:
Die klagende Kapitalvermittlungsgesellschaft mbH begehrt mit der beim Bezirksgericht für Handelssachen Wien eingebrachten Klage, den als "selbständigen Handelsvertreter" bezeichneten Beklagten zur Zahlung von S 75.000,- zu verurteilen, und bringt hiezu vor, er sei für sie als selbständiger Provisionsvertreter tätig gewesen, habe Vorschüsse in der vorgenannten Höhe erhalten, dann jedoch sein freies Mitarbeiterverhältnis gekündigt.
Nach erfolglosen Verbesserungsaufträgen wies das angerufene Gericht die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück und begründete dies damit, daß der Beklagte nach den Klageangaben Vermittler von Versicherungsverträgen und Kapitalanlagen und somit nicht Kaufmann im Sinne des § 1 Abs 2 HGB sei. Die Bezeichnung "selbständiger Handelsvertreter" stelle nach ständiger Judikatur des Rekursgerichtes einen Rechtsbegriff dar. Daß der Beklagte Kaufmann nach anderen gesetzlichen Bestimmungen sei, habe die klagende Partei nicht behauptet.
Das Rekursgericht bestätigte den erstgerichtlichen Beschluß und erklärte den Revisionsrekurs gemäß § 528 Abs 1 ZPO für zulässig. In seiner Entscheidungsbegründung führte es aus:
Im Sinne des § 51 Abs 1 Z 1 iVm § 52 JN sei Voraussetzung für die Zuständigkeit des selbständigen Handelsgerichtes für Streitigkeiten aus Handelsgeschäften sowohl die Kaufmannseigenschaft des Beklagten als auch, daß das Geschäft für ihn ein Handelsgeschäft sei. Das Gesetz bringe eindeutig zum Ausdruck, daß der Beklagte im Zeitpunkt der Klageeinbringung Kaufmann sein müsse. Das Rekursgericht habe bereits mehrfach ausgesprochen, daß genauso, wie die bloße Rechtsbehauptung "Kaufmann" nicht ausreiche, um die Annahme der Kaufmannseigenschaft im Sinne des HGB für die betreffende Person zu begründen, auch die bloße Behauptung, der Beklagte sei "selbständiger Handelsvertreter" noch nicht hinreiche, um ihn als Kaufmann im Sinne § 1 Abs 2 Z 7 HGB ansehen zu können. Die von der klagenden Partei mehrfach angesprochene selbständige Vermittlungstätigkeit des Beklagten sei nur eines der Kriterien der möglichen Kaufmannseigenschaft. Daneben seien noch das ständige Betrauungsverhältnis mit einer unbestimmten Mehrzahl von Geschäften, die gewerbsmäßige Tätigkeit und das Handeln in fremdem Namen und auf fremde Rechnung gefordert. Hiezu habe die Klägerin zwar Behauptungen dahin aufgestellt, daß der Beklagte in ihrem Namen Verträge mit Kunden abschloß und daß keine Subordination vorlag. Dieses Vorbringen werde aber durch das mit der Klage vorgelegte Vertragsmuster ("Allgemeine Vertragsbedingungen für Mitarbeiter der Klägerin") widerlegt, sodaß die genannten Behauptungen gemäß § 41 Abs 2 letzter Satzteil JN der Zuständigkeitsprüfung nicht zugrundezulegen seien. Nach dem Inhalt des zitierten Vertragsformblattes müsse davon ausgegangen werden, daß er als Subvermittler tätig gewesen bzw. tätig sei; diese Tätigkeit falle nicht unter § 1 Abs 2 Z 7 HGB. Infolge seiner ständigen Betrauung durch seinen Generalagenten sei der Untervermittler auch kein Handelsmäkler. Damit sei aber schon die erste Zuständigkeitsvoraussetzung, nämlich, daß die Klage auf ein Handelsgeschäft des Beklagten gestützt werde, nicht erfüllt. Zum Vorliegen einer arbeitnehmerähnlichen Stellung habe die klagende Partei kein Vorbringen erstattet und sich auch durch die Nichtanwendung der Bestimmung des § 38 Abs 2 ASGG durch das Erstgericht nicht als beschwert erachtet, sodaß auf die Frage der Arbeitnehmerähnlichkeit nicht einzugehen sei.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes erhebt die klagende Partei Revisionsrekurs mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes ausgesprochen werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist im Sinne der §§ 519 Abs 2 Z 2 und 528 Abs 1 ZPO zulässig und auch gerechtfertigt.
Gemäß § 41 Abs 1 JN hat das Gericht seine Zuständigkeit von Amtswegen zu prüfen; diese Prüfung erfolgt gemäß der ausdrücklichen Anordnung des Abs 2 leg cit in bürgerlichen Streitsachen "auf Grund der Angaben des Klägers, dafern diese nicht dem Gericht bereits als unrichtig bekannt sind".
Rechtsprechung und Lehre legen die vorgenannten Bestimmungen dahin aus, daß die Frage einer allfälligen unheilbaren Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes von Amtswegen zu klären ist, die Klageangaben also insoweit nicht ohne weiteres hinzunehmen, sondern Erhebungen durchzuführen und vorgelegte Urkunden, z.B. Rechnungen, in die Zuständigkeitsprüfung einzubeziehen sind (EvBl 1979/105 S 325; SZ 43/204; Fasching I 260 Anm 3), in der Frage des Vorliegens einer allfälligen heilbaren Unzuständigkeit dagegen ein Verfahren zur Ermittlung der Wahrheit der Klageangaben - ausgenommen den Sonderfall des § 60 Abs 2 JN - ausgeschlossen ist (Fasching aaO Anm 2b). Nicht berücksichtigen darf das Gericht in letzterem Falle zwar Klageangaben, die ihm bereits als unrichtig bekannt sind. Als bekannt ist anzusehen , was dem Gericht in seiner amtlichen Eigenschaft im Zeitpunkt des Einlangens der Klage bekannt ist. Eine Ermittlung über die Unrichtigkeit der Klagebehauptungen scheidet daher aus wie ebenso das Privatwissen des Richters (Fasching aaO Anm 4). Da das Gericht in diesem Falle also die Angaben des Klägers der Entscheidung zugrundezulegen hat, ohne ihre Wahrheit zu prüfen, muß die Beurteilung der heilbaren Unzuständigkeit abstrakt erfolgen, d.h. unter der Annahme der Richtigkeit der Klageangaben. Ob diese Angaben wirklich wahr sind, kann nur bei der zweiten, über Einrede des Beklagten vorzunehmenden Prüfung untersucht werden (Fasching aaO Anm 3).
Im vorliegenden Falle hat die klagende Partei durch die angegebene Berufsbezeichnung ausdrücklich die Eigenschaft des Beklagten als "selbständigen Handelsvertreter" behauptet und ihre weiteren Angaben in der Klageerzählung lassen diese für die in Anspruch genommene Zuständigkeit wesentliche Behauptung unberührt. Daß dem Gericht die Unrichtigkeit dieser Angabe bereits bei Klageanbringung bekannt gewesen sei, wird auch von den Vorinstanzen nicht zugrundegelegte, und ist schon im Hinblick auf die erstgerichtlichen Ermittlungs- und Klärungsversuche ausgeschlossen.
Die demnach abstrakt vorzunehmende Beurteilung der Frage der Zuständigkeit des Erstgerichtes führt unter der Annahme der Richtigkeit der Klageangaben somit zur Bejahung seiner sachlichen Zuständigkeit.
Da die sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes gemäß § 104 Abs 3 JN heilbar und, wie dargetan, bei heilbarer Unzuständigkeit auf den Inhalt allenfalls vorgelegter Urkunden gar nicht Bedacht zu nehmen ist, durfte die vorliegende Klage somit keinesfalls a limine zurückgewiesen werden, vielmehr hatte das Erstgericht seine sachliche Zuständigkeit gemäß § 51 Abs 1 Z 1 JN zugrundezulegen. Ob die Klageangaben wirklich wahr sind, kann erst bei einer zweiten, über Einrede des Beklagten vorzunehmenden, Prüfung untersucht werden.
Dem Rekurs der klagenden Partei war daher Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.
Anmerkung
E31295European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1993:0080OB00517.93.0325.000Dokumentnummer
JJT_19930325_OGH0002_0080OB00517_9300000_000