TE Vwgh Erkenntnis 2006/10/10 2006/03/0057

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Veröffentlicht am 10.10.2006
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
93 Eisenbahn;

Norm

AVG §8;
EisenbahnG 1957 §39 Abs3;
EisenbahnG 1957 §39 Abs4 idF 1992/452;
EisenbahnG 1957 §39;
VwGG §13;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Berger, Dr. Lehofer und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde der B AG in W, vertreten durch Dr. Horst Auer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Börsegasse 10, gegen den Bescheid des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie vom 6. Dezember 2005, Zl BMVIT- 220.102/0006-II/SCH2/2005, betreffend Ausnahmebewilligung im Gefährdungsbereich nach dem Eisenbahngesetz 1957 (mitbeteiligte Partei: L GmbH in W, vertreten durch Dr. Riedl & Dr. Ludwig Rechtsanwälte GmbH in 3350 Haag, Höllriglstraße 3), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der mitbeteiligten Partei für den Umbau der gewerblichen Betriebsanlage KFZ-Werkstätte und Autohaus L unter Zugrundelegung des vorgelegten Entwurfs in der Fassung der Nachreichungen die eisenbahnrechtliche Ausnahmebewilligung gemäß § 39 Abs 3 des Eisenbahngesetzes 1957 (im Folgenden: EisbG) erteilt.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs vom 4. August 2005 sei der mitbeteiligten Partei für die Änderung der genannten gewerblichen Betriebsanlage die gewerbebehördliche und baubehördliche Genehmigung erteilt worden. Das Bauvorhaben liege teilweise unter der 110 kV Bahnstromleitung Amstetten - Bergern der Beschwerdeführerin. Der Gefährdungsbereich für Hochspannungsleitungen betrage für Freileitungen in der Regel je 25 m beiderseits der Längsachse. Das Bauvorhaben liege daher im Gefährdungsbereich. Der Beschwerdeführerin sei im (besagten) Genehmigungsverfahren keine Partei- oder Beteiligtenstellung eingeräumt worden. Die Ausnahmebestimmung des § 39 Abs 4 EisbG komme im vorliegenden Fall daher nicht in Betracht. Die genannte Bahnstromleitung diene (auch) der Stromversorgung einer Hauptbahn. Zuständige Behörde für die Ausnahmebewilligung sei daher die belangte Behörde.

Parteistellung im Ausnahmebewilligungsverfahren nach § 39 Abs 3 EisbG habe jedenfalls die Antragstellerin. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs "zur alten Rechtlage" seien dem vorliegenden Verfahren außer dem Antragsteller keine anderen Personen in der Rechtstellung einer Partei beizuziehen. Eine Betrachtung des seither erlassenen § 39 Abs 4 leg cit, wonach unter bestimmten Voraussetzungen eine Ausnahmebewilligung entfallen könne, liefere keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich der Parteienkreis im Verfahren nach § 39 Abs 3 EisbG geändert hätte. Der beschwerdeführenden Partei komme im vorliegenden Verwaltungsverfahren somit keine Parteistellung, sondern lediglich Beteiligtenstellung zu.

Die mitbeteiligte Partei habe mit Schreiben vom 8. November 2005 um Erteilung der in Rede stehenden eisenbahnrechtlichen Ausnahmebewilligung angesucht, dieser Antrag sei im November 2005 durch Vorlage weiterer Pläne ergänzt worden. Ferner habe die mitbeteiligte Partei auf dem Boden einer Stellungnahme des Amtssachverständigen für Elektrotechnik die vom Sachverständigen geforderten konkreten Maßnahmen zum Bestandteil ihres Antrags gemacht. Diese Verfahrensergebnisse seien der Beschwerdeführerin sowie der mitbeteiligten Partei zur Kenntnisbzw Stellungnahme übermittelt worden. In ihrer Stellungnahme vom 30. November 2005 habe die Beschwerdeführerin insbesondere die Auffassung vertreten, dass die vorgesehenen Schutzvorkehrungen nicht geeignet wären, sämtliche Beeinträchtigungen der Haltung und Betriebsführung der Bahnstromleitung hintanzuhalten. In seiner ergänzenden Stellungnahme sei der Amtssachverständige auf jede einzelne Forderung der Beschwerdeführerin aus fachlicher Sicht eingegangen. Aus den vom Amtssachverständigen ausgeführten nachvollziehbaren Gründen ergebe sich, dass eine Übernahme der von der Beschwerdeführerin als erforderlich erachteten Vorschreibungen und Bedingungen nicht erforderlich sei. Das Ermittlungsverfahren habe gezeigt, dass die von der mitbeteiligten Partei angeführten Vorkehrungen geeignet seien, eine Gefährdung des Eisenbahnbetriebs auszuschließen, weshalb die beantragte Genehmigung zu erteilen gewesen sei.

1. 2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid "in ihren Rechten auf Schutz vor Gefährdungen des Eisenbahnbetriebes und ihren Parteirechten, insbesondere den aus § 39 EisbG erfließenden" verletzt.

1.3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde mangels Parteistellung der beschwerdeführenden Partei zurückzuweisen, in eventu die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. § 39 EisbG, BGBl Nr 60/1957, in der im Beschwerdefall maßgebenden Fassung BGBl Nr 452/1992 lautet wie folgt:

"§ 39. (1) In der Umgebung von Eisenbahnanlagen (Gefährdungsbereich) ist die Errichtung von Anlagen oder die Vornahme sonstiger Handlungen verboten, durch die der Bestand der Eisenbahn oder ihr Zugehör oder die regelmäßige und sichere Betriebsführung, insbesondere die freie Sicht auf Signale oder bei schienengleichen Eisenbahnübergängen, gefährdet wird.

(2) Bei Hochspannungsleitungen beträgt, unbeschadet der Bestimmung des Abs. 3, der Gefährdungsbereich, wenn sie Freileitungen sind, in der Regel je fünfundzwanzig Meter, wenn sie verkabelt sind, in der Regel je fünf Meter beiderseits der Leitungsachse.

(3) Wenn im Gefährdungsbereich Steinbrüche, Bauwerke oder andere Anlagen errichtet oder Stoffe, die explosiv oder brennbar sind, gelagert oder verarbeitet werden sollen, durch die der Eisenbahnbetrieb gefährdet werden kann, so ist vor der Bauausführung oder der Lagerung oder Verarbeitung die Bewilligung der Behörde einzuholen; diese ist zu erteilen, wenn Vorkehrungen getroffen sind, die eine Gefährdung des Eisenbahnbetriebes ausschließen.

(4) Die Bewilligungspflicht gemäß Abs. 3 entfällt, wenn es sich um eine Anlage handelt, für die nach einer anderen bundesgesetzlichen oder landesgesetzlichen Vorschrift eine Bewilligung erteilt wurde, das Eisenbahnunternehmen in diesem Verfahren Partei- oder Beteiligtenstellung hatte und dessen allfälligen Einwendungen hinsichtlich einer Gefährdung des Eisenbahnbetriebes Rechnung getragen wurde."

2.2. Die Beschwerdeführerin führt in Übereinstimmung mit den Feststellungen im angefochtenen Bescheid aus, dass sie im besagten gewerberechtlichen und baurechtlichen Genehmigungsverfahren weder eine Partei- noch eine Beteiligtenstellung hatte und vertritt (übereinstimmend mit der belangten Behörde) die Auffassung, dass nach § 39 Abs 4 EisbG vorliegend eine Genehmigungspflicht nach § 39 Abs 3 leg cit nicht entfiel. Auf dem Boden der genannten Feststellungen besteht gegen diese Auffassung kein Einwand.

2.3. Die Beschwerdeführerin bringt insbesondere vor, in Anbetracht des durch BGBl Nr 452/1992 in den § 39 EisbG angefügten Abs 4 sei eine Änderung der Rechtslage dahingehend eingetreten, dass ihr in dem dem bekämpften Bescheid zugrunde liegenden Verwaltungsverfahren Parteistellung zukommen müsse.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Nach der hg Rechtsprechung zu § 39 leg cit in seiner Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl Nr 452/1992 ließ sich weder dem § 39 Abs 3 EisbG noch einer anderen Bestimmung dieses Gesetzes entnehmen, dass in einem nach dieser Vorschrift durchzuführenden Verfahren außer dem Antragsteller irgendwelche Personen in der Rechtstellung einer Partei beizuziehen seien (vgl das hg Erkenntnis vom 25. April 1969, Zl 1377/68, und den hg Beschluss vom 23. Februar 1968, Zl 1817/67).

Diese Rechtsprechung lässt sich auf dem Boden der durch die Anfügung des Abs 4 eingetretenen Rechtsänderung nicht länger aufrechterhalten. Angesichts dieser Rechtsänderung kann davon ohne Bildung eines verstärkten Senates (§ 13 VwGG) abgegangen werden (vgl etwa das hg Erkenntnis vom 23. Mai 2002, Zl 99/03/0144).

Die in § 39 Abs 4 EisbG letzter Halbsatz enthaltene Regelung, wonach die Bewilligungspflicht gemäß § 39 Abs 3 leg cit nur dann entfällt, wenn den Einwendungen eines Eisenbahnunternehmens hinsichtlich einer Gefährdung des Eisenbahnbetriebs Rechnung getragen wurde, zeigt, dass es bei dieser Regelung nach dem Willen des Gesetzgebers darauf ankommt, dass den Interessen des Eisenbahnunternehmens ihrem Inhalt nach entsprochen wurde.

Es führte zu einem offenkundigen - auch im Lichte des dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgebot immanenten Sachlichkeitsgebotes (vgl dazu etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Juni 1999, Slg Nr 15.541) problematischen - Wertungswiderspruch, wenn diese gesetzgeberische Zielsetzung zwar für den Fall des Entfalls der Bewilligungspflicht nach § 39 Abs 3 EisbG vorausgesetzt wird, für den Fall aber, dass diese Bewilligungspflicht (wie im Beschwerdefall) nicht entfällt, in diesem Bewilligungsverfahren selbst nicht zum Tragen käme.

Um einen solchen Wertungswiderspruch zu vermeiden, muss einem Eisenbahnunternehmen in einem Verfahren nach § 39 Abs 3 EisbG die Rechtsposition zukommen, die es ihm erlaubt, das nach dieser Regelung maßgebliche Interesse des Ausschlusses einer Gefährdung des Eisenbahnbetriebes in diesem Verfahren durchzusetzen. Die Möglichkeit zur Durchsetzung von rechtlichen Interessen in einem Verwaltungsverfahren steht aber nur einer Partei dieses Verfahrens offen. Die Parteistellung im Verwaltungsverfahren ist das prozessuale Mittel zur Durchsetzung materieller Rechte (vgl aus der hg Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 20. Oktober 1993, Zl 93/10/0106). Daran vermag nichts zu ändern, dass nach § 39 Abs 4 leg cit die Beteiligtenstellung eines Eisenbahnunternehmens in einem im Sinn dieser Regelung nach einer anderen bundesgesetzlichen oder landesgesetzlichen Vorschrift geführten Verwaltungsverfahren ausreicht, setzt § 39 Abs 4 leg cit doch - wie oben ausgeführt - darüber hinaus voraus, dass den Interessen des Eisenbahnunternehmen inhaltlich entsprochen wurde.

Vor diesem Hintergrund verlangt § 39 Abs 3 EisbG, dass einem Eisenbahnunternehmen im Zug eines nach dieser Bestimmung geführten Bewilligungsverfahrens Parteistellung im Hinblick auf die Frage einer Gefährdung des Eisenbahnbetriebs eingeräumt wird. Der Hinweis in der Gegenschrift der belangten Behörde auf den hg Beschluss vom 28. Februar 2006, Zl 2005/03/0244, ändert nichts an dieser Beurteilung, zumal diesem Beschluss kein Genehmigungsverfahren nach § 39 Abs 3 EisbG, sondern ein Verfahren nach § 38 leg cit zugrunde lag und die Frage der Parteistellung eines Eisenbahnunternehmens nicht Gegenstand dieses Verfahrens war.

2.4. Die belangte Behörde hat somit die Rechtslage verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

2.5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr 333.

Wien, am 10. Oktober 2006

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Besondere Rechtsgebiete öffentlicher Verkehr Eisenbahnen Seilbahnen Lifte Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006030057.X00

Im RIS seit

08.11.2006

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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