TE OGH 2000/8/29 1Ob149/00v

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Veröffentlicht am 29.08.2000
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef B*****, vertreten durch DDr. Manfred Nordmeyer, Dr. Widukind W. Nordmeyer und Dr. Thomas Kitzberger, Rechtsanwälte in Wels, wider die beklagte Partei C***** S.p.A., *****, Italien, vertreten durch Dr. Ulf Gastgeb, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 132.490,42 sA infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 25. April 2000, GZ 1 R 38/00i-61, womit der Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis vom 23. Dezember 1999, GZ 5 Cg 140/97h-52, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 8.112 (darin S 1.352 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu bezahlen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte letztlich die Zahlung von letztlich S 132.490,42 sA aus dem Titel des Schadenersatzes. Die beklagte Partei habe ihm auf Grund eines Exklusiv-Vertriebsvertrags Dachziegel geliefert, die mangelhaft gewesen seien. Dieser Umstand habe Schäden in Höhe des Klagsbetrags hervorgerufen. Im Vertriebsvertrag sei als Gerichtsstand Ried im Innkreis vereinbart worden.

Die beklagte Partei erhob unter anderem die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des Erstgerichts ein, weil kein Gerichtsstand vereinbart worden sei. Die vom Kläger behauptete Vereinbarung sei nachträglich und ohne Wissen und Willen der beklagten Partei in den Vertriebsvertrag eingefügt worden.

Das Erstgericht wies die Klage wegen mangelnder inländischer Gerichtsbarkeit zurück. Das Beweisverfahren habe nicht ergeben, dass die unter Punkt 9 des Vertriebsvertrags aufscheinende Gerichtsstandsvereinbarung vor oder nach Unterfertigung des Vertrags eingefügt worden sei. Jedenfalls sei die Gerichtsstandsvereinbarung im ursprünglichen Vertragstext nicht enthalten gewesen, weshalb verlangt werden müsse, dass der computergespeicherte Text des Vertrags neu ausgedruckt werde, um einen klaren urkundlichen Nachweis für die Gerichtsstandsvereinbarung zu schaffen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Auf den vorliegenden Fall sei das Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. 9. 1988 (LGVÜ) - von Amts wegen - anzuwenden. Soweit die Zuständigkeitsvorschrift des Art 17 LGVÜ reiche, schließe sie nationales "Jurisdiktionsrecht", somit in Österreich die Anwendung des § 104 JN in vollem Umfang aus. Voraussetzung für das Zustandekommen einer Zuständigkeitsvereinbarung sei, dass insoweit eine Willenseinigung zwischen den Parteien stattgefunden habe, die klar und deutlich zum Ausdruck gekommen sei. Die Formerfordernisse des Art 17 LGVÜ sollten gewährleisten, dass die Einigung zwischen den Parteien tatsächlich feststehe. Es gehe nicht um die Auslegung einer Unklarheit der Zuständigkeitsvereinbarung, sondern um die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Gerichtsstandsklausel dem Vertriebsvertrag hinzugefügt worden sei. Dieser Zeitpunkt sei objektiv nicht feststellbar gewesen, was aber bedeute, dass nicht feststehe, dass zwischen den Streitteilen der Gerichtsstand des Erstgerichts vereinbart worden sei. Diese Unklarheit gehe zu Lasten des Klägers, der sich auf einen Sondertatbestand - den ausschließlichen Gerichtsstand nach Art 17 LGVÜ - stütze.

Der Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger hat seinen Sitz in Österreich, die beklagte Partei ihren in Italien. Die gerichtliche Zuständigkeit für Klagen in einem Vertragsstaat des LGVÜ gegen Personen, die ihren Wohnsitz oder Sitz in dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaats haben, ist seit 1. 9. 1996 nach dem LGVÜ zu beurteilen, weil Österreich seit diesem Zeitpunkt Vertragsstaat des LGVÜ ist; Italien ist dies bereits seit 1. 12. 1992 (Czernich/Tiefenthaler, Die Übereinkommen von Lugano und Brüssel, Rz 4 zu Art 61). Das Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) findet auf den vorliegenden Fall noch nicht Anwendung, weil die Klage am 13. 10. 1997, also noch vor Inkrafttreten des EuGVÜ (1. 12. 1998), eingebracht wurde und dieses Übereinkommen zufolge seines Art 54 Abs 1 nicht zurückwirkt (1 Ob 358/99z).

Art 17 Abs 1 LGVÜ lautet:

Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates ausschließlich zuständig. Eine solche Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden

a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,

b) ...

Das LGVÜ ist in Österreich unmittelbar anzuwenden und ersetzt in seinem Anwendungsbereich die Zuständigkeitsbestimmungen der JN, insbesondere auch die des § 104 JN (1 Ob 358/99z; SZ 71/29; Czernich/Tiefenthaler aaO Rz 21 zu Art 17; Simotta in Fasching I2 Rz 302 zu § 104 JN). Der Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des LGVÜ ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als autonomer Begriff anzusehen (1 Ob 358/99z mwN; EuGHSlg 1992, 1745 [1774]; Simotta aaO Rz 241 zu § 104 JN; Czernich/Tiefenthaler aaO Rz 22 zu Art 17). Voraussetzung für das Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung ist, dass die zuständigkeitsbegründende Klausel tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war, die klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist; es soll gewährleistet sein, dass die Einigung zwischen den Parteien tatsächlich feststeht. Das mit der Sache befasste (nationale) Gericht muss daher in erster Linie prüfen, ob die seine Zuständigkeit begründende Klausel tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war. Stets muss gewährleistet sein, dass die Parteien einer Klausel, die von den allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften abweicht, tatsächlich zugestimmt haben (1 Ob 358/99z; EuGHSlg 1986, 3353 [3355]; EuGHSlg 1984, 2417 [2432]; Simotta aaO Rz 218 und 222 zu § 104 JN; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht6 Rz 21 zu Art 17). Dem innerstaatlichen Recht bleibt nur die Klärung bestimmter Vorfragen (Geschäftsfähigkeit, Stellvertretung, Vorliegen von Willensmängeln etc) vorbehalten, die Frage, ob eine Willenseinigung in Bezug auf eine Gerichtsstandsvereinbarung stattgefunden hat, ist aber infolge des unlösbaren Zusammenhangs zwischen der im Art 17 LGVÜ festgelegten Form und der Willenseinigung selbst nach letzterer Bestimmung zu lösen (vgl 1 Ob 358/99z; RdW 1999, 413; Kropholler aaO Rz 17, 23, 25 und 26 zu Art 17; Czernich/Tiefenthaler aaO Rz 20, 23, 25 und 30 zu Art 17). Während die Einhaltung der Formvorschriften des Art 17 LGVÜ eine Wirksamkeitsvoraussetzung darstellt, kommt es auf die Einhaltung der Formerfordernisse des nationalen Rechts (hier: § 104 Abs 1 JN) nicht an (Czernich/Tiefenthaler aaO Rz 30 zu Art 17). Dann kann aber die Beweiszwecken dienende Formvorschrift des § 104 Abs 1 JN - mangels dessen Anwendbarkeit - nicht auf dem Umweg in den Art 17 LGVÜ Eingang finden, dass die von der Judikatur entwickelten Beweislastregeln zu § 104 Abs 1 JN (vgl ZfRV 1996, 75; 4 Ob 512/94; WBl 1987, 17; 6 Ob 733/81) anwendbar wären. Vielmehr ist die für das Zustandekommen der Gerichtsstandsvereinbarung unerlässliche Willenseinigung zwischen den Parteien von der Partei zu beweisen, die sich auf die zuständigkeitsbegründende Klausel beruft. Dieser Beweis ist dem Kläger aber nicht gelungen.Das LGVÜ ist in Österreich unmittelbar anzuwenden und ersetzt in seinem Anwendungsbereich die Zuständigkeitsbestimmungen der JN, insbesondere auch die des § 104 JN (1 Ob 358/99z; SZ 71/29; Czernich/Tiefenthaler aaO Rz 21 zu Art 17; Simotta in Fasching I2 Rz 302 zu § 104 JN). Der Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des LGVÜ ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als autonomer Begriff anzusehen (1 Ob 358/99z mwN; EuGHSlg 1992, 1745 [1774]; Simotta aaO Rz 241 zu § 104 JN; Czernich/Tiefenthaler aaO Rz 22 zu Art 17). Voraussetzung für das Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung ist, dass die zuständigkeitsbegründende Klausel tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war, die klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist; es soll gewährleistet sein, dass die Einigung zwischen den Parteien tatsächlich feststeht. Das mit der Sache befasste (nationale) Gericht muss daher in erster Linie prüfen, ob die seine Zuständigkeit begründende Klausel tatsächlich Gegenstand einer Willenseinigung zwischen den Parteien war. Stets muss gewährleistet sein, dass die Parteien einer Klausel, die von den allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften abweicht, tatsächlich zugestimmt haben (1 Ob 358/99z; EuGHSlg 1986, 3353 [3355]; EuGHSlg 1984, 2417 [2432]; Simotta aaO Rz 218 und 222 zu § 104 JN; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht6 Rz 21 zu Art 17). Dem innerstaatlichen Recht bleibt nur die Klärung bestimmter Vorfragen (Geschäftsfähigkeit, Stellvertretung, Vorliegen von Willensmängeln etc) vorbehalten, die Frage, ob eine Willenseinigung in Bezug auf eine Gerichtsstandsvereinbarung stattgefunden hat, ist aber infolge des unlösbaren Zusammenhangs zwischen der im Art 17 LGVÜ festgelegten Form und der Willenseinigung selbst nach letzterer Bestimmung zu lösen vergleiche 1 Ob 358/99z; RdW 1999, 413; Kropholler aaO Rz 17, 23, 25 und 26 zu Art 17; Czernich/Tiefenthaler aaO Rz 20, 23, 25 und 30 zu Art 17). Während die Einhaltung der Formvorschriften des Art 17 LGVÜ eine Wirksamkeitsvoraussetzung darstellt, kommt es auf die Einhaltung der Formerfordernisse des nationalen Rechts (hier: § 104 Abs 1 JN) nicht an (Czernich/Tiefenthaler aaO Rz 30 zu Art 17). Dann kann aber die Beweiszwecken dienende Formvorschrift des § 104 Abs 1 JN - mangels dessen Anwendbarkeit - nicht auf dem Umweg in den Art 17 LGVÜ Eingang finden, dass die von der Judikatur entwickelten Beweislastregeln zu § 104 Abs 1 JN vergleiche ZfRV 1996, 75; 4 Ob 512/94; WBl 1987, 17; 6 Ob 733/81) anwendbar wären. Vielmehr ist die für das Zustandekommen der Gerichtsstandsvereinbarung unerlässliche Willenseinigung zwischen den Parteien von der Partei zu beweisen, die sich auf die zuständigkeitsbegründende Klausel beruft. Dieser Beweis ist dem Kläger aber nicht gelungen.

Dem Revisionsrekurs ist daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E59005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2000:0010OB00149.00V.0829.000

Im RIS seit

28.09.2000

Zuletzt aktualisiert am

28.02.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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